Amerikanisch-chinesische Spannungen und europäische Handlungsoptionen

Der Indopazifik als Kristallisationspunkt geopolitischer Ambitionen

von Pascal Abb
Schwerpunkt
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Unter den zahlreichen aktuellen geopolitischen Spannungsfeldern sticht eines besonders hervor: die rapide Verschlechterung des chinesisch-amerikanischen Verhältnisses, das inzwischen von einem machtpolitischen Nullsummenspiel geprägt ist und entsprechendes Eskalationspotential beinhaltet.

Zentral für diesen Konflikt sind zwei Elemente: Zum einen reduziert China in Kategorien wie Wirtschaftsleistung und Rüstungsausgaben, die gerne zur Bemessung materieller Macht herangezogen werden, stetig seinen Rückstand auf die USA. Angesichts seiner weitaus größeren Bevölkerung, langfristigen Wachstumstrends und Aufholpotentials im High-Tech-Sektor ist ein Aufstieg zur weltweiten Nummer Eins hier schon mittelfristig denkbar. Zum anderen intensiviert sich der Konflikt um Weltordnungsentwürfe, da Peking sich zwar für eine Bewahrung von Globalisierung und Freihandelspolitik einsetzt, andere Elemente des liberalen Models jedoch klar zurückweist und ihnen eine souveränitäts-, staats- und entwicklungzentristische Alternative gegenüberstellt.

Diese Gegensätze begründen einen langfristigen und fundamentalen Konflikt, der sich durch Phänomene wie Regierungswechsel oder Politikanpassungen höchstens noch punktuell entschärfen lässt. Beide Seiten sehen einander mit tiefem Misstrauen und als Risiko für den eigenen Status und die nationale Sicherheit: (1) Die USA verdächtigen China, durch unlauteren Wettbewerb die eigene Führungsrolle usurpieren zu wollen, während umgekehrt Peking die USA der politischen Subversion und militärischen Einhegung bezichtigt. Diesem Wettstreit können sich auch andere internationale Akteure nicht entziehen. Sowohl die USA als auch China werben intensiv um Unterstützung in Drittstaaten, versuchen umgekehrt, bestehende Allianzen der jeweiligen Gegenseite aufzuweichen, und formulieren entsprechende Strategien.

Belt and Road Initiative versus „Indopazifik-Strategie”
Im Falle Chinas sind diese meist mit der „Belt and Road-Initiative“ (BRI) verknüpft, einem weltweiten Infrastrukturprogramm, das – neben anderen Zielen – die wirtschaftliche Verflechtung mit dem eigenen Markt befördern und das Land so langfristig als Zentrum der globalen wirtschaftlichen Aktivität (re-)etablieren soll. Chinas wirtschaftliche Anziehungskraft und die gezielte Steuerung des Marktzugangs werden auch vermehrt genutzt, um politisches Wohlverhalten gegenüber Peking zu belohnen bzw. ein Einschwenken auf die US-Linie zu bestrafen.

Auf amerikanischer Seite bestand die wichtigste Innovation in der Abfassung einer „Indopazifik“-Strategie durch die Trump-Regierung, auf der auch unter Biden aufgebaut wird. (2) Dieser Ansatz richtet sich in drei Punkten klar gegen China: erstens durch die Wahl eines geographischen Raums, der mit Japan, Indien und Australien mehrere Staaten umfasst, die sich als Gegengewichte zu einem aufsteigenden China verstehen; zweitens durch die rhetorische Betonung einer „freien“ und „regelbasierten“ Ordnung, die einen Kontrast mit vorgeblichen chinesischen Exklusionsbestrebungen zieht; und drittens durch die prominente Rolle von Infrastruktur als Konkurrenzfeld, in dem gezielt Alternativen zur BRI erarbeitet werden sollen. Kernpartner sind die drei oben genannten Staaten, die mit den USA ein „Quad“ bilden und an einer gemeinsamen maritimen Sicherheitspolitik teilhaben, die sich etwa in der Durchführung sogenannter „Freedom-of-Navigation-Operationen“ (FONOPS) in chinesisch beanspruchten Territorialgewässern niederschlägt.

