Die Alternative der Friedensbewegung zur Militärintervention

von Andreas Buro
Schwerpunkt
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Anhand der bisherigen Diskussionen im Netzwerk Friedenskooperative hat Andreas Buro (Sprecher des Komitees für Grundrechte und De­mokratie) diesen Katalog mit Vor­schlägen ausgearbeitet, für den zunächst er persönlich verantwort­lich zeichnet. Dieses Papier diente auch als Grundlage für das Diskus­sionsforum am 14. September `92 in der Bonner Vertretung des Landes Niedersachsen, das von der Ökolo­giestiftung NRW in Kooperation mit dem Netzwerk Friedenskooperative veranstaltet wurde.

Die Friedensbewegung ist angesichts ihrer Ablehnung einer militäri­schen Intervention im ehemaligen Jugoslawien immer wieder gefragt worden, wie sie sich eine Beendigung des Krieges vorstelle. Aufgrund des tiefen Hasses und der Verfeindung zwischen den Nationalitäten, die durch Terror und brutalen Einsatz des Militärs in diesem hochgerüste­ten Lande aufgebrochen sind, ist eine schnelle Befriedung weder mit militärischen noch mit nichtmilitärischen Mitteln möglich. Der grundle­gende Unterschied besteht jedoch darin, daß Formen der Konfliktbewäl­tigung vorgeschlagen werden, die nicht weiter zerstören und verfein­den, sondern Brücken bauen, Vertrauen bilden und die demokratischen und gegen den Krieg gerichteten Kräfte in den Gesellschaften stärken.

Was am Ende des Vietnam- und Afgha­nistan-Krieges stand, war für diese Völ­ker grauenhaft und perspektivlos. Das darf sich in Europa nicht wiederholen. Wir müssen lernen, Frieden zu stiften, statt nur Feinde zu besiegen. Freilich muß dies vor allem rechtzeitig vorbeu­gend geschehen. In Jugoslawien ist dies weitgehend versäumt worden. Eine eu­ropäische Friedensordnung müßte zu diesem Zwecke ausreichende Institutio­nen, Verfahren und Mittel bereithalten.

Die folgenden Vorschläge sollen eine Diskussionsgrundlage für die Friedens­bewegung und -forschung bieten.

1. Ansatzpunkte der Konfliktbear­beitung auf der gesellschaftlichen Ebene dort  und hier

Die Politik der Interventionen im jugo­slawischen Konflikt sei es von interna­tionalen Institutionen ausgehend wie UN, EG oder KSZE, sei es von den in­ternationalen Regierungen hat die di­plomatische Ebene kaum verlassen. Die gesellschaftliche Ebene wurde in die Bemühungen um die Konfliktbeilegung nicht einbezogen. Letztere spielt jedoch eine enorme Rolle für den Verlauf des Konfliktes. Wir stellen deshalb diese "vernachlässigte Dimension" bewußt an den Anfang unserer Vorschläge.

1.1. Gegenöffentlichkeit: Die nationa­listische Propaganda durchbrechen, um einen Freiraum für eigenständige Beurteilung der Ereignisse in den Ge­sellschaften zu ermöglichen

Mit dem Zusammenbrechen des büro­kratischen, sogenannten real-sozialisti­schen Herrschaftssystems und der na­tionalistischen Neuorientierung der großteils alten Eliten hat eine systemati­sche, entmündigende Propaganda einge­setzt, um die jeweils eigenen Gesell­schaften der nationalistischen Politik der Verfeindung zu unterwerfen. Die neue nationalistische Ideologie wurde als Herrschaftsmittel zur Unterdrückung der Andersdenkenden und zur Absicherung der eigenen Privilegien verwendet und hat heute zweifellos Teile der Gesell­schaften erfaßt. Dieser Herrschaftsme­chanismus kann von außen her ganz we­sentlich in Frage gestellt werden. Dementsprechend ist ein möglichts um­fassendes System der Aufklärung, In­formation und Interpretation zu errich­ten und wirksam zu betreiben. Die enorme Überlegenheit des Westens in der Elektronik und Informationstech­nologie ermöglicht, sowohl eigene Sen­dungen auszustrahlen, und gegen Stö­rungen zu sichern, wie auch die Sen­dungen in bestimmten Bereichen so weitgehend zu stören, daß im gestörten Bereich ein Informationschaos aus­bricht. Es ist unverantwortlich über Miltärinterventionen zu spekulieren, wenn die naheliegenden Möglichkeiten der geistigen Intervention nicht bedacht werden.

