Die Friedensbewegung der letzten fünfundzwanzig Jahre

Der Verfassungsschützer

von Udo Behrendes

Es war Anfang 1989 auf der Rigal´schen Wiese in Bad Godesberg. Die rechtsgerichtete DVU hatte eine Kundgebung angemeldet – Mani Stenner koordinierte gemeinsam mit Kristian Golla die an der Absperrung eingetroffenen GegendemonstrantInnen. Ich war der polizeiliche Einsatzleiter. Zur Begrüßung reichte ich ihm die Hand – doch seine Hand blieb unten und widmete sich lieber dem sorgfältigen Drehen einer Zigarette. Er legte dabei seinen Kopf etwas schief, sah mich ernst, klar, offen und durchdringend an und erläuterte mir seine Erwartungen an die Polizei. Anschließend hörte er aber auch aufmerksam und kritisch nachfragend zu, als ich ihm die rechtlichen Optionen der Polizei beim Umgang mit der angemeldeten DVU-Demonstration und seiner nicht-angemeldeten Gegendemo erläuterte.

Nach dieser ersten Begegnung trafen wir uns in den nächsten Monaten und Jahren immer wieder in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn – auf der Hofgartenwiese, dem Markt, Münster- oder Friedensplatz, vor Ministerien und Botschaften sowie an – manchmal aber auch in - der Bannmeile des Bundestags.

Wir machten wechselseitig gute Erfahrungen miteinander. Alle häufig in anstrengenden Diskussionen ausgehandelten Vereinbarungen wurden von beiden Seiten immer verlässlich umgesetzt – keiner versprach dem Anderen etwas, was er nicht halten konnte. Auf der Basis von Empathie, Respekt und Diskussion auf Augenhöhe entstand dabei Schritt für Schritt das Wichtigste: gegenseitiges Vertrauen. Unser einfacher gemeinsamer Nenner, der dann 25 Jahre Gültigkeit hatte, war: Wir wollen, dass bei Demonstrationen keine Menschen zu Schaden kommen – weder Menschen mit Transparenten, noch Menschen in Uniformen.

Mani Stenners guter Kontakt zur Polizei bestand nicht nur zu mir und anderen Handelnden vor Ort, sondern namentlich auch zum damaligen Bonner Polizeipräsidenten Michael Kniesel, der mit seinem liberalen Demonstrationsverständnis ein wesentlicher Garant für ein weitgehend entspanntes Verhältnis in der damaligen Bundeshauptstadt war.

Mani Stenner wusste, dass es sehr darauf ankam, in welchem Grundklima sich DemonstrantInnen und PolizistInnen begegneten, ob man sich skeptisch und misstrauisch eher als Gegner sah, jeweils von Provokationen und Aggressionen der anderen Seite ausging, oder ob man sich in den unterschiedlichen Rollen akzeptierte. Dazu war Dialog wichtig, Dialog, der nicht erst ansetzte, wenn man sich auf der Straße traf, „diesseits und jenseits der Barrikade“ wie Mani Stenner es ausdrückte. Er wusste, dass der Dialog im Vorfeld, dass tragfähige Absprachen und die anschließende Vermittlung der erzielten Vereinbarungen in die jeweiligen Demonstrations- und Polizeistrukturen die Basis für ein gutes Demonstrationsklima waren. Ihm war bewusst, dass häufig kleine Zwischenfälle und auch wechselseitige Missverständnisse und Fehleinschätzungen zu fatalen Eskalationsspiralen führen können – und dass dann wiederum nur in einer zuvor etablierten, stabilen Dialogstruktur vor Ort Chancen zur schnellen Deeskalation in der Dynamik eines Geschehens liegen.

Mani Stenner war in allen Diskussionen und Verhandlungen gut vorbereitet, beharrlich bis penetrant. Er war häufig sehr anstrengend – inzwischen weiß ich, dass dies nicht nur für Diskussionen mit PolizistInnen galt. Er war ein harter Brocken im Verhandlungsprozess - und er war dann die tragende Säule des häufig mühsam errichteten Kommunikations- und Kooperationsgebäudes.

