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Drei Pfeiler, Bruchlinien und viel Frust
Der Nichtverbreitungsvertrag
von
Es hätte so gut gepasst: 50 Jahre nach Inkrafttreten des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) und 25 Jahre nach seiner unbegrenzten Verlängerung sollte in New York die zehnte Konferenz zu seiner Überprüfung stattfinden. Die Covid-19-Pandemie kam dazwischen, nun ist die Konferenz für Januar 2022 angesetzt. Die Bruchlinien des NVV traten in diesen zwei Jahren noch deutlicher zu Tage, was die ohnehin mühsame Suche nach Gemeinsamkeiten weiter erschwert.
Hilft der Verweis auf „Moral“ in der Debatte um Atomwaffen, oder führt eher das Pochen auf Völkerrecht weiter? Diese Frage warfen kürzlich Teilnehmer*innen einer (digitalen) Podiumsdiskussion auf. Die beiden Konzepte stehen aber gar nicht in Konkurrenz. Wird das Wort „Moral“ ersetzt durch „humanitäre Aspekte“, landen wir in der Abrüstungsdebatte ebenfalls beim Völkerrecht. Das humanitäre Völkerrecht (Haager Abkommen und Genfer Konventionen mit Zusatzprotokollen) gibt Regeln zur Kriegsführung vor sowie zum Schutz von Menschen in bewaffneten Konflikten; diese Regeln sind mit einem Einsatz von Atomwaffen nicht kompatibel. Die enge Verknüpfung von humanitärem Völkerrecht und der Pflicht zur nuklearen Abrüstung lässt sich beispielhaft an der Entstehungsgeschichte des „Vertrags über das Verbot von Kernwaffen“ (Atomwaffenverbotsvertrag, AVV) aufzeigen, der im Januar 2021 in Kraft trat. (1)
Das Wissen um diesen Zusammenhang reicht allerdings viel weiter zurück. Auch der 1968 abgeschlossene und 1970 in Kraft getretene NVV verweist darauf. Gleich der erste Absatz der Präambel anerkennt „in Anbetracht der Verwüstung, die ein Atomkrieg über die ganze Menschheit bringen würde“ die „Notwendigkeit, alle Anstrengungen zur Abwendung der Gefahr eines solchen Krieges zu unternehmen und Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Völker zu ergreifen“.
Die Maßnahmen sind im Vertrag klar benannt: 1. müssen Nichtatomwaffenstaaten ihren Status aufrechterhalten, dürfen also keine Atomwaffen bauen, erwerben oder annehmen (Nichtverbreitung), 2. wird allen Vertragsstaaten das „unveräußerliche Recht“ auf die zivile Nutzung von Kernenergie zugestanden, sie müssen aber Sicherungsmaßnahmen durch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) akzeptieren (friedliche Nutzung) und 3. verpflichten sich die fünf mit dem Vertrag offiziell anerkannten Atomwaffenstaaten (2) zu „Verhandlungen [...] über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft“ (nukleare Abrüstung). Diese gemeinhin als „drei Pfeiler“ bezeichneten Grundprinzipien werden u.a. flankiert von der Möglichkeit von Ländergruppen, sich zu atomwaffenfreien Zonen zusammenzuschließen, und der in der Präambel erwähnten „Entschlossenheit, darauf hinzuwirken, dass alle Versuchsexplosionen von Kernwaffen für alle Zeiten eingestellt werden“.
50 Jahre weiter so?
Anfang November 2021 erklärte Bonnie D. Jenkins, Staatssekretärin für Abrüstungsangelegenheiten im Außenministerium der USA, beim jährlichen NATO-Symposium zur Nuklearpolitik: „Die anstehende zehnte Überprüfungskonferenz des NVV bietet uns Gelegenheit, die ersten 50 Jahre des Vertrags zu reflektieren und zu feiern und zugleich zusammenzuarbeiten, um ihn für die nächsten 50 Jahre und darüber hinaus zu bewahren.“ (3) Das ist allerdings kaum vorstellbar, falls die Atomwaffenstaaten, die NATO-Mitgliedstaaten und die Staaten unter dem „nuklearen Schutzschirm“ der USA bei der Überprüfungskonferenz von 4.-28. Januar 2022 „business as usual“ betreiben. Zu lange haben die Vertragsstaaten nicht einmal ansatzweise einen Versuch unternommen, die zugesagten Verhandlungen über nukleare Abrüstung zu führen.
