Friedenswinter

Der Friedenswinter und die Kooperation für den Frieden

von Jens-Peter Steffen

Zum ersten Kulminationspunkt des Friedenswinters wurde die Aktionswoche vom 8.12. bis 13.12.2014. Am zum “Friedensfahnen-Tag” deklarierten Tag der Menschenrechte sollten Paceflaggen und Friedenstauben das öffentliche Bild prägen. Mein Eindruck aus meinem erweiterten Berliner Kiez und von den Wegen durch die Stadt: Wo immer eine Handvoll Friedenstauben an Fenstern und Balkonen in Sonne und Regen bleichen, kamen kaum neue dazu.

Erfolgreicher dabei, den Friedenswillen der Menschen in die Öffentlichkeit zu tragen, wenn auch lokal sehr unterschiedlich in Bezug auf Größe und Resonanz, zeigten sich die vom „Friedenswinter“ für den 13. Dezember angeregten Demonstrationen in Berlin, Bochum, Hamburg, Heidelberg, Leipzig und München.

Auf dem Weg zu einem neuen Aktionsbündnis
Die Initiative des Friedenswinters entstand, weil immer mehr Stimmen aus friedensbewegten Zusammenhängen sich öffentliche Bekenntnisse wünschten und dabei teilweise neue BündnispartnerInnen zu akzeptieren bereit waren. Die Empörung wuchs, dass statt der Bearbeitung und Lösung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen der Gegenwart die Energie von Politik und Staaten in Kriegsvorbereitungen, Kriege und Interventionen fließen. Der Krieg in Gaza war noch nicht lange vorbei und es herrschte weiterhin Krieg in Syrien. Die Interventionen in Afghanistan, Irak und Libyen hinterließen Gesellschaften im Bürgerkrieg. Dazu etablierte der gewalttätige Konflikt in der Ukraine den Krieg und sogar weitere Kriegsgefahr wieder für alle sichtbar in Europa. Die damit einhergehenden medialen Feindbilder, die Rückgriffe auf die Metaphern des Kalten Krieges und die verbale und militärische Eskalation zwischen Atomwaffenmächten machte vielen Menschen Angst.

Dagegen wurde aus der Friedensbewegung gefordert, dass es öffentlichkeitswirksame Druckveranstaltungen für eine andere Politik geben müsste. Diese oder jene Krisen- und Kriegsanalyse und die Präsentation des Konzeptes einer präventiv wirkenden zivilen Konfliktbearbeitung schien über die eigenen Kreise kaum Resonanz zu erzielen. Frustrierend wurde zudem erlebt, dass in dem Diskurs über die Reden des Bundespräsidenten und der MinisterInnen zur Notwendigkeit militärischer Begleitung des Stellenwerts Deutschlands in der Welt die Friedensbewegung sich nicht gehört fühlte. Masse Mensch müsse, und hier fühlte man sich von Umfrageergebnissen bestätigt, auf der Straße der Politik die Leviten lesen. Aber die alten Hasen und Häsinnen der Bewegung bremsten lange die Aktionswünsche: Ressourcen und Abschätzungen der Erfolgschancen lagen weit auseinander.

Aber dann wurde ab Mitte März des Jahres 2014, ganz besonders unter dem Eindruck der Ereignisse in der Ukraine, der traditionellen Friedensbewegung vorgeführt, dass sich doch etwas bewegte. Unter Nutzung sozialer Netzwerke entstanden Montagsmahnwachen, die örtlich unterschiedlich in bald bis zu 80 Orten regelmäßig Menschen versammelten, die sich zumindest in dem diffusen Wunsch nach Frieden wiederfanden.

Bei aller Anerkennung, virtuelle Meinungsäußerungen in regelmäßige Demobeteiligungen zu wandeln, störte die traditionelle Friedensbewegung allerdings einige ihrer Deutungschiffren. Die geäußerte Kapitalismuskritik schien „verschwörungstheoretisch“ diffus, antisemitische Metaphern wurden erkannt und besondere Beanstandungen galten Personen, deren bekannter politischer Werdegang und die immer zeitnah im Internet publizierten Äußerungen mehr als kritisch gesehen wurden. Abstoßend war auch, dass höhere Chargen der NPD an Demonstrationen teilnahmen. Befeuert durch einen durch die Medien gehenden Veriss der Mahnwachen, ging die Argumentation, auch in der Kooperation für den Frieden, für strikte Abgrenzung oder vorsichtige Beteiligung quer durch die politischen und sozialen Bewegungen.

Anfang April reagierte die Kooperation für den Frieden auf den diffusen politischen Charakter der Mahnwachen und warnte:

Wer auch immer sich durch die „Friedensbewegung 2014“ angesprochen fühlt, sollte genau hinsehen, für welche Ziele diese Bewegung eintritt und für welche Ziele Demonstrantinnen und Demonstranten gesucht werden. Sage keiner, er habe es nicht gewusst!

Die Kritik an rechter Einflussnahme bzw. Öffnung zeigte alsbald ausdifferenzierende Wirkungen auf die Mahnwachen. So reagierte im Juni eine weitere Erklärung des Kooperationsrates der Kooperation für den Frieden auf neue Entwicklungen. Begrüßt wurde „das Engagement von Menschen für den Frieden, das auch in Montagskundgebungen in vielen Städten zum Ausdruck kommt“. Grundlage für einen offenen Dialog sei aber „der Antifaschismus und die unzweideutige Ablehnung des Antisemitismus. Jede Kooperation mit rechtsradikalen, faschistischen Kräften erteilt die ‚Kooperation für den Frieden‘ eine grundlegende Absage“. Noch gebe es zumindest Zweifel daran, dass der Antifaschismus derzeit in allen Städten Konsens und Grundlage der Kundgebung sei. Deswegen schlug der Kooperationsrat vor, sich den politischen Vorgaben entsprechend nur für örtliche, dezentrale Formen der Zusammenarbeit einzusetzen.

Ende Juni erklärte ein bundesweites Vernetzungstreffen der Mahnwachen, dass sie „ausdrücklich gegen Hass, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Antisemitismus und jede Form von Faschismus“ seien. Eine für den Juli anberaumte zentrale Mahnwachendemonstration in Berlin blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Ein weiteres bundesweites Treffen der Mahnwachen im September 2014 bekräftigte u.a., sich für einen weltweiten Frieden ohne Imperialismus und Faschismus einzusetzen. Die bundesweite Koordination der Mahnwachen blieb ein struktureller Schwachpunkt der lokal orientierten Initiativen, was auch der Friedenswinter lernen musste.

Diese stabilisierende politische Entwicklung und zunehmende persönliche Gespräche und Teilnahme an örtlichen Mahnwachen führte bei der Kooperation für den Frieden zu der Initiative, für den Oktober zu einer offenen Aktionskonferenz einzuladen.

Aktionskonferenz beschließt „Friedenswinter 2014/ 2015“
Die Aktionskonferenz Anfang Oktober in Hannover versammelte ca. 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus traditionellen Friedensorganisationen, Initiativen, Menschen von den Mahnwachen für den Frieden, GewerkschaftlerInnen, Mitglieder der Grünen, der SPD und der Linken. Auf dem Treffen wurde unter dem Leitgedanken „Bewegung entwickeln“ ein Programm aktiver in die Öffentlichkeit orientierter politischer Aktionen beschlossen.

Es entstand ein zentraler Aufruf für den Demo-Tag, doch wie in Friedenszusammenhängen durchaus üblich, zusätzliche lokale Aufrufe. Diese Diversifikation war auch eine Reaktion auf die Namenszeichnungen bestimmter Personen unter den zentralen Aufruf, was andere Personen dazu bewog, ihren Namen zurückzuziehen. Der Aufruftext wurde von einigen Mitgliedsorganisationen der Kooperation als zu einseitig in Bezug auf die Rechtfertigung der russischen Haltung kritisiert, seine politischen Forderungen auf der Mitgliederversammlung der Kooperation aber akzeptiert.

Friedensdemonstration vor dem Bundespräsidialamt
Unter den vielen Orten, an denen es mehr oder minder erfolgreiche Friedensdemonstrationen mit jeweils einigen hundert TeilnehmerInnen gab, ragte jene vor dem Bundespräsidialamt mit ca. 4.000 Menschen heraus. Um Konflikte und entsprechende Reaktionen der Medien zu vermindern, wurden zwei Theologen als Redner gesetzt, die sich kritisch mit Redebeiträgen Gaucks auseinandersetzten.

Als Reaktion auf die durch die Medien auch in friedensbewegten Kreisen befeuerte Auseinandersetzung um das für und wider der Mahnwachen und die nunmehr auf den Friedenswinter projizierte politische Bündnisfrage mit Rechts wurde in Berlin mehrmals das anti-faschistische Selbstverständnis des Friedenswinter vorgetragen. Die Kritik der Medien wirkte durchaus zersetzend auf die Friedensbewegung, bot aber zugleich die zuvor nicht erreichte Gelegenheit, durch Beiträge und Interviews politische Positionen der traditionellen Friedensbewegung an die Öffentlichkeit zu bringen.

Innere Konflikte weisen auf fragile Identität
Für geraume Zeit gab es in den Reihen der traditionellen Friedensbewegung um die Montagsmahnwachen und abgeleitet um den Friedenswinter eine nach innen gerichtete Streitlage. Eine Triebfeder sehe ich in einer tiefen Verunsicherung der traditionellen Friedensbewegung über ihre Identität, was zu emotionalen, persönlich verletzenden aber zugleich politisch notwendigen Auseinandersetzungen führte. Diese Verunsicherung der traditionellen Friedensbewegung sehe ich als ein Spiegelbild gesamtgesellschaftlicher Identitätsprobleme. Wie andere soziale Bewegungen neigen auch wir angesichts diffuser gesellschaftlicher Entwicklungen und Einschätzungen zu einer Selbstkonstruktion aus der Negation des Anderen heraus.

Leider ist die Realität unserer Gesellschaft nicht nach den Paradigmen der Partizipation und der Anerkennung („Respekt“) gestaltet, was zu einer gelebten breiteren sozial-politischen Identität führen könnte. Stattdessen führen die kapitalistischen Anforderungen der Globalisierung und Privatisierung nach Flexibilität und Dynamik der Menschen zu einer Verstärkung vielfacher vertikaler und horizontaler Diversität von Gruppen und Individuen. Stark ausdifferenzierte soziale Parallelität geht einher mit der Zersetzung biografischer und sozialer Kontinuitäten. Die Menschen sind zutiefst verunsichert. Da geht es uns nicht viel anders und auch wir unterliegen der Gefahr, aus Symbolen, Riten und Behauptungen, also eher fiktiven denn realen Elementen sozialer und gesellschaftlicher Entwicklung, uns eine Identität aus der Negation heraus zu konstruieren.

Unsere Verunsicherung sollte uns einmal mehr zeigen, wie umfassend gesellschaftspolitisch die Anforderungen an unser politisches Projekt für Frieden sein müssen.

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