Der Jemen – die neue Zielscheibe im Krieg gegen den Terror?

von Christine Schweitzer
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Die Republik Jemen war bis vor kurzem der deutschen Öffentlichkeit am ehesten als der Ort bekannt, an dem immer wieder Ausländer entführt wurden – zuletzt im Juni 2009 eine deutsche Familie und ein Brite, wobei zwei Schwesternschülerinnen und eine junge Lehrerin von den Entführern unmittelbar ermordet wurden. Erst nach dem knapp vereitelten Anschlag auf eine US-Passagiermaschine zu Weihnachten 2009 rückte der Jemen plötzlich ins öffentliche Interesse und sofort erhoben sich – besonders in den USA – Stimmen, die eine Militärintervention in den Jemen forderten. Welche Besorgnis dies im Jemen auslöste, lässt sich am besten daran ablesen, wie vehement die jemenitische Regierung seit Anfang Januar darauf besteht, das „Problem Al Kaida“ selbst in den Griff bekommen zu können und keine fremden Truppen im Land haben zu wollen. Dazu unten mehr.

Nur nachträglich und zögerlich fand zuvor die Meldung ihren Weg, dass zwei oder drei Angriffe am 17. und vielleicht auch am 24. Dezember gegen Stützpunkte von Al Kaida im Jemen zahlreiche Todesopfer  zurückließen, darunter vermutlich einmal wieder unbeteiligte Zivilisten. Nach offiziellen Quellen wurden 35 Aufständische getötet; jemenitische Oppositionsquellen sprechen von 60 bis 120 Opfern, und davon, dass Dörfer, keine Al Kaida Camps getroffen worden seien. Nichts Genaues weiß man einmal wieder nicht, wobei nicht nur die Zahl der Opfer, sondern sogar die Daten von Quelle zu Quelle variieren: Als sicher müssen wohl Angriffe auf zwei Stützpunkte am 17. Dezember gelten (s. das US-amerikanische ABC Network am 18.12.09, CBC News 6.1.10 und BBC News 5.1.10). Der Angriff wurde dem ABC-Network zufolge gemeinsam von den USA durch den Abschuss von zwei US-Cruise Missiles und von  jemenitischen Bombern durchgeführt. Nicht nur extreme Linke, sondern auch Simon Tisdall Ende Dezember im britischen Guardian spekulierten darüber, ob der Anschlag auf das Flugzeug ein Racheakt für diesen Bombenangriff gewesen sei, wobei Tisdall sich auf eine entsprechende Erklärung von Al Kaida nach dem vereitelten Flugzeugattentat bezieht. (Ob ein solcher Anschlag tatsächlich so kurzfristig durchgeführt werden kann oder nicht vielmehr längere Vorbereitung erfordert, muss dabei offen bleiben.)

Worum geht es?
Der Jemen ist ein kleines Land im Südwesten der arabischen Halbinsel mit geschätzt 23 Millionen Einwohnern. Für einen Großteil der Bevölkerung ist die Zugehörigkeit zu verschiedenen Stammesverbänden mindestens ebenso identitätsstiftend wie die zum Staat Jemen, was auch in mehreren Bürgerkriegen seit den 1960er Jahren immer wieder zum Ausdruck kam. Das Land ist infrastrukturmäßig nur wenig erschlossen, und unzugängliche Bergregionen werden weiterhin eher von den dort ansässigen Stämmen als von der Regierung beherrscht.

Das Land war bis 1990 in einen dem Westen zugewandten Norden und einem sozialistischen, von der Sowjetunion und China unterstützten Süden gespalten. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks vereinigten sich beide 1990 zur heutigen Republik Jemen; ein Bürgerkrieg 1994 endete mit der Niederlage von Sezessionisten aus dem Süden.

In der nordwestlichen Provinz Saada nahe der Grenze zu Saudi-Arabien herrscht seit 2004 ein neuer Bürgerkrieg. Dieser sehr komplexe und nicht mit einfachen Schemata zu erklärende Konflikt, bei dem heute die im Krieg erlittenen Gräuel wohl mindestens genauso wichtige Faktoren sind wie seine ursprünglichen Auslöser, hat zahlreichen Menschen das Leben gekostet (Schätzungen reichen von 5 – 9.000, s. Wikipedia 2009) und zu mindestens 35.000 Binnenvertriebenen geführt.

