Blinder Fleck?:

Der Kongo und die Friedensbewegung

von Heinz Werner Wessler
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

In der "Demokratischen Republik Kongo" (DRK), dem ehemaligen Zaire, ist die Hölle los. Eine Bevölkerung von 50 Millionen Menschen ist zum Sklaven eines unwürdigen Abnutzungskrieges geworden, der mit den Rohstoffen des Landes finanziert und mit Waffen aus dem nördlichen Teil der Welt ausgefochten wird. Die Friedensbewegung tut sich schwer, angesichts der diffusen Lage Position zu beziehen, zumal ihre intellektuellen und materiellen Kräfte sehr stark auf Ex-Jugoslawien fixiert sind.

Die Stellungnahme zum Internationalen Kongo Appell, die in der letzten Ausgabe des Friedensforum in einem Artikel vertreten wurde (Friedensforum 4/2000 "Die Erosion des Völkerrechts geht weiter") bietet dagegen eine scheinbar klare Position an. Alois und Maria Müller-Giebels plädieren für eine ausschließlich völkerrechtliche Position. Sie kritisieren den Internationalen Kongo-Appell, weil sie diese Rechtsposition im Appelltext nicht oder nicht ausreichend gewahrt finden. Der Internationale Kongo-Appell, eine gemeinsame Aktion von Pax Christi Deutschland, Dialog International, dem Internationalen Versöhnungsbund und vom Internationalen Friedensbüro (Genf) wurde von mehr als 50 Prominenten unterzeichnet und im Februar seinen Adressaten - Weltsicherheitsrat und UN-Generalsekretär - übergeben.

Das klassische völkerrechtliche Argument verweist im Falle des Kongo auf die Tatsache, dass Uganda, Burundi und Ruanda mit ihren Truppen zu Unrecht kongolesisches Territorium besetzt halten. Diese Besatzung ist völkerrechtswidrig. Krieg und Besatzung beschwören die alte Gefahr der Balkanisierung herauf. Darüber hinaus werden in dem kleinen, dichtbevölkerten Land Ruanda Träume von einer territorialen Ausbreitung in die Ostprovinzen des Kongo hinein laut. Im Süd-Kivu ist die ruandische Armee aktiv an fortgesetzten Vertreibungen der Bevölkerung aus ganzen Landstrichen beteiligt. Zu diesem Zweck geht die Tutsi-beherrschte Armee taktische Bündnisse mit diversen Gruppen, u.a. auch mit Kinyarwanda-sprachigen kongolesischen Hutus in der Region ein. Im Gegenzug unterstützt die kongolesische Regierung bewaffnete Stammesmilizen und auch die Interahamwe-Milizen (die ehemaligen Völkermörder aus Ruanda), die einen Guerillakrieg gegen die ruandische Besatzung führen.
In diesem Klima hat sich mit dem Beginn dieser Besatzung im August 1998 der selbsternannte Präsident Kabila als patriotisches Bollwerk gegen die Balkanisierung des Landes profilieren können. Auch der langjährige Diktator Mobutu hatte schon mit solchen patriotischen Argumenten die Opposition geschwächt. Als 1996/1997 Laurent Kabila mit einer damals noch von Ruanda und Uganda aktiv unterstützten Aufstandsbewegung den zairischen Widerstand von Osten nach Westen aufrollte und sein Regime in Kinshasa installierte, legten die Mobutisten immer wieder den Finger auf den "antipatriotischen" Schwachpunkt der Widerstandsbewegung AFDL mit Kabila an der Spitze.

Während des Vormarschs kam es immer wieder zu Massakern an der flüchtenden Hutu-Bevölkerung aus Ruanda, die 1994 über die Grenze in den Kongo geflohen war. Diese Massaker - ein Bericht von Médicins sans Frontières spricht von 190.000 Toten - sind bis heute unaufgearbeitet. Die Verantwortung dafür konnte nicht geklärt worden, da die Regierung Kabila die u.a. von den Vereinten Nationen geforderte Untersuchung der Vorfälle boykottiert hat. Die jüngste Kongo-Resolution der UN-Menschenrechtskommission vom April 2000 hakt hier zurecht nach. Mit der Lage der Menschenrechte sieht es auch heute in allen Teilen des Kongo übel aus, wie die Berichte von amnesty international, Human Rights Watch u.a. zeigen.

