Der Streit um den Schriftsteller Zweig

von Christian Bartolf
Hintergrund
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Selbst der 80jährige Herr Elijahu Pinter aus Frankfurt (Buchhändler und persönlicher Freund des Dichters Paul Celan), der unweit von Arnold Zweigs Wohnhaus auf dem Carmel-Berg in Haifa wohnt, hat nur ein Kopfschütteln übrig: Die beabsichtigte Schließung der Arnold-Zweig-Gedenkstätte in Berlin-Niederschönhausen will ihm beileibe nicht ein­leuchten. Denn er war zwar mit Arnold Zweig, den er von gemeinsamen Gesprächen her kannte und von Autorenlesungen auf zahlreichen lite­rarischen Abenden bei Dr. Rosenberg und Dr. Grosshut in Haifa, Palä­stina, nicht immer einverstanden.

Hatte der renommierte Anti-Kriegs-Schriftsteller doch mangels finanzieller Sicherheit und aufgrund politischer Vorbehalte den Carmel-Berg in Haifa zusammen mit seiner Familie verlassen und war nach Ost-Berlin emigriert, wo er von 1948 bis zu seinem Tod 1968 als Schriftsteller sein Vermächtnis, den Romanzyklus "Der große Krieg der weißen Männer" über den Ersten Welt­krieg, fertigstellte. Dem ehemaligen Präsidenten der Akademie der Künste der DDR, Nachfolger des in Kalifornien kurz vor seiner Rückkehr nach Deutschland gestorbenen Heinrich Mann, war doch erst seit 1987 eine Gedenkstätte in der Homeyerstraße 13 in Berlin-Nieder­schönhausen gewidmet worden, mit ei­ner Ausstellung zum Leben und Werk und den erhaltenen Arbeits-, Wohn- und Bibliotheksräumen, so wie Arnold Zweig und seine Frau, die Malerin Bea­trice Zweig, sie nach ihrem Tod hinter­ließen. Doch warum sollte dieses Zweig-Haus gerade jetzt, im 93er Deutschland von aggressiver Ausländer­feindlichkeit und wiederaufflammen­dem Antisemitismus, schließen?

Arnold Zweig, Antimilitarist und "Weltbühnenautor", Theoretiker des Antisemitismus und persönlicher Freund Sigmund Freuds, war nie wohlgelitten. Er saß zwischen allen Stühlen, ob im Deutschland der Weimarer Republik, der Nazis oder in Palästina, und selbst in der DDR wurden seine Werke redigiert und verändert. Seine Freundschaft mit Freud, die Gruppenpsychologie und Ideologiekritik des rassistischen Anti­semitismus, seine Beiträge zur deutsch-jüdischen Kultur, beginnend mit dem Drama über den "Ritualmord in Un­garn", für das er bereits sehr früh, 1913, den Kleist-Preis erhielt - all dies läßt sich anschaulich im Arnold-Zweig-Haus nachvollziehen, dem einzigen Museum für einen deutsch-jüdischen Schriftstel­ler in Berlin. Aus reinen Kostengründen soll die Gedenkstätte und die Neubear­beitung seines Gesamtwerkes aus dem Kultur- bzw. Wissenschaftsetat der Stadt Berlin gestrichen werden. Der Autor des ersten erfolgreichen Anti-Kriegs-Romans 2Der Streit um den Ser­geanten Grischa", der 1927 den Tri­umphzug von Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" vorwegnahm, der Autor der Romanklassiker "Erziehung vor Verdun" und "Das Beil von Wandsbek", soll auf diese Weise in seiner literar-politischen Wirkung selbst exekutiert oder guillotiniert werden. Wendehälse der Akademie der Künste und ein prinzipienloser und opportuni­stischer Kultursenat geben sich ein Stelldichein, um ihrerseits ein Kapitel "Bilanz der deutschen Judenheit" (Titel der wohl schärfsten Nazi-Ideologiekritik von Arnold Zweig, bereits 1934!) zu ziehen und den rechtsextremen Parteien die künftige Arbeit abzunehmen. Nicht allein unter den Zeitgenossen Arnold Zweigs in Israel löst diese Unkulturpo­litik Kopfschütteln aus; auch Antimilita­risten und Pazifisten können sich nicht mehr in einem Haus versammeln, das zwanzig Jahre lang von einem Wehr­pflichtgegner (Anti-Wehrpflicht-Mani­fest von 1930!) und Anhänger der li­bertär-sozialistischen Ideen Gustav Landauers bewohnt wurde. Zwar ver­scherzte sich Zweig mit seiner Partei­nahme für die Sowjetunion zur Zeit der Anti-Hitler-Koalition alle Sympathien (was sich in Übergriffen auf das Redak­tionsbüro des "Orient" im damaligen Palästina ausdrückte), doch blieb stets der Respekt gegenüber dem literari­schen Werk eines Schriftstellers, der Gandhi zum 70. Geburtstag dankte, während dessen Zeitgenossen wie Mar­tin Buber und andere diesen heftig kriti­sierten. Arnold Zweig prangerte wie kein zweiter Intellektueller seiner Zeit den Sündenbockmechanismus an, wie er von Militär und Justiz immer von neuem in Gang gesetzt wird. Er setzte bereits sehr früh seine Palästina-Erfah­rungen in kenntnisreichen Romanen zum jüdisch-arabischen Verhältnis um (z.B. "De Vriendt kehrt heim").

