Der Internationale Strafgerichtshof und die Geschichte seiner Behinderung

von Philipp Boos
Schwerpunkt
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Mit diesem kurzen Aufsatz sollen die Grundlagen des Internationalen Strafgerichtshofs und die Versuche der USA, seine Entstehung und effektive Arbeit zu verhindern, dargestellt werden. (1)

Grundlagen des Internationalen Strafgerichtshofs
Seit dem 01. Juli 2002 existiert der erste ständige Internationale Strafgerichtshof (IStGH) (2) mit Sitz in Den Haag. Nach Diskussionen über mehr als 100 Jahre existiert damit endlich eine realistische Strafandrohung für schwerste Verbrechen gegen Interessen der Völkergemeinschaft, "wo auch immer und von wem auch immer sie begangen werden" (3). Bisher gab es nur sogenannte ad hoc-Tribunale für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien. Der Gründungsvertrag von Rom wurde bislang von 76 Staaten ratifiziert und von insgesamt 139 Staaten unterzeichnet. (4) Es wird erwartet, dass die ersten Richter Anfang 2003 gewählt werden. (5)

Der Gründungsvertrag von Rom schafft zum ersten Mal einen ständigen Strafgerichtshof für Völkermord, Kriegsverbrechen (6) und Verbrechen gegen die Menschheit. Das Gericht kennt keine Immunität, daher könnten auch Staatschefs angeklagt werden. Der IStGH ist ein "Reservegericht". Er greift nur ein, wenn der jeweilige Staat unfähig oder unwillig ist, den Fall selbst anzuklagen. Der IStGH ist eine unabhängige Einrichtung und kein Bestandteil der UN. Die weitgehende Unabhängigkeit vom UN-Sicherheitsrat und damit dem Vetorecht seiner Mitglieder haben zur Ablehnung des Gerichts durch die USA geführt.

Zunächst muss eine der zwei folgenden Vorbedingungen vorliegen, damit der Gerichtshof über einen Fall entscheiden kann:

  1. Entweder der Staat, in dem das Verbrechen begangen wurde, muss den Vertrag von Rom unterschrieben haben oder mit der Zuständigkeit des IStGH einverstanden sein,
  2. oder der Staat, dessen Staatsbürger der Angeklagte ist, muss den Vertrag von Rom unterzeichnet haben oder mit der Zuständigkeit des IStGH einverstanden sein.

Zur Eröffnung eines Verfahrens gibt es drei Möglichkeiten:

  1. Ein Unterzeichnerstaat berichtet einen Fall.
  2. Der Staatsanwalt leitet eine Untersuchung ein.
  3. Der Sicherheitsrat weist einen Fall nach Kapitel VII der UN-Charta dem IStGH zu. Im letzten Fall müssen die oben genannten Vorbedingungen nicht vorliegen.

Die Einrichtung des IStGH führt zu einer ernstzunehmenden Abschreckung gegen die Begehung der von ihm verfolgten Verbrechen. Die Annahme, dass diese Straftaten ohne rechtliche Konsequenzen begangen werden können, ist nun nicht mehr gerechtfertigt. Der IStGH führt zu einer beachtlichen Verbesserung des internationalen Rechtssystems und damit zu einer Festigung der globalen Sicherheit. Insbesondere ist zu hoffen, dass der Gerichtshof dem Verbot des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen Nachdruck verleihen wird.

Obstruktion durch die USA
Die USA standen dem Gerichtshof von Beginn an kritisch gegenüber und wollten seine Einrichtung verhindern und - da das misslungen ist - versuchen nun, eine effektive Arbeit des IStGH zu verhindern. (7) Schon vor dem ersten Vertragsentwurf 1996 haben die USA versucht, die Einrichtung eines permanenten, unabhängigen Gerichts zu verhindern. Während der Verhandlungen versuchten sie (erfolglos), die Zuständigkeit über Staatsbürger - insbesondere Militärpersonal - von Nichtunterzeichnerstaaten zu verhindern bzw. vom Einverständnis dieser Staaten abhängig zu machen. Die USA stimmten in Rom gegen den Vertrag. (8) Die USA unterschrieben den Vertrag im Dezember 2000 nur, um weiter Einfluss auf die Entwicklung zu haben bzw. um die Einsetzung zu hintertreiben. Die für die Verbindlichkeit erforderliche Ratifizierung des Vertrages war nie beabsichtigt. (9) Der entscheidende Widerstandspunkt ist und bleibt die Befürchtung, dass hochrangige US-Diplomaten oder Militärs in die Zuständigkeit des IStGH fallen.