Häufig ging es in unseren Besprechungen im Vorfeld einer Demonstration um das Auftreten der Polizei. Präsentiert sie sich mit großem Aufgebot und Schutzkleidung, mit Vorkontrollen und enger Begleitung, oder ist sie bei der Demonstration lediglich verkehrsregelnd, gelassen, ansprechbar und freundlich-unterstützend am Rande des Geschehens präsent? Welche Linie kann man als Einsatzleiter verantworten, wie kann man die Sicherheit von Protestadressaten, Unbeteiligten und nicht zuletzt die der eigenen Kolleginnen und Kollegen garantieren, aber andererseits auch nicht durch nur auf Eigensicherung fokussiertes, gegenüber den DemonstrantInnen martialisch wirkendes Auftreten „Öl ins Feuer gießen“. Ich habe Mani Stenner bei den vielen Begegnungen als jemanden erlebt, der nicht nur Forderungen zur friedlichen und gewaltfreien Konfliktlösung gegenüber anderen formulierte, sondern als jemanden, für den das auch selbst Maxime war. Durch diese Einheit von Wort und Tat hat er die Dialog- und Demonstrationskultur unseres Landes weiterentwickelt.

Das Bonner Forum BürgerInnen und Polizei e. V.
Zunächst war für Mani Stenner die Kontaktpflege zur Bonner Polizei rein funktional kalkuliert. Sie war für ihn ein professionelles Mittel zum Zweck, nämlich möglichst gute Rahmenbedingungen für die vielen großen und die noch viel häufigeren kleinen, kreativen Demonstrationen in der damaligen Bundeshauptstadt zu erreichen.

Allmählich vertiefte sich dann aber bei ihm auch ein darüber hinausgehendes Interesse an der Polizei, die ja wie keine andere Institution das Gewaltmonopol des Staates auf der Straße und im Alltag sichtbar und erfahrbar macht. Er nahm gemeinsam mit einigen anderen RepräsentantInnen der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung unser Angebot an, im Polizeidienst zu hospitieren und begleitete Streife bei nächtlichen Einsätzen in der Bonner Innenstadt.

Nach den Bürger-Hospitationen und einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung darüber folgten im kleinen Kreis Sondierungsrunden mit der Fragestellung, wie man den Dialog zwischen Menschen aus den „Bewegungen“ und daran interessierten Polizistinnen und Polizisten verstetigen und in eine festere Struktur überführen könne. Für diesen Annäherungsprozess gab es weder Auftrag noch Rückendeckung der Polizeiorganisation (Michael Kniesel war inzwischen als Staatsrat nach Bremen abgewandert und sein Nachfolger konnte wenig mit diesem Dialogansatz anfangen). Aber auch Mani Stenner stand in seinem Umfeld unter erheblichem Erklärungsdruck.

Dennoch kam es dann vor nunmehr fast 20 Jahren zur Gründung des Bonner Forums BürgerInnen und Polizei e. V. – eines „eingetragenen Vereins zum Streiten“ wie Mani Stenner das Dialogexperiment immer bezeichnete. Er wurde Sprecher der „Bürgerseite“, ich sein Pendant auf der „Polizeiseite“.

In einer akribisch ausgehandelten Satzung wurden Regeln zum fairen Umgang miteinander und für die Abstimmungsprozesse zur Abgabe gemeinsamer öffentlicher Stellungnahmen aufgestellt.

Das Verhältnis von Polizei und Kurden nach dem PKK-Verbot, die Rolle der Polizei bei den ersten Castor-Transporten, der Umgang mit rechtsextremen Veranstaltungen und Überlegungen zur Einrichtung von Polizeibeauftragten waren einige Themen der damaligen öffentlichen Veranstaltungen und der gemeinsamen Thesenpapiere des Bonner Forums.

Nachdem in den ersten sehr aktiven Jahren des Bonner Forums die wesentlichen lokalen und generellen „Polizeithemen“ intensiv bearbeitet worden waren, Bonn den Status als Bundeshauptstadt und damit auch als exponierten Demonstrationsort verlor und die meisten Polizisten des Bonner Forums nach Köln und anderswo abgewandert waren, fanden zwar keine regelmäßigen Treffen mehr statt – dennoch verfolgte Mani Stenner die Grundidee der Vereinssatzung, konstruktive Dialogprozesse zwischen Menschen der „Bewegungen“ und der Polizei zu initiieren und weiterzuentwickeln, konsequent weiter. Er fungierte als Referent und Diskussionspartner bei polizeilichen Fortbildungsveranstaltungen und initiierte Einladungen für mich zu Veranstaltungen von Bürgerrechtsgruppen. Wir saßen oft gemeinsam auf Podien und verfassten gemeinsame Buchbeiträge. (1)

Für Demos in Bonn fand Mani Stenner immer konstruktive Ansprechpartner im Polizeipräsidium. Im Vorfeld bundesweiter Demonstrationen, bei denen er zum Veranstalter- oder Beraterkreis gehörte, knüpfte er regelmäßig über mich Gesprächskontakte zu den verantwortlichen Einsatzleitern vor Ort. Ob aus Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Wiesbaden, Mainz oder Rostock – von allen Einsatzleitern, zu denen ich Kontakte hergestellt hatte, erhielt ich nur positive, teils erstaunte Rückmeldungen zu der von ihm praktizierten Dialog- und Demonstrationskultur. Exemplarisch für die nachhaltigen Eindrücke, die Mani Stenner auch außerhalb Bonns hinterlassen hat, zwei auszugsweise Zitate von seinen polizeilichen Ansprechpartnern, als sie von seinem Tod erfahren hatten:

Ich kenne nur wenige, die so gradlinig, konsequent und überzeugend für ihre freiheitsliebende, die Menschen achtende und immer auch die Würde der anderen Seite ernst nehmende Haltung eingetreten sind. War oft nicht leicht, mit ihm zu debattieren (weil er echt schlau war … und manchmal auch dickköpfig).“ – so der stellvertretende Düsseldorfer Polizeipräsident Georg Schulz.

Und der heutige Rostocker Polizeipräsident Thomas Laum, der 2007 zur Einsatzleitung anlässlich des G-8-Gipfels in Heiligendamm gehörte, schreibt: „Ich habe Herrn Stenner als grundehrlichen und prinzipientreuen Menschen kennengelernt, der als Pazifist für sein Anliegen, Frieden und Gerechtigkeit, in höchstem Maße motiviert und engagiert war. Seine kommunikativen Fähigkeiten, gerade auch in Bezug auf Menschen, die anders tickten als er selber (wozu ich mich wohl zählen muss), habe ich bewundert. Es tut mir sehr leid, dass er schon so früh gehen musste. Es gäbe noch so viel für ihn zu tun.

Nähe und Distanz
Mein Verhältnis zu Mani Stenner ist über die 25 Jahre, in denen wir uns kannten, persönlich immer enger geworden – wir besuchten uns gegenseitig zu Hause, gingen zusammen mit unseren Frauen gemeinsam zu Veranstaltungen - zuletzt schlug er sogar einen gemeinsamen Trip nach seinem geliebten Irland vor.

Trotz aller wechselseitigen Sympathie achtete er jedoch immer darauf, dass zwischen uns eine fein austarierte Balance von Nähe und Distanz erhalten blieb. Ein äußeres Merkmal war das Festhalten am „Sie“ zwischen uns – obwohl er manch anderen meiner Kollegen und seit vielen Jahren auch meine Frau duzte – und ich die seine. Ich nehme es als Zeichen einer eben ganz besonderen Beziehung zu diesem ganz besonderen Menschen. Bei aller Sympathie hat er mir, allen anderen aber auch sich selbst wohl immer wieder vor Augen führen wollen: Der Repräsentant des Staates und der Repräsentant der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung sitzen nicht im selben Boot, auch wenn sie manche Strecke mit gleichem Ruderschlag nebeneinander fahren und an manchem Platz gemeinsam anlegen.

