Diakonie ohne Zivis - was tun wenn die Wehrpflicht fällt?

von Beirat Zivildienst des Diakonischen Werkes Württemberg
Hintergrund
Hintergrund

Die Bundesregierung plant, den Zivildienst um zwei Monate zu verkürzen und erntete den Aufschrei der Anstellungsträger von ZDLen, dass das Sozialsystem der Bundesrepublik zusammenzubrechen droht.

Da mit einem möglichen Wegfall bzw. Aussetzen der Wehrpflicht auch der Zivildienst wegfällt, müssen die Organisationen, die ZDL beschäftigen, Überlegungen anstellen, einen möglichen Wegfall aufzufangen.

Der Beirat Zivildienst des Diakonischen Werkes Württemberg hat im Januar ein Arbeitspapier mit dem Titel "Diakonie ohne Zivis - was tun, wenn die Wehrpflicht fällt?" veröffentlicht. Wir dokumentieren den zweiten Teil des Arbeitspapiers. Der vollständige Text (13 Seiten) kann im Büro gegen 2,- DM Kopierkosten + 2,20 DM Porto bestellt werden.

1.1 Verbandsintern
 

  •  Das Diakonische Werk Württemberg muss politisch aktiv die Diskussion bestreiten und rechtzeitig in die Offensive gehen.
  •  Das Diakonische Werk Württemberg sollte sich in der politischen Diskussion nicht gegen die Abschaffung oder Aussetzung der Wehrpflicht aussprechen.
  •  Die Einrichtungen und die Landesgeschäftsstelle sollten aber deutlich auf die Konsequenzen einer möglichen Abschaffung des Zivildienstes (ZD), die sich für das Klientel und für die sozialen Einrichtungen ergäben, aufmerksam machen. Dies muss so differenziert wie möglich geschehen. Herausgehoben werden muss, dass der ideelle Verlust sehr hoch wäre, und dass es dadurch auf jeden Fall zu Einbußen in der Lebensqualität der behinderten, der alten und der kranken Menschen käme, wenn kein Ausgleich konzipiert und finanziert wird.
  •  Das Diakonische Werk Württemberg muss sich auf einen möglichen Wegfall des ZD rechtzeitig vorbereiten. Vorüberlegungen und Strategieplanungen sind schon jetzt vorzunehmen. Die betreffenden Fachverbände, die Finanzfachleute und die Verantwortlichen der Einrichtungen müssen in die Diskussion miteinbezogen werden.
  •  Jede einzelne Einrichtung muss eine eigene Analyse unter ideellen und ökonomischen Kriterien erarbeiten. Schon jetzt muss begonnen werden, Abhängigkeiten vom ZD abzubauen.
  •  Das Diakonische Werk Württemberg muss frühzeitig neue Formen eines Freiwilligendienstes entwickeln und modellhaft ausprobieren. Dies muss in Kooperation mit anderen kirchlichen Trägern wie z.B. dem Evangelischen Jugendwerk geschehen.

1.2. Politisch
Wenn es zu einer Abschaffung des ZD kommt, müssen aus heutiger Sicht folgende Sachverhalte politisch erstritten werden:

  •  Das Diakonische Werk Württemberg muss bei der Umstellung, die mit einer öffentlichen Diskussion einhergehen und ihm den Rücken stärken wird, die Chance nutzen, den gesamtwirtschaftlichen Stellenwert sozialer Arbeitsleistung deutlich zu machen und auf eine neue Bewertung drängen.
  •  Das Diakonische Werk Württemberg muss sich vorrangig zusammen mit dem Diakonischen Werk der EKD dafür einsetzen, dass der Wegfall des Zivildienstes für eine beschäftigungspolitische Offensive genutzt wird.
  •  Die Wohlfahrtsverbände müssen bei der Umsetzung miteinbezogen werden.
  • Es muss eine geregelte Übergangszeit eingeplant werden.
  •  Ein Freiwilligengesetz (mit EU-Reichweite), das sehr flexible Einsatzformen zulässt, muss politisch auf den Weg gebracht werden.
  •  Der Bundesetat-ZD (2,5 Mrd. DM) muss komplett für die Konversion wie z.B. Stellenneuschaffungen, Freiwilligendienste etc. verwendet werden.
  •  Frühzeitige Verhandlungen mit den Kostenträgern/Pflegekassen über die Umwandlung von ZD-Plätzen in normale Arbeitsplätze müssen stattfinden.
  •  Der ideelle Mehrwert, der durch die ZDL für die betreuten Menschen entsteht, muss besonders beschrieben und als unverzichtbarer Bestandteil verhandelt werden. Deshalb muss auch die "Zahl der Hände" weitgehend gleichbleiben.

