Der Nahostkonflikt ist auch ein Konflikt um das Wasser

von Stephan Libiszewski
Hintergrund
Hintergrund

Der arabisch-israelische Konflikt im allgemeinen und der israelisch-palästinensische Konflikt im besonderen sind und bleiben in erster Linie politische und territoriale Gegensätze. Die Wasserfrage jedoch zweifelsohne eine wichtige Zusatzdimension, der in der Geschichte des Konfliktes eine wichtige Rolle zugekommen ist und dessen Bedeutung zunimmt. Eine Lösung des Wasserproblems ist zwar keine hinreichende, dennoch aber eine notwendige Bedingung für eine allfällige Beilegung des Jahrhundertkonflikts.

Zur hydrologischen Situation

Der Nahe Osten gehört zu den wasserärmsten Regionen der Welt. Mit 370 respektive 220 Kubikmeter Wasser pro Kopf und Jahr liegen sowohl Israel als auch Jordanien weit unter jener Marge von 1`000 Kubikmeter, die von Hydrologen als volkswirtschaflicher Mindestbedarf angesehen wird. Die Palästinenser im Westjordanland und Gazastreifen verfügen gar nur über 100 Kubikmeter pro Kopf (ca. 300 Liter pro Tag). Dabei ist zu bedenken, daß der Trinkwasserbedarf nur der kleinste Teil des Verbrauchs ausmacht. Größter Verbraucher ist im Nahen Osten die Landwirtschaft: Das Wachstum eines Kilos Tomaten in einer ariden Umgebung bedarf z.B. 120 Liter Wasser für die Bewässerung. Bei einem Kilo Orangen sind es gar 450 Liter. Durch ein durchschnittliches Bevölkerungswachstum von 3% in der Region nimmt gleichzeitig die järhlich verfügbare Wassermenge pro Kopf rapide ab.

Der Arabisch-Israelische Streit um das Jordan-Wasser

Der Jordan ist für europäische Verhältnisse ein winziger Fluß. Nur wenige Meter breit, führt er ca. 60 mal weniger Wasser als der Rhein. Dennoch bildet er das wichtigste Wasservorkommen einer Region, die über 13 Millionen Einwohner hat. Anlaß zu Konflikten gibt die Tatsache, daß er geopolitisch ein äußerst komplexes Gebilde ist. Seine Quellen liegen auf dem Gebiet von drei unterschiedlichen Staaten, nämlich im Südlibanon, in Israel und auf den syrischen (jedoch israelisch besetzten) Golan-Höhen. Nachdem der Hauptstrom das nördliche Israel durchfließt, berührt der Untere Jordan ferner Jordanien und das Westjordanlnd.

Karte Jordan-Becken

Schon in den 50er und 60er Jahren stand das Wasser des Jordans im Zentrum des Nahost-Konfliktes. Israel baute eine nationale Wasserleitung vom Tiberias-See über die Küstenebene in die Negev-Wüste, die bis heute das gesamte Wasser des Oberen Jordans nach Süden umleitet. Die Arabische Liga entgegnete 1964 mit dem Plan, die Jordan-Quellen im Norden umzuleiten, bevor das Wasser israelisches Territorium erreichte. Letzteres Projekt trug in entscheidendem Maße zu den Spannungen bei, die 1967 in den Sechs-Tage-Krieg mündeten. Durch die Ergebnisse diseses Krieges änderte sich die wasserpolitische Situation im Jordan-Becken grundlegend. Israel besetzte die Golan-Höhen und erlangte damit die strategische Kontrolle über sämtliche Jordanquellen. Die Wasserfrage spielt seitdem im israelisch-syrischen Konflikt eine zentrale Rolle. Israel betrachtet das Gebiet der Jordan-Quellen als strategisches Territorium, das es auf keinen Fall preisgeben will. Syrien beharrt hingegen auf die volle Rückgabe des Golans als Bedingung für einen Friedensvertrag.

Eine Lösung der Wasserkonflikte konnte bisher nur zwischen Israel und Jordanien im Rahmen des bilateralen Friedensvertrages von 1994 gefunden werden. Von Vorteil war hier, daß zwischen den beiden Ländern keine wesentlichen territorialen Differenzen mehr bestanden. Die Wasserfrage war daher nicht mit Gebietskonflikten vermengt. Das Wasser nimmt im Friedensvertrag einen breiten Raum ein und gehört zu denjenigen Punkten, die am detailliertesten geregelt worden sind. In der Substanz erhält Jordanien einen größeren Anteil am Yarmuk (ein Zufluss des Jordans) und darf in der Trockenzeit Wasser aus dem Tiberias-See beziehen. Darüber hinaus beschlossen die beiden Länder, bei der Erschließung von neuen Wasserressourcen zu kooperieren.

Das Wasser im israelisch-palästinensischen Konflikt

Besonders komplex ist der israelisch-palästinensische Wasserdisput. Die Frage der der Souveränitätsrechte über die Ressourcen der besetzten Gebiete ist ein integraler Teil der Palästina-Frage. Konkret geht es in erster Linie um die Wasserressourcen des Westjordanlandes. Das Westjordanland ist ein vorwiegend gebirgigen Gebiet, in dem eine wichtige Grundwasserschicht ihren Ursprung hat. Diese Grundwasserschicht überschreitet im Westen und Norden die Grenze und kann genausogut vom israelischen Kernland aus angezapft werden. Beide Seiten erheben daher Ansprüche auf das Grundwasser.

Seit der Besetzung des Westjordanlandes im Sechs-Tage-Krieg ist Israel jedoch bei der Verteilung im Vorteil. Zu den ersten Handlungen der israelischen Militärverwaltung gehörte es, die Wasserressourcen unter ihre Kontrolle zu bringen. Palästinensische Gemeinden bedürfen seit 1967 zum Bau von neuen Brunnen Sondergenehmigungen. Diese werden sehr selten und nur zur Trinkwasserversorgung gewährt. Darüber hinaus sind der Tiefe palästinensischer Brunnen Grenzen gesetzt. Durch diese Praktiken ist der Wasserverbrauch der Palästinenser praktisch auf das Niveau von 1967 eingefroren worden. Dadurch sichert Israel, daß der Großteil des Grundwassers in die eigenen Brunnen jenseits der Grenze fließt.

Eine weitere Dimension des Konfliktes betrifft den Wasserverbrauch der israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten. Die Siedler werden aus dem lokalen Grundwasser versorgt und gegenüber den Palästinensern stark bevorzugt. Insgesamt standen 1995 über einer Million Palästinensern im Westjordanland 118 Millionen Kubikmeter Wasser zur Verfügung, während 150`000 Siedlern ca. 50 Millionen Kubikmeter verbrauchen. Pro Kopf sind dies etwa viermal mehr als die Palästinenser. Einschliesslich der Entnahmen im eigenen Kernland verbraucht Israel ca. 80% der geteilten Wasserressourcen. Neben großen Unterschieden in der Lebensqualität hat diese Diskriminierung vor allem ökonomische und - indirekt - politische Implikationen. Als Folge der ungleichgewichtigen Wasserverteilung und anderer administrativer Erschwernisse konnte sich die bewässerte Landwirtschaft der Palästinenser im Westjordanland seit 1967 nicht weiter entwickeln und beträgt heute nach wie vor bei nur 5% der gesamten Anbaufläche. Im israelischen Kernland liegt sie hingegen um 50% und bei den Siedlern sogar bei 69%. Palästinensische Landwirte sind durch die ungerechte Wasserverteilung stark benachteiligt. Die Aufgabe von Betrieben und der ökonomische Zwang zum Landverkauf sind häufig die Folge. Darüber hinaus ist die Landkonfiszierung durch die israelischen Behörden rechtlich einfacher, wenn der Boden nicht genutzt ist.

Auch in den Oslo-Abkommen von 1993 und 1995 sind in der Wasserfrage keine nennenswerte Fortschritte gemacht worden. Diese Verträge erlaubten den Palästinensern zwar die Gründung einer eigenen Wasserbehörde. Die Frage der Wasserrechten, also des letztlichen Besitzes und der Kontrolle über das Wasser, wurde aber auf die Verhandlungen über den endgültigen Status der besetzten Gebiete verschoben. Der Beginn dieser zweiten Phase der Verhandlungen war ursprünglich für Mitte 1996 vorgesehen, er wurde jedoch immer wieder vertagt. Momentan steckt der gesamte Friedensprozess in der Krise. Das Ergbenis ist, daß der bisherige Verteilungsschlüssel bis auf weiteres festgeschrieben wurde.

Der israelisch-palästinensische Wasserstreit stellt sich besonders vertrackt dar, weil er aufs aufs engste mit den politischen und territorialen Kernpunkten des Nahost-Konfliktes verwoben ist. Davon, ob die Palästinenser eine Autonomiekörperschaft bleiben oder einen eigenen Staat bekommen werden, wird abhängen, ob ihre Behörden bloß Verwaltungsfunktionen über Menschen oder aber auch Souveränitätsrechte über öffentliches Land und natürliche Ressourcen werden ausüben können. Zu letzteren gehören in erster Linie die Wasservorräte. Eine weitere heikle Frage betrifft die definitiven Grenzen der palästinensischen Einheit. Selbst jene Kräfte innerhalb Israels, die sich einen palästinensichen Staat vorstellen können, betonen, daß dieser nicht die gesamten besetzten Gebiete wird umfassen können. Israel wird auf territoriale Kompromisse bestehen. Dazu gehört nebst dem Großraum Jerusalems sowie dem Jordan-Tal ein Landstreifen von einigen Kilometern Breite entlang der "Grünen Linie" im Westen. Dort befindet sich ein Großteil der israelischen Siedlungen. Durch ihre Annexion hofft man einerseits, das innenpolitisch brisante Siedlerproblem zu entschärfen. Andererseits liegen in diesem Gebiet die günstigsten Bohrgebiete für Brunnen. Durch die Eingliederung dieses Gebietsstreifens in das eigene Staatsterritorium will Israel auch die Verfügungsgewalt über den Löwenanteil des Grundwassers behalten.

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Stephan Libiszewski ist Diplom-Politologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung der ETH Zürich