Kalkar

Der Strategie-Schmiede für den Krieg im 21. Jahrhundert das Handwerk legen!

von Bernhard Trautvetter

Die NATO hat auf ihrem Prager Gipfel 2002 eine Weiterentwicklung ihrer Organisationsstruktur beschlossen. Dazu gehören sogenannte ‚Centers of Excellence‘ (CoE) außerhalb der NATO-Kommandostruktur, die von NATO-Nationen finanziert werden. Sie sollen die vernetzte Operationsfähigkeit der Militärbereiche vom All bis zum Cyber-Raum, innovative Strategie-Entwicklungen und das Durchspielen ganz neuer Möglichkeiten für die Militärs auf hohem Niveau in Denkfabriken thematisieren und professionalisieren. (1) 

Führungskräfte und SpezialistInnen der NATO und aus sogenannten Partnerstaaten der NATO befassen sich mit der Implementierung neuer Strategien und Konzepte, wie denen für den Drohnenkrieg, und überprüfen ihre Anwendbarkeit in Experimenten mit Trainings-, Simulations- und Bildungseinheiten. (2)

2004 wurde das erste COE von Deutschland zur Unterstützung der Luftstreitkräfte eingerichtet. Das Joint Air Power Competence Centre (JAPCC) in Kalkar am Niederrhein wurde dann 2005 vom Allied Command Transformation (ACT) in Norfolk, Virginia, USA mit Deutschland als Rahmennation zertifiziert. Das ACT wirbt mit dem Motto “Das Heute verbessern, das Morgen gestalten, eine Brücke zwischen den beiden bauen“. Doch spricht das Geschehen vor Ort eine andere Sprache, wie eine genauere Betrachtung offenbart:

Das JAPCC versteht sich als Katalysator für neue Konzepte, Strategien und Technologie-Transfer der NATO. Nach der Website der Luftwaffe ist das "JAPCC eine Organisation, die …in der Lage ist, Problemstellungen aus dem gesamten Spektrum der Führung und des Einsatzes von Luftkriegsmitteln erfolgreich zu bearbeiten"1. (3)

Jahreskonferenzen des JAPCC stellen neben den Veröffentlichungen einen weiteren Beitrag zum Auftrag des Kalkarer NATO-Center of Excellence.

Themen früherer Konferenzen
2006 entwickelte die Konferenz die Drohnen-Strategie der NATO konkret einsatzorientiert, was unter anderem auch Veröffentlichungen zum Drohnenkrieg nach sich zog. Es ging dabei u.a. in der Präsentation "The Joint Imperative", die nicht mehr im Netz zu finden ist, aber mir vorliegt, z.B. um die Sicht von weit vom Kriegsgeschehen entfernter Kriegsführer auf die Umgebung der Operation vor Ort unter den Stichworten: "find – fix - track – target – engage - assess". “Engagieren“ ist hier ein anderes Wort für “Töten“. Das Bewerten am Schluss des Zitats bezieht sich auf die Frage des Erfolgs, wie viel geplante außergerichtliche Tötungen durchgeführt wurden und wie viele Kollateralschäden der Angriff erbrachte. Das „Finden“ bezieht sich explizit auf Aufklärung durch Dächer hindurch und tief im Untergrund. Die zukünftigen Entwicklungen betrafen die immer kürzere Zeitspanne zwischen Informationsgewinnung und militärischer Entscheidung.

Das Thema der 2007er Jahreskonferenz „Expeditory Warfare“ steht für die Kriegführung ohne Kriegserklärung und damit für eine Routine des Völkerrechtsbruchs, Länder in Friedenszeiten in „Operationen“ anzugreifen und dann wieder zu verschwinden - bis zur nächsten „Expedition“. Passend dazu das Thema der 2008er-Konferenz: “Schlachtfeld-Management“.

Die Konferenz 2012 stand unter dem Thema "Kriegsführung  [Warfare] im 21. Jahrhundert". Hier, wie auf weiteren Jahreskonferenzen, wurden die Erfahrungen u.a. im Irak- und Afghanistan-Krieg ausgewertet. Für eine der wesentlichen Strategie-Anregungen wurde der Begriff „Air Land Integration“ (ALI) geprägt, worunter die Verbindung aller Elemente militärischer Operationen vom All bis zum Cyber-Krieg miteinander integriert werden. (4)

Auf ihrer 2014er-Konferenz "Future Vector" erklärten die Verantwortlichen einen großen Krieg in Europa für möglich: „Die zwei Jahrzehnte lange Annahme, es werde keinen großen Krieg in Europa mehr geben, ist anzuzweifeln" (5).

Gefährliche Friedensbewegung?
Damit die Bevölkerung die Gefährlichkeit des Militarismus nicht durchschaut, sondern für diese selbstmörderische Politik gewonnen werden kann, braucht man einen Sieg in dem, was man Informations-Krieg nennt, wie sich auf der 2015er-Jahreskonferenz des JAPCC erwies: "Die NATO stützt sich bei der Entwicklung neuer Propagandatechniken zunehmend auf deutsche Wissenschaftler und Journalisten. Jüngster Ausdruck dieses Vorgangs ist eine für Ende November im nordrhein-westfälischen Essen anberaumte Konferenz über ‘Strategische Kommunikation‘, die ein Think-Tank des westlichen Militärbündnisses veranstaltet – unter Mitwirkung unter anderem eines Korrespondenten der ARD. Erklärtes Ziel der von führenden deutsch-europäischen Rüstungskonzernen gesponserten Tagung war es, Methoden zu erarbeiten, mit denen sowohl 'öffentliche Unterstützung' für Kriegsoperationen der NATO generiert als auch 'feindliche Medienarbeit' gekontert werden kann. Deutschland gilt den Konferenzplanern in diesem Zusammenhang als 'problematischer Fall'. Ihrer Auffassung, wie der vieler Militärs der NATO,  nachsind 'pazifistische Auffassungen' weit verbreitet unter den Deutschen, die sich deshalb ... als besonders anfällig für antimilitaristische „Desinformationskampagnen“ erweisen. Dies zeigt sich insbesondere bei den öffentlichen Auseinandersetzungen über die zivilen Opfer westlicher 'Luftschläge' und den Einsatz bewaffneter Drohnen." (6)

