Friedensprozesse

Der Südsudan und der Übergang von Gewalt zu Frieden

von Moses John
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Im September 2018 wurde das “Revitalized Agreement on Resolution of Conflict in the Republic of South Sudan (RARCSS)” in Addis Abeba, Äthiopien, unterzeichnet. Dieses Übereinkommen ließ ein wenig Hoffnung aufkeimen unter den SüdsudanesInnen, dass der Deal die Waffen endlich zum Schweigen bringen und den Frieden im Land wiederherstellen würde. Das Abkommen sah unter anderem vor: Eine permanente Waffenruhe und Wiedervereinigung der beiden sich bekämpfenden Armeen innerhalb von acht Monaten, die Bildung einer erneuerten Übergangsregierung der nationalen Einheit bis zum 12. Mai 2019 sowie die Durchführung von Parlamentswahlen bis zum 12. Februar 2021. Die von der Intergovernmental Authority for Development (IGAD) vermittelte Friedensvereinbarung wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen, da sie die Grundursachen des Konflikts nicht angegangen ist, sich auf die Machtverteilung zwischen den Konfliktparteien konzentriert hat und einige Fraktionen es abgelehnt hatten, den Deal zu unterzeichnen.

Obwohl Fortschritte bei der Umsetzung des Friedensabkommens zu verzeichnen sind, gibt es auch Herausforderungen und Verstöße gegen das Abkommen. Bislang hat der Deal nur einen sehr begrenzten oder gar keinen Einfluss auf das Leben der einfachen BürgerInnen – die ökonomische Lage verschlechtert sich, die Grundversorgung befindet sich auf dem Weg zum totalen Zusammenbruch und die achtmonatige Übergangsphase endete ohne nennenswerte Fortschritte. Nichtsdestotrotz bieten das Friedensabkommen sowie das Engagement ziviler und religiöser Gruppen die Möglichkeit, Gewalt zu stoppen und den Frieden im Land wiederherzustellen.

Die Krise und ihre Folgen
Nach mehr als 50 Jahren bewaffneten und gewaltfreien Widerstands erlangte der Südsudan am 9. Juli 2011 seine Unabhängigkeit vom Sudan. Die Unabhängigkeit des Landes wurde weltweit anerkannt und gefeiert. Zwei Jahre später fiel der Staat in eine Reihe gewaltsamer Konflikte zurück, die eine der schlimmsten humanitären Krisen der modernen Geschichte auslösten. Die Bevölkerung des Südsudans erlebt seit mehr als 60 Jahren einen Konflikt und seine Folgen. Als südliche Region des ehemaligen Sudans erlitt sie von 1955 bis 1972 und 1983 bis 2005 zwei brutale Bürgerkriege gegen den Norden. Der letztgenannte Bürgerkrieg endete mit dem Comprehensive Peace Agreement (CPA), das den Weg ebnete für ein Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2011.

Im Dezember 2013 eskalierte ein scheinbarer Führungsstreit innerhalb des regierenden Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) zum Bürgerkrieg. Ethnisch begründete politische Rivalitäten, Banditentum, Korruption und Straffreiheit prägten den Konflikt. Trotz des „Agreement on the Resolution of Conflict in South Sudan“ (ARCSS), das im August 2015 unterzeichnet wurde, setzte sich der Bürgerkrieg bis ins Jahr 2016 fort. Bis zum November 2017 blieben ungefähr 75 Prozent der Übergangsindikatoren des Friedensabkommens unerfüllt (1). Stattdessen nahmen Unsicherheit und zügellose Gewalt landesweit zu. Im Dezember 2017 riefen die IGAD und die African Union (AU) das High-Level Revitalization Forum (HLRF) zur Wiederbelebung des zusammenbrechenden Friedensdeals ins Leben.
Während des Bürgerkriegs wurden ZivilistInnen nach ethnischen Gesichtspunkten ins Visier genommen, Dörfer und Lebensmittelgeschäfte niedergebrannt, Vieh geraubt und Massenvergewaltigungen von Männern in Uniform begangen. Zwischen Dezember 2013 und April 2018 gab es fast 400.000 kriegsbedingte Todesfälle (1). Über 2,2 Mio. SudanesInnen flohen auf der Suche nach Zuflucht und Asyl in Nachbarstaaten (3). Weitere 2,3 Mio. sind Binnenvertriebene, darunter fast 300.000 Menschen, die an den Standorten von UNMISS-Schutzzonen Schutz suchen. Berichten von Hilfsorganisationen zufolge sind mehr als 5,5 Mio. Menschen (ca. 45 Prozent der Bevölkerung) von extremem Hunger betroffen (4). Im Jahr 2017 verzeichnete der Südsudan den höchsten Punktestand auf dem Index der fragilen Staaten (5).

