Neue „Teilstreitkraft“

Der Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr

von Christoph Marischka
Hintergrund
Hintergrund

Mit der Abteilung Cyber- und Informationsraum (CIR) im Verteidigungsministerium (BMVg) und einem entsprechenden Kommando in Bonn wurde 2017 de facto eine neue „Teilstreitkraft“ der Bundeswehr ins Leben gerufen. Mit eigenem Inspekteur, der dem Kommando vorsteht, ist dieser Organisationsbereich den Teilstreitkräften Heer, Marine und Luftwaffe sowie der Streitkräftebasis und dem Sanitätsdienst gleichgestellt. Anlässlich der Aufstellung des neuen Kommandos erklärte von der Leyen den Cyber- und Informationsraum „neben Land, Luft, See und Weltraum“ nicht nur zur „sicherheitspolitische[n] Domäne“ sondern auch zum neuen „Operationsraum für die Bundeswehr“. Mit einer Zielgröße von 15.000 militärischen und zivilen Dienstposten liegt die neue Teilstreitkraft auch im Umfang nur knapp hinter dem der Deutschen Marine.

Die etwa 13.700 Dienstposten, die dem neuen Kommando dann zum 30. Juni 2017 unterstellt wurden, setzten sich fast ausschließlich aus den bereits bestehenden Truppengattungen der Fernmeldetruppen, der elektronischen Kampfführung (EloKa), dem Geoinformationswesen und der Operativen Kommunikation zusammen. Dabei sollen etwa 5.500 Dienstposten aus dem Bereich Militärisches Nachrichtenwesen, 5.500 aus der IT-Cybersecurity, 650 vom Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr und 850 Dienstposten für Operative Kommunikation dem Kommando unterstellt werden. Eine Besonderheit des Organisationsbereiches CIR besteht darin, dass der entsprechenden Abteilung im BMVg (nicht aber dem Kommando CIR) auch die unternehmerische Steuerung der BWI GmbH mit 3.500 bis 4.000 MitarbeiterInnen obliegt, die bundesweit über 1.000 Liegenschaften betreut. Die BWI GmbH wurde 2006 von der Bundeswehr gemeinsam mit den Firmen Siemens und IBM gegründet und war als Öffentlich-Private Partnerschaft (PPP) für die Modernisierung und Vereinheitlichung der „nicht-militärischen“ IT der Bundeswehr zuständig.

Die Aufgaben des Kommandos
Dem Kommando CIR unterstehen das Kommando Informationstechnik, das Kommando Strategische Aufklärung sowie das Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr. Das Kommando Informationstechnik führt v.a. die recht gleichmäßig über die Bundesrepublik verteilten Informationstechnikbataillone, die für den Betrieb sicherer Kommunikationsverbindungen in Deutschland, den Einsatzländern und zwischen den hiesigen Stäben und den Kräften im Einsatz zuständig und damit auch sehr häufig an Auslandseinsätzen beteiligt sind.

Deutlich vielfältiger sind die Aufgaben des Kommandos Strategische Aufklärung, das wesentliche Komponenten des militärischen Nachrichtenwesens umfasst und einen klaren räumlichen Schwerpunkt südlich von Bonn aufweist. Das Kommando führt u.a. die Bataillone für Elektronische Kampfführung. Diese haben die Aufgabe, gegnerische Kommunikationsnetze aufzuklären, abzuhören und zu stören. Das Zentrum Cyberoperationen in Rheinbach untersteht ebenfalls dem Kommando Strategische Aufklärung und erfüllt in gewisser Weise auf der Ebene der Software ähnliche Funktionen wie die elektronische Kampfführung auf der Ebene der Hardware, stützt sich dabei jedoch stärker auf zivile Infrastruktur und Technologie. Hier befindet sich auch eine Einheit mit etwa 80 Kräften, die am ehesten dem Bild einer Hacker-Truppe entspricht und tatsächlich auch schon mit offensiven Cyber-Operationen beauftragt wurde. Auf den ersten Blick irritierend, wird auch das Zentrum für Operative Kommunikation in Mayen vom Kommando für Strategische Aufklärung geführt. Dessen Aufgaben bestehen in dem, was landläufig als „Propaganda“ und von der Bundeswehr selbst in der Vergangenheit als „Psychologische Kampfführung“ bezeichnet wurde. Das Zentrum für Geoinformationswesen in Euskirchen untersteht wiederum direkt dem Kommando CIR. Hier werden u.a. Satellitenaufnahmen aufbereitet und den Führungs- und Einsatzkräften bereitgestellt. Es wird hier jedoch auch auf andere Quellen zurückgegriffen und das Zentrum ist entsprechend interdisziplinär: Auch BiologInnen und EthnologInnen können hier Anstellung finden.

Weitere Komponenten: Marktsichtung, Aus- und Fortbildung
Neben den operativen Aufgaben unter Führung des Kommandos CIR hat der Organisationsbereich weitere Komponenten, die sich insbesondere mit Strategie und Planung, Personalgewinnung, Aus- und Fortbildung sowie technologischen Innovationen beschäftigen und überwiegend von der Abteilung CIR im BMVg erbracht werden. Hierzu gehört es, beständig den Markt für innovative Dienstleistungen und Technologien zu beobachten und diese auf ihre militärische Relevanz zu überprüfen sowie selbst entsprechende Forschung anzustoßen. Hierzu wurde u.a. ein Cyber Innovation Hub der Bundeswehr geschaffen, der als „Schnittstelle zwischen Startup-Szene und Bundeswehr“ fungieren soll. Eigene Forschungsprojekte im Bereich der Informationstechnik gab und gibt das BMVg u.a. am Deutsch-Französischen Forschungsinstitut Saint-Louis (ISL), dem DLR und bei verschiedenen Fraunhofer-Instituten in Auftrag, insbesondere bei den Fraunhofer-Instituten FHR und FKIE auf dem Wachtberg bei Bonn. Zur Ausbildung eigenen Personals wurde u.a. ein Studiengang „Cyber-Sicherheit“ an der Universität der Bundeswehr in München mit elf neuen Professuren und mehreren Laboren in einem eigens errichteten Hochsicherheitsgebäude geschaffen, das ab 2018 jährlich 70 AbsolventInnen hervorbringen soll. Außerdem hat die Bundeswehr u.a. mit den Hochschulen Bremen und Bonn-Rhein-Sieg Kooperationsabkommen geschlossen, die in den jeweiligen Studiengängen (Frauenstudiengang Informatik bzw. Dualer Studiengang Informatik mit Schwerpunkt Informationssicherheit) ein Kontingent an Plätzen für die Bundeswehr reservieren. Unter dem Arbeitstitel „Cyber-Reserve“ ist außerdem vorgesehen, „Freiwillige, Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sowie bislang Ungediente aus der gewerblichen IT-Wirtschaft, einschlägigen MINT-Berufen oder ähnlichen Professionen“ zu integrieren. Neben Aufträgen an Unternehmen und Start-ups wolle die Bundeswehr „die richtig harten Nerds, die sich in den Tiefen der Internet-Protokolle auskennen, mit Beraterverträgen an die Bundeswehr binden“.

Unklar ist und wird auch weiter bleiben, wie die Aktivitäten der Bundeswehr im Cyberraum von der zivilen Cybersicherheit abzugrenzen sind und kontrolliert werden können. Der Cyber- und Informationsraum ist insofern ein hybrider Raum, in den das Militär nun verstärkt vordringt. Das spiegelt sich auch im Personalstamm wieder, der zunehmend aus der Privatwirtschaft stammt, aber militärisch bzw. aus dem BMVg geführt wird.

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Christoph Marischka ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen.