2003: Die letzte große Friedensbewegung

Der zweite Irakkrieg

von Christine Schweitzer

Der zweite Irakkrieg 2003, zwei Jahre nach Beginn des Krieges in Afghanistan 2001, stand einerseits im Kontext des von den USA und der NATO ausgerufenen „Kriegs gegen den Terror“, wurde andererseits aber mit dem angeblichen Besitz von Massenvernichtungswaffen durch das Regime von Saddam Hussein und dessen Weigerung, UN-Inspekteure ins Land zu lassen, begründet. Der Irak hatte seit seiner Invasion Kuwaits im Jahr 1990 unter schweren Sanktionen der USA und der UN gelitten, die nach Zahlen der Vereinten Nationen 500.000 Kindern das Leben kosteten.

Der Krieg fand ohne Billigung der Vereinten Nationen statt, auch wenn die USA und Großbritannien, die eine neue sogenannte „Koalition der Willigen“ anführten, anfänglich behaupteten, der Angriff sei durch die UN-Beschlüsse zu den Sanktionen gedeckt.

Der Krieg begann am 20. März 2003 als kombinierter Luft- und Bodenkrieg mit der Bombardierung Bagdads und dem Einmarsch von Truppen von Kuwait her. Am 1. Mai 2003 ging er mit der Eroberung Bagdads und dem Sturz von Hussein zu Ende. Noch im gleichen Jahr wurde durch die Kriegskoalition eine neue irakische Regierung eingesetzt; US-Kampftruppen blieben aber bis 2010/2011 im Land. Es kam (und kommt bis heute) aber weiterhin zu Terroranschlägen und Kampfhandlungen, u.a. auch im Rahmen des völkerrechtlich illegalen von der CIA betriebenen Programms gezielter Tötungen durch Drohnen. Und auch die Entstehung des Islamischen Staats ist letztlich eine Folge dieses Kriegs gewesen.

Der Krieg hatte auf beiden Seiten wesentlich mehr Opfer als der erste Irakkrieg gekostet: 5.000 alliierte Soldat*innen und über 10.000 irakische Soldaten und Polizisten starben. Die Zahl der zivilen Opfer ist wie so oft auch in diesem Fall umstritten. Schätzungen reichen von 100.000 bis zu einer Million, wobei auch die Zeit nach dem offiziellen „Ende“ des Krieges mit einbezogen wird.

Mehrere europäische Staaten, so auch Deutschland, beteiligten sich nicht an der „Koalition der Willigen“. Sie bemängelten die fehlende Legitimation durch die UN und das Fehlen eindeutiger Nachweise, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitze. Weitere Aspekte waren die Sorge über eine Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens, eine Schwächung der Anstrengungen in Afghanistan und erwartete hohe Folgekosten durch Besetzung und Wiederaufbau.

Die Antikriegsbewegung

Die Antikriegsbewegung gegen den Irakkrieg 2003 ist bis heute die letzte große Massenbewegung gegen Krieg geblieben. Getragen in Europa wie den USA von einer breiten Koalition aus Friedensgruppen, Gewerkschaften, Kirchen und anderen, bildete sie sich bereits vor Kriegsbeginn in 2002. Die Antikriegsbewegung wurde von einer breiten Koalition unterschiedlicher Gruppen getragen. Neben den „klassischen“, schon vorher bestehenden, Friedensorganisationen gehörten zu ihr viele kirchliche Gruppen – selbst der Vatikan drückte Kritik an dem Krieg aus – und Gewerkschaften. Laut Wikipedia folgten europaweit insgesamt mehr als 70 Gewerkschaftsorganisationen in 38 Ländern dem Aufruf des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), am 14. März 2001 ein “Zeichen für den Frieden“ zu setzen.

Der Widerstand war besonders stark in den Ländern, wo die Regierungen die Kriegsbemühungen unterstützten, wie in Großbritannien, Spanien und Italien. In Spanien und Italien lehnten mehr als 80 %, in der Türkei 86 % den Krieg ab. Aber auch in dem nicht zur „Koalition der Willigen“ gehörigen Deutschland lehnten 80 % der Bevölkerung den Krieg ab. Der Widerstand schwappte auch über auf Soldat*innen der Länder, die an dem Krieg beteiligt waren. Wie in der Zeit des Vietnamkrieges sendeten Tausende von US-Armeeangehörigen einen „appeal to redress“ an amerikanische Kongressmitglieder und forderten den Abzug der Truppen.

Am 15. Februar 2003 gab es zeitgleich, koordiniert u. a. über das Europäische Sozialforum, Proteste in vielen Großstädten, u. a. in London, Rom und Barcelona. In Deutschland fand eine Großdemonstration in Berlin mit rund 500.000 Teilnehmer*innen statt. Insgesamt, so wird geschätzt, nahmen weltweit ca. neun bis zehn Millionen Menschen an den Protesten teil. Auch nach Beginn der Kriegshandlungen setzten sie die Proteste fort; allerdings erreichten sie nicht mehr dieselben Zahlen.