Nach der Unterzeichnung durch die Konferenz von Rom versuchten sie durch diplomatischen Druck weiterhin Änderungen des Statuts zu erreichen. So begannen die USA, Vorschriften, welche die Auslieferung von US-Bürgern an den IStGH verbieten, in Verhandlungen über die Stationierung von US-Militär in anderen Staaten aufzunehmen. Weiterhin wurden Gesetzentwürfe vorgelegt, die militärische Unterstützung für die meisten Unterzeichnerstaaten des Statuts von Rom verbieten und die Teilnahme der USA an UN-Friedensmissionen begrenzen. Die Obstruktionsstrategie richtet sich insbesondere auf Entwicklungsländer, die auf Unterstützung durch die USA (World Bank, Internationaler Währungsfonds) angewiesen sind.

Höhepunkt dieser Entwicklung ist ein von beiden Häusern des Kongresses beschlossenes Gesetz, wonach der Präsident in Gewahrsam des Gerichtshofs in Den Haag befindliche amerikanische Staatsbürger unter Einsatz von Waffengewalt befreien lassen kann. (10) Demnach könnte es theoretisch (11) zu einer militärischen Operation der USA im und gegen das NATO-Partnerland Niederlande kommen. Ein solcher Angriff würde wegen der Verletzung der Souveränität der Niederlande offensichtlich gegen das Völkerrecht - insbesondere die UN-Charta - verstoßen.

Daneben wurde die Fortsetzung der US-Beteiligung an der UN-Mission in Bosnien-Herzegovina verweigert, sofern nicht eine generelle Amnestie aller US-Missionsmitglieder für eine Verfolgung vor dem Internationalen Strafgerichtshof zugesichert würde. Der Konflikt wurde vorerst durch einen Kompromiss beigelegt, wonach Blauhelmsoldaten aus Nichtunterzeichnerstaaten des IStGH-Statuts ein Jahr Immunität genießen. (12)

Ein weiterer Versuch der Obstruktion ist die Drohung an Staaten, die von US-Militärhilfe abhängig sind, diese Hilfe zu entziehen, falls die Staaten nicht ein Abkommen unterzeichnen, wonach sie keine US-Bürger an den Gerichtshof ausliefern. (13) Israel und Rumänien haben bereits solche Abkommen unterzeichnet. (14)

Der Widerstand gegen den IStGH geht einher mit der eigenen völkerrechtswidrigen Behandlung von im Zusammenhang mit dem Afghanistankrieg festgenommenen Personen. Dieses Vorgehen steht auch nach Ansicht der amerikanischen Richter- und Anwaltschaft im Widerspruch zur eigenen Verfassung. (15)

Die Haltung der USA, die Angehörigen anderer Nationen zum Gegenstand von internationalen Tribunalen (Ruanda, Ex-Jugoslawien) oder gar eigener Kriegsgerichte (Afghanistan) zu machen, gleichzeitig aber Verfolgung von Kriegsverbrechen eigener Staatsangehöriger ausschließen zu wollen, ist unglaubwürdig. Sie liefert gerade den Diktatoren und Kriegsherren, gegen die sich der IStGH richtet, ein gutes Argument sich der internationalen Gerichtsbarkeit ebenfalls zu entziehen. Deshalb muss der nachfolgend zitierte Grundsatz gelten:

"Das Kriegsrecht gilt nicht nur für mutmaßliche Verbrecher besiegter Länder. Es gibt keinen moralischen oder rechtlichen Grund, siegreichen Ländern Immunität gegenüber einer gerichtlichen Untersuchung zu gewähren. Das Kriegsrecht ist keine Einbahnstraße." (16)

Aufforderung
Die USA sollte den Vertrag von Rom ratifizieren und sich an der Einrichtung des IStGH beteiligen. Zumindest aber sollten sie den wirtschaftlichen und diplomatischen Druck auf Staaten einstellen, die sich an der Errichtung des IStGH beteiligen wollen, sowie die gegen die Einrichtung des IStGH gerichtete Gesetzgebung zurücknehmen. Die 139 Unterzeichnerstaaten sollten dem Druck der US-Politik standhalten und die Einrichtung des IStGH wie geplant fortsetzen.

