Deserteure in Jugoslawien

von Rudi Friedrich
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Viele junge Männer aus allen Landesteilen Jugoslawiens sind nicht bereit, sich am Krieg zu beteiligen. Sie tauchen in Jugoslawien unter oder fliehen zu FreundInnen, Bekannten und Verwandten im Ausland. In Serbien waren Anfang Oktober nur 50% der Reservisten einem Stellungsbefehl gefolgt, in Belgrad selbst sollen es sogar nur 15% gewesen sein. Auch aus Kroatien sind inzwischen Informationen bekannt geworden, wonach lediglich die Hälfte der in Zagreb Einberufenen auch bei der kroatischen Garde erschienen sei.

Die Aushebung von Wehrpflichtigen wird immer schwieriger. Die Nichtbefolgung von Einberufungen, Desertion oder auch Simulation, Neurosen von Kriegswilligen und anderes schränken die Kampffähigkeit der Armeen in Jugoslawien deutlich ein. Diese Formen der Verweigerung stellen sich somit als das effektivste Mittel gegen die Fortsetzung des Krieges in Jugoslawien dar.

Kriegsdienstverweigerung - ein Menschenrecht in Friedenszeiten?
In Jugoslawien gab es nie ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Selbst die uns bekannte Form der eingeschränkten Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung und in fast allen Ländern Westeuropas praktizierte Regelung, daß Kriegsdienstverweigerer nach einer Gewissensprüfung einen Ersatzdienst bis zur doppelten Länge der Wehrdienstzeit abzuleisten haben, war in Jugoslawien nicht vorhanden. Ausschließlich religiös motivierte Kriegsdienstverweigerer konnten höchstens innerhalb des Militärs einen unbewaffneten Dienst leisten. Ansonsten wurden Kriegsdienstverweigerer wegen "Befehlsverweigerung", "Verweigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen und sie zu gebrauchen", "Nichtbefolgung der Einberufung und Vermeiden des Militärdienstes" und "Desertion ins Ausland" verfolgt. Die Haftstrafen konnten bis zu zehn Jahren betragen. Mehrfache Bestrafungen nach einer erneuten Einberufung eines verurteilten Kriegsdienstverweigerers sind laut "Amnesty international" vorgekommen. 1989 wurden nach dem Bericht von Amnesty International alle ihr bekannten Kriegsdienstverweigerer freigelassen.

Seit April 1991 gibt es nach 10jähriger Forderung der "Gibanje za kulturo miru in nenasilja" die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in Slowenien. Danach steht der Ersatzdienst unter militärischer Kontrolle des Verteidigungsministeriums.

In Kroatien soll es ebenfalls ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung geben, daß allerdings nur für Friedenszeiten Gültigkeit hat. Die praktische Anwendung ist uns bislang nicht bekannt.

Mobilisierung in Serbien und Kroatien
Die verstärkte Welle der Mobilisierung in Serbien läßt sich auf Anfang November bestimmen. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Grenzen des von der jugoslawischen Bundesarmee beherrschten Gebietes auch für Wehrpflichtige gesperrt. Seit diesem Zeitpunkt ist die Fluchtmöglichkeit ins Ausland stark eingegrenzt. Dennoch kommen weiterhin Deserteure z.B. über Ungarn oder über Mazedonien und Griechenland in die Bundesrepublik.

Die Schließung der Grenzen für Wehrpflichtige in Kroatien erfolgte zum 20. November. Nach einer Mitteilung des kroatischen Verteidigungsministeriums dürfen "Wehrpflichtige (...) die Republik nur mit Sondererlaubnis verlassen". Bis zu diesem Zeitpunkt galt die kroatische Zivilgarde als freiwillige Armee. Seit Anfang Dezember ist aber auch in Kroatien die Wehr- bzw. Dienstpflicht eingeführt worden. Die Einberufungen erfolgen in erster Linie in den Städten, die in der Nähe von Kampfgebieten liegen und in Zagreb selber speziell für einige Berufsgruppen.

Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern
Um die Kriegswilligkeit wieder herzustellen, werden Deserteure verfolgt. Nach der in Jugoslawien geltenden Rechtslage droht Deserteuren im Kriegsfalle die Todesstrafe. Nach Berichten aus Jugoslawien kann nicht davon ausgegangen werden, daß Deserteure in jedem Fall ein ordentliches Gerichtsverfahren erhalten. Es gibt Berichte von Verschwundenen und davon, daß Deserteure als Kanonenfutter in die vorderste Front geschickt werden. Nicht nur von der Bundesarmee in Jugoslawien ist die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern bekannt. Es agieren nach Informationen aus Jugoslawien zumindest 18 verschiedene freikorpsähnliche Einheiten/Armeen in den Kriegsgebieten. Die Lage ist so unübersichtlich, daß davon ausgegangen werden muß, daß Kriegsdienstverweigerer einfach verschwinden, bzw. eine Verurteilung ohne Gerichtsverfahren er-folgt.

Wie sich die Situation in Kroatien darstellt, ist zurzeit noch unklar. Viele Deserteure entschließen sich allerdings auch hier, ins Ausland zu fliehen.