Aus der Sicht des Beirates sind folgende Alternativen anzustreben:

  •  Einstellung von festangestellten Arbeitskräften
  •  Kooperation mit Beschäftigungsfirmen des 2. Arbeitsmarktes
  •  Aufbau eines attraktiven Freiwilligendienstes mit vielfältigen Ausgestaltungsformen,
  • Abgabe einzelner Aufgaben.

2.1. Einstellung von festangestellten Arbeitskräften (1. Priorität)
Die Umwandlung eines Teils der Zivildienstplätze in feste Arbeitsverhältnisse ist in bestimmten Arbeitsbereichen unbedingt notwendig und arbeitsmarktpolitisch erstrebenswert. Es werden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und in den Einrichtungen entsteht mehr Kontinuität und Qualität.
 

Diese Qualitätsverbesserung kann betriebswirtschaflich durchaus Vorteile bringen. Durch die Reduzierung des ständigen Wechsels der Kurzzeitmitarbeiter gewinnt die Arbeit mehr Planungssicherheit und spart Zeit (10 ZDL = 6-7 festangestellte Kräfte). Je nach Aufgabe müsste auf Fachkräfte oder ungelernte Kräfte zurückgegriffen werden (z.B. berufliche WiedereinsteigerInnen, Erwerbslose, ...). Entsprechende Umschulungs-/Weiterbildungskurse müssten angeboten werden.

Die Finanzierung wäre durch eine Kooperation zwischen Bund (BAZ-Gelder), Arbeitsverwaltung und Kostenträgern ohne zusätzliche gesamtwirtschaftliche Belastung möglich.

2.2 Zusammenarbeit mit Beschäftigungsunternehmen (z. B. Neue Arbeit)
Die Arbeitslosenquote wird mittelfristig kaum sinken. Immer mehr Beschäftigungsfirmen werden entstehen, häufig in der Trägerschaft der Wohlfahrtsverbände. Im Rahmen einer Kooperation mit Beschäftigungsunternehmen könnten die Einrichtungen neue Arbeitsplätze (vorwiegend im technisch/organisatorischen Bereich) schaffen und diese mit Arbeitslosen besetzen. Die Beschäftigungsunternehmen beschäftigen und qualifizieren Arbeitslose meist in befristeten Maßnahmen. Möglich ist die gemeinnützige Überlassung von geeigneten ArbeitnehmerInnen mit dem Ziel, das Zusammenpassen von Arbeitsplatz und BewerberIn zu klären, oder die Vermittlung von geeignet erscheinenden und qualifizierten BewerberInnen. Auch die zielgerichtete Qualifizierung durch das Beschäftigungsunternehmen für entsprechende Aufgaben ist möglich.

Im Rahmen der Kooperation können auch finanzielle Mittel zur beruflichen Wiedereingliederung von (Langzeit-)Arbeitslosen eingesetzt werden.

Eine Zusammenarbeit mit Beschäftigungsunternehmen wäre arbeitsmarktpolitisch sehr wertvoll.

2.3 Aufbau eines attraktiven Freiwilligendienstes(1)
Der Landesausschuss des Diakonischen Werkes hat sich 1992 intensiv mit der Frage eines Pflichtjahres befasst. Eine Arbeitsgruppe hat ein umfassendes Papier vorgelegt, das Grundlage folgenden Beschlusses ist:

"Der Ableistung eines Sozialen Jahres für die persönliche und berufliche Entwicklung junger Menschen kommt ein sehr hoher Stellenwert zu. Trotzdem wird von der Einführung eines sozialen Pflichtjahres für alle abgeraten."

Das Diakonische Werk Württemberg setzt auf Freiwilligkeit und nicht auf Pflicht.

Die Zahl interessierter junger Menschen am Sozialbereich ist groß. Doch gibt es bis jetzt nur eine einzige Form längerfristigen freiwilligen Engagements für junge Menschen, das Freiwillige Soziale Jahr (Diakonisches Jahr). Würden in der Bundesrepublik zusätzliche Freiwilligendienste in vielfältiger, aber sehr verbindlicher Form (mit Verträgen) angeboten, würden u. E. viele junge Menschen davon Gebrauch machen. Mit einem attraktiven Freiwilligendienst wird man bundesweit mindestens 60.000 junge Frauen und Männer gewinnen können (bundesweit gibt es z.Zt. 137.000 ZDL und 10.000 FSJ-HelferInnen).