Die Herstellung von Gegenöffentlich­keit darf nicht als Propaganda-Krieg im Sinne psychologischer Kriegsführung betrieben werden, sie muß vielmehr von gleichen Beurteilungsmaßstäben gegen­über allen Seiten getragen sein. Um ein Beispiel zu geben: Wer heute vom Bos­nien-Krieg spricht, darf über die ser­bisch-kroatische Komplizenschaft bei der Aufteilung von Bosnien-Herzego­wina nicht schweigen. Es geht also kei­nesfalls um anti-serbische Propaganda, sondern um menschenrechtlich angelei­tete Information und um das Aufzeigen von Schritten, um den Krieg zu been­den: Schritte für einzelne, für die Ge­sellschaften, für die Regierungen. Das heißt aber auch, Kriegstreiber als solche zu bezeichnen.

1.2. Den Anti-Kriegsgruppen in den jugoslawischen Folgerepubliken in­ternational Gehör verschaffen und sie durch Öffentlichkeit schützen

Als Gegenkraft zu dem ethnisch-natio­nalistischen Chauvinismus der Herr­schenden haben sich sehr schnell in den jugoslawischen Folgerepubliken Anti­kriegsgruppen herausgebildet, die gleichzeitig ein wichtiges Element de­mokratischer Opposition repräsentieren. Sie verkörpern die Kräfte, auf die sich die Hoffnung richten muß, aus der Ge­sellschaft heraus den militaristisch-ter­roristischen Nationalismus zu überwin­den. Die deutsche und europäische Frie­densbewegung hat seit Beginn der Kon­flikte diese Gruppen systematisch unter­stützt, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese Unterstützung ist aus­zuweiten und durch eine systematische, internationale Öffentlichkeitsarbeit der Medien zu erweitern. Diese Kräfte müs­sen auch in die internationale Diploma­tie mit einbezogen werden. Es geht nicht, daß die Völker des ehemaligen Jugoslawien allein durch die Organisa­toren des Krieges und der Vertreibung repräsentiert werden.

1.3. Bürgerdiplomatie ausweiten und das Friedensgespräch der jugoslawi­schen Nationalitäten organisieren

Die "nationalistische Verzauberung" wurde im faschistischen Deutschland erst mit der totalen militärischen Nie­derlage aufgebrochen. Im gegenwärti­gen Ex-Jugoslawien muß diese "Verzau­berung", die Teile der Gesell­schaften er­faßt hat, so schnell wie mög­lich aufge­löst werden. Die wichtigsten Möglich­keiten hierzu sind, das Ge­spräch zwi­schen den Nationalitäten auf allen Ebe­nen und einen engen Kontakt und Aus-tausch mit BürgerInnen und Gruppen aus anderen Ländern zu orga­nisieren. Dazu bieten sich folgende Ar­beitsformen an:

-     Konstituierung eines Friedensforums außerhalb der Folgerepubliken. Ihm sollen bedeutende Repräsentanten und Persönlichkeiten angehören. Seine Aufgabe wäre  es, Schritte der Entfeindung und eine Politik der Versöhnung zu entwickeln und nach außen zu vertreten.

-     Gemeinsame Zeichen setzende Akti­vitäten unter Beteiligung von Men­schen aus verschiedenen Republiken, Friedenscamps, Trainings und Semi­naren.

-     Bildung von Städte- und Gemeinde­partnerschaften, die möglichst bosni­sche, serbische und kroatische Ge­meinden mit deutschen und anderen eurpäischen Städten bzw. Gemeinden zusammenbringen.

-     Zusammenbringen professioneller Verbände bzw. Arbeitszusammen­hänge über Nationalitätengrenzen hinweg, gemeinsam wiederum mit deutschen und anderen europäischen professionellen Verbänden. Solche Dialogstrukturen sind auf  möglichst viele Gebiete auszuweiten, also auch auf die gewerkschaftlichen, wirt­schaftlichen, touristischen usw.

-     Die Förderung des interreligiösen Dialogs zwischen Moslems, Katholi­ken und Orthodoxen.