In ihm kämpft eine Allianz unabhängiger Stämme, oftmals auch als „Houthi-Rebellen“ nach dem Namen des die Rebellion anführenden Clans bezeichnet), die ihre Selbstbestimmung nicht aufgeben wollen. Der Konflikt hat auch eine religiöse Dimension, weil die Aufständischen Schiiten und die Regierung Sunniten sind. Von der Regierung wird die Bekämpfung des Aufstandes als Beitrag zum „Krieg gegen den Terror“ dargestellt und von den USA mit Geld und vermutlich auch Militärausbildern unterstützt. Erstmals griffen im November 2009 saudi-arabische Truppen in den Kampf ein, nachdem die Rebellen die Grenze zu Saudi-Arabien überschritten hatten. Die Aufständischen und Iran werfen Saudi-Arabien vor, dabei auch weißen Phosphor einzusetzen (s. ISN 2009). Der Iran und die Hisbollah-Milizen des Libanon werden wiederum von der Regierung beschuldigt, die Houthi-Rebellen mit Waffen und durch Ausbildung zu unterstützen (s. AKUF 2008, ICG 2009, Wikipedia 2009).

Ein zweiter Spannungsherd besteht im Süden des Landes mit der Hafenstadt Aden. Dort protestieren seit 2007 die Bürger gegen eine von ihnen wahrgenommene Diskriminierung ihrer Region (Entlassungen aus dem Staatsdienst, wahrgenommene Ungleichgewichte bei der Verwendung von Steuermitteln) durch den Norden. Die Regierung hat mit großer Härte reagiert – bei Demonstrationen wurden von der Polizei ohne Vorwarnung Schusswaffen eingesetzt und Protestierer teilweise über viele Wochen ohne Anklage inhaftiert. Unabhängige Medien wurden geschlossen (vgl. Human Rights Watch 2009). Die Anführer des Aufstands sind inzwischen in den Untergrund (bzw. die Berge) gegangen. In den letzten Wochen wurde mehrfach von der Gefahr eines neuen Bürgerkrieges zwischen Süd und Nord gesprochen.

Weitere Probleme des Jemen sind die große Zahl an Flüchtlingen aus Somalia und das Piratenproblem im Golf von Aden. Die Erdölquellen - Öl macht 75 Prozent der staatlichen Einnahmen aus – drohen innerhalb der nächsten zehn Jahre zu versiegen und auch Wasser ist knapp. Internationale Hilfe bekommt das Land nur wenig, auch wenn eine Ende Januar stattfindende Geberkonferenz voraussichtlich die Zuwendungen als Belohnung der Regierung für die „Unterstützung im Krieg gegen den Terror“ deutlich erhöhen dürfte.

Al Kaida im Jemen
Die unzugänglichen, von der Regierung kaum kontrollierten Bergregionen im Osten und Norden des Landes wurden vor ca. zehn Jahren zu einem Rückzugsgebiet von Al Kaida, als dessen Aktivisten aus Saudi Arabien vertrieben wurden. Später gingen auch Kämpfer aus dem Irak dorthin, und anscheinend ziehen mehrere Ausbildungslager Möchtegern-Terroristen aus aller Welt an. Doch im Unterschied zu Afghanistan hat der Jemen Al Kaida niemals – weder offen noch heimlich – unterstützt; entgegengesetzten Behauptungen von Seiten der Houthi-Rebellen und Hinweisen von US-Kommentatoren, dass der Jemen einige Al Kaida Kämpfer amnestiert habe, zum Trotz. Im Gegensatz gehören anscheinend Erschießungen, Folter und willkürliche Festnahmen von Verdächtigen zum Repertoire des Kampfes der Regierung gegen Al Kaida (vgl. El Ghawari 2010).

Terroristische Anschläge gegen die USA sind auch im Jemen selbst passiert: So wurden bei einem Anschlag auf das US-Kriegsschiff "USS Cole" im Hafen von Aden im Jahr 2000 17 amerikanische Seeleute getötet. Und auch schon davor gab es Verbindungen internationaler Terrornetzwerke in den Jemen, so wurden Spuren der Attentäter, die 1998 Anschläge auf Botschaften in Ostafrika verübt hatten, in den Jemen zurückverfolgt. Al Kaida Mitglieder aus dem Jemen waren in die Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt, und 2002 griffen Al Kaida Aktivisten einen französischen Öltanker vor Jemen an. Im September 2008 kamen bei einem Selbstmordanschlag auf die US-Botschaft in Sanaa 18 Menschen ums Leben (vgl. Soufan 2010, einem früheren FBI-Mitarbeiter).