Situation der Flüchtlinge in der Bundesrepublik
Mehrere Tausend Flüchtlinge aus allen Landesteilen Jugoslawiens halten sich zurzeit in der Bundesrepublik auf. "Wie viele gekommen sind, weiß keiner genau. Rund 10.000 sollen allein in Berlin gelandet sein, ebenso viele sind es womöglich auch in München. Weit mehr als 5.000 hocken, so eine Schätzung der Caritas, mittlerweile in Stuttgart." Zentren sind die Städte, die schon zuvor stark von jugoslawischen MitbürgerInnen geprägt waren, wie Berlin, Stuttgart, München, das Rhein-Main-Gebiet und das Ruhrgebiet. Das bietet den Flüchtlingen die Chance, zumindest für den Anfang einen Unterschlupf zu finden. Die Lage ist desolat: "20 Kroaten teilen sich beispielsweise die drei Zimmer der 90-Quadrameter-Wohnung von Ljubica Yermen in Rheinfelden. Geschlafen wird selbst im Bad. Bei Maria Grgan in Zuffenhausen leben in drei Zimmern nun elf Menschen. Sie essen in Schichten, weil der Platz in der Küche nicht reicht." Zudem machen inzwischen einige Vermieter Druck und kündigen Wohnungen, die mit Flüchtlingen belegt sind.

Flüchtlingen, die keine FreundInnen, Verwandte oder Bekannte in der BRD haben, bleibt zumeist nur die Möglichkeit des Antrages auf Asyl, um zumindest ein Dach über dem Kopf zu haben. "So stellen die Jugoslawen denn neuerdings den Hauptanteil der Asylbewerber: 14.744 waren es bundesweit allein im Oktober, im gesamten Jahr 1990 dagegen wurden nur gut 22.000 gezählt".

Für die Deserteure unter ihnen stellt sich dazu noch die Gefahr, bei Abschiebung nach Jugoslawien mit der Todesstrafe bedroht zu werden. Neben den Problemen der Unterkunft und der Unterstützung durch Angehörige oder FreundInnen haben sie Angst, sich nach Ablauf des Touristenvisums mit illegalem Status in der Bundesrepublik aufzuhalten. Die Straftat der Desertion gilt zumindest in den Gebieten, in denen nach einem möglichen Waffenstillstand die entsprechende Armee existiert, auch weiter. Damit stellt sich für Deserteure das Problem der Strafverfolgung über die Kriegszeit hinaus. Ihre Situation ist ungewiß. Insbesondere ist völlig unklar, ob sie jemals wieder ohne Strafverfolgung in ihre Heimatgebiete zurückkehren können.

Zum Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik
An dieser Stelle seien nur die wesentlichsten Möglichkeiten bezüglich des Aufenthaltsrechtes dargestellt. Näheres ist über die DFG-VK Hessen (siehe Kasten) bzw. aus der beiliegenden Dar-stellung zu erfahren.

Jugoslawinnen dürfen grundsätzlich ohne Visum in die BRD einreisen und sich als TouristInnen bis zu drei Monaten in der Bundesrepublik aufhalten.

Anfang November sind von den Bundesländern Erlasse über die Duldung von JugoslawInnen ergangen. Sie ermöglichen in erster Linie Bürgern aus Kroatien - und nur in Einzelfällen anderen Personen - den Aufenthalt in der Bundesrepublik. Die Duldung schließt die Arbeitserlaubnis ein.

Eine weitere Möglichkeit des legalen Aufenthaltes ist die Beantragung von Asyl. Zumindest für die Dauer des Asylverfahrens können Flüchtlinge sich hier aufhalten. Kriegsdienstverweigerer erhalten allerdings nach der geltenden Rechtsprechung in der BRD kein Asyl.

Für Deserteure ein Recht auf Aufenthalt!
"Da sah ich keinen Grund zu kämpfen. Du mußt wissen, ich arbeite im Tourismusgewerbe. Da kommen die Leute von überall her. Ich komme mit denen gut aus, da sehe ich keinen Grund gegen andere zu kämpfen. All die Leute, die aus Westeuropa oder aus den USA hier ankommen, mit denen habe ich zu tun. Das ist meine Arbeit und das ist einer der Gründe, warum ich desertierte." Die persönliche Entscheidung, sich an diesem Krieg nicht zu beteiligen, ist ein wesentliches Mittel, gegen den Krieg in Jugoslawien zu arbeiten. So lange der Krieg in Jugoslawien besteht, kann mit relativ freizügiger Umgangsweise der bundesdeutschen Behörden, z.B. in Form von Erlassen, gerechnet werden. Nach einem tatsächlichen Waffenstillstand ist davon allerdings nicht mehr auszugehen.

Deserteure brauchen das uneingeschränkte und unbefristete Bleiberecht in der Bundesrepublik. Ihre Kriegsdienstverweigerung bzw. Desertion darf für sie nicht die Konsequenz einer späteren Verurteilung in Jugoslawien haben.

Gruppen und Organisationen, die vor Ort Unterstützungsarbeit für Kriegsdienstverweigerer leisten wollen, stehen wir mit weiteren Informationen und Kontaktadressen unter folgender Anschrift zur Verfügung:

Kriegsdienstverweigerer aus Jugoslawien brauchen in dieser Situation unsere Unterstützung. Hier vor Ort sollten wir sie bei der Suche nach Möglichkeiten für Unterkunft, längerfristigen Aufenthalt, Selbsthilfe und der Forderung nach einem uneingeschränkten und unbefristeten Bleiberecht unterstützen. Ein wichtiger Teil unserer Unterstützung besteht darin, politischen Druck für eine solche Regelung auszuüben.

In Frankfurt haben wir vor ca. sechs Wochen begonnen, Kriegsdienstverweigerer aus Jugoslawien zu beraten und zu unterstützen. Öffentlichkeitsarbeit für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Jugoslawien und die Forderung nach einem Bleiberecht für Kriegsdienstverweigerer ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der Arbeit.

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