1.4. Die Menschen aus dem ehemali­gen Jugoslawien in Deutschland gegen den Krieg zu Wort bringen

Obwohl sich viele Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die im Aus­land leben, seit dem Ausbruch der Kon­flikte national definieren und identifizie­ren, haben sie doch kaum ein Interesse den Krieg zu fördern, soweit sie ihn nicht jeweils als Verteidigungskrieg in­terpretieren. Wenn sich auch teilweise Feindbilder von der jeweils anderen Nationalität im Ausland und besonders auch in Deutschland reproduzieren - als wäre man in Jugoslawien - so muß doch versucht werden, das Friedensinteresse der im Ausland lebenden Jugoslawen ins Spiel zu bringen. Dies kann beför­dert werden, wenn verdeutlicht wird, daß sich die Vorstellung einer Politik der ethnisch-nationalistischen Säube­rungen auf die Auslands-Jugoslawen angewandt, unmittelbar auswirken müßte. Es ist daher in Deutschland eine Politik der Versöhnung der Nationalitä­ten hier lebender Jugoslawen zu entwic­keln, deren Botschaften und Vorschläge gezielt in Ex-Jugoslawien zu verbreiten sind.

1.5. Insbesondere in Deutschland ist die eigene parteiische Berichterstat­tung, als kämpften wir wieder gegen die Serben, zu korrigieren

Eine glaubwürdige Vermittlung kann nicht gleichzeitig auch parteiisch sein, außer sie ist parteiisch zu Gunsten von Menschen-und Minderheitenrechten und für den Frieden. Insbesondere die deut­sche öffentliche Medienlandschaft ver­hält sich so, als sei die Bundesrepublik an der Seite Kroatiens im Krieg mit Serbien. Das führt zu Ausblendung von Informationen. Warum gibt es in der deutschen Öffentlichkeit z.B. kaum sy­stematische Auswertungen der Berichte des Generalsekretärs der UNO zum bosnischen Krieg oder der Dokumente des Internationalen Roten Kreuzes. Die täu-schende Berichterstattung vom Golf-Krieg muß uns eine Warnung sein. Schneidige Gesinnungspublizistik ist in friedenspolitischem Bemühen fehl am Platze, ebenso der Aufbau von Feind­bildern. Glaubwürdigkeit in der Kritik und der menschenrecht-lichen Anforde­rung ist nur zu gewinnen, wenn mit gleichen Maßstäben gemessen wird, wenn negative und positive Aspekte auf allen Seiten benannt und analysiert wer­den.

2. Durchsetzung von Menschen-, Nationalitäten- und Minderheiten­rechten

In den kriegerischen Auseinanderset­zungen beschuldigen sich die Seiten wechselseitig der Verbrechen. Dabei wird unter der Hand eine Haltung ein­genommen, als ließen sich die eigenen Verbrechen mit denen der anderen auf­rechnen oder gar rechtfertigen. Um die­sen Zirkel zu durchbrechen, ist das Prin­zip Gerechtigkeit und Gleichheit der Verantwortlichkeit gegenüber allen Be­teiligten am Krieg sehr wichtig. Unilate­rale Angebote der Verbrechens-untersu­chung mit internationaler Begleitung können eine Situation einleiten, in der die andere Seite entsprechende Untersu­chungswünsche nicht ohne Gesichts­verlust auf Dauer ignorieren kann. Ar­gumente der Rache sind nicht zu tolerie­ren.

Wesentliche Elemente der Durchsetzung sind, die abschreckenden Folgen von Verstößen gegen die Rechte verbindlich festzulegen, allgemein bekannt zu ma­chen, wo möglich exemplarische Pro­zesse zu betreiben, die Regierungen zu unilateralen Schritten zu veranlassen und mit einer systematischen Erfassung und Veröffentlichung von Verbrechen zu beginnen.

2.1. Minderheitenrechte überall glei­chermaßen durchsetzen

Durch den Terrorismus ist die Verfein­dung zwischen den Nationalitäten groß. Glaubwürdigkeit und Überwindung von Angst ist nur möglich, wenn alle Seiten mit gleichen Maßstäben gemessen wer­den. Es ist deshalb nicht nur bei Serbien, sondern auch bei den nahestehenden Republiken - wir nennen ausdrücklich Kroatien als ein Schlüsselland in dieser Hinsicht - auf die strickte Verwirkli­chung von großzügigen Minderheiten-, Nationalitäten- und Bürgerrechten auch und ausdrücklich für serbisch-stämmige Einwohner zu sorgen. Diese gesetzlich festzulegen und öffentlich in der Durch­setzung zu verifizieren, bedeutet die Wiederherstellung von Vertrauen in unilateraler Herangehensweise, d.h. in dem die Ansprüche an jede Seite unab­hängig vom Verhalten der jeweils ande­ren Seite gestellt werden. Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn mit einer solchen Politik von dem Gedanken nach Rache und Vergeltung abgegangen wird. Selbstverständlich sind nicht nur Kroatien sondern alle anderen Republi­ken entsprechend aufzufordern.