Die Friedensbewegung erweist sich als in den Augen der NATO dermaßen erfolgreich, dass man sich auf einer der größten Jahreskonferenzen des Bündnisses in Europa damit befasst, wie man diesen von ihnen im Einladungsflyer so benannten 'feindlichen Einheiten' ("Entities hostile to NATO") und ihren Erfolgen bei der Verbreitung einer militärkritischen Meinung in der Öffentlichkeit entgegenwirken kann.

Die Jahreskonferenz des JAPCC 2016 thematisierte die Handlungsfähigkeit im evtl. durch feindliche Handlungen geschädigten Umfeld. Schlacht- oder Gefechtsfeld wird hier „degraded environment“ genannt. Im Vorbereitungsmanuskript des JAPCC (7) verlangt der Moderator der Konferenz, Air Commodore Ian Elliot, dass die moderne Luftwaffe als High-Tech-Potenzial uneingeschränkten Zugang zum gesamten Spektrum der Auseinandersetzungen sichern müsse; das betrifft auch den Cyberspace und das All. Schädigungen der Umgebung, seien sie Ergebnis von Naturkatastrophen oder gegnerischer Handlungen, hätten massiv destabilisierende Wirkung (Seite V). Elliot wird konkret:

"Als ich meine militärische Karriere während des Kalten Krieges begann, antizipierte die NATO Handlungen in geschädigten Umgebungen einerseits bezüglich elektronischer Handlungen des Gegners und andererseits hinsichtlich des Erfordernisses, in einer durch nukleare, biologische oder chemische Waffen geschädigten Umgebung zu handeln." Er regt an, diese Eventualitäten wieder stärker in die Überlegungen mit einzubeziehen.

Jahreskonferenz 2017
Die JAPCC-Jahreskonferenz 2017 ist bereits für den 10. bis zum 12.10.2017 in die Messe Essen eingeladen. Auf der JAPCC-Website ist dazu bis zum 25.2.17 noch keine inhaltliche Spezifizierung erfolgt.

Die Friedensbewegung wird diesen Termin im Ruhrgebiet in der ersten Oktoberhälfte zum Anlass von Protesten, Informations-Aufklärung und weiteren Aktivitäten nutzen, Sie wird ihre Engagement dafür fortsetzen, dass die Militäreinrichtungen in Kalkar dem Schicksal des Atomkraftwerkes dort folgen. Die Denkfabrik für den Krieg im 21. Jahrhundert ist zu schließen. In einem Staat, dessen Grundgesetz die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe stellt, wirft das Geschehen in Kalkar neben den menschlichen zumindest auch verfassungsrechtliche Fragen auf.

Am Tag der Deutschen Einheit, dem 3.10., demonstriert die Friedensbewegung nun schon seit Jahren gegen das Treiben der Militärs in Kalkar und in der Region. An diesem Datum verweist die Friedensbewegung darauf, dass der Vertrag zur Deutschen Einheit, der am 3.10.1990 den Beitritt der DDR zum Grundgesetz regelte, das “Bestreben...zum Aufbau einer europäischen Friedensordnung“ beinhaltet.

Das JAPCC muss geschlossen werden. Sein Wirken gegen steht das Friedensgebot des Völkerrechts. Dagegen wird es im Oktober Protest in Kalkar und in Essen geben.

 

Anmerkungen
(1) http://slideplayer.com/slide/1492418/  (https://web.archive.org/web/20141231033850/     und https://transnet.act.NATO.int/WISE/COE/TEMPLATES/NATOCOEEst/file/_WFS/NA...

(2) (http://www.act.nato.int/centres-of-excellence, http://www.nato.int/docu/review/2005/issue1/german/main_pr.html

(3) http://www.luftwaffe.de/portal/a/luftwaffe/start/team/stan/nord/kalk/!ut... 5RMUMyKyxre4mhwwzbZCzpoT

(4) http://www.japcc.org/wp-content/uploads/JAPCC_Flyer_Ed-7_web.pdf

(5) http://www.japcc.org/wp-content/uploads/Future_Vector_II_web.pdf, S. 141

(6) JAPCC Air Power and Strategic Communication – Read Ahead S. 35 (Übersetz. B.T.), https://www.japcc.org/wp-content/uploads/JAPCC_Conf_Read_Ahead_2015_web.pdf

(7) Preparing Nato for Joint Air Operations in a Degraded Environment, https://www.japcc.org/wp-content/uploads/JAPCC_Read_ahead_2016_web.pdf

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Hintergrund
Bernhard Trautvetter, Mitglied im Essener Friedensforum und Gründungsmitglied von Schule ohne Bundeswehr NRW, friedenspädagogisch und -politisch auch in der GEW NRW aktiv, Lehrer an einem Berufskolleg im Ruhrgebiet, Beiträge zu unterschiedlichen Themen u.a. in Zeitschriften wie neue deutsche schule, Friedensforum; eigene Website: www.fotolyrikart.eu.