In diese komplizierte Gemengelage schien das Friedensabkommen von Lusaka vom Juli 1999 endlich eine Friedensperspektive zu eröffnen. Das Abkommen verknüpft den Waffenstillstand mit dem Rückzug aller ausländischen Truppen (Besatzer und Alliierte der Regierung) und einem "innerkongolesischen Dialog" aller am Konflikt beteiligten kongolesischen Gruppen. Das Abkommen stellt somit eine gewisse Anerkennung der Rebellengruppen als Dialogpartner der Regierung dar. Die Staatsoberhäupter aller beteiligten Staaten (inklusive Laurent Kabila) und die Führer der großen Rebellengruppen haben diesen Vertrag unterzeichnet. Nelson Mandela hat als Vermittler im burundischen Bürgerkrieg Ähnliches versucht, als er das Mandat für die Friedensverhandlungen in Arusha übernahm. In Mosambik ist der Friedensprozess, der die Rebellen einschloss, weitgehend gelungen, in Angola hingegen nicht. Für den Kongo ist zwar ein Vertrag unter Dach und Fach, doch die Umsetzung lässt auf sich warten.

Pacta sunt servanda: Mit jedem Vertrag geben die Vertragspartner ein Stück weit ihre Souveränität ab. Diese Regel gilt auch im Völkerrecht. Regierungen, die ihre Souveränität absolut definieren, sind nicht vertragsfähig. Der Friedensvertrag von Lusaka bindet die Beteiligten in einen Prozess ein, aus dem sie sich nicht ohne Vertragsbruch hinausstehlen können. Genau das aber hat die kongolesische Regierung mit einer mündlichen Erklärung am Ende eines monatelangen Verwirrspiels am 23.8.2000 getan. Es ist kaum wahrscheinlich, dass sich Ruanda, Burundi oder Uganda jetzt auf neue bilaterale Friedensverhandlungen einlassen, wie sie die Regierung Kabila jetzt ankündigt.
 

Das Kabila-Regime kann in einem nüchternen strategischen Kalkül durchaus damit rechnen, dass seine Verbündeten es nicht hängen lassen werden. Simbabwe, der wichtigste militärische Bündnispartner, kämpft mit stillschweigender Billigung der anderen südafrikanischen Staaten gegen den ruandischen Imperialismus und verdient sich dabei auch noch sprichwörtlich eine goldene Nase. Kabila bezahlt nämlich in Gold und anderen Rohstoffen für die simbabwischen Truppen. Mit dem Widerstand daheim in Simbabwe wird Präsident Mugabe problemlos fertig.

Kurz nach dieser Aufkündigung eines rechtsgültigen internationalen Abkommens doppelte das Regime Kabila mit einem weiteren diplomatisch-politischen Schachzug nach, indem es in vollkommener Umkehrung seiner bisherigen Politik mit einem Mal volle Bewegungsfreiheit für die hauptsächlich in Kinshasa festsitzenden UN-Militärbeobachter gewährte. Diese Zusage ist die Voraussetzung für die bereits im Februar vom Weltsicherheitsrat beschlossene Aufstockung der bereits bestehenden UN-Vertretung auf 5.500 Mann.

Die Aufstockung ist allerdings Teil einer Resolution, die vor allem den Waffenstillstand und den Rückzug aller ausländischen Truppen - auch der mit Kabila verbündeten Truppen aus Simbabwe, Angola und Namibia - gemäß dem Friedensvertrag von Lusaka garantieren soll. Wenn dieser Vertrag für obsolet erklärt wird, wird somit auch das ganze Mandat der internationalen Militärbeobachter fraglich. Das weiß auch die Regierung Kabila.

Seit Monaten werden Kabilas Soldaten in Lubumbashi von etwa vierhundert nordkoreanischen Ausbildern offenbar für die neue Offensive von Mbandaka aus in Richtung Norden ausgebildet. Kabila fühlt sich - anders als im Juli letzten Jahres, als er sich auf den Friedensvertrag von Lusaka einließ - derzeit in einer Position der Stärke. Er ist offensichtlich der Meinung, die Sache nun doch noch im Alleingang auf dem Schlachtfeld ausfechten zu können.

