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"Es ist ein neuer Ansatz nötig, um kreativ über Gewaltfreiheit und Islam nachzudenken. Die Frage heißt nicht, inwieweit der Islam Gewalt legitimiert, sondern wieviel Betonung er in seinen Traditionen auf Gewaltfreiheit legt." So beginnt dieser 1986 geschriebene Artikel, in dem die beiden islamischen Autoren aus ihrer religiösen Überzeugung den Vorrang der Gewaltfreiheit im Kampf gegen Unterdrückung begründen.
Der Jihad
Der Hauptgrund, warum Islam benutzt werden kann, um Gewalt zu rechtfertigen, ist, daß er handlungsorientiert ist, daß er Gläubige drängt, gegen Unrecht aktiv zu werden. Um dies zu diskutieren, muß eines der kontroversesten Konzepte im Islam, das Konzept des Jihad, untersucht werden. Allgemein als "heiliger Krieg" beschrieben, betrachten manche MuslimInnen den Jihad als die sechste Säule des Islam. Ein Flügel der Muslimischen Rechtsschule, die Kharijiten, nutzten den Jihad, um ihre Meinungen dem Rest der muslimischen Gemeinschaft im Namen des transzendenten Idealismus aufzuzwingen. Sie bestanden darauf, daß, weil der Prophet die meiste Zeit seines Lebens im Krieg verbracht habe, der Islamische Staat für den Krieg organisiert werden solle und Häretiker zwangskonvertiert oder hingerichtet werden müssten. Aber der Heilige Koran sagt, "Zwingt keinen zum Glauben, da die wahre Lehre vom Irrglauben ja deutlich zu unterscheiden ist." (II:256). Tatsächlich waren die großen arabischen Eroberungen in ihrer Grundlage politisch und ideologisch. Durch seine Bereitschaft, pluralistische Gesellschaften zu tolerieren, bot der Islam vielen Völkern des 7. und 8. Jahrhunderts ein freieres, sichereres, friedlicheres Leben.
Aus dem Koran kann abgeleitet werden, daß mit Jihad gemeint ist, gegen Unterdrückung, Despotismus und Unrecht einzutreten, wo immer sie begangen werden oder wer auch immer die Unterdrückten sein mögen. In seiner allgemeinsten Bedeutung heißt Jihad das Streben nach Gerechtigkeit und Wahrheit. Das Konzept des Jihad kann nach der Richtung, in die er sich wendet - nach innen oder außen - und nach seiner Methode - gewaltsam oder gewaltlos - untergliedert werden. Der innere Jihad in seinem engsten Sinn wird innerhalb eines Individuums ausgefochten. In einem weiteren Sinne kann er der Kampf sein, Übel innerhalb der Gemeinschaft (ummah) auszumerzen. Oder er mag ein Kampf sein, den Teil der Menschheit zu läutern, der irgendeine Form spiritueller Führung annimmt. Kurzgefasst, Jihad ist ein Befehl des allmächtigen Gottes und der Traditionen des Propheten Muhammad, der eine ständige Selbstprüfung hinsichtlich unseres Potentials verlangt, Tyrannei und Unterdrückung zu bekämpfen, eine Selbstregulierung der Mittel, Frieden zu erreichen und moralische Verantwortung zu akzeptieren. Und, wichtiger noch, Jihad platziert Krieg und Gewalt in der moralischen Sphäre.
Krieg im Atomzeitalter
Der Jihad in seiner weniger wichtigen Bedeutung, der Anwendung physischer Gewalt gegen andere, ist durch den Koran und der Hadith (Lebensgeschichte Mohammeds) eingeschränkt. Zum Beispiel ist es MuslimInnen verboten, Nicht-Kombattanten zu töten. Aber was heißt das in der modernen Zeit, in der Atomwaffen regieren?
Inamullah Khan, der Generalsekretär der Organisation der Islamischen Konferenz, argumentiert, daß, obwohl der Islam den Kampf erlaubt, er darauf bestehe, daß die Anwendung von Gewalt minimal und die Kriegsführung so human wie möglich sein müssen. Daher sind Atomwaffen nicht erlaubt, weil sie Massenvernichtungswaffen sind und nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß dieses Argument unvollständig ist. Atomwaffen sind nicht die einzigen Waffen, die keine Unterscheidung zwischen Kämpfern und Nichtkämpfern erlauben. Das zwanzigste Jahrhundert wurde als 'das Jahrhundert des totalen Krieges' bezeichnet. Im ersten Weltkrieg wurden eine Million Zivilisten direkt getötet, im zweiten Weltkrieg starben fast 35 Millionen hauptsächlich aufgrund neuer Technologien wie Bombardierungen aus der Luft und chemischer/ biologischer Kriegsführung. Die Ausbreitung des Terrorismus hat die Angelegenheit schwieriger gemacht. Terroristen tendieren dazu, Methoden zu wählen, die ihr Risiko vermindern. Immer mehr werden wehrlose Opfer die Ziele, die weniger Wert als Symbole haben oder weniger Verantwortung für die Bedingungen, die die Terroristen angeblich ändern wollen.