Trotz der Tatsache, dass Öl 95 Prozent der Exporte und 90 Prozent der Staatseinnahmen ausmacht (6), werden diese Einnahmen nicht zur Bekämpfung von Hunger und für Entwicklungsprioritäten eingesetzt. Die Erfahrung zeigt, dass die Einnahmen stattdessen in Militärausgaben fließen (7). Millionen US-Dollar gingen außerdem aufgrund von Korruption, Misswirtschaft und Betrug verloren. Korruption, der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und der fehlende Zugang zur Grundversorgung führten in der Folge zu mehr menschlichem Leid, Verzweiflung, Hass und Wut bei der Jugend und bei der Bevölkerung insgesamt.

Reaktion von Studierenden, zivilen und religiösen Gruppen
Inmitten der anhaltenden Gewalt, einer humanitären Katastrophe und begrenzten bürgerlichen Raums gibt es gewaltfreie Kampagnen zum Widerstand gegen Gewalt, zur Inanspruchnahme des bürgerlichen Raums und um Frieden zu schaffen. Teilnehmende meiner Aktionsforschung marschierten beispielsweise zum nationalen Parlament und protestierten gegen Kinder- und Zwangsheirat, Vergewaltigung und durch Ölfirmen in Staaten des Oberen Nils verursachte Umweltverschmutzung. Andere Teilnehmende erzählten davon, wie sie eheliche und häusliche Gewalt in harmonische Beziehungen umwandelten. Aktionsforschung ist einer der wenigen Forschungsansätze, der die Prinzipien der Partizipation, Reflexion, Empowerment und Emanzipation von Menschen und Gruppen verbindet, die an der Verbesserung ihrer sozialen Situation interessiert sind (8). Wie Kaye und Harris argumentierten: Forschung muss mehr als nur ein Buch produzieren. Die Aktionsforschung befähigt TeilnehmerInnen dazu, Schritte zur Veränderung und Verbesserung ihrer Probleme zu unternehmen (9).

Darüber hinaus haben zivile und religiöse Gruppen im Südsudan ihren Mut und ihre Widerstandsfähigkeit bewiesen, um Gewalt zu bekämpfen, Korruption zu beenden verantwortungsvolle Regierungsführung zu fördern. Zum Beispiel hat die künstlerische Gruppe #AnaTaban Juba (arabisch für „Ich bin müde“) Straßentheater aufgeführt, Konzerte, Comedy- und Gedichtaktionen veranstaltet, um die Stimmen der BürgerInnen gegen den Krieg, gegen Hassreden und für Frieden zu bekräftigen. Die Organization for Nonviolence and Development (ONAD) ihrerseits vermittelt zivilen und religiösen Gruppen Fähigkeiten in gewaltfreiem Handeln und in der Friedensbildung. Die Trainierten lernten nicht nur gemeinsam, sondern waren auch in der Lage, gewaltfreie Aktionen wie Protestieren und Überzeugen, Nichtzusammenarbeit und Interventionen durchzuführen. Jugendliche und Studierende, die friedlich Plakate mitbringen, die Botschaften tragen wie „Stoppt Korruption“, „Bringt das gestohlene Geld zurück“, „Rettet meine Zukunft“, „Verbessert die Bildungsqualität“ oder „Erhöht das Gehalt der LehrerInnen“. Die South Sudan Women Coalition for Peace and Development setzte sich mit technischer Unterstützung der Eve Organization for Women Development erfolgreich für eine Ausweitung der Maßnahmen zur Frauenförderung von 25 auf 35 Prozent im RARCSS 2018 ein. Crown the Woman – South Sudan kämpft gegen Kinder- und Zwangsheirat sowie andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt und ermutigt Frauen, geschlechtsspezifischer Gewalt und Marginalisierung von Frauen durch politische Interessenvertretung und Führungskräftetraining entgegenzuwirken. Das South Sudan Council of Churches – National Women’s Program veranstaltet immer noch regelmäßig Friedensmärsche im ganzen Land.