Internationale Interventionen
Als die USA nach dem 11. September ihren weltweiten Krieg gegen den Terror ausriefen, wurden Länder, die sich mit den USA solidarisch erklärten, finanziell unterstützt und konnten die Dienste amerikanischer Militärausbilder in Anspruch nehmen, was der Jemen offensichtlich getan hat. Darüber hinaus wurden an verschiedenen Orten, darunter auch auf der arabischen Halbinsel, Spezialtruppen und –agenten stationiert, um Jagd auf Al Kaida zu machen. So ist einem Bericht des nicht wegen seiner US-feindlichen Haltung bekannten Think Tanks International Crisis Group (ICG) zu entnehmen, dass am 3. November 2002 eine unbemannte US „Predator“ Drohne eine Rakete auf ein Fahrzeug mit sechs mutmaßlichen Al Kaida-Angehörigen abschoss und alle Insassen tötete (ICG 2003).

Bereits erwähnt wurden die von der US-Administration nicht geleugneten Angriffe im Dezember 2009.

Die aufständischen Houthi beschuldigen die USA, schon vorher aus der Luft in die Kämpfe eingegriffen zu haben. Es ist von 28 Luftangriffen am 14. Dezember die Rede. Der Wahrheitsgehalt dieser Beschuldigung ist schwer zu überprüfen  (Wikipedia 2009).

Unbestritten ist, dass die USA Ausbilder im Jemen haben.

Aber die USA sind nicht die einzige ausländische Macht, die sich im Jemen in der Vergangenheit militärisch betätigte oder noch betätigt. 1962 unterstützte Ägypten einen Putsch im Norden des Landes, der zur Ausrufung einer Republik im Norden führte, und sandte kurze Zeit später Tausende Soldaten, um die neue Regierung gegen königstreue Verteidiger des alten Regimes zu schützen.

Saudi Arabien ist ein weiteres Land, das immer wieder im Jemen eingegriffen hat. Im letzten Jahrhundert unterstützte es dabei zumeist aufständische Stämme gegen die jemenitischen Regierungen (in Nord- wie Süd-Jemen). Im Bürgerkrieg 1994 stand Saudi Arabien noch inoffiziell auf der Seite des Südens. Erst in den letzten zehn Jahren ist es zu einer Annäherung der beiden Länder gekommen, die wie erwähnt jüngst zu einem direkten militärischen Eingreifen auf Seiten der jemenitischen Regierung gegen die Aufständischen im Norden führte.

 

Quellen
Amnesty International (2009) Yemen: Government should announce commitment to tackle ‘widespread’ torture. http://www.amnesty.org/en/library/asset/MDE31/017/2009/en/68c6eb41-7e67-...

AKUF (2008) Jemen. http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/publish/Ipw/Akuf/kriege/307ak_jemen...

El-Ghawari, Karim (2010) ‚Die Macht der Stämme’. Die tageszeitung 6.1.2010. http://www.taz.de/nc/1/politik/afrika/artikel/1/die-macht-der-staemme

Human Rights Watch (2009) Yemen: In the Name of Unity. The Yemeni Government’s Brutal Response to Southern Movement Protests. http:hrw.org oder http://www.humansecuritygateway.com/documents/HRW_Yemen_InTheNameOfUni
ty.pdf

International Crisis Group (2003) Yemen. Coping with Terrorism and Violence in a Fragile State.  http://www.icg.org

International Crisis Group (2009) Yemen: Defusing the Saada Time Bomb. Middle East Report N°86 – 27 May. http://www.icg.org

International Relations and Security Network (ISN) (2009) Yemen’s Dangerous Escalation. http://www.isn.ethz.ch/isn/Current-Affairs/Security-Watch/Detail/?ots591...

Soufan, Ali H. (2010) ‚Scenes from the War on Terrorism in Yemen’. New York Times 3. Januar. http://www.nytimes.com/2010/01/03/opinion/03soufan.htm.

Tisdall, Simon (2009) ‚Obama takes 'war on terror' to Yemen’. The Guardian 29 December 2009. http://www.guardian.co.uk/commentisfree/cifamerica/2009/dec/29/obama-war...

Wikipedia (2009) Sa'dah insurgency. http://en.wikipedia.org/wiki/Sa%27dah_insurgency

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.