Der scheinbare Tabubruch oder: Der Antisemiten-Katechismus

von Uta KleinMichael Schlickwei
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Auch Deutsche müssten das Recht haben, die israelische Regierung zu kritisieren. So lautet das gebetsmühlenartig wiederholte Argument von Möllemann, Westerwelle und ihrem Anhang. Auch unter Grünen, Friedensbewegten und PDSlerInnen wird diese trotzig vorgebrachte Haltung gerne gebracht und zuweilen gar als mutiger Tabubruch gefeiert.

Wer hat eigentlich etwas anderes je behauptet und jegliche Kritik an der israelischen Politik verboten? Paul Spiegel? Michel Friedmann? Joschka Fischer? In einem Interview mit Thomas Roth in der ARD am 24.5. bekräftigt Paul Spiegel zum wiederholten Male, dass Kritik an der israelischen Regierung legitim sei und betont, dass die schärfste Kritik aus Israel selbst komme. "Selbstverständlich darf, ja muss man bisweilen die Politik der israelischen Regierung kritisieren" schreibt Joschka Fischer in der FAZ vom 11.5.

Mit seinem Scheinargument fängt Möllemann allerlei Applaudierer, die Israel immer schon mal eine aufs Dach geben wollten und nun endlich ihren Persilschein erhalten. Und Möllemann reibt sich insgeheim die Hände: hat er es doch geschafft, sich um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit antisemitischen Stereotypen und Ressentiments zu mogeln.

Viele mögen der Ansicht sein, Möllemann könne eben nur bis achtzehn zählen und liebe schlicht gestrickte Formulierungen. Es lässt sich jedoch nicht übersehen, dass er Applaus bekommt. Und dieser weist auf einen bedenklichen Zustand von Teilen der deutschen Öffentlichkeit hin. Bestimmte antisemitisch unterlegte Redewendungen und Argumente werden unverdrossen wiederholt.

Der Vorwurf der Nazi-Methoden
Ausgangspunkt der aktuellen Auseinandersetzung war die Äußerung des damals noch grünen Landtagsabgeordneten Karsli, Israel verhielte sich gegenüber den Palästinensern wie die Nazis der jüdischen Bevölkerung gegenüber. Von rechts bis links ist es beliebt, israelische Regierungspolitik mit Nazimethoden zu vergleichen und israelische Politiker mit Hitler.
 

Auf der Homepage der PDS-Sachsen finden wir unverdrossen die Überschrift: "Israelische Armee wendet Nazi-Methoden an!" Der CDU-Politiker Blüm sprach von einem "Vernichtungskrieg", den Israel gegenüber den Palästinensern führe. Immer häufiger sieht man auf Demonstrationen Transparente, die von einem "Holocaust an den Palästinensern" sprechen.

Tja, der Holocaust ist für Deutsche unangenehm, muss man sich doch mit der eigenen Geschichte befassen. Da ist es doch angenehmer, sich - wie Westerwelle betont - als Mitglied einer "neuen Generation" zu fühlen. Kohl nannte es damals: die Gnade der späten Geburt. In einer Umfrage unter Studierenden kommen Klaus Ahlheim und Bardo Heger zu dem Ergebnis, dass Studenten mit "deutlich materialistisch-hedonistischen Zügen" ein Ende der Debatte über den Holocaust fordern. Zugleich tritt eine erschreckende Unkenntnis zu Tage. "31 Prozent der Befragten wissen nicht, in welchem Jahr der Zweite Weltkrieg begonnen hat" (SZ, 21.5.02).

Indem man also die militärische Vorgehensweise der israelischen Regierung in den besetzten Gebieten mit dem Vorgehen der Nazis gleichsetzt, hat man die eigene Geschichte entsorgt und den Nationalsozialismus verharmlost. Nach der deutsch-deutschen Vereinigung wies Jürgen Habermas unter Hinweis auf die Gleichsetzung der SED-Diktatur mit dem Nationalsozialismus darauf hin, dass nichts dem Entrinnen vor der Bedrohlichkeit der Selbstreflexion so entgegen kommt wie eine richtig herzhafte sittliche Entrüstung über andere. Normalisierungswunsch nennt das die Fachliteratur. Und da hier eine deutliche Sprache vonnöten ist, sei mit Verlaub gesagt: wären die Nationalsozialisten damals so vorgegangen wie die israelische Regierung heute, lebten mehrere Millionen jüdischer Menschen und noch eine größere Zahl ihrer Nachkommen, die nie geboren wurden, unter uns. Abgesehen von den Opfern der nationalsozialistischen Vernichtungskriege.

