Der steile Weg zum türkisch-kurdischen Frieden - ein Kommentar

von Andreas Buro
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or den Weihnachtswahlen in der Türkei und vor der Entscheidung des Europäischen Parlaments, sich auf eine Zollunion mit der Türkei einzu­lassen, traf ich immer wieder Kurden und Türkei mit Hoffnung, daß nun ein neuer Anfang aus dem furchtbaren Krieg, der Gesellschaft, Demo­kratie und Wirtschaft in dem Land zerstört, gefunden werden könne. Heute lese ich, am 27. Dezember 1995 - das Datum ist wichtig, drei Tage nach der Wahl; Prozesse vor Zollunion und Wahl hatte nun vertagt - wurde der türkische Soziologie-Professor Ismail Besikci zu 5 Jahren Ge­fängnis und etwa 10.000 Dollar Strafe verurteilt, weil er türkische Militä­roperationen im Südosten in zwei Artikeln kritisiert hatte.

Auch die Herausgeber der Artikel wur­den zu vielen Monaten Gefängnis ver­urteilt. Ein Beispiel für vieles. Ist die weiche Welle für die Zähmung des Eu­ropäischen Parlamentes nun vorbei? ich spreche nur vom Parlament. Die EU-Regierungen spielten immer das Spiel der Ökonomie und NATO, nie das der Menschenrechte und des Friedens.

Für das letztere sind die Wahlen nicht ermutigende. unter den gewählten Par­teien, die nicht an der 10% Hürde scheiterten, gibt es keine, die ein entschlossenes Programm für die Been­digung des türkisch-kurdischen Krieges im Wahlkampf vertreten hätte. Die is­lamische REFAH-Partei hat den Krieg zwischen Moslems angesprochen, der zu beenden sei. Analytiker aber nennen dies den Versuch, kurdische Stimmen für sich zu gewinnen. Die Ciller-Partei DVP hat Hardliner einer militärischen Lösung in ihre Abgeordnetenriege ge­holt. Die zweite große konservative Partei ANAP weist programmatisch keine wesentlichen Unterschiede zum bisherigen Politikkurs auf. Die kurdi­sche Partei HADEP kam nur auf 4,17% - viele kurdische Vertriebene waren noch nicht wieder registriert und man sagt, die Armee hätte massive Wahlfäl­schung im ländlichen kurdischen Sied­lungsgebiet betrieben, während die KandidatenInnen massiv behindert wur­den. Die rechtsradikale MHP - mit star­kem Rückhalt im Militär und der Polizei - konnte seit 1989 ihrem Stimmenteil verdoppeln, wenngleich auch sie an der 10%-Hürde scheiterte. Der liberale In­dustrielle Cem Boyner blieb mit seiner YDH und einem halben Prozent auf der Strecke. Von den sogenannten sozial­demokratischen Parteien, die eigentlich kemalistisch-konservative Parteien sind, ist ebenfalls kein Frieden zu erwarten. Die traditionsreiche CHP ist in der ver­gangenen Regierung in dieser Frage schon immer umgefallen.

Aus den Wahlen ist kein neuer Anstoß zu erwarten. Einen wichtigen Schritt machte allerdings die PKK. Sie erklärte einen einseitigen Waffenstillstand, um ihren guten Willen für die politische Lösung zu demonstrieren und die Wah­len nicht zu stören. Die türkische Regie­rung und das Militär haben bislang dar­auf nicht reagiert - beschämenderweise auch nicht die westlich Politik, die an­dernorts so eifrig über ihr "humanitäres Militärengagement" spricht. Die PKK hat durch ihren Vorsitzenden Abdullah Öcalan für Deutschland einen Gewalt­verzicht verkündet. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Freilich wird daraus erst eine neue Politik, wenn diese Schritte nicht konditionell angeboten werden, sondern als neue Grundlage für eine dauerhafte Orientierung zu ver­stehen sind. Wird dies erkennbar, so werden hoffentlich in der Bundesrepublik die Kräfte sich verstärkt zu Worte melden, die das Ankara-NATO-treue Verbot der PKK in Deutschland für einen schwerwiegenden Fehler ge­halten haben, da hierdurch der Dialog um eine politische Lösung kriminalisiert wird. Dies zu sagen, ist kein Plädoyer gegen die Anwendung von Strafgeset­zen überall dort, wo politische Interes­sen mit Gewalt durchgesetzt werden sollen.