Dies war bereits bei der fünften Überprüfungskonferenz ein Schlüsselthema. Damals wurde von vielen Nichtatomwaffenstaaten, insbesondere aus dem Globalen Süden, nicht nur die mangelnde Umsetzung kritisiert, sondern es stand sogar das Ende des Vertrags im Raum. Die Geltungsdauer des NVV war ursprünglich auf 25 Jahre ausgelegt, sodass 1995 über die Zukunft des Vertrags zu entscheiden war: Verlängerung um fünf Jahre, um 25 Jahre, auf unbegrenzte Zeit – oder gar nicht? Die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten übten großen Druck aus, sicherten ihren ernsthaften Willen zur Vertragsumsetzung zu und erreichten eine Vertragsverlängerung auf unbegrenzte Zeit. Im Gegenzug wurde vereinbart, binnen eines Jahres einen Vertrag über einen vollständigen Stopp von Atomwaffentests vorzulegen (liegt vor, ist aber nie in Kraft getreten), Verhandlungen über ein Verbot der Produktion von Spaltmaterialien für die Atomwaffenproduktion aufzunehmen und die möglichst rasche Einrichtung einer Zone ohne Massenvernichtungswaffen im Nahen- und Mittleren Osten voranzutreiben (beides nicht passiert).
Die Überprüfungskonferenz 2000 endete mit weiteren Zusagen, den „13 praktischen Schritten“, die teilweise rasch konterkariert wurden, so die Zusicherung der USA und Russlands, den Raketenabwehrvertrag beizubehalten (gekündigt 2001), in Genf ein Gremium zu Verhandlungen über Abrüstung einzurichten (nie geschehen; die Genfer Abrüstungskonferenz kann sich seit 1997 nicht einmal auf eine Tagesordnung einigen) und die Irreversibilität bereits geschlossener Verträge und Abkommen zu bewahren (ignoriert u.a. mit der Kündigung des Mittelstreckenvertrags 2019). Im Jahr 2010 wurde gar ein Aktionsplan mit 64 Punkten verabschiedet – auch hier ist die Umsetzung weitgehend ausgeblieben. (4)
Für die Konferenz 2022 darauf zu hoffen, die Nichtatomwaffenstaaten mit weiteren Maßnahmenkatalogen zufriedenzustellen, wie dies Deutschland im Rahmen der „Stockholmer Initiative“ mit „22 stepping stones“ (zu denen natürlich nicht die Aufgabe der nuklearen Teilhabe in der NATO gehört) versucht, wird kaum erfolgreich sein. Alle Staaten, die das neue Atomwaffenverbot bereits unterzeichnet oder gar ratifiziert haben, signalisierten, wo die neue Messlatte liegt: im Verbot von Atomwaffen und echter Abrüstung, nicht in warmen Worten und heißer Luft.
Themen für die Konferenz im Januar
Als Diskussions- und Streitthemen für die anstehende Überprüfungskonferenz kristallisieren sich u.a. die folgenden Themen heraus:
- fortschreitende qualitative Aufrüstung anstatt der zugesagten Abrüstung, u.a. durch „einsetzbarere“ Sprengköpfe, zielgenauere Raketen, Einführung der Hyperschalltechnologie, Wiedereinführung von Mittelstreckenraketen,
- mangelnde Umsetzung der bei den früheren Überprüfungskonferenzen eingegangenen Verpflichtungen,
- ständig höhere Relevanz von Atomwaffen in Militärdoktrinen, z.B. Ausweitung der Szenarien für einen Ersteinsatz,
- Konsequenzen aus dem Inkrafttreten des AVV,
- Inkrafttreten des Teststoppvertrags (von den NVV-Staaten sind u.a. China, Iran und die USA bislang nicht beigetreten, das ist aber eine Vertragsvoraussetzung),
- Nordkorea, Iranabkommen, Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten,
- voranschreitende Stationierung von Raketenabwehrsystemen und deren Nutzung für Antisatellitentests (2007 durch China, 2008 durch USA, 2019 durch den Nicht-NVV-Staat Indien, am 15.11.2021 durch Russland),
- Nutzung von Atomenergie für zivile Zwecke, Abschluss von Zusatzprotokollen mit der IAEO als Sicherungsnorm,
- Stärkung des Überprüfungsprozesses.
Bereits im Vorfeld schlagen die Covid-19-Vorkehrungen für die Konferenz Wellen: Stand Ende Nov. 2021 ist geplant, dass zwar die Diplomat*innen im UNO-Hauptquartier in New York zusammenkommen, der Zivilgesellschaft aber lediglich eine digitale Teilnahme ermöglicht wird. Einigen Staaten käme es wohl sehr zupass, wenn die Nichtregierungsvertreter*innen vor der Türe bleiben müssten und die Diplomat*innen nicht persönlich mit den ewigen Forderungen nach „Moral“ und Umsetzung des Völkerrechts behelligt würden.
Anmerkungen
1 Atomwaffen A-Z, Stichwort „Humanitäre Initiative“; atomwaffena-z.info und den Beitrag von Noah Onuralp in diesem Heft.
2 China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA
3 https://www.state.gov/remarks-to-the-2021-nato-nuclear-policy-symposium/.
4 Weitere Details zu den Konferenzen und ihren Ergebnissen siehe Atomwaffen A-Z, Stichwort „Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages“; atomwaffena-z.info.
Regina Hagen ist eine Sprecherin der Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ und Mitglied des Koordinierungskreises von Abolition 2000 – Global Network to Eliminate Nuclear Weapons.