Internationale Strafgerichtsbarkeit

Der Stuttgarter Strafprozess gegen ruandische Führungsmitglieder der FDLR

von Andreas Dieterich

Am 4. Mai 2012 jährte sich der Auftakt zum Prozess am Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) gegen zwei Führungsmitglieder der „Forces Démocratiques de Libération du Rwanda“ (FDLR). Den beiden Angeklagten, dem Präsidenten der FDLR Ignace Murwanashyaka, sowie dessen Stellvertreter, Straton Musoni, wird zur Last gelegt, im Osten des Kongos in den Jahren 2008 und 2009 für die Begehung von schweren Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§7 und §8 des VStGB ) (1) verantwortlich zu sein. Der Prozess ist der erste dieser Art in Deutschland, der nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), das 2002 ins deutsche Recht implementiert wurde, geführt wird. Hierbei betritt das OLG absolutes Neuland im deutschen Recht und kann einen wichtigen Beitrag zur internationalen Strafgerichtsbarkeit liefern. Eine Verurteilung der beiden Angeklagten wäre ein ungemein wichtiges Signal dagegen, dass bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen die Täter straffrei bleiben bzw. durch Immunität geschützt sind.

Beiden Angeklagten wird vorgeworfen, dass sie von ihren Wohnorten in Baden-Württemberg aus die Rebellenorganisation FDLR geleitet haben sollen. Dabei sollen sie nicht nur für die Finanzierung der Organisation Mittel angeworben haben, sondern I. Murwanashyaka soll als Präsident der FDLR auch über alle Aktionen des militärischen Flügels der FDLR Bescheid gewusst und den Oberbefehl innegehabt haben.

Das VStGB ermöglicht auch die Anklage unter dem Gesichtspunkt der Vorgesetztenverantwortlichkeit (§4 des VStGB). Dies bedeutet, dass „ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, […]wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft“ (VStGB §4 ) wird. Dies ist ein vielversprechender Ansatz und so kann man auch, ohne die tatsächlichen Befehle bis zu den beiden Angeklagten zurückzuverfolgen, eine Verurteilung erreichen, wenn nachgewiesen werden kann, dass ihr Einfluss innerhalb der Organisation so groß war, dass sie die Verbrechen hätten verhindern können. Dass den beiden Angeklagten überhaupt in Deutschland der Prozess gemacht werden darf, liegt an der Implementierung des Völkerstrafrechts in das deutsche Rechtssystem. Das deutsche VStGB wurde 2002 in das deutsche Recht implementiert und gründet sich auf das Römische Statut. Diese Übernahme des Völkerstrafrechts durch nationale Strafrechtsordnungen ist von großer Bedeutung, da weder die Kapazität noch der politische Wille des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) ausreichen, um den tatsächlichen Anforderungen an ihm gerecht zu werden.

Das deutsche VStGB feierte 2012 sein zehnjähriges Bestehen. Dass es erst im letzten Jahr zum ersten Prozess unter dem Normenkatalog des VStGB kam, hat verschiedene Gründe. Frühere Strafanzeigen, die bei der Bundesanwaltschaft eingingen, wurden mit verschiedenen Begründungen zurückgewiesen. So wurde der Strafanzeige gegen die Verantwortlichen der Foltervorwürfe des Gefängnisses Abu Grahib im Irak nicht nachgegangen und auch die Beilegung des Strafverfahrens gegen die Verantwortlichen des Luftschlags von Kundus mangels hinreichenden Tatverdachts hatte einen negativen Beigeschmack.

Der Internationale Strafgerichtshof
Jedoch hat das internationale Rechtssystem mit dem Internationalen Strafgerichtshof und der Implementierung des Völkerstrafrechts in das nationale Gerichtswesen eine wichtige Waffe im Kampf gegen die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erhalten. Neben politischen und militärischen Mitteln steht somit noch der juristische Weg offen, um gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorzugehen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass den Möglichkeiten des IStGH schon dadurch deutliche Grenzen gesetzt sind, dass er völlig auf exekutive Möglichkeiten verzichten muss. Das bedeutet, dass es bei der Strafverfolgung immer auf Hilfe von Staaten angewiesen ist und vor allem bei der Untersuchung der Fälle oder der Zeugenbefragung bzw. beim Zeugenschutz auf diese Hilfe zurückgreifen muss. Dies kann dazu führen, dass es erst gar nicht zu einem Prozess kommt. Gleichzeitig ist die Erhebung einer Anklage immer auch ein großes Politikum. Leider ist festzustellen, dass die Entscheidung, wann und ob das Völkerstrafgesetzt angewandt wird, häufig auf Grundlage von politischen Interessen getroffen wird.

Dies äußert sich in ganz offensichtlicher Form auch im deutschen System. Der Generalbundesanwalt untersteht einer politischen Kontrolle und wird nur dann tätig, wenn dies auch im politischen Interesse liegt. Im Falle der Anklage des FDLR-Präsidenten Ignace Murwanashyaka und dessen Vize Straton Musoni konnte, auch durch Druck der Medien, eine Anklage vor dem OLG in Stuttgart erwirkt werden. Dieser Prozess hat in vielerlei Hinsicht eine Signalwirkung. Das Verfahren unter dem VStGB setzt ein international wahrgenommenes Zeichen gegen die Straflosigkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die Immunität und Rückzugsmöglichkeiten für Kriegsverbrecher werden somit weltweit reduziert. Auch in Ruanda und im Kongo wurde die Verhaftung und die Anklage von I. Murwanashyaka und S. Musoni deutlich wahrgenommen. So führte die Festnahme auch innerhalb der FDLR zu einem Anstieg der Kombattanten, die die FLDR verlassen wollen. Sollte es natürlich wie im Falle von Callixte Mbarushimana, der 2011 aus der Haft in Den Haag entlassen wurde, da die Vorverfahrenskammer die Beweislage als unzureichend eingestuft hatte, zu einem Freispruch kommen, wäre dies ein Schlag gegen diese Bemühungen. Das Weltrechtsprinzip des VStGB, dass die Möglichkeit eröffnet, Verbrechen gegen die Menschlichkeit ohne Rücksicht auf die Nationalität der Täter oder Opfer in Deutschland strafrechtlich zu verfolgen, bietet eine juristische Möglichkeit im Kampf gegen Straflosigkeit. Die Bearbeitung von Strafanzeigen muss sich jedoch in Zukunft weniger an politischen als an menschenrechtlichen Interessen orientieren.

Anmerkung
1 Alle Paragraphen beziehen sich auf die Fassung des VStBG unter folgendem Link: http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Voelkerstrafgesetzbuch_Ju... (Letzter Zugriff: 17.06.2012)

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Andreas Dieterich, M.A (Politikwissenschaft, Kulturgeographie, Europäische Ethnologie) ist Mitglied im Vorstand des „Bund für Soziale Verteidigung“ und arbeitet zurzeit bei „Brot für die Welt“ in Stuttgart, wo er den Prozess vor Ort mitverfolgen konnte.