Der Kampf gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr

von Wolfgang Kraushaar

(red) Ende der 50er Jahre wollten Adenauer und Strauß die Bundeswehr atomar aufrüsten. Nach dem Abflauen des Kampfes gegen die Wiederbewaffnung Anfang der 50er Jahre entstand nun erneut eine Protestbewegung. Wir dokumentieren mit freundlicher Genehmigung des Autors den Schlussteil des Aufsatzes "Protest gegen Wiederbewaffnung" aus dem Buch "Recht ist, was den Waffen nützt" (Hg. von Helmut Kramer und Wolfgang Kraushaar, S. 234-246), der sich auf dieses Thema bezieht. (Der Aufsatz ist in alter Rechtschreibung abgefasst)

Je klarer die Bundesregierung zu erkennen gab, daß sie die Bundeswehr atomar aufrüsten wollte, desto stärker schälte sich Ende der 50er Jahre eine Anti-Atomtod-Bewegung heraus. Der stärkste Impuls ging dabei von einer Gruppe international angesehener Wissenschaftler aus. Als Reaktion auf Adenauers Verharmlosung der taktischen Atomwaffen, die er auf einer Pressekonferenz als »Fortentwicklung der Artillerie« bezeichnete, stellten 18 Professoren der Universität Göttingen im April 1957 in einer gemeinsamen Erklärung fest, daß jede einzelne solcher Waffen eine Vernichtungskraft wie die Hiroshima-Bombe habe. Die Naturwissenschaftler, darunter die Atomphysiker Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker, forderten die Bundesregierung auf, grundsätzlich auf eine Atombewaffnung zu verzichten. Die »Göttinger Erklärung« wurde in der Folge zur Plattform für die Gegner einer Atombewaffnung der Bundeswehr. Bereits bei den Maikundgebungen der Gewerkschaften erklärten sich Hunderttausende mit diesem Appell solidarisch. Kurz darauf ergriffen 99 Intellektuelle, darunter der Hamburger Verleger Ernst Rowohlt, die Initiative und forderten die Bundesregierung in einem offenen Brief dazu auf, einen Verzicht auf eine Atombewaffnung jeglicher Art zu erklären. Im Juli fand mit ähnlicher Zielsetzung in der Frankfurter Paulskirche eine »Frauenkonferenz gegen die Atomrüstung« statt, und kurz vor den Bundestagswahlen im September forderten 20 Schriftsteller, darunter der Hamburger Hans Henny Jahnn, die Bundesbürger dazu auf, ihre Entscheidung im Bewußtsein der von der Nuklearbewaffnung ausgehenden existentiellen Gefährdung zu treffen. Bei einer ganzen Reihe von Wahlkampfveranstaltungen wurde mit Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß der stärkste Befürworter einer Atomrüstung zur Zielscheibe wütender Proteste. Kundgebungen in München, Hamburg, Essen und anderen Städten gingen in Tumulten unter oder konnten nur unter starkem Polizeischutz zu Ende geführt werden.

Der Konflikt um die Atombewaffnung der Bundeswehr war einer der tiefstgreifenden, welche die Bundesrepublik erschütterten. Nach den jahrelangen Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung war die Parteiendemokratie damit erneut einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt. Die Bundesregierung wischte alle von der Opposition vorgebrachten sicherheitspolitischen Bedenken beiseite und versuchte unbeeindruckt an ihrem Atomkurs festzuhalten. Hauptmotor war dabei Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß. Obwohl die Bundesrepublik in den 1954 unterzeichneten Pariser Verträgen ihren Verzicht auf die Herstellung von Atomwaffen zugesichert hatte, suchte sie nach Wegen, dieses Produktionsverbot zu umgehen. Dabei kam ihr zu Hilfe, daß die französische Regierung Ambitionen hatte, selbst Atommacht zu werden. Im Januar 1958 traf Strauß in Bonn mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Italien zusammen, um über Möglichkeiten eines trilateralen Vertrages zur Forschung und Entwicklung von Atomwaffen zu konferieren. Nur wenige Tage später kam es bei einer Bundestagsdebatte über die Atomrüstung zu einer scharfen Konfrontation zwischen der Bundesregierung und den beiden Oppositionsparteien SPD und FDP. Die heftigsten Vorwürfe mußte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer von zwei ehemaligen Kabinettskollegen anhören. Der frühere Bundesjustizminister Thomas Dehler (FDP) und der Ex-Bundesinnenminister Gustav Heinemann (SPD) warfen der Regierung vor, durch die Ausrüstung der Bundeswehr mit Nuklearwaffen die letzte Chance für eine Wiedervereinigung Deutschlands zu verspielen. Heinemann unterstellte dem Kanzler nicht nur Eigenmächtigkeit, Engstirnigkeit und Arroganz der Macht, sondern forderte ihn aus Mangel an Glaubwürdigkeit zum Rücktritt auf. Die Rede des ehemaligen GVP-Vorsitzenden, der nun für die SPD in den Bundestag eingezogen war, löste bundesweit ein außerordentlich großes Echo aus. Dennoch konnte nicht verhindert werden, daß der Bundestag Ende März nach einer tagelangen Redeschlacht die Regierungsvorlage annahm und der Atombewaffnung der Bundeswehr im Rahmen der NATO mit großer Mehrheit zustimmte. Zwei Wochen später unterzeichnete Bundesverteidigungsminister Strauß in Rom zusammen mit seinem italienischen und seinem französischen Amtskollegen ein Geheimabkommen über die Herstellung von Atomwaffen. Die Vorbehaltsklausel aus den Pariser Verträgen glaubte man durch die Auslegung umgehen zu können, daß der Bundesrepublik die Produktion von Nuklearwaffen nur im eigenen Land, nicht aber im Ausland untersagt sei.