Das Arnold-Zweig-Haus soll also ge­schlossen werden. Und wenn man Rolf Schneider im Berliner "Tagesspiegel" (6.1.1993: "Remigrant ohne Zuhause. Darf man die Arnold-Zweig-Gedenk­stätte wirklich schließen?") oder Wil­helm von Sternburg in der "Frankfurter Rundschau" (30.1.1993: "Den Toten noch ins Exil gezwungen. Berlin ver­schließt sich Arnold Zweigs letzter Heimstätte.") folgt, so sind ganz be­stimmt nicht die geforderten Gelder der Privatbesitzerin der Häuser dafür aus­schlaggebend, sondern der schwach ausgeprägte Sinn der Kulturbürokratie für den Erhalt des Hauses:

"Im Berliner Senat knallen die Cham­pagnerkorken, wenn Daimler-Benz kommt, wenn die Schatzmeister der Parteien Wahlkampfmillionen kassieren. Ein Jude, ein linker Intellektueller und Schriftsteller, dessen Romane auch noch den Mächtigen von heute den Spiegel vorhalten, ist nicht des Aufhebens wert. Die Analphabeten haben ein gutes Ge­dächtnis. So gelingt im neuen Deutsch­land ein besonders makabres Kunst­stück: Auch die Toten zwingen wir ins Exil." (Wilhelm von Sternburg)

Die inzwischen gegründete Internatio­nale Arnold-Zweig-Gesellschaft hat im Januar 1993 in einem Offenen Brief an den Berliner Kultursenator appelliert, den Fortbestand der Gedenkstätte zu ermöglichen, und an den Berliner Wis­senschaftssenator und das Bundesin­nenministerium appelliert, Mittel bereit­zustellen, die den Fortgang der philolo­gischen Arbeiten gestatten, damit die Redaktion an den von der DDR zen­sierten Texten in einer neuen Gesamt­ausgabe vonstatten gehen kann. Mitte Oktober wird in der Akademie der Kün­ste am Hanseatenweg eine Konferenz zum Gedenken an Arnold Zweig statt­finden, zu der mindestens 60 interes­sierte Teilnehmer erwartet werden. Es könnte durchaus zu einer Nachfeier für Eingeweihte werden. Vielleicht wird, wie zum hundertjährigen Bestehen der Deutschen Friedensgesellschaft im letzten Herbst, wieder der Kultursenator das Grußwort sprechen und womöglich als Beerdigungsredner des Pazifismus und Repräsentant der Großen Koalition gesamtberliner Unvermögens kulturpo­litische Zerstörungsarbeit leisten. Dieses Mal, wenn es um Arnold Zweig geht, gibt es keinen Kompromiss. Literari­sches Werk wie Wohnhaus und Ge­denkstätte müssen erhalten bleiben und für den Antimilitarismus genutzt wer­den!

 

(Der Autor dieses Artikels hielt im April 1992 zum Thema "Pazifismus im Werk Arnold Zweigs" einen Vortrag im Ar­nold-Zweig-Haus, der demnächst in ei­nem Sammelband gegen die Wehr­pflicht veröffentlicht wird.)

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Christian Bartolf ist Leiter des Gandhi-Informations-Zentrum in Berlin.