Zu dem, was Mani Stenner für mich, aber auch für meine Familie bedeutete, hier noch auszugsweise ein paar Gedanken, die meine Tochter Lena, die inzwischen im Allgäu lebt, nach der Nachricht von Mani Stenners Tod aufgeschrieben hat:

Ich habe ihn von klein auf bewundert für das, was er gemacht hat. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Besuch in seinem Büro, an die vielen Regale und Bücher und Stapel. Alles atmete so eine Überzeugung, dass es gut ist, die Dinge zu tun. So eine stille, ruhige Überzeugung. Kein Gebrüll, kein Präsentieren nach außen … Der Mani war kein Selbstdarsteller, aber hat so viel dargestellt ...

Der Mani ist für mich einer, der mit den Händen in den Taschen da steht und beobachtet, der einem über die Menge hinweg zugrinst, übers ganze Gesicht, der einen so fest und lang drückt, dass es für ein Leben reicht, der einem dicke Küsse auf die Wange drückt, so dass man seinen Dreitagebart spürt. … Und der Mani ist einer, der einen so durchdringend anschaut, als würde er bis zur Seele schauen können ...

Wenn Papa früher von Auseinandersetzungen mit Mani erzählt hat, war ich immer auf Manis Seite. Ich hab die beiden (zusammen mit Mama) immer ausgelacht, dass sie sich gesiezt haben, und war stolz, dass ich das nicht tun musste…

Als Papa im letzten Oktober seinen beruflichen Abschied feierte, da war für mich Mani der wichtigste Gast. Mir wurde da klar, wieviel Mani dazu beigetragen hat, wie Udo seinen beruflichen Weg gegangen ist. Und mir wurde da klar, wie sehr Udo den Mani mag. Geschätzt hat er ihn glaube ich immer, aber da ist viel mehr draus geworden. Gestern am Telefon, da hat Papa sich angehört, als würd´ er am liebsten einfach losheulen ...“

Der Verfassungsschützer
Mani Stenner war unabhängig und solidarisch, frei und voller Verantwortung, kreativ und akribisch, nüchtern und emphatisch, kritisch und liebevoll, bescheiden und anspruchsvoll, er war ein Pflichterfüller und ein Genießer.

Mani Stenner hat die Lehren aus der deutschen Geschichte gezogen und sein Lebenswerk darin gefunden, gegen Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch unbestechlich Position zu beziehen. Er hat auf persönliche Karriere und auf materielle Absicherung – zum Beispiel als Bundes- oder Landtagsabgeordneter - verzichtet und hat weiter (meist unterhalb des gesetzlichen Mindestlohnes) im Hinterhofbüro der Bonner Römerstraße 88 gearbeitet.

Mani Stenner ist beharrlich, idealistisch und realistisch zugleich, für Frieden, Menschen- und Bürgerrechte eingetreten. Er hat Freiheit und Verantwortung gelebt und eingefordert – er hat damit unser Grundgesetz verteidigt und ist Änderungen von Grundrechten vehement entgegen getreten. Mani Stenner war somit im ursprünglichen Wortsinne ein Verfassungsschützer.

Er hatte das große Glück, in den letzten 23 Jahren eine Partnerin an seiner Seite zu haben, die ihn aktiv auf seinem Weg unterstützte, die ihn solidarisch, aber auch konstruktiv-kritisch begleitete, ihm den Rücken freihielt und ihn auffing. Die mit ihm lachte und weinte, mit der er gemeinsam seine Gäste aufwändig bekochte, mit der er ein kaum schlagbares Doppel beim Boule bildete und mit der er so gern nach Irland fuhr. Luise Schatz ist die Frau, mit der Mani Stenner alt werden wollte.

 

Anmerkung
1 Udo Behrendes / Manfred Stenner: Bonner Forum BürgerInnen und Polizei e. V.. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 11, Heft 4, 1998, S. 90 – 95

Udo Behrendes / Manfred Stenner: Bürger kontrollieren die Polizei? In: Peter Leßmann-Faust (Hrsg.) Polizei und politische Bildung. Wiesbaden 2008, S. 45 - 88

Ausgabe

Udo Behrendes war lange Zeit bei der Polizei in Bonn, bevor er Polizeidirektor in Köln wurde. 2013 ging er in den Ruhestand.