Der Umgang mit kurdischen Flüchtlingen in der Bundesrepublik

von Thomas Schmidt

Dieser Beitrag von Thomas Schmidt (amnesty international) wurde auf dem Netzwerk Hearing zur Menschenrechtssituation in Kurdistan gehalten.

Schätzungen gehen dahin, daß in der Bundesrepublik etwa fünfhunderttausend Kurdlnnen aus der Türkei leben, häufig mit ihren Familien. Was die Zahl der Flüchtlinge aus der Türkei, die bei uns Asyl beantragen, angeht, so wird in der Statistik nicht unterschieden zwischen kurdischen und nichtkurdischen türkischen Staatsangehörigen. Hier kann ich daher nur die Zahlen der türkischen Staatsangehörigen nennen, die Asylanträge gestellt haben, und die betrug 1993 bis einschließlich November bisher ca. 17.700. Dies ist damit die fünftgrößte Flüchtlingsgruppe in der Bundesrepublik Deutschland nach Rumänien, Restjugoslawien,  Bulgarien und Bosnien-Herzegowina. Im letzten Jahr war die Größenordnung und Rangfolge ähnlich. Ich denke, man liegt mit Schätzungen nicht falsch, wenn man davon ausgeht, daß mindestens die Hälfte dieser ca. 17.700 Flüchtlinge aus dem kurdischen Teil der Türkei kommen, möglicherweise auch zwei Drittel oder mehr.

Ich will hier nicht in aller Ausführlichkeit über das nach den letzten Asylrechtsänderungen völlig verstümmelte Asylverfahren reden. Ich setze als weitgehend bekannt voraus, daß das Verfahren, zu seinem Asylrecht zu kommen, in der Bundesrepublik (aber nicht nur hier) ungeheuer erschwert worden ist, -angefangen von der Zurückweisungsmöglichkeit in Drittländer, der Zurückweisungsmöglichkeit an den Flughäfen, den drastisch verkürzten Rechtsmittelfristen, der häufig praktischen Unmöglichkeit, einen Anwalt zu kontaktieren oder eine Beratungsstelle  zu Rate zu ziehen, den zulasten der Flüchtlinge verschärften Zustellungsvorschriften usw. usw.

Wenn wir unser Augenmerk auf die Asylsuchenden aus der Türkei richten, müssen wir feststellen, daß in diesem Jahr bisher bis einschließlich Oktober bereits über 17.000 Asylanträge von Flüchtlingen aus der Türkei entschieden worden sind. Die Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge werden jetzt sehr viel schneller getroffen als früher. Teilweise wird jetzt innerhalb von wenigen Tagen und häufig ohne eine sachgerechte ausführliche Anhörung der Gründe entschieden. 17.165 Asylanträge sind bisher in diesem Jahr entschieden worden und davon sind immerhin 2.300 Anträge anerkannt worden, was eine Anerkennungsquote von 13,4 Prozent  bedeutet, während die Anerkennungsquote insgesamt zurzeit bei nur 2,9 Prozent liegt. Das ist also eine relativ hohe Zahl von Anerkennungen, wenn man mit anderen Herkunftsländern vergleicht. Es bedeutet aber auch auf der anderen Seite, daß 70,6 Prozent der Anträge abgelehnt worden sind, und das trotz der Situation in der Türkei, wie sie uns eben von den Vorrednerinnen und Vorrednern ausführlich geschildert worden ist (Die verbleibenden 16 Prozent werden vom Bundesamt unter "anderweitig erledigt" geführt, das sind dann häufig Personen, die in andere Länder weiterreisen oder vorher aus dem Asylverfahren ausscheiden, weil sie auf andere Weise eine Aufenthaltserlaubnis zum Beispiel durch Heiraten etc. bekommen haben). Diese 13,4 Prozent Anerkennungen sind, wenn man den Vergleich mit den zehn Herkunftsländern mit den meisten Flüchtlingen in der Bundesrepublik zieht, die relativ höchste Zahl.                          

Es ist glücklicherweise auch, was dir Entscheidungspraxis angeht, nicht mehr so, wie es in den achtziger Jahren war, daß zum Beispiel die Tatsache, daß Folter in der Türkei droht, -und daß sie droht, ist ja mittlerweile auch durch Europaratsgremien, UNO-Gremien usw. eindeutig belegt, also es kann da nicht mehr von tendenziöser Stimmungsmache oder Einzelfällen geredet werden,- bis hin zu Oberverwaltungsgerichten in der Bundesrepublik systematisch nicht zur Anerkennung als Asylberechtigte geführt hat, weil gesagt wurde, die Folter ist eine "kriminaltechnische Besonderheit" der Türkei. Um Terrorismus zu bekämpfen, müsse man manchmal härtere Methoden anwenden, bei uns wäre dies zwar verboten, in der Türkei gestehen wir das aber dem Staat durchaus zu. Das ist in dieser Systematik, die sich durch die Rechtsprechung gezogen hat, jetzt zum Glück nicht mehr der Fall.