Offensichtlich weiß Westerwelle genau, welches Spektrum er erreicht. Vorausgesetzt, das Zitat in "Bild am Sonntag" stimmt, in dem er es als "Dienst an der Demokratie" bezeichnet, wenn die FDP durch diesen Streit die Wählerschaft der Republikaner gewinnt.

Der Einfluss der zionistischen Lobby
"Der Einfluss der zionistischen Lobby ist auch sehr groß: Sie hat den größten Teil der Medienmacht in der Welt inne und kann jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit,klein` kriegen. Denken Sie nur an Präsident Clinton und die Monika-Lewinsky-Affäre. Vor dieser Macht haben die Menschen in Deutschland verständlicherweise Angst" - so Karsli gegenüber der "Jungen Freiheit".

Der Verweis auf den Einfluss der Juden in aller Welt gehört zum "Antisemiten-Katechismus". So hieß eine 1893 von Theodor Fritsch herausgegebene Schrift, eine der wichtigsten Populärschriften zur Begründung des modernen Antisemitismus. Dort heißt es zu der Frage "Was haben die Juden eigentlich begangen?" unter Punkt 10: "Sie haben viele Personen in hervorragenden Stellungen in ihre Netze zu locken gewusst und dieselben durch ihren Geldeinfluss sich dienstbar gemacht. Die wenigen charakterfesten Männer, die diesen Verlockungen widerstanden haben, werden vor dem Volke durch die jüdische Presse in unerhörter Weise verdächtigt und beschimpft." Und unter Punkt 11: "Durch ihre internationalen Beziehungen beeinflussen die Juden alle Staatskabinette und halten die Regierungen gegenseitig im Schach, so dass kein einzelner Staat wagen kann, gegen die Judenschaft vorzugehen." Hintergrund dieser Argumentation war die Anfang des 20. Jahrhunderts aufgetauchte Schrift "Die Protokolle der Weisen von Zion", mit der eine "jüdische Weltverschwörung" nachgewiesen werden sollte. Im übrigen nach wie vor Bestseller in den arabischen Ländern. Die Nationalsozialisten machten daraus die "jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung".

Die Schuld der Juden am Antisemitismus
"Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland gibt, leider, die wir bekämpfen müssen, mehr Zulauf verschafft hat als Herr Sharon und in Deutschland ein Herr Friedmann mit seiner intoleranten und gehässigen Art, überheblich." sagte Möllemann im ZDF-heute-journal am 16. Mai 2002 und wiederholte dies in unterschiedlichen Formulierungen.

Auch hier gibt es kein Vertun. Es ist aus der Antisemitismusforschung bekannt, dass aus dem Normalisierungswunsch in Kombination mit dem eigenen Wissen um die deutsche Verantwortung ein "sekundärer Antisemitismus" entsteht. In Befragungen zeigte sich, dass antijüdisch Gesinnte überdurchschnittlich annahmen, die Juden in Deutschland würden sie nicht aus ihrer Schuld entlassen - eine Projektion also (vgl. Bergmann 1990). Warum gab Möllemann nicht seinem Nachbarn die Schuld, warum nicht den Rechtsextremen? Weil sie alle keine Juden sind, der Jude muss schuld sein. Der Typus des "gefährlichen Juden" ist nicht das einzig mögliche Stereotyp: es gibt durchaus auch die "guten Juden". Die werden dann derzeit in Veranstaltungen gerne als Beweismittel für die Nazi-Methoden Israels zitiert, so z.B. Erich Fried. Dass - auch in einer globalisierten Welt - Äußerungen noch immer in einem gesellschaftlich-kulturellen Kontext stehen und vor diesem Hintergrund reflektiert werden müssen, ist freilich zu anstrengend. Im übrigen wartet man eigentlich auf die Reaktion Möllemanns darauf, dass Friedmann vor einem Gespräch eine Entschuldigung erwartet. Wann packt er das Stereotyp des "empfindlichen Juden" aus, des "nachtragenden" und "unversöhnlichen Juden"?

Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen, hat Strafantrag wegen Volksverhetzung gestellt, und selbstgefällig mokieren sich Rechte wie Linke darüber. Hier sei an eine andere Begebenheit erinnert: am 26.3.1994, einen Tag nach einem Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge, äußerte Franz Schönhuber auf dem Landesparteitag der Republikaner in Bayern: "Derjenige, der in Deutschland für den Antisemitismus sorgt, ist der Herr Bubis". Diese Äußerung nahm damals die Staatsanwaltschaft zum Anlass, gegen Schönhuber zu ermitteln. Alles klar?

Wie weiter?
Kritik an der israelischen Regierung muss sich orientieren an einer Analyse des regionalen Konflikts einerseits und der Universalität der Menschenrechte andererseits. Eine Kritik aus Deutschland kann dabei nicht an der besonderen Beziehung zwischen Israel und Deutschland vorbei.

Die simple Opfer-Täter-Relation gibt es nicht, auch wenn sie so praktisch wäre. Mit der "Operation Schutzwall" der israelischen Armee in den besetzten Gebieten wurden die Palästinenser massiv bedroht. Tote und Verletzte, Verwüstungen und Zerstörungen, Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit - eine Zuspitzung der katastrophalen Lage seit dem Ausbruch der zweiten Intifada. Wer alleine den Palästinensern und Arafat die Schuld gibt, muss sich die Frage nach den Menschenrechtsverletzungen, den Zerstörungen der Infrastruktur und der Unrechtmäßigkeit der Besatzung gefallen lassen.

Die Zunahme der Terroranschläge haben bei den Israelis die Angst und das Risiko, Opfer eines Anschlages zu werden, weiter verschärft. Jeder Gang zum Arbeitsplatz, jeder Kinobesuch, jeder Einkauf eine Gefahr, Opfer zu werden. Damit einher geht die Befürchtung, die Palästinenser hätten die Existenz Israels niemals akzeptiert. Wer alleine den jeweiligen israelischen Regierungen die Schuld gibt, muss sich die Frage nach undemokratischen Strukturen, nach innergesellschaftlicher Gewalt und nach einer breiten Akzeptanz und Unterstützung der verheerenden Attentate auf die israelische Zivilbevölkerung gefallen lassen.

Auf beiden Seiten haben sich in großem Maße Kräfte durchgesetzt, die aufgrund ihrer religiösen und/oder nationalistischen Überzeugungen eine gemeinsame Zukunft beider Völker nebeneinander ausschließen. Gleichzeitig treiben sie in beiden Gesellschaften dabei die Militarisierung voran, eine furchtbare Hypothek für die eigene Gesellschaft und vor allem die junge Generation.

Um die Bereitschaft bei den Konfliktparteien für einen Weg zu erhöhen, der beiden Seiten mehr Sicherheit bringen würde, bedarf es offenbar einer Dritten Kraft. Diese muss ausreichend Vertrauens- wie Druckpotentiale haben, um gehört zu werden. Eine Möglichkeit bietet der Fischer-Plan, der im Gegensatz zum Oslo-Prozess das politische Endziel an den Anfang der Verhandlungen stellt: Eine Zwei-Staaten-Lösung mit garantierter Sicherheit für beide Seiten. Die Art jedenfalls, wie die Diskussion in Deutschland in den letzten Wochen angeführt von Möllemann, verlief, die europaweiten Erfolge rechtspopulistischer Parteien, sowie die Zunahme antisemitischer Gewalt zerstören diese Möglichkeiten.

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Uta Klein ist Professorin an der Fachhochschule Kiel und Vorstandsmitglied des "DIAK" (Deutsch-Israelischer Arbeitskreis für Frieden in Nahen Osten)
Michael Schlickwei ist Mitarbeiter des grünen Bundestagsabgeordneten Winni Nachtwei, Gründer und langjähriges Vorstandsmitglied von "Projekt Freundschaft Birzeit-Münster".