Zur Dokumentation von Stimmen zum Krieg

Der Gaza-Krieg

von Christine Schweitzer
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

In der Nacht auf den 7. Oktober 2023 überfielen Kommandos der Hamas grenznahe Orte in Israel, das israelische Militär wurde total überrascht. Den begleitenden tausenden von Raketen war die israelische Luftabwehr, der „Iron Dome“, nicht gewachsen. Den Massakern der Terroristen sind geschätzt 1.200 Menschen erlegen, darunter viele Jugendliche und junge Erwachsene, die ein Musikfestival besucht hatten. 5.431 Menschen wurden verletzt. (1) Die Hamas filmte ihre Gräueltaten und stellte sie nach Manier des Islamischen Staats stolz ins Netz. Rund 250 Menschen wurden in den Gazastreifen verschleppt; zum Zeitpunkt der Redaktionslegung dieses Hefts sind erst knapp 50 freigelassen worden, einige andere wurden tot aufgefunden, die meisten aber werden weiter vermisst.

Ministerpräsident Netanjahu schuf eine Notstandsregierung und ließ das Militär zunächst den Gazastreifen bombardieren; später rückten dann auch Bodentruppen bis nach Gaza-Stadt vor. Die Zivilbevölkerung wurde aufgefordert, in den Süden des Gazastreifens zu fliehen.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit dem Terroranschlag der Hamas im Gazastreifen bis zum 10. November 11.078 Menschen den israelischen Angriffen erlegen, 27.490 wurden verletzt. (2)  In der Westbank kamen 172 Menschen ums Leben, 2.586 wurden verletzt. (3) Wenn dieses Friedensforum bei den Leser*innen ist, werden die Zahlen aller Voraussicht nach drastisch gestiegen sein; sie werden bei den Vereinten Nationen und bei statista.de nachzulesen sein. Bis zu dem Terroranschlag lag die Anzahl der Todesopfer unter der palästinensischen Bevölkerung der besetzten Gebiete und dem Gazastreifen im Zeitraum von 2008 bis Oktober 2023 bei 6.540, die Anzahl der Verletzten bei 155.706 Menschen. (4) Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums Laut wurden seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober insgesamt 187 Menschen getötet; seit Jahresbeginn kamen 383 Palästinenser bei israelischen Militäreinsätzen im Westjordanland bei Konfrontationen oder eigenen Anschlägen ums Leben. Menschenrechtler*innenn zufolge ist es die höchste Zahl seit mehr als 15 Jahren. (5)

International war das Entsetzen über den Terroranschlag groß, auch wenn sich von Anfang an auch Stimmen erhoben, die auf die über 50-jährige Besatzung, die immer weiter zunehmende illegale Landnahme in der Westbank und die fast totale Isolation des Gazastreifens hinwiesen. Anfänglich mochten viele besonders in Deutschland das nicht hören. Bundeskanzler Scholz wurde nicht müde, zu betonen, dass Deutschland fest an der Seite Israels stehe. Doch je länger der Krieg anhält, besonders seit der Bodenoffensive der IDF Ende Oktober, umso größer wird die Besorgnis und die Kritik am israelischen Vorgehen. Am 28. Oktober 2023 trat der Direktor des New Yorker Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Craig Mokhiber, wegen der Reaktion der Organisation auf den Krieg in Gaza zurück. In seinem Rücktrittsschreiben warf er der UNO vor, nicht gehandelt zu haben. Er schrieb über seine Beurteilung der Lage:

„Als Menschenrechtsanwalt mit mehr als drei Jahrzehnten Erfahrung auf diesem Gebiet weiß ich sehr wohl, dass der Begriff Völkermord oft politisch missbraucht wird. Doch der gegenwärtige Massenmord am palästinensischen Volk auf der Grundlage einer ethno-nationalistischen Siedlerkolonialideologie, welche die jahrzehntelange systematische Verfolgung und ethnische Säuberung eines Volkes fortsetzt, nur weil die Menschen Araber sind, und die mit ausdrücklichen Absichtserklärungen führender Vertreter der israelischen Regierung und des Militärs einhergehen, lässt keinen Raum für Zweifel oder Debatten. Im Gazastreifen werden zivile Gebäude, Schulen, Kirchen, Moscheen und medizinische Einrichtungen mutwillig angegriffen und Tausende von Zivilisten massakriert. Im Westjordanland, einschließlich dem besetzten Jerusalem, werden Häuser beschlagnahmt und neu zugeteilt, und israelische Militäreinheiten begleiten gewalttätige Siedlerpogrome. Überall im Land herrscht Apartheid. Dies ist Völkermord wie aus dem Lehrbuch.“  (6) In einem israelischen „Arbeitsdokument“ wird überlegt, alle Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen zu vertreiben und auf der Sinai-Halbinsel anzusiedeln. (7) Und in der Westbank haben sich radikale Siedler bewaffnet und begonnen, Menschen aus ihren Dörfern zu vertreiben. Die Anzeichen für ethnische Säuberung, eines der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, werden immer deutlicher.

Der Anschlag und der folgende Krieg geschahen, als unser Heft schon durchgeplant und Artikel angefragt waren. Wir haben trotzdem einige Beiträge, vor allem Stimmen aus der Region selbst sowie zur innerdeutschen Debatte in diesem Heft unterbringen können. Das Heft 2/2024 wird sich dann im Schwerpunkt mit dem Krieg – oder den Kriegen – in Nahost befassen.

Anmerkungen
1 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1417316/umfrage/opferzahl...
2 ebda
3 ebda
4 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1417633/umfrage/anzahl-vo...
5 Spiegel Online vom 14.11.23
6 Der Brief wird hier dokumentiert: https://www.juedische-stimme.de/r%C3%BCcktrittsschreiben:-craig-mokhiber....
7 https://taz.de/Krieg-im-Gazastreifen/!5966908/

Ausgabe

Rubrik

Krisen und Kriege
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.