Der Islam erlaubt keine solche willkürliche Anwendung von Gewalt. Noch erlaubt er, Gottes Schöpfung zu zerstören. Napalm ist unakzeptabel. Explosionen in Kaufhäusern, Flugzeugentführungen und die Tötung von Geiseln, die Bombardierung ziviler Ziele sind unakzeptabel. Die Technologie hat primitive Waffen obsolet gemacht, aber die allumfassende moralische Sphäre des Islam macht moderne Waffen illegitim. Heißt das, daß MuslimInnen, die unterdrückt werden, sich unterwerfen und den Befehl Gottes ignorieren sollten, zu kämpfen? Gibt es eine Alternative?
Gewaltfreiheit - die Alternative
Wenn man den Heiligen Koran liest, spürt man die Bedeutung des menschlichen Wesens. Als Gott die Menschheit schuf, um sie zu Vizeregenten auf der Erde zu machen, ging sein Geist in jeden Mann, Frau und Kind ein, denn er sagt, "wenn ich ihn (den Menschen) vollkommen gestaltet und ihm meinen Geist eingehaucht habe, dann fallt ehrfurchtsvoll vor ihm nieder" (XV:30). Der Geist des Schöpfers lebt in dem sonst leeren Körper. In diesem Sinne ist die Menschheit eins. Das menschliche Leben ist heilig: "Wer andererseits eines einzigen Menschen Leben rettet, nur einen am Leben erhält, sei angesehen, als habe er das Leben aller Menschen erhalten." (V:33) Jedes menschliche Leben hat einen Wert, der dem der Summe aller menschlichen Leben entspricht.
Wenn der Islam die Heiligkeit des Lebens hochschätzt, wie können dann MuslimInnen Unterdrückung bis zum Ende bekämpfen? Solange sie nicht den Methoden der Gewalt absagen und Alternativen ergreifen, können sie nicht dem Islam treu sein. Es scheint keine Alternative dazu zu geben, gewaltfreie Aktion zu verwenden.
Was ist notwendig, um Gewaltfreiheit zu praktizieren? Gandhi antwortet, "Wahrheit und Gewaltfreiheit sind nicht möglich ohne einen lebendigen Glauben an Gott..". Und wenn seine Gewaltfreiheit unzureichend sein sollte, so mag eine moderne Theorie der Macht genügen: Gene Sharp schreibt, "politische Macht löst sich auf, wenn die Menschen ihr ihren Gehorsam und ihre Unterstützung entziehen. Die militärische Ausrüstung des Herrschenden mag intakt bleiben, seine Soldaten unverwundet, die Eliten unberührt, die Fabriken und Transportsysteme in voller Operationsbereitschaft und die Regierungsgebäude unbeschädigt. Die menschliche Unterstützung, die die politische Macht des Regimes schuf und trug, wurde entzogen. Daher hat sich seine Macht aufgelöst." Für eineN MuslimIn versichert dies einfach seine oder ihre Unterwerfung allein unter den Willen Gottes. EinE MuslimIn muß nicht den Mächtigen gehorchen, wenn die Macht ungerecht verwendet wurde.
Ob MuslimInnen schwach oder stark sind, sie müssen etwas tun. Dieses Gebot zum Handeln ermöglicht es MuslimInnen leicht, gewaltfreie Aktionen durchzuführen, denn als Technik ist Gewaltfreiheit nicht passiv. Gewaltfreie Aktion kann nicht geschehen, außer wenn Passivität und Unterwerfung durch Aktivität, Herausforderung und Kampf ersetzt werden.
