Gefährliche „Sicherheitskooperation“

Deutsch-türkische Geheimdienst-, Polizei-, Justiz- und Militär-Zusammenarbeit

von Dr. Rolf Gössner
Schwerpunkt
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Militär, Polizei- und Geheimdienstbehörden Deutschlands und der Türkei arbeiten traditionell intensiv zusammen. Trotz katastrophaler Menschenrechtslage in der Türkei und völkerrechtswidriger Kriegseinsätze: Diese „Sicherheitskooperation“ wird fortgesetzt – anstatt sie auszusetzen oder zu minimieren.

Mit dem „menschenverachtenden Flüchtlingsdeal“ (Pro Asyl) haben sich EU und Deutschland von der autokratisch regierten Türkei stark abhängig und erpressbar gemacht. Um den milliardenschweren Deal, der den europäischen Staaten Flüchtlinge aus Afrika und Nahost „vom Hals halten“ soll, nicht zu gefährden und angesichts türkischer Drohungen, die „Schleusen“ für Geflüchtete wieder zu öffnen, reagieren Bundesregierung und EU nur selten angemessen auf Menschen- und Völkerrechtsverletzungen der Türkei. Wo blieben die politischen Antworten auf den eskalierenden Krieg gegen die kurdische Bevölkerung, auf die Verfolgung Andersdenkender, die massenhaften Eingriffe in Presse- und Meinungsfreiheit, die willkürlichen Inhaftierungen wegen nebulöser Terrorvorwürfe – und nicht zuletzt auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg des NATO-Staats gegen die kurdische Selbstverwaltung in Syrien, der auch mit deutschen Waffen geführt wird? Diese Tolerierung und Zurückhaltung europäischer Staaten ist auch mit der großen geostrategischen Bedeutung der Türkei für die NATO zu erklären, in der sie offenbar unter allen Umständen gehalten werden soll.

Schon seit Jahrzehnten lässt sich Deutschland in die ausufernde „Antiterror“-Strategie des türkischen Staates einbinden. Allzu lange haben Bundesrepublik und EU mit der Türkei eng, unkritisch, teils willfährig kooperiert – gerade im „Antiterrorkampf“. Sie haben damit Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen geleistet und die kriegerische Kurdenpolitik der Türkei flankiert: so mit dem Verbot der kurdischen PKK in Deutschland und ihrem Eintrag in die EU-Terror¬liste, so mit zahlreichen Strafermittlungen und „Terrorismus“-Prozessen gegen kurdische Aktivist*innen und Vereinigungen, so mit heikler Militär-, Polizei- und Geheimdienstkooperation sowie mit milliardenschweren Waffenlieferungen an die Türkei – trotz prekärer Menschenrechtslage, trotz Angriffskriegs und mutmaßlicher Kriegsverbrechen, trotz Unterstützung isla¬mistischer Terrormilizen etc. 

Die Geschichte deutsch-türkischer „Sicherheitskooperation“ ist lang, folgenschwer und menschenrechtlich kaum zu verantworten. Hier ein paar Schlaglichter auf unterschiedliche Kooperationsbereiche:

Verbot der PKK
1. Das vor 27 Jahren von der Bundesregierung erlassene Betätigungsverbot für die kurdische Arbeiterpartei PKK und andere kurdische Organisationen hat viel Unheil gestiftet. Mit diesem Verbot und der späteren Aufnahme der PKK in die EU-Terrorliste folgten Bundesrepublik und EU dem Drängen des NATO-Partners Türkei. Dieser Staat konnte sich nun legitimiert fühlen, mit Unterdrückung und Staatsterror gegen Kurd*innen und ihre Organisationen vorzugehen und eine zivile und friedliche Lösung der kurdischen Frage zu torpedieren.
Trotz des Wandels, den die einst gewaltorientierte Kaderpartei PKK in Europa in Richtung einer friedlich-demokratischen Lösung des Konflikts vollzogen hat, besteht ihr Verbot in der Bundesrepublik bis heute fort, ist sogar noch ausgeweitet worden. Dies hat Zigtausende politisch aktiver Kurd*innen, die vor Verfolgung und Folter aus der Türkei geflohen waren, hierzulande kriminalisiert – oft nur wegen verbaler oder symbolischer „Taten“ –, hat sie zu Gewalttäter*innen und gefährlichen „Terrorist*innen“ gestempelt und damit zu innenpolitischen Feinden erklärt und ausgegrenzt. Dabei werden elementare Grundrechte massiv beschränkt: die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, die Meinungs- und Pressefreiheit – und damit die freie politische Betätigung. Demonstrationsverbote und Razzien, Durchsuchungen von Privatwohnungen, Vereinen, Druckereien und Redaktionen, Beschlagnahmen und Inhaftierungen waren und sind immer wieder an der Tagesordnung genauso wie geheimdienstliche Ausforschungen.

