Wehrmachtsdeserteure

Das Stuttgarter Deserteursdenkmal und die Diagonale der Erinnerung

von Roland Blach

Was bedeutet es, als Einzelner aus einem totalitären oder faschistischen System auszubrechen? Das Stuttgarter Denkmal für Deserteure steht dafür. Das Werk des Bildhauers Nikolaus Kernbach aus Aulendorf besteht aus zwei Teilen: In einem Granitquader ist die Silhouette eines Mannes ausgespart. Sie steht drei Meter weiter vorn. Die bürgerschaftliche Initiative „Deserteursdenkmal für Stuttgart“ machte es möglich, dass 2007 das von 300 privaten Spenderinnen und Spendern finanzierte Denkmal als Provisorium vor dem renommierten Theaterhaus eingeweiht wurde. Es erinnert an die „Deserteure aller Kriege“, insbesondere für die während des Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Männer. Seit Jahren setzt sich die Initiative dafür ein, das Denkmal an einen geeigneten geschichtsträchtigen Ort in der Innenstadt zu verlegen.

Bereits kurz nach der Einweihung wurden im Sommer 2008 Pläne bekannt, die ehemalige Gestapozentrale Hotel Silber im Herzen der Stadt für ein kommerzielles Bauprojekt abzureißen. 22 Organisationen, darunter die Initiative „Deserteursdenkmal für Stuttgart“ und viele Einzelpersonen schlossen sich zusammen, um dies zu verhindern. Sie hatten seit Jahren den Kontakt zu überlebenden NS-Opfern aufrechterhalten, die Biographien von Opfern und Tätern des NS-Regimes erforscht, Stolpersteine verlegt, Veröffentlichungen zur regionalen NS-Geschichte herausgegeben. Die Initiative forderte die Erhaltung des Gebäudes als Lern- und Gedenkort, als „steinernen Zeugen“ der NS-Zeit im Stadtbild. Dank des hartnäckigen Engagements dieser Initiative wurde der Ort wieder aus der Vergessenheit ins öffentliche Bewusstsein gehoben. Es konnte erreicht werden, dass die Landesregierung nach der Landtagswahl 2011 den Erhalt des Gebäudes zusagte. 2013 haben Stadt und Land sich zur Finanzierung eines Lern- und Gedenkortes auf einem Viertel der Gebäudefläche verpflichtet.

Im Zuge vieler Veranstaltungen und in Erwartung der für Ende 2018 geplanten Einweihung des Lern- und Gedenkortes soll das Deserteursdenkmal nun in die Stadtmitte umziehen. Die Gemeinderatsfraktionen der SPD, der Grünen, SÖS-Linke, sowie Sibel Yüksel von der FDP-Fraktion haben dazu einen Antrag gestellt. Für den neuen Standort gibt es verschiedene Optionen innerhalb der „Diagonale der Erinnerung“. Im Antrag heißt es dazu: „Rund um den Karlsplatz mit dem Kaiser Wilhelm-Denkmal, das die Reichseinigung und den Krieg von 1870/71 gegen Frankreich heroisiert, hat sich in Erinnerung an die Opfer des Naziregimes und der Gewaltherrschaft eine Reihe von Gedenkorten etabliert. Vom Mahnmal gegen Krieg und Faschismus über die Staufenberg-Gedenkstätte und die drei Skulpturen von Alfred Hrdlicka zieht sich eine Diagonale der Erinnerung bis zum Hotel Silber, das zukünftig als Lern- und Gedenkort genutzt werden wird. In diesem Kontext wäre es konsequent, das Denkmal für Deserteure vom bisherigen Standort am Theaterhaus am Pragsattel in die Innenstadt zu verlegen und der Diagonale der Erinnerung eine weitere Facette hinzuzufügen. Am Ende dieser Diagonale bietet sich ein Platz für die Aufstellung des Denkmals an … Zwischen der Fassade des Hotel Silber und einer Platane, etwas abseits des geplanten Zugangs zum Lern- und Gedenkort, entsteht nach der Umgestaltung auf diesem Areal ein kleiner öffentlicher Raum …, der durch das in Stein geschaffene Denkmal betont werden kann und Passanten zur Auseinandersetzung anregt. Der Aufstellungsort ist bewusst etwas abseits des Eingangs zum Hotel Silber gewählt, um eine direkte inhaltliche Verbindung zu vermeiden, die so nicht gewollt und auch historisch nicht stimmig ist.“

Deserteure galten lange als Verräter und Feiglinge: „Mit ihrem Tun haben sie jedoch - auch mit dem Motiv der Angst um ihr Leben - ein Zeichen gegen den Krieg gesetzt. Sie wurden dafür gefoltert, saßen im Gefängnis oder wurden hingerichtet; in Stuttgart wurden im Zweiten Weltkrieg über 40 junge Männer ermordet“, lautete die Begründung der damaligen Stadträte Stefan Barg (CDU), Robert Baumstark (SPD), und Roland Kugler (Bündnis 90/Die Grünen), die sich bereits im Mai 2000 für die Aufstellung eines Denkmals für Deserteure im öffentlichen Raum stark machten. Im Jahr 2002 wurden die Deserteure aus Hitlers Wehrmacht rehabilitiert.

Die Finanzierung des Stuttgarter Denkmals ist in der Form deutschlandweit einmalig. In den letzten zehn Jahren wurden Deserteursdenkmäler durch Beschlüsse der Stadtparlamente in Köln und Hamburg aufgestellt. Vorangegangen war jeweils ein breites bürgerschaftliches Engagement.
Der Grundsatzbeschluss im Gemeinderat scheint durch die Mehrheitsverhältnisse sicher. Fest steht: Die Auseinandersetzung mit den Untaten des NS-Systems und der Frage, wie sich der Einzelne gegenüber Unrecht und Gewalt positioniert, gehört in die Mitte der Gesellschaft. Unabhängig vom tatsächlichen Ort der Aufstellung. Im Kontext vieler Lernorte für die Zukunft.

Wenn der Antrag erfolgreich ist, übernimmt die Stadt die Kosten für Verlegung, Aufstellung und Unterhalt des Denkmals.

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