Der Konflikt auf der koreanischen Halbinsel und die USA

von Andreas Henneka
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

2010 hat sich die Spirale der Eskalation auf der koreanischen Halbinsel so schnell gedreht wie lange nicht. In den westlichen Medien verlief die Wahrnehmung der Ereignisse nach altem Muster: Auf der einen Seite das scheinbar unberechenbare Regime in Nordkorea, das sich durch aggressive Aktionen in Szene setzt, auf der anderen Seite das bedrohte Südkorea, das sich mit Hilfe seines Verbündeten, den USA, zu schützen sucht.

Auf den ersten Blick scheint die Situation paradox: Was unter George Bush jun. wegen seiner Konfrontationspolitik von vielen Analytikern befürchtet wurde, nämlich eine schwere Zuspitzung der Koreaproblematik, fällt ausgerechnet seinem als moderaten Hoffnungsträger gepriesenen Nachfolger vor die Füße. Wenngleich Bush die Voraussetzungen für eine Befriedung der koreanischen Halbinsel nicht verbessert hat, haben militärische Gefechte in Korea zu keinem Zeitpunkt seiner Amtszeit eine solche Dimension erreicht, wie das gegenwärtig der Fall ist. Nahezu alle Beobachter schienen sich darüber einig, dass der Machtwechsel im Weißen Haus den Wandel von einer aggressiven zu einer maßvollen Politik markiert. Bei Licht betrachtet kann aber davon keine Rede sein. Obama hat in fast allen sicherheitspolitischen Belangen an die barsche Politik seines Vorgängers angeknüpft. Dieser Umstand lässt sich nicht allein auf den politischen Widerstand, der ihm entgegenschlägt, zurückführen, wie das seine Fürsprecher gerne tun. Entscheidender ist, dass der Präsident sein Umfeld von Anbeginn mit Leuten besetzt hat, die mehrheitlich aus einem Milieu der demokratischen Partei stammen, das militärische Dominanz und - wo es die nationalen Interessen erfordern - unilateralistische Schritte als ebenso notwendige Mittel der Politik definiert, wie die "Neokonservativen" unter Bush jun. AnaIytikerInnen, die in ihren frühen Einschätzungen auf diesen Tatbestand hingewiesen haben, wurden angesichts der vorherrschenden Obamanie lange ignoriert oder als Nörgler diffamiert.

Politischer Stillstand
Bei Lichte betrachtet, verkauft die US-Regierung alten Wein in neuen Schläuchen. Auch Dank Barack Obamas Fähigkeit, sich und seine Politik brillant zu verkaufen, schmeckt seinen Partnern der ihnen offerierte Wein bislang gut. Amerikas Antagonisten haben jedoch von Beginn an signalisiert, dass sie nicht auf eine neue Verpackung, sondern neue Inhalte wert legen. So hat Pyongyang fortlaufend darauf hingewiesen, dass man ein Ende der wiederkehrenden amerikanisch-südkoreanischen Militärmanöver und die Aufgabe der nuklearen US-Präventivschlagdoktrin erwarte, weil man diese Politik als direkte Bedrohung interpretiert. Das jahrelange Aufrechterhalten beider Maßnahmen, so die Lesart Pyongyangs, hat das Land zur Entwicklung eigener Atomwaffen genötigt. Der von Obama 2009 ernannte Sonderbeauftragte für Nordkorea, Stephen Bosworth, konnte die in ihn gesetzte Hoffnung, die ausgesetzten Sechs-Parteien-Gespräche über das Atomwaffenprogramm wieder in Gang zu bringen, nicht erfüllen. Die Tatsache, dass US-Außenministerin Hillary Clinton seit Amtsantritt kaum eine Gelegenheit ausgelassen hat, Nordkorea anzuprangern und permanent Forderungen stellt, die es von Nordkorea als Vorleistung für eine Zusammenarbeit zu erfüllen gelte, haben Bosworths Verhandlungsspielraum geschwächt und widersprechen dem von Obama zum Amtsantritt formulierten Prinzip des gleichberechtigten Dialogs.