Auf Grundlage des europaweit einmaligen PKK-Verbots werden Geld- und Freiheitsstrafen verhängt, Einbürgerungen abgelehnt, Staatsbürgerschaften aberkannt, Asylanerkennungen widerrufen oder Ausweisungen verfügt. Doch längst ist das Verbot zum kontraproduktiven Anachronismus geworden und gehört, auch nach Auffassung namhafter Menschenrechtsorganisationen, schleunigst aufgehoben – ebenso wie die exekutive Ermächtigung durch die Bundesregierung, mit der die PKK als ausländische „terroristische Vereinigung“ mitsamt ihren mutmaßlichen Mitgliedern und Unterstützern nach § 129b StGB strafrechtlich verfolgt werden können. Aufgrund dieser Ermächtigung können Menschen kriminalisiert, bestraft und inhaftiert werden, selbst wenn sie selbst keine konkreten Straftaten begangen haben.
Doch es geht auch anders: Erst Anfang 2020 hat das belgische Kassationsgericht entschieden, dass die PKK keine terroristische Organisation sei, sondern eine legitime Partei in einem innerstaatlichen Konflikt in der Türkei; sie, ihre Mitglieder und Unterstützer könnten deshalb in Europa auch nicht mit Antiterrorgesetzen verfolgt werden. Dieses höchstrichterliche Urteil sendet über Belgien hinaus die klare Botschaft: Der Konflikt zwischen Türkei und Kurden kann nicht militärisch, polizeilich und strafrechtlich gelöst werden, sondern allein durch Friedensverhandlungen auf politischem Wege.

Deutsch-türkische Polizeikooperation
2. Die deutsch-türkische Polizeikooperation gestaltete sich jahrzehntelang auf allen Ebenen recht intensiv – ob Polizeiausbildung, -ausstattung, -einsatztaktik, Terrorbekämpfung, Grenzsicherung oder Datenaustausch. Angesichts der Entwicklung in der Türkei hätte diese heikle Zusammenarbeit längst einer kritischen Überprüfung und stärkeren Korrektur unterzogen werden müssen – zeitweilige Einschränkungen reichen jedenfalls nicht.
Wie missbrauchbar eine solche Kooperation sein kann, zeigen die Fälle des Schriftstellers Doğan Akhanli aus Deutschland und des Journalisten Hamza Yalçin aus Schweden – beide türkischer Herkunft. Die türkische Regierung instrumentalisierte Interpol, um die beiden Regimekritiker in Spanien mit dem Ziel festnehmen zu lassen, sie an die Türkei auszuliefern – was noch verhindert werden konnte. Interpol ist die größte Polizeiorganisation der Welt für grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, ohne völkerrechtliche Legitimation und demokratische Kontrolle. Trotz politischer Neutralitätspflicht wird Interpol von Diktaturen und autokratischen Regimen immer wieder dazu missbraucht, politische Dissident*innen weltweit aufzuspüren, festnehmen und ausliefern zu lassen. Um diesen gefährlichen Missbrauch zu stoppen und künftig willkürliche Verhaftungen und Auslieferungen zu verhindern, muss Interpol endlich einer unabhängigen Kontrolle unterzogen werden.

Geheimdienste
3. Die deutschen Geheimdienste arbeiten traditionell auch eng und intensiv mit den Geheimdiensten der Türkei zusammen – handelt es sich doch unter NATO-Partnern um befreundete Dienste. Dabei befinden sich im gemeinsamen Fokus vor allem PKK, kurdische Vereine und Aktivist*innen als angebliche „Terrorist*innen“ und „Terrorhelfer*innen“.

Die deutschen Geheimdienste dürfen personenbezogene Daten etwa über mutmaßliche Terrorverdächtige und deren Kontakt- und Begleitpersonen mit ausländischen Sicherheits- und Geheimdienstbehörden der EU- und NATO-Staaten auszutauschen sowie gemeinsame Antiterror-Dateien und Datenpools einrichten. Hochproblematisch wird diese kaum kontrollierbare Kooperation dann, wenn etwa Daten aus der Türkei menschenrechtswidrig erfoltert wurden und hierzulande gerichtlich genutzt werden; oder wenn vom Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ übermittelte Daten in der Türkei zu politischer Verfolgung missliebiger Personen und Gruppen missbraucht werden. Diese enge bilaterale Kooperation sollte schleunigst ausgesetzt oder auf ein unerlässliches Minimum reduziert werden.