Zum Beispiel könnten Freiwilligendienste angeboten werden,

  •  die sich in ihrem Zeitumfang oder ihrer Zeitverteilung unterscheiden:Halbjährige Angebote, Teilzeitangebote, die Koppelungen mit einer anderen Arbeit/Studium zulassen; Verpflichtung über mehrere Jahre mit einem bestimmten Zeitkontingent (8 Wochenenden und 50 Abende)
  •  die sich in ihrer Einsatzform unterscheiden: Übernahme von längerfristigen "Patenschaften" (z.B. eine junge Frau geht zweimal wöchentlich mit bestimmten HeimbewohnerInnen spazieren) Eine Gruppe Auszubildender übernimmt die Maschinenwartung einer WfB
  •  die auf neue Kooperationsformen setzen: Im Rahmen des 11. Schuljahres wird ein halbjähriger Einsatz durchgeführt (Modell Stuttgart-Neugereut) Neue Kombinationen von Ausbildungen und Sozialeinsätzen könnten kreiert werden (z.B. bei einer 3 1/2 jährigen Ausbildung wirkt ein Soziales Jahr verkürzend)

Koppelung eines Sozialen Jahres mit einer Teilausbildung/Teilqualifikation. Wichtig sind Formen, die eine gewisse Kontinuität und Verpflichtung beinhalten.
 

Die Honorierungsmöglichkeiten müssen vielfältiger angelegt sein als beim FSJ und gesellschaftlich wertvoll sein (z.B. Zertifikate, die Vorteile bringen, doppelte Rentenanrechnungszeiten freie Vehrkehrsmittelbenutzung etc.).

Auch gesellschaftspolitisch wäre der Aufbau eines attraktiven Freiwilligendienstes anzustreben. Die Globalisierung der Wirtschaft und die rasante technologische Entwicklung führen dazu, dass immer weniger Menschen im klassischen Sinn erwerbstätig sein werden. Wissenschaftler wie Ulrich Beck oder Patrick M. Liedtke in seinem Bericht an den Club of Rome fordern, dass der nichtgewerblichen Arbeit in Zukunft mehr Bedeutung zukommen muss. Auf diesem Hintergrund ist ein vielgestaltiges Freiwilligenprogramm positiv zu bewerten. Es würde die Bemühungen, den Arbeitsbegriff neu zu definieren, unterstützen. Es könnte ein Teil dieser neuen Arbeitskultur werden.

Auch ist soziale Kompetenz der Menschen unverzichtbar für eine moderne Gesellschaft. Dazu bedarf es spezieller Lernfelder, um soziales Lernen zu ermöglichen. Gerade der Freiwilligendienst ist hierfür besonders geeignet.

Zur Finanzierung müssten Systeme geschaffen werden, die weitgehend unabhängig von jährlichen Haushaltsansätzen und Pflegesatzverhandlungen sind (z.B. Bildung eines Fonds, in den der Bund einen Teil des jetzigen ZD-Etats einbringt, und auch die Kostenträger Geld einlegen).

Offene Fragen:

  •  Welche Vielfalt der Formen ist für die Einrichtungen verträglich?
  •  Sollten diese Freiwilligendienste nur für den Sozialbereich eingeführt werden?
  •  Wie sind Freiwilligendienste europaweit gesetzlich abzusichern?

2.4 Abgabe einzelner Aufgaben
Einige Aufgaben könnten aus inhaltlicher Sicht evtl. an gewerbliche Unternehmen abgegeben werden (z.B. Essen auf Rädern, bestimmte Fahrdienste). Hier ließen sich außerdem erhebliche Einsparungen für die Beschaffung und den Erhalt eines umfangreichen Fuhrparks erzielen. Welche Aufgaben dafür geeignet sind, müsste im einzelnen inhaltlich wie betriebswirtschaftlich geprüft werden.

Folgende Aspekte sind zu bedenken:

  •  Die Abgabe einzelner Aufgaben ist vor allem dort denkbar, wo es größere Einheiten gibt, d.h. wo mehrere ZDL eine ähnliche Arbeit verrichten, und wo das Arbeitsfeld abgegrenzt werden kann.
  •  Die zu betreuenden Personen dürfen durch den Systemwechsel keine Nachteile erfahren. (Es gibt Beispiele, dass Sonderschulen ihren Schülerfahrdienst ganz über Bus- und Taxiunternehmen abwickeln und damit sehr gute Erfahrungen machen. Die selben Fahrer übernehmen über einen längeren Zeitraum den Dienst, und so kommt es zu engen Kontakten zu den behinderten Menschen).
  •  Soziale Arbeit darf nicht unter Lohn-Dumping-Verhältnissen geleistet werden.

Bei der Überlegung, ob einzelne Aufgaben an gewerbliche Unternehmen abgegeben werden, muss für die Diakonie trotz des allgemein festzustellenden Zwangs zur "Ökonomisierung des Sozialen" und den damit einhergehenden Folgen und Gefahren, der zu betreuende Mensch im Mittelpunkt stehen.

Januar 1999

(1) Natürlich ist auch an den Einsatz von Ehrenamtlichen zu denken. Dies wird in diesem Papier aber nicht weiter ausgeführt.

 

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