Andererseits gilt weiterhin, daß die staatliche. Verfolgung beispielsweise von PKK-Unterstützern oder Sympathisanten, auch wenn diese bisher nicht gewaltsam aktiv geworden sind, sondern PKK zum Beispiel durch Nahrungsmittel, durch Kleidung oder Unterkunft unterstützt haben oder Flugblätter verteilt haben, nicht als politische Verfolgung gewertet wird. Vielmehr werden von deutschen Verwaltungsgerichten solche Aktivitäten selbst als kriminell im Sinne einer Handlung "im Vorfeld der terroristischen Betätigung" und einer Unterstützungshandlung des Terrorismus gewertet und entsprechend dann als Asylgrund nicht anerkannt.

Ich will aus einigen Entscheidungen zitieren, um das noch ein bißchen plastischer zu machen: Eine Entscheidung des Bundesamtes: ein in Bremen Iebender Kurde hatte unter anderem deshalb Asyl beantragt, weil türkische Sicherheitskräfte in seinem Heimatort zahlreiche Kurden getötet hatten. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf sah darin jedoch keinen Asylgrund: "Der behauptete Tod der 20 Menschen in Solhan könne sich für den Kurden nicht asylrechtlich relevant auswirken, weil nur gegen ihn selbst gerichtete Verfolgungsmaßnahmen bedeutsam sein können." Das heißt also er muß erst tot sein, um hier Asyl zu bekommen. - Ebenfalls kein Asylgrund ist für das Bundesamt das Vorbringen des Kurden, er sei wegen der Verteilung von Flugblättern für die kurdische Arbeiterpartei PKK inhaftiert worden. Nach Ansicht der Behörde ist es "nicht auszuschließen, daß es sich bei seinen Handlungen um Unterstützungsmaßnahmen im Umfeld terroristischer Aktivitäten gehandelt hat“. Damit wäre seine Inhaftierung keine politische Verfolgung, sondern eine "auf Abwehr des Terrorismus gerichtete Maßnahme des Staates und damit kein Asylgrund". So das deutsche Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.

In einer anderen Entscheidung war ein kurdischer Flüchtling im September 1993, also vor zweieinhalb Monaten, über den Frankfurter Flughafen eingereist ist und hatte keine gültigen Reisepapiere dabei, (es ist ja für tatsächlich Verfolgte auch recht schwer, einen gültigen Paß zu bekommen). Er hat dort Asyl beantragt und trug vor, er habe Schwierigkeiten wegen seiner Mitgliedschaft in der HEP gehabt; anläßlich der Newroz-Feste 1992 und1993 sei er verhaftet worden. Das Bundesamt lehnte den Asylantrag als "offensichtlich unbegründet" ab. Der Bundesgrenzschutz verweigerte ihm daraufhin die Einreise. Er hat dann allerdings noch Klage erheben können, weil er das Glück hatte, einen Rechtsanwalt zu finden, der zum Flughafen gekommen ist, und in einem sehr verkürzten Verfahren (innerhalb von nur drei Tagen muß dann Klage eingereicht werden an das Verwaltungsgericht Frankfurt), ist ihm nachträglich die Einreise erlaubt worden, und er ist jetzt im Asylverfahren. Aber das Bundesamt hat erst einmal entschieden: "offensichtlich unbegründet", und in der Begründung unter anderem ausgeführt, die HEP sei eine legale und offiziell zugelassene Partei -und dies noch im September 1993 als die HEP schon über drei Monate verboten war. Aber das hatte sich bis zum Bundesamt leider noch nicht herumgesprochen.

Ich möchte nicht wissen, in wie vielen solcher Fälle nicht noch rechtzeitig ein Rechtsanwalt einschreitet und man von der Zurückweisung der Flüchtlinge niemals etwas erfährt. Eine weitere Entscheidung des Bundesamtes, auch von Ende August dieses Jahres: ein Asylantragsteller kurdischer Volkszugehörigkeit beantragte im Juni 1993 Asyl. Er war mehrmals verhaftet worden, denn er hatte sich geweigert, Dorfschützer zu werden. Andere Dorfschützer hatten ihn angezeigt und behauptet, er sei politisch oppositionell aktiv gewesen; er hat sich dann versteckt und wollte auch keinen Militärdienst leisten. Der  Asylantrag wurde abgelehnt und es wurde auch entschieden, die Eigenschaften als Flüchtling lägen nicht vor. Er habe zwar politische Verfolgung erlitten, er sei gefoltert worden, dies drohe ihm auch möglicherweise wieder, aber, -und das ist eine sehr weit verbreitete Entscheidungsform des Bundesamtes und auch der Gerichte, - es gäbe ja eine inländische Fluchtalternative in der Türkei, er hätte ja im Westen der Türkei Zuflucht suchen können, dort gebe es nämlich einige hunderttausend Kurden, die dort unbehelligt lebten. Es ist in diesem Fall dann immerhin entschieden worden, weil der Betroffene nachweislich bereits gefoltert worden war und diese Gefahr auch wieder droht, dürfe er nach §53 Ausländergesetz nicht in die Türkei abgeschoben werden, wohl aber in einen anderen Staat, durch den er möglicherweise gekommen ist. Er bekommt also kein Asyl- und  Aufenthaltsrecht und wird nicht als Flüchtling anerkannt, weil es angeblich eine inländische Fluchtalternative in der Türkei gibt. Daß diese inländische Fluchtalternative tatsächlich nicht mehr existiert, hat sich beim Bundesamt und bei den Gerichten leider noch nicht herumgesprochen. Amnesty international hat dazu ausführlich Stellung genommen und in dieser Stellungnahme die Verfolgung von Kurden im Westen der Türkei nicht nur durch die türkische Bevölkerung (dies allerdings auch in starkem Maße), sondern eben auch durch staatliche Stellen geschildert und eindeutig belegt, daß es eine inländische Fluchtalternative für Kurden in der Türkei nicht mehr gibt, auch wenn natürlich unbestritten im Westen der Türkei viele Kurden leben. Aber sie werden dort eben auch verfolgt, nicht nur von der türkischen Bevölkerung, sondern auch vom Staat. Es  gibt beispielsweise immer wieder Razzien, bei denen ganz gezielt nach Kurden gefahndet worden ist, und nach Verhaftungen kommt es zu systematischer Folter insbesondere auch an Kurden.

Amnesty International hat immer wieder versucht, zuletzt bei der Innenministerkonferenz vor Ende November 1993, einen Abschiebestopp für Kurden in die Türkei einzufordern. Aber solch ein Abschiebestopp ist leider auch bei dieser Innenministerkonferenz wieder nicht beschlossen worden, obwohl die Berichte zur Menschenrechtssituation in der Türkei eindeutig nahelegen, daß, wenn man unser Ausländerrecht, das die Abschiebung bei drohender Folter oder Todesstrafe verbietet, ernst nehmen würde, solch ein Abschiebestopp eigentlich zwingend wäre. Die Innenminister der Länder, seien sie von der CDU oder von der SPD, haben sich leider wieder nicht dazu durchringen können.

Ich denke,  daß es aber nach wie vor wichtig ist, diese Forderung auf jeden Fall aufrechtzuerhalten. Denn die Situation ist eindeutig so, daß es keine Abschiebung geben dürfte. Es gibt dazu auch eine Postkartenaktion, die hinten ausliegt, und die unterschrieben und abgeschickt werden sollte. Ich will hier nicht ausführlich auf das PKK-Verbot und das Verbot der 35 kurdischen Vereine durch den Bundesinnenminister eingehen, allerdings ist in diesem Zusammenhang ja auch von möglichen Abschiebungen die Rede, und ich denke, spätestens da müssen die Alarmglocken angehen. Denn  wenn Unterstützer der PKK in die Türkei abgeschoben werden, ist das auch nach deutschem Recht eindeutig rechtswidrig und auch völkerrechtswidrig, denn in diesen Fällen muß man nun wirklich zu 100 Prozent davon ausgehen, daß zumindestens Folter in der Türkei droht, und Abschiebung bei drohender Folter ist sowohl nach dem deutschen Ausländergesetz als auch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, die hier geltendes Recht ist, verboten.

Ein letztes Wort noch zur Frage der Rüstungsexporte, weil ai sich in diesem Zusammenhang ja auch engagiert: Wir haben eine Postkartenaktion an den Bundeswirtschaftsminister gestartet, mit der wir eine  Menschenrechtsklausel gegen Rüstungsexporte fordern, mit der wir uns nicht nur auf die Türkei, sondern auch auf eine Reihe anderer Länder beziehen, in die deutsche Waffen exportiert werden und dort zu Menschenrechtsverletzungen benutzt werden. Die Türkei erhält dabei einen der größten Anteile deutscher Waffen. Wir würden uns freuen und rufen dazu auf, daß auch diese Postkarten unterschrieben werden und  an uns zurückgeschickt werden. Wir wollen sie im Frühjahr dem Bundeswirtschaftsminister öffentlichkeitswirksam übergeben. Vielen Dank.

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