4. Der türkische Geheimdienst MIT unterhält in Deutschland ein umfangreiches Agenten- und Spitzelnetz. Türkische Agenten und freiwillige Spitzel spionieren hierzulande Oppositionelle und Regimekritiker sowie missliebige Vereine, Schulen und sonstige Einrichtungen aus – und bedrohen sie mitunter auch. In ihrem Visier: nicht nur angebliche PKK-Unterstützer, sondern auch Anhänger*innen der Gülen-Bewegung, die die türkische Regierung für den Militär-Putschversuch 2016 verantwortlich macht. Nachdem MIT dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND 2017 Listen mit Hunderten von Ausforschungszielen übergeben hatte, darunter auch Firmen, sind manche Betroffene von hiesigen Sicherheitsbehörden in „Gefährdeten-Ansprachen“ informiert und vor Repressionen und Reisen in die Türkei gewarnt worden.
Diese Reaktion ist gut und richtig. Auch, dass die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit für türkische Geheimdienste Ermittlungen führte – die jedoch mit wenigen Ausnahmen eingestellt wurden. Die wenigen Spionage-Ermittlungen werden jedoch der Dimension geheimdienstlicher Ausforschung und der Bedrohung keineswegs gerecht. Hier müssten die Sicherheitsorgane weit konsequenter intervenieren, um das illegale türkische Spitzelsystem in der Bundesrepublik zu zerschlagen – zum Schutz der Betroffenen, für den Polizei, Justiz und Regierungen Verantwortung tragen.
Es darf nicht sein, dass Kurd*innen, Kritiker*innen und Gegner*innen des türkischen Regimes hierzulande in einem Klima der Angst leben müssen, in Angst vor Bespitzelung, Verfolgung und Bedrohung – oder gar um ihr Leben fürchten müssen, wie es schon öfter der Fall war.

Fazit
Die menschenrechtliche Situation in der Türkei ist katastrophal, das Repressionsarsenal wird weiter ausgebaut, zahlreiche Oppositionelle und Regimekritiker*innen sehen sich durch Kriminalisierung, Mandatsentzug, Inhaftierung und Folter starker politischer Verfolgung ausgesetzt. Deshalb ist von der Bundesregierung sowohl in der Menschenrechtsfrage als auch in der kurdischen Frage eine unmissverständliche Haltung gegenüber der Türkei einzufordern.

Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs der Türkei gegen Syrien, des Kriegs und der Repression gegen die kurdische Bevölkerung sowie der Menschenrechtslage in der Türkei, angesichts des menschenrechtlich inakzeptablen Flüchtlingsdeals, angesichts auch der neuen Rolle der Kurden als stabilisierender Faktor im Nahen und Mittleren Osten und im Abwehrkampf gegen den IS-Terror, kommen NATO, EU und Deutschland eine gesteigerte Verantwortung zu: zum einen im Verhältnis zum NATO-Staat Türkei, der weitgehend völkerrechtswidrig seine militärische Machtbasis in Syrien, Libyen und Nordirak ausbaut, zum anderen hinsichtlich des historischen Friedensprojekts einer gerechten Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts. Denn: Die kurdische Frage ist weniger denn je ein Terrorproblem, sondern eine politisch-menschenrechtliche Problematik der Türkei mit weitreichenden Auswirkungen auf Europa und die Bundesrepublik. Um dieser gesteigerten Verantwortung gerecht zu werden, bedarf es eines radikalen Wan¬dels der europäischen Türkei- und Kurdenpolitik.

Und dazu gehört, endlich die Terror-Stigmatisierung, Verfolgung und Ausgrenzung von Kurd*innen, ihren Organisationen und Medien in Europa und Deutschland zu beenden, die einem offenen Dialog mit der kurdischen Seite diametral entgegenstehen; außerdem gehören die Völkerrechtsverbrechen der Türkei, die Menschenrechtslage in der Türkei und die Lösung der kurdischen Frage mit Nachdruck auf die Agenda der EU. Einstweilen gilt: Reduzierung der deutsch-türkischen „Sicherheitskooperation“ auf ein Minimum, keine Auslieferung von Kurd*innen und Regimegegner*innen sowie sofortiger Stopp der umfangreichen deutschen Rüstungs- und Kriegswaffenexporte in die Türkei, die im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung bereits eine verheerende Rolle spielten. (1)

Anmerkung
1 2019 sind an die Türkei deutsche Kriegswaffen im Wert von 344,6 Millionen Euro exportiert worden, so viel wie an kein anderes Land (RND-Redaktionsnetzwerk 23.06.2020: https://www.rnd.de/politik/turkei-erhielt-uber-ein-drittel-deutscher-waf... ).

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Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt/Publizist, Vizepräsident der Int. Liga für Menschenrechte (www.ilmr.de). Stellv. Richter am Bremischen Staatsgerichtshof, Mithrg. des „Grundrechte-Report“, Mitglied der Jury des Negativpreises „BigBrotherAward“. Autor zahlreicher Bücher zu bürgerrechtlichen Themen. Internet: www.rolf-goessner.de.