Ein Beispiel aus Thailand
Am 29. November 1975 fuhren fünf malayische Muslims und ein dreizehnjähriger Junge nachts durch Narathiwat in Südthailand. Sie wurden von Uniformierten überfallen, entführt und ermordet; nur der Junge überlebte. Eine Gruppe aktiver MuslimInnen machte den Fall bekannt. Am 12. Dezember demonstrierten Tausende in Pattani gegen die Brutalität. Als am Tag darauf auch Universitätsstudenten sich dem Protest anschlossen, wurde die Stadt von Militär und Polizei umlagert. Während einer Podiumsdiskussion explodierte eine Bombe und einer der Koordinatoren des Protestes wurde auf der Bühne erschossen. Die Polizei kam und löste die Demonstration auf. Zwölf Menschen waren tot und mehr als 30 verwundet. Am gleichen Tag noch versammelten sich 50.000 Menschen an der zentralen Moschee in Pattani. In der nächsten Woche wurden Schulen in Pattani und Narathiwat niedergebrannt- die Menschen beschuldigten Soldaten der Brandstiftung. Ein weiterer Angestellter des Menschenrechtszentrums wurde erdolcht. Nach weiteren Protesten in den nächsten Tagen trafen sich am 2. Januar die muslimischen Regierungsvertreter der fünf südlichen Provinzen, forderten den Premierminister auf, nach Pattani zu kommen und drohten mit Streik oder massenhaftem Rücktritt, falls ihre Forderung nicht erfüllt bzw. sie bestraft würden. Am 4. Januar riefen sie ihren Streik aus, am 10. Januar kam es zum Treffen mit dem Premierminister. Nach 45 Tagen endete der Protest mit der Entfernung des Regierungschefs von Pattani aus seinem Amt.
Aus diesem Vorfall, der eine sorgfältigere Analyse verdiente, können fünf Bedingungen abgeleitet werden, die die MuslimInnen befähigten, solch einen gewaltfreien Protest durchzuführen. Erstens besaßen sie den Willen, nicht zu gehorchen. Für sie war allein Gottes Wille maßgebend, womit sie jede andere Form absoluter Autorität einschließlich der des Staates leugneten. Zweitens waren sie mutig. Trotz schwerer Repression und natürlichem Risiko hatten sie keine Angst. Eine Vorschrift des Glaubens lehrt MuslimInnen, daß alle guten und schlechten Dinge von Gott kommen und daß Gott sich um sie kümmert. Drittens ermöglichte ihre Disziplin, die Versammlung, die Demonstration und die Drohung, in Massen zurückzutreten, effizient durchzuführen. Viertens war ihr Konzept von Gemeinschaft stark. Und fünftens können MuslimInnen alles, aber nicht passiv sein. Jihad kann mit dem Herz, der Zunge oder der Hand geführt werden, aber er muß in der einen oder anderen Form geführt werden. Aktion ist daher von hervorragender Bedeutung. Diese fünf Charakteristen können als die "fünf Säulen der Moslemischen Gewaltfreien Aktion" bezeichnet werden, die den fünf Säulen des Islam entsprechen.
Acht Thesen zur Gewaltfreiheit
Es ist notwendig, daß der Islam aus einem neuen Blickwinkel betrachtet wird. Die konventionelle Weltsicht ist, daß Gewalt normal sei. Daher muß sich einE gewaltfreieR MuslimIn von dieser Sicht lösen und ernsthaft die Akzeptanz von Gewalt in Frage stellen. Ich schlage die folgenden Thesen als eine Herausforderung für MuslimInnen und andere vor, deren Sorge es ist, die konkrete Vision des Islam wieder einzufangen, so daß die wahre Bedeutung von Frieden, eine Abwesenheit von sowohl struktureller wie persönlicher Gewalt, erzielt werden kann:
1. Das Problem der Gewalt ist Teil der islamischen Moralsphäre.
2. Gewalt, wenn sie verwendet wird, muß vom Koran und der Hadith (Legende vom Leben Mohammeds) geleitet sein.
3. Wenn Gewalt nicht zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten unterscheiden kann, dann ist sie nicht akzeptabel.
4. Moderne Technologie macht diese Unterscheidung praktisch unmöglich.
5. Daher können in einer Zeit wie der unseren MuslimInnen keine Gewalt anwenden.
6. Der Islam lehrt MuslimInnen, für Gerechtigkeit zu kämpfen, mit dem Verständnis, daß menschliches Leben wie andere Teile von Gottes Schöpfung heilig sind.
7. Um dem Islam gehorsam zu sein, müssen MuslimInnen gewaltfreie Aktion als eine neue Form des Kampfes nutzen.
8. Der Islam ist ein fruchtbarer Boden für Gewaltfreiheit aufgrund seines Potentials für Ungehorsam im Gehorsam zu Gott, Disziplin, sozialer Verantwortung, Beharrlichkeit, Selbst-Aufopferung und dem Glauben an die Einheit der muslimischen Gemeinde und an die Einheit der menschlichen Rasse.