Ein Teil der Bewegung in Deutschland setzte auf Aktionen Zivilen Ungehorsams und organisierte die Kampagne „resist“. „Resist“ begann mit einer Selbstverpflichtungserklärung, im Falle eines Angriffs auf den Irak Aktionen zivilen Ungehorsams zu leisten. Dazu gab es Aufrufe an Soldat*innen, den Einsatz zu verweigern (s. Friedensforum 1/2003).
Wie 1991 im sogenannten Ersten Irakkrieg (Befreiung Kuwaits von der irakischen Besatzung) ging der Krieg vergleichsweise schnell zu Ende. Nach Kriegsende zerfiel die Bewegung; der Versuch von Seiten von Friedensorganisationen, ihren Impetus auf die Bewegung gegen den Afghanistankrieg zu übertragen, muss als weitgehend gescheitert angesehen werden. Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden. Der Hauptgrund mag darin liegen, dass der Afghanistan-Krieg unter dem Eindruck von 9/11 begonnen wurde und in seinen Anfängen keine vergleichbar großen Proteste hervorrief. 2003, als der Irakkrieg stattfand, schien dann die ‚heiße Phase‘ schon vorbei zu sein schien. Eine Betroffenheit in den Bevölkerungen der kriegführenden Länder konnte zu einem Zeitpunkt, wo die Gewalt zu deeskalieren schien, nicht geweckt werden.

Anders als in der Situation während des Irakkrieges 1991 gab es wenig Uneinigkeit in der Bewegung, und es gab auch keine Angriffe auf Israel wie 1991, die ein Umschwenken der Meinung hätten bewirken können. Man war sich in der Verurteilung des Krieges, der wie der Krieg 1991 als ein Krieg für Öl (und strategische Interessen) gesehen wurde, einig, ohne deshalb dem System von Saddam Hussein Sympathien entgegenzubringen, aber mit deutlichen Hinweisen auf den unrechtmäßigen Charakter der Sanktionen, die vor allem die Zivilbevölkerung trafen (s. Friedensforum 1, 2 und 3/2003).

Einfluss der Antikriegsbewegung

Es gelang der Antikriegsbewegung nicht, die Invasion in den Irak zu stoppen. Dennoch hatte sie politische Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen. So gelang es den USA nicht, ihre offizielle Rechtfertigung des Krieges, nämlich das vorgebliche Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen, in der öffentlichen Meinung zu verankern. Im Februar 2003 zogen sie einen entsprechenden Resolutionsentwurf im UN-Sicherheitsrat zurück, und gingen zusammen mit ihrem Hauptverbündeten Großbritannien und einer Reihe weiterer Länder (darunter auch militärisch völlig unbedeutende, die sich aus der Beteiligung an dem Krieg Vorteile versprachen) ohne Mandatierung der UN vor. Der Bewegungsforscher Cortright bezeichnet dies als einen „großen Sieg der globalen Antikriegsbewegung“. (1).

Ein vielleicht größerer Sieg war zweifelsohne die Nichtbeteiligung einer Reihe von Ländern an dem Krieg: Dazu gehörten in Europa neben Frankreich, Österreich und den skandinavischen Ländern auch Deutschland unter der sozialdemokratisch-grünen Koalition, die wenige Jahre zuvor, 1998/99, noch den ebenfalls nicht von den Vereinten Nationen gebilligten Angriff der NATO auf Jugoslawien mitgetragen und sich aktiv an ihm beteiligt hatte.

In Deutschland und Spanien hatte der Krieg zudem Wirkung auf die anstehenden Wahlen: Beobachter*innen wie Cortright (2008) sehen einen Zusammenhang sowohl mit dem Sieg des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Schröder in Deutschland und Zapateros in Spanien.

Dass die Verweigerung der Kriegsteilnahme nicht absolut war – Deutschland unterstützte den Krieg indirekt doch, indem es Aufgaben der Verbündeten in anderen Regionen übernahm, US-Kasernen bewachte, weiter die AWACS-Aufklärungsmaschinen besetzte und den alliierten Truppen Überflugrechte gewährte usw. – sollte nicht dazu führen, diesen Erfolg der Friedensbewegung kleinzureden oder gar zu negieren. Vielleicht war es umgekehrt sogar dieses Kleinreden, das zum Niedergang der Friedensbewegung nach 2003 geführt hat.

Anmerkung
1 Cortright, David (2008): Peace. A History of Movements and Ideas. Cambridge: Cambridge University Press, S. 174

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung eines Kapitels folgender Publikation: Schweitzer, Christine mit Jörgen Johansen (2014): Kriege verhindern oder stoppen. Der Beitrag von Friedensbewegungen. IFGK Arbeitspapier Nr. 26, www.ifgk.de

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Rubrik

Friedensbewegung international
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.