Der New Tribe, ein Zusammenschluss aus mehr als 50 zivilen und religiösen Organisationen, die alle 64 ethnischen und religiösen Gruppen im Südsudan repräsentieren, hat einen Präsidentenberater für rechtliche Angelegenheiten gebeten, ein ordnungsgemäßes Verfahren für politische Gefangene zu verlangen. Außerdem hat der Zusammenschluss mit traditionellen FührerInnen gesprochen, um die lokale Gewalt zu reduzieren, und öffentliche Mahnwachen abgehalten (10).

Zivile und religiöse Gruppen üben weiterhin Druck auf die Regierung aus, damit diese ihren Gesellschaftsvertrag erfüllt und die vollständige Umsetzung des Friedensabkommens beschleunigt. Nichtstaatliche Akteure sehen sich jedoch mit den Einflüssen von staatlichen Sicherheitskräften konfrontiert, darunter Einschüchterung, Entführung, rechtswidrige Verhaftungen, Inhaftierung und manchmal auch Ermordung. Die achtmonatige Übergangsphase endete ohne nennenswerte Fortschritte beim Rückzug der Truppen, wobei die umstrittene Frage von 32 Staaten und ihren politischen Grenzen nicht angegangen wurde. Die internationale Gemeinschaft und die Geldgeber zögern, die Umsetzung des Friedens zu finanzieren. Dies führte unter anderem zu einer Verlängerung der Übergangszeit um sechs Monate bis zum 12. November 2019.

Empfehlungen an die internationale Gemeinschaft
Die Aussichten auf einen gerechten und dauerhaften Frieden im Südsudan werden zweifellos gemeinsame Anstrengungen erfordern. Während die zivilen und religiösen Gruppen des Landes mobilisieren und gewaltfreie Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass das Friedensabkommen vollständig umgesetzt wird und die staatlichen Institutionen reformiert werden, besteht immer noch Bedarf an einer Stärkung und finanziellen Unterstützung der Bemühungen der Zivilgesellschaft zur Organisation strategischer Koalitionen, Kampagnen und Graswurzel-Friedensbewegungen zur Förderung eines gerechten und integrativen Friedens im Land.

Die Regierung sollte mehr Mittel aus den Öleinnahmen bereitstellen, um das Friedensabkommen umzusetzen, grundlegende soziale Dienstleistungen zu erbringen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Gehälter der öffentlichen Angestellten regelmäßig zu zahlen.

Die internationale Gemeinschaft sollte ihre Position überdenken und die vollständige Umsetzung von RARCSS finanzieren, einschließlich der Reform des Sicherheitssektors, des Rückzugs der Truppen, der Einrichtung von Mechanismen für Übergangsjustiz und Rechenschaftspflicht, der politischen Bildung und Parlamentswahlen.  

Anmerkungen
1 Peace Implementation Monitoring Initiative. 2017. Peace Implementation Monitoring Report. http://www.onadev.org/sites/default/files/attachments/Report_Status_ARCS... ([10.10.2018].
2 Francesco Checchi et al. 2018. Estimates of Crisis-Attributable Mortality in South Sudan, December 2013–April 2018, London School of Hygiene & Tropical Medicine. https://crises.lshtm.ac.uk/wp-content/uploads/sites/10/2018/09/LSHTM_mor.... [20.11.2018].
3 The United Nations Higher Commission for Refugees. 2017. South Sudan Situation. http://data.unhcr.org/SouthSudan/regional.php [11.11.2018].
4 Food and Agriculture Organization. 2017. South Sudan conflict, hunger: Facts, FAQs, and how to help. https://www.worldvision.org/disaster-response-news-stories/south-sudan-c... [20.11.2018]}.
5 Fund for Peace. 2017. Fragile States Index Available at:  http://fundforpeace.org/fsi/ [2.12.2018].
6 International Monitoring Fund. 2017. South Sudan, IMF, Country Report No. 17/73.
7 Jazeera. 2017. South Sudan keeps buying weapons amid famine: UN,” Al Jazeera. http://www.aljazeera.com/news/2017/03/south-sudan-buying-weapons-famine-... [1.12.2017]
8 Berg, B. 2004. Qualitative research methods for the social sciences. Pearson Education Inc. Boston, S. 195
9 Kaye S, Harris G. 2017. Building peace via action research, S. 11
10 John M., Wilmot P., Zaremba N. 2018. Resisting violence. Growing the culture of nonviolent action in South Sudan. USIP special report 435.

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