Deserteur-Initiativen im Netzwerk planen gemeinsame Projekte

von Mani Stenner

Mit der "BAG der Deserteur-Initiativen" hat sich ein vierter gemeinsamer Arbeitsstrang im Netzwerk Friedenskooperative gegründet. In ca. 40 Orten der Bundesrepublik und auch schon einigen in der DDR arbeiten Gruppen am Thema, haben Deserteur-Denk-male, Tafeln oder Ausstellungen initiiert oder dem Schicksal von Weltkriegsdeserteuren nachgespürt und in ihren Orten und z.T. weit darüber hinaus heftige Diskussionen um die Mitschuld von Wehrmacht und Kriegsteilnehmern und die Neubewertung der bisher als Feiglinge und Kameradenschweine diffamierten Deserteure ausgelöst. Jetzt werden die Initiativen stärker zusammenarbeiten.

Konstituierend für die Arbeitsgemeinschaft war ein dreitägiges gemeinsames Seminar über die vergessenen Opfer des NS-Regimes Ende Mai in Bonn. Teilgenommen haben VertreterInnen von Deserteur-Initiativen aus dem ganzen Bundesgebiet, Forscher und Historiker, bestehende Einrichtungen und Gedenkstätten für NS-Opfer, Total- und Wehrdienstverweigerer, kirchliche Organisationen und ehemalige Weltkriegs-Deserteure.

Die Deserteur-Initiativen haben für die Zukunft eine intensive Zusammenarbeit, Austausch von Informationen, weitere Treffen und gemeinsame Projekte verabredet. Geplant ist die Erstellung einer Ausstellung zum Thema und eine gemeinsame Beteiligung am "Markt der Möglichkeiten" beim Evangelischen Kirchentag 1991 im Ruhrgebiet. Die Initiativen wollen auch erreichen, daß das Kirchentags-Präsidium zum Thema der vergessenen Kriegsdienstverweigerer, Deserteure, Militärstrafgefangene, Wehrkraftzersetzer und die Op¬fer der Militärpsychiatrie ein Diskussionsforum ausrichtet. Diese Gruppen sind bis heute nicht rehabilitiert und von Entschädigungszahlungen ausgenommen. Im Gegensatz zu SS-Schergen gilt ihre Zeit als Soldat (im Knast, KZ oder Strafbataillon) nicht als Ausfallzeit bei der Rentenbemessung. Ihre Verfolgung und ihr Schicksal als nicht anerkannte Opfer stand im Mittelpunkt der Bonner Tagung. In Planung ist eine gemeinsame Ausstellung, verschiedene inhaltliche Veröffentlichungen und ein Handbuch sowie ein internationales Symposium.

Eine Neubelebung der Diskussion auch um die Errichtung von Deserteur-Denk-Malen erhoffen sich die Initiativen nach einer von mehr als 200 TeilnehmerInnen besuchten Diskussionsveranstaltung des SPD-Parteivorstands am 31. Mai 1990 im Bonner Ollenhauerhaus. An der dortigen Diskussion haben sich neben Soldaten und Deserteur-Initiativen auch Hertha Däubler-Gmelin, Horst Ehmke und der ehemalige ÖTV-Vorsitzende und Deserteur Heinz Kluncker beteiligt. Hertha Däubler-Gmelin forderte in der auch in der Presse beachteten Eröffnungsrede eine parlamentarische Neubewertung der Weltkriegs-Deserteure, eine unbürokratische Entschädigung der Opfer oder Angehörigen im Rahmen einer Bundesstiftung, Forschungsmittel für dieses vergessene Kapitel und eine Würdigung und Ehrung auch dieser NS-Opfer. Als Folge der Veranstaltung gibt es inzwischen Bemühungen, in Absprache zwischen den Fraktionen von Grünen und SPD und den außerparlamentarischen Gruppen Regelungsanträge zu diesen Fragen noch in dieser Legislaturperiode im Bundestag zu stellen und u.a. über eine parlamentarische Anhörung von Betroffenen eine breite Diskussion zu erreichen.
Zur Rehabilitation und Entschädigung wurde auf dem Bonner Treffen auch die Bildung einer Selbstorganisation der Weltkriegsdeserteure und Opfer der Wehrmachtsjustiz initiiert. Man hofft, daß durch die öffentliche Diskussion mehr ehemalige Deserteure ermutigt werden, sich Gehör zu verschaffen. 

Die Deserteur-Initiativen wollen das Thema in Zukunft auch in die Diskussion um die Abschaffung der Bundeswehr einbringen. Das "Prinzip Desertion" ist auch eine Aufforderung an die Gegenwart.
Vor einem erneuten Bundestreffen sollen weitere Initiativen und Interessierte zunächst zu regionalen Beratungstreffen eingeladen werden.

Die Vernetzung teilen sich regionale Kontaktadressen:
Westen und zentrale Koordinierung: BAG Deserteure im Netzwerk Friedenskooperative, Römerstr. 88, 5300 Bonn 1, Tel. 0228-692904
Norden und Kontakt für Weltkriegsdeserteure: DIZ Emslandlager, Wiek rechts 22, Postfach 1511, 2990 Papenburg 1, Tel. 04961-4971
Süden: Alexander-Seitz-Geschichtswerkstatt, c/o Klaus Schönberger, Heilbronner Str. 29, 7142 Marbach a.N., Tel. 07144-18683
und Ex-Reservisten München, c/o Rudi Seibt, Gotthelfstr. 77, 8000 München 80, Tel. 089-913051
Hessen und DDR: Geschichtswerkstatt Marburg, Liebigstr. 46, 3550 Marburg, Tel. 06421-15300

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