Da von Anfang an keine Aussicht bestand, bei der Abstimmung über die Atombewaffnung die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag anzutasten, blieb der Opposition nur die Hoffnung auf eine außerparlamentarische Bewegung. Auf Initiative des SPD-Bundesvorstands kamen im Februar 1958 in Bad Godesberg Politiker, Gewerkschaftler sowie Kirchenmänner zusammen und riefen die Kampagne »Kampf dem Atomtod« ins Leben. Wenige Tage später unterzeichneten in Köln außerdem 44 Professoren einen Appell, mit dem die Gewerkschaften zum Protest gegen die Atomrüstung aufgerufen wurden. Zum Auftakt der Kampagne versammelten sich einen Monat später 1.000 Gegner der Nuklearbewaffnung in der Frankfurter Paulskirche. Am Ende der Veranstaltung, die von weiteren 10.000 Menschen im Freien verfolgt wurde und auf der auch der DGB-Vorsitzende Willi Richter sprach, gab der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer das Bekenntnis ab, solange keine Ruhe zu geben, »solange der Atomtod« das deutsche Volk bedrohe. In den Wochen darauf folgten dem Aufruf Hunderttausende und beteiligten sich im gesamten Bundesgebiet an Demonstrationen, Schweigemärschen, Fackelzügen und Protestkundgebungen. An der größten Veranstaltung Mitte April auf dem Hamburger Rathausmarkt nahmen allein 170.000 Menschen teil. Auch die nahezu 2.000 Maikundgebungen wurden von den Forderungen und Parolen der Anti-Atomtod-Kampagne beherrscht. Eine wichtige Rolle spielten auch die Universitäten und Hochschulen. Am 20. Mai führten Studenten, die im Vorfeld eigene Ausschüsse gebildet hatten, in zahlreichen Städten Schweigemärsche und Kundgebungen durch. An den Protestansprachen beteiligten sich auch einzelne Professoren und Assistenten.

Als die SPD versuchte, in den von ihr regierten Bundesländern Hessen, Hamburg und Bremen einzelne Volksbefragungen zur Atombewaffnung durchzuführen, rief die Bundesregierung dagegen das Bundesverfassungsgericht an.

Bundeskanzler Konrad Adenauer vertrat die Überzeugung, daß Verteidigungsangelegenheiten der alleinigen Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterliegen und insofern nicht Gegenstand einer Volksbefragung auf Landesebene sein könnten. Dieser Argumentation folgte das Bundesverfassungsgericht und erklärte Ende Juli die bisher beschlossenen Volksbefragungsgesetze für verfassungswidrig. Zwar wurde in der Entscheidung die grundsätzliche Frage nach der Zulässigkeit von Volksbefragungen offengelassen, in den konkreten Fällen jedoch die Unvereinbarkeit konsultativer Aktionen mit der Bundeskompetenz festgestellt. Die SPD ließ keinen Zweifel daran, daß sie das Urteil des höchsten deutschen Gerichts respektierte und von den geplanten Volksbefragungen Abstand nahm. Obwohl sie gleichzeitig betonte, auch weiterhin an den Zielen der Kampagne »Kampf dem Atomtod« festhalten zu wollen, trat in der Folge des Karlsruher Urteilsspruches eine starke Demobilisierung ein. Auch wenn es vereinzelt noch zu Kundgebungen und Protesten kam, war den meisten Aktivisten klar, daß die Anti-Atomtod-Bewegung gescheitert war.

Ein Zerfallsprodukt der Kampagne »Kampf dem Atomtod« war die nach britischem Vorbild ins Leben gerufene Ostermarsch-Bewegung. Sie war das wohl wichtigste kontinuitätsstiftende Element in Jahren einer tendenziellen Demobilisierung des Protests und stellt in gewisser Weise die Verbindungsklammer zwischen 1958 und 1968 her. Je mehr die Anzahl der Teilnehmer im Laufe der Jahre wuchs - von 1.000 im Jahr 1960 auf 50.000 im Jahr 1963 und 150.000 im Jahr 1967 -, desto stärker festigte sich auch ihr organisatorischer Kern. Im Januar 1961 wurde der Zentrale Ausschuß (ZA) gegründet und die Bezeichnung auf »Ostermarsch der Atomwaffengegner« festgelegt.

Die Ostermarsch-Bewegung öffnete sich im Laufe der Zeit mehr und mehr auch anderen Konfliktthemen wie der Notstandsgesetzgebung und dem Vietnam-Krieg. Obwohl die Ostermarschbewegung in mancher Hinsicht die APO vorbereitet hat, wurde sie von ihr Ende der sechziger Jahre überrollt und schließlich - von den Radikalen als historisch überholt angesehen - eingestellt. Nachdem 1969 nicht mehr zu Ostermärschen, sondern zu »Osteraktionen« aufgerufen wurde, löste sich ihr Organisationskern schrittweise auf. Ein Jahrzehnt lang gab es dann keine Ostermärsche mehr. Sie wurden erst wieder zum Leben erweckt, als mit dem Nachrüstungsbeschluß der NATO eine erneute Massenmobilisierung einsetzte, die zwischen 1981 und 1983 aus der Friedensbewegung eine regelrechte Volksbewegung machte. Dies jedoch ist eine andere Geschichte.

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Der Politikwissenschaftler Wolfgang Krause ist Mitarbeiter beim Hamburger Institut für Sozialforschung.