In den internationalen Beziehungen müssen rechtsstaatliche Strukturen verstärkt und nicht abgebaut werden. Der Weg dahin führt über die Einschaltung von Gerichten. So schlägt die IALANA auch vor, dass die Ausübung militärischer Gewalt von einer vorherigen Feststellung der Vereinbarkeit ihrer Anwendung Einsatzes mit dem Völkerrecht abhängig gemacht wird. (17)

Anmerkungen
1 Die Darstellung ist zum Teil angelehnt an den Abschnitt "Rome Statute of the International Criminal Court (ICC)" in: Nicole Deller, Arjun Makhijani, John Burroughs (Herausgeber), Rule of Power or Rule of Law? An Assessment of U.S. Policies and Actions Regarding Security-Related Treaties, S. 24-26.
 

2 Im Englischen International Criminal Court (ICC).
 

3 FAZ vom 12.07.2002, S. 6.
 

4 FAZ vom 12.07.2002, S. 6. Eine Liste der Staaten, die den Vertrag ratifiziert bzw. unterzeichnet haben findet sich bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, Deutsche Sektion e.V., unter http://www.igfm.de/IStGH/icc.htm.
 

5 Weitere umfangreiche Informationen finden sich im Internet, vgl. nur Arbeitsgruppe Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) im Nürnberger Menschenrechtszentrum, Informationen rund um den Internationalen Strafgerichtshof, u.a. Errichtung, Ratifizierungsprozess, Entwurf der Verfahrens- und Beweisregeln: www.ked-bayern.apc.de/istgh.htm; Informationen in englischer Sprache unter: http://www.un.org/law/icc/index.html;
Rede von Ludger Vollmer von Oktober 2000 im Bundestag zum IStGH unter: http://www.ludger-volmer.de/themen/intern_organisation/001027bt-14-128in....

 

6 Dabei werden die von der Strafverfolgung lange ignorierten Gewalttaten gegen Frauen auch als Kriegsverbrechen angesehen.
 

7 FAZ vom 12. Juli 2002, S. 6; FR vom 12. August 2002, S. 2; vgl. auch den Beitrag von Stefan Kubella, Die einsame Großmacht, http://www.gazette.de/ICC.html.
 

8 FAZ vom 12. Juli 2002, S. 6.
 

9 Erklärung von President Clinton: "I will not, and do not recommend that my successor submit the Treaty to the Senate for advice and consent until our fundamental concerns are satisfied."
 

10 FR vom 14. Juni 2002, S. 2; FAZ vom 12. Juli 2002, S. 6. Im Wortlaut erlaubt das Gesetz alle notwendigen und angebrachten Mittel ("all means necessary and appropriate") zu benutzen, um vom IStGH selbst oder auf seine Anordnung festgehaltene Personen zu befreien.
 

11 Tatsächlich scheint die US-Administration eine solche Operation zumindest zur Zeit nicht in Betracht zu ziehen, vgl. FR vom 14. Juni 2002, S. 2.
 

12 FR vom 12. August 2002, S. 2.
 

13 FR vom 14. Juni 2002, S. 2.
 

14 FR vom 12. August 2002, S. 2.
 

15 FR vom 14. August 2002, S. 1.
 

16 So der amerikanische Chefankläger der Nürnberger Folgeprozesse für Kriegsverbrechen, Telford Taylor, zum Abschluss seines Standardwerks über die Nürnberger Prozesse, zitiert nach FAZ vom 12. Juli 2002, S. 6.
 

17 Eine solche Vorschrift sollte in die zur Zeit entstehende Europäischen Verfassung integriert werden. Dieses Verfahren wurde auch von Alt-Bundespräsident Roman Herzog vorgeschlagen, Süddeutsche Zeitung vom 27. Mai 2002, S. 6., vgl. auch Augsburger Allgemeine vom 28.05.2002. Nähere Informationen zum Projekt Europäische Verfassung können unter info [at] ialana [dot] de erfragt werden.

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Dr. Philipp Boos ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms) in Marburg.