Im Grunde profitieren alle Teilnehmer an diesem Krieg vom derzeitigen status quo: Den Nachbarländern, aber auch den weltweiten Importeuren von Rohstoffen aus dem Kongo kann ein schwaches, international geächtetes Regime in Kinshasa nur willkommen sein. Ein schwacher Kongo kann keinen Einfluss geltend machen und ist gezwungen, Rohstoffe unter allen Umständen - auch zu Dumpingpreisen - loszuschlagen. Trotz dem Krieg, ja sogar gerade wegen des Krieges werden Diamanten, Gold, Kupfer und seltene Erden außer Landes gebracht und auf die internationalen Märkte geworfen. Nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern auch unter Kabila-Herrschaft (u.a. mit der weitgehend fremdkontrollierten staatlichen Minengesellschaft Gecamines) funktioniert dieser Betrieb weiterhin erstaunlich reibungslos. Die maoistischen Anwandlungen der Regierung Kabila tun dabei nicht viel zur Sache.
Kabila kommt nicht in den Sinn, dass er selbst nur eine Spielfigur in einem Trauerspiel ist. Keiner der eigentlichen Akteure hat Interesse an den Ungewissheiten eines post-Kabila-Szenarios. Der große Verlierer in diesem unentwirrbaren Geflecht von Interessen ist ein Volk von fünfzig Millionen Menschen, deren Lebensbedingungen von Monat zu Monat schwerer erträglich werden.

Als 1979 Vietnam das Kambodja Pol Pots überfiel und damit der vielleicht grausamsten aller kommunistischen Diktaturen ein Ende setzte, waren sich die diversen kommunistischen Fraktionen nicht einig, ob es sich bei diesem Krieg um einen imperialistischen Angriffskrieg Vietnams oder um einen Befreiungskampf mit vietnamesischer Unterstützung handelte. Auch die Vereinten Nationen und viele einzelne Staaten haben die Regierung Pol Pot noch lange als die einzig völkerrechtlich legitime Regierung Kambodjas anerkannt. Die Legitimation des Kosovo-Krieges als humanitäre Intervention (Menschenrechte gegen Völkerrechtsnormen) zeigt dagegen die andere Seite der Medaille: Aushöhlung des Völkerrechts zugunsten eines von den Vereinten Nationen nicht gestützten Angriffskrieges. Die Friedensbewegung darf sich weder auf die eigentlich konservative Position einer rein völkerrechtlichen Betrachtungsweise noch auf den so genannten humanitären Interventionismus einlassen.

Der Generalsekretär der SPD mag Bundeskanzler Schröder in der Tradition Willy Brandts darstellen - das ist sein gutes Recht, vielleicht sogar seine Pflicht als Generalsekretär. Ich selbst bilde mir da mein eigenes Urteil. Genauso verfahre ich, wenn mir jemand Präsident Kabila in der Tradition des Freiheitskämpfers Patrice Lumumbas darstellt. Unredlich ist allerdings, wenn er sich dabei nicht als Vertreter einer Parteiposition zu erkennen gibt. Vielleicht kann darüber übrigens am besten Lumumbas Sohn Francois Auskunft geben, der in den letzten Jahren mehrfach aus politischen Gründen verhaftet wurde. Die Müller-Giebels (Friedensforum 4/2000) vertreten die Position einer kommunistischen Splitterpartei, die offen die Regierung Kabila unterstützt. Diese Position, die zudem noch Menschenrechtsverletzungen in unerträglicher Weise verharmlost, kann sich m.E. die Friedensbewegung auf keinen Fall zu eigen machen - und Pax Christi schon gar nicht. Der Internationale Rat von Pax Christi hat in einer Resolution vom Februar 2000 ausdrücklich zur Unterstützung des Internationalen Kongo-Appells aufgerufen.
 

Ein Weg in die Zukunft ist m.E. das gemeinsame Thesenpapier der Concertation Chretienne pour l`Afrique Central (CCAC) und des Great Lakes Advocacy Network (GLAN), das im Juni zum Beginn der französischen EU-Präsidentschaft publiziert wurde. Dieses wichtige Papier, auf das auch im Friedensforum 4/2000 in einer Fußnote verwiesen wird, wird zur Zeit ins Deutsche übersetzt und wird demnächst unter kongo.paxchristi.de abrufbar sein. Die drei Forderungen des Internationalen Kongo Appells - Waffenembargo, Internationale Friedenskonferenz für die Staaten um die großen afrikanischen Seen, Internationale Unterstützung für das Friedensabkommen von Lusaka - sind in diesem Dokument enthalten.

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Krisen und Kriege
Heinz Werner Wessler ist Mitglied der Koordinierungsgruppe des Internationalen Kongo-Appells.