China als vermeintlicher Retter in der Not
In der gegenwärtig verfahrenen Situation, in der Pyongyang sich als unbeugsamer Akteur gebärdet, fordert Washington besonders laut das politische Eingreifen der Volksrepublik China. Ohne Frage lässt sich die Verbindung zwischen Beijing und Pyongyang positiver interpretieren als das Verhältnis mit den USA. Dennoch überschätzt der Hilferuf nach China dessen tatsächliche Möglichkeiten. Auch wenn beide Länder freundschaftliche Beziehungen pflegen, ist der Einfluss Beijings auf nordkoreanische Entscheidungsprozesse, die in Zusammenhang mit dem nationalen Sicherheitsbedürfnis des Landes stehen, als gering einzustufen. Die nordkoreanischen Atomtests, die Pyongyang ohne eingehende Absprache und gegen den Willen Chinas ausführte, belegen das eindrücklich. Grundsätzlich bleibt anzumerken, dass westliche Politiker die Einflussmöglichkeiten sowohl Chinas als auch Russlands über Jahrzehnte zu optimistisch eingeschätzt haben. Die politische Führung Nordkoreas agiert seit seiner Staatsgrünung weit autonomer, als es viele Beobachter wahrhaben wollen. Die Staatengemeinschaft sieht sich mit einer Situation konfrontiert, in der das innerkoreanische Verhältnis einen Tiefpunkt erreicht  hat, Washington entgegen aller Ankündigungen keinen wirklichen Politikwechsel in der Konfliktbearbeitung erkennen lässt, und sich der Einfluss der beiden mächtigsten nordkoreanischen Verbündeten, Chinas und Russlands, als mäßig erweist.

Stein des Anstoßes
Vordergründig lässt sich die jüngste Eskalation mit zwei Ereignissen verknüpfen: Am 26. März 2010 sank infolge einer Explosion die südkoreanische Korvette Cheonan vor der Westküste der koreanischen Halbinsel. 46 Besatzungsmitglieder verloren dabei ihr Leben. Eine von Seoul und Washington einberufene Kommission macht Pyongyang für den Untergang verantwortlich. Nordkorea weist jegliche Anschuldigungen von sich und fordert eine „unabhängige“ Untersuchung des Vorfalls. Fest steht, dass der von Südkorea lancierte Bericht viele Fragen zum genauen Hergang offen lässt. Vergangenen November starben beim Beschuss der südkoreanischen Insel Yongpyong durch nordkoreanische Artilleriegranaten zwei südkoreanische Staatsbürger. Der Aktion vorausgegangen waren südkoreanische Militärmanöver, die von Pyongyang wiederholt kritisiert worden waren. Die Regierung in Seoul hat beide Scharmützel zum Anlass genommen, Nordkorea mit militärischer Vergeltung zu drohen, und die Aufrüstung des Militärapparates als ein zentrales Anliegen der kommenden Jahre formuliert. 

Ungewisse Zukunft
2010 hat die Zahl der sich gegenseitig verschärfenden Faktoren in Bezug auf den Koreakonflikt augenfällig zugenommen. Das Verhältnis zwischen Pyongyang und Seoul ist zerrüttet, was zu einem großen Teil auf die kompromisslose Politik des südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-Baks zurückzuführen ist. Barack Obama ist es nicht gelungen, mäßigend auf seine Politik einzuwirken. Stattdessen hat sich Washington einseitig auf die Seite Seouls geschlagen. Mit Kim Jong-Un, dem jüngsten Sohn des nordkoreanischen Machthabers, ist auf dem politischen Parkett eine neue Person erschienen, dessen Einfluss auf die nordkoreanische Politik sich erst in den kommenden Jahren zeigen wird. Eine Lösung der anstehenden Probleme scheint unter diesen Vorzeichen in weite Ferne gerückt. Verschärfend hinzu kommt ein aktueller Augenzeugenbericht des amerikanischen Nuklearexperten Siegfried Hecker, wonach Nordkorea auf dem Gelände seines bekannten Nuklearkomplexes Yongbyon eine moderne Anlage zur Anreicherung von Uran unterhält. Umso wichtiger ist die Feststellung, dass Pyongyang immer wieder seine Gesprächsbereitschaft signalisiert und auf unterschiedlichen Kanälen Signale sendet, dass man eine friedliche Lösung wünscht. Seoul und Washington wären gut beraten, diese Zeichen nicht als bloße Lippenbekenntnisse abzutun und ihrerseits entsprechende Signale zu senden. Die Aussetzung der militärischen Großmanöver wäre ein solches und ohne sicherheitspolitisches Risiko.   

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Andreas Henneka ist Doktorand und Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin mit dem Arbeitsschwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung. Als Gastwissenschaftler der DGAP arbeitet er gegenwärtig an der Beendigung seiner Dissertation zum nordkoreanischen Nuklearprogramm.