Europäische Indopazifik-Strategien
Das Indopazifik-Thema wurde auch von einigen US-Alliierten aufgegriffen, meist mit eigenen Variationen. In Europa haben Deutschland und Frankreich bereits eigene Indopazifik-Strategien vorgestellt, vor kurzem folgte auch ein Entwurf der EU. Diese setzen jedoch deutlich andere Schwerpunkte: das französische Konzept konzentriert sich auf die eigene Rolle als Pazifikanrainer, hebt die Sicherheitspolitik und Beteiligung an FONOPS als Betätigungsfeld hervor, und sucht auch generell eine Anlehnung an das „Quad“. (3) Die Bundesregierung verfolgt einen holistischeren Ansatz, der die Sicherheitspolitik weniger ins Zentrum rückt, allgemein die Wichtigkeit der Region betont und Kooperationsfelder von der Klima- bis hin zur Bildungspolitik skizziert (dadurch aber auch oft im vagen bleibt). (4) Die im April 2021 veröffentlichten Grundlagen einer EU-Indopazifik-Strategie gehen in eine ähnliche Richtung und lassen sich am ehesten als Absichtserklärung lesen, dort selbst gestaltend und durchaus auch geopolitisch aktiv zu werden; im Fokus steht vor allem eine angestrebte engere Kooperation mit ASEAN und generell die „Multilateralisierung“ der Region. (5)

Obwohl Europa bei diesem Thema in amerikanische Fußstapfen tritt, wurden die entsprechenden Erklärungen in China bislang differenzierter wahrgenommen als die überwiegend als Einhegungspolitik identifizierte US-Strategie. Kommentare chinesischer Expert*innen zum Thema sehen diese Bemühungen eher als Ausweis einer angestrebten größeren „strategischen Autonomie“ europäischer Akteure denn als Schulterschluss mit den USA, verweisen auf die unterschiedliche Schwerpunktsetzung und mögliche Kooperationsfelder auch mit China. (6) Ein wichtiger Grund ist sicher, dass die sehr begrenzten militärischen Mittel Europas nichts an der regionalen Machtbalance ändern können und alleine deswegen nicht als Bedrohung wahrgenommen werden. Dies bietet aber auch Chancen, Europa als friedenspolitisch orientierte Macht zu positionieren, und idealerweise eine Vermittlerrolle in regionalen Konflikten wie auch zwischen Washington und Peking wahrzunehmen. In diesem Spannungsfeld ist Europas wichtigste Ressource seine Glaubwürdigkeit, Prinzipien unabhängig von reinen Machtinteressen zu vertreten – diese gilt es klug zu nutzen und nicht durch geopolitisches Abenteurertum zu verspielen.     

Anmerkungen
1 Siehe hierzu auch Pascal Abb, „Fraying ties - the securitization of the US-China relationship”, PRIF Spotlight 11/2020. Online: <https://www.hsfk.de/fileadmin/HSFK/hsfk_publikationen/Spotlight1120.pdf>.
2 US State Department, “A free and open Indo-Pacific”, 4. November 2019. Online: <https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/11/Free-and-Open-Indo-Paci....
3 Felix Heiduk und Nelim Sulejmanovic, „Will the EU take view of the Indo-Pacific?“, SWP Working Paper 1/2021. Online: <https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/arbeitspapiere/WP....
4 Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland, „Leitlinien zum Indo-Pazifik“. Online: <https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2380500/33f978a9d4f511942c241eb4602....
5 Europäischer Auswärtiger Dienst, „EU strategy for cooperation in the Indo-Pacific“. Online: <https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/96740/eu-strat....
6 Siehe etwa Cui Hongjian, „Folgt Europa den USA mit seiner Indopazifik-Strategie?“ (ouzhou zhuisui meiguo tui yintai zhanlüe?), Global Times, 8. September 2020. Online: <https://opinion.huanqiu.com/article/3znM5Zwx34O>, abgerufen am 28. April 2021; Wang Shucheng und Li Xiang, „Die Indopazifik-Strategie der Macron-Regierung und ihre Herausforderungen“ (makelong zhengfu yintai zhanlüe jiqi tiaozhan), Aisixiang, 3. Februar 2021. Online: <http://www.aisixiang.com/data/124937-1.html>, abgerufen am 28. April 2021.

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Pascal Abb ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und forscht zu Fragen chinesischer Außenpolitik und den Auswirkungen chinesischer Infrastruktur-Maßnahmen auf Konfliktstaaten. Ein Report zu letzterem Thema ist jüngst bei der HSFK erschienen und dort abrufbar. Er hat u.a. geschrieben: https://www.hsfk.de/publikationen/publikationssuche/publikation/road-to-peace-or-bone-of-contention).