Im verflossenen Jahr haben sich in der Türkei mit großem Mut Künstler, Schriftsteller, Intellektuelle und Gewerk­schafter für einen politischen Dialog zur Beendigung des Krieges eingesetzt. Viele von ihnen haben ihr Engagement mit langzeitigen Gefängnisstrafen zu be­zahlen. Die angeblichen Reformschritte der politischen Justiz haben in der Re­alität nicht zu einer wirklichen Verände­rung geführt. Diese Menschen, die sich für Frieden, Demokratisierung und Menschenrechte einsetzen, verdienen Solidarität aus dem Ausland. Das heißt, wir müssen überall die Forderung nach einer politischen Lösung des türkisch-kurdischen Krieges erheben und die EU- und NATO-Staatenregierungen mit ihr konfrontieren. Als Einstieg in den Friedensprozess sollten die folgenden Schritte vorgetragen werden, die einsei­tig und ohne Vorgänge Verhandlungen getan werden können:

1. Alle am Konflikt beteiligten Akteure Erklärungen ihre Bereitschaft, zu ei­ner politischen Lösung des Konflik­tes im Rahmen des türkischen Staates zu kommen. Damit wird der Dialog für eine politische Lösung in der Öffentlichkeit freigegeben.

2. Jede Seite, der an den militärischen Auseinandersetzungen beteiligten Parteien, erklärt ihre Bereitschaft zum Waffenstillstand und damit auf Verzicht zu offensiven militärischen Handlungen. Dies Bereitschaft wird nicht durch Störangriffe von Falken, mit denen nach allen vorliegenden Erfahrungen aus anderen, vergleich­baren Konflikten zu rechnen ist, in Frage gestellt.

3. Der Ausnahmezustand über die um­kämpfte Region in der Türkei wird aufgehoben, so daß alle Menschen und politische Kräfte sich ungehin­dert an dem Friedensprozess beteili­gen und demokratische Prozeduren Platz greifen können.

4. Vom türkischen Parlament, dem Prä­sidenten und der Regierung in An­kara ist anzuerkennen, daß sich die türkische Gesellschaft aus unter­schiedlichen Völkern, Kulturen und Religionen zusammensetzt. Das be­deutet nicht zuletzt die Akzeptanz ei­ner eigenen kurdischen Identität im Rahmen des türkischen National­staates.

5. Zulassung kurdischer Parteien, Orga­nisationen und Publikationen, die im Rahmen des türkischen Staates eine politischen Lösung des Konfliktes anstreben. Dafür sind die rechtlichen Voraussetzungen zu sichern.

6. Der angestrebte Prozess der Entfein­dung und die Arbeit für eine politi­sche Lösung bedarf der internationalen guten Dienste und Zusammenarbeit. Vorwiegend die NATO-Staaten sind deshalb gehalten, eine Gruppe der Begleitung und Unterstützung des Friedensprozesses zu bilden.

Die genannten grundsätzlichen Schritte zu einer politischen Lösung können und sollten selbstverständlich durch vertrauensbildende Maßnahmen unterstützt wer­den. Um dem Prozess eine angemessene Dynamik zu geben, ist hier das Prinzip der unilateralen Aktion zu verfolgen. Amnestien, Gefangenenrückgabe, Ge­währung kultureller Möglichkeiten für die kurdische Bevölkerung, Aufhebung von lokalen Embargos, Unterstützung der Rückkehr von geflohener Bevölke­rung und vieles mehr können in diesem Sinne wirken. Auch die erhofften wirt­schaftlichen und sozialen Auswirkungen aus dem Beitritt der Türkei zur Zollunion dürfen erst wirklich wirksam werden können, wenn das Signal durch die genannten Maßnahmen und Erklä­rungen glaubhaft gegeben wird, daß der innertürkische Bruderkrieg durch einen politische Lösung überwunden und Ko­operationsfähigkeit der Türkei wieder hergestellt werden soll.

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