2.2. Bevölkerungsaustausch ist nur in Frieden und freiwillig zulässig

Die UN, die KSZE und möglichst viele andere Organisationen, aber auch Staa­ten, bekennen sich bzw. betonen erneut den Grundsatz, daß die BürgerInnen ei­ner Gesellschaft unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft und ihres religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses die gleichen Rechte in einer Gesell­schaft haben. Eine rassische Diskrimi­nierung widerspricht den Menschen­rechten und den Grundsätzen der UN. Sie kann nicht hingenommen werden. Ein Bevölkerungsaustausch, aus wel­chen Gründen auch immer, darf nur un­ter dem Vorzeichen der tatsächlichen freiwilligen Vereinbarungen, unter Be­dingungen, die eine freie Entscheidung ermöglichen und bei voller Entschädi­gung für zurückbleibendes Eigentum und für die Mehrkosten der Neuansied­lung erfolgen. Unter anderen Bedingun­gen erfolgte Vertreibung von Menschen wird international nicht anerkannt, Ei­gentums- und Entschädigungsansprüche werden hier von der Verjährung deshalb ausgenommen. Dies gilt auch gegenüber den Vertreibern als Personen, wie ge­genüber allen späteren Nutzern der zu­rückgelassenen Güter. Die Ansprüche der Vertriebenen sind auch dem Ver­treiberstaaten und seinen etwaigen Nachfolgegebilden als unmittelbar fäl­lige Schuld anzulasten. Den Vertreiber­staaten werden aufgrund der Ansprüche der Vertriebenen alle zugänglichen Mittel und Guthaben beschlagnahmt, soweit es die Befriedung der Ansprüche der Vertriebenen erforderlich macht.

2.3. Die persönliche und institutio­nelle Verantwortlichkeit unmißver­ständlich deutlich machen

Dieses Prinzip ist in jüngster Zeit immer wieder unterstrichen worden. Offen ist jedoch die Frage, ob man bereit ist, es auch anzuwenden. Eine Dokumentation über Kriegsverbrechen und Menschen­rechtsverletzungen in einem Zentralre­gister der UN oder anderer geeigneter Institutionen muß jetzt angelegt, die Zu­ständigkeit eines internationalen Straf­gerichtshofes geklärt und Verfahren ge­gen Täter bereits jetzt eingeleitet wer­den, damit allgemein begreiflich wird, daß sich Mord und Vertreibung in einer solchen Situation nicht außerhalb der Menschenrechtscharta abspielen. Für die Vertreibung und Vernichtung der ethnischen Gruppen ist die UNO-Völ­kermord-Konvention vom 9.Dezember 1948 anzuwenden, nach der auch regie­rende Personen und öffentliche Beamte zur Rechenschaft gezogen werden kön­nen. Dies trotz des Dilemmas, daß Teil­nehmer internationaler Konferenzen Immunität genießen.

2.4. Die systematische Erfassung von Verbrechensinformationen

Die UN richten eine Behörde ein, die alle Verbrechen gegen die Menschen­rechte sammeln. Zur Mitarbeit wird die Bevölkerung aller Republiken aufgefor­dert. Möglicherweise sind Fahndungen herauszugeben und Prozesse rechts­staatlichen Prinzipien folgend anzu­strengen. Exemplarische Fälle sind zur Herstellung des öffentlichen Verständ­nisses bekannt zu machen.

An die Regierungen der Republiken richten die Vereinten Nationen die Auf­forderung, Menschenrechtsverletzungen unter internationaler Beteiligung ge­richtlich zu verfolgen.

2.5. Vertreibung und Terror in UN-Blauhelm-verwalteten Bereichen dür­fen nicht toleriert werden

Die Politik der ethnischen Vertreibung bzw. Säuberung ist menschenrechtlich und nach den Prinzipien der UN unzu­lässig. Die Glaubwürdigkeit der UN kann nur erhalten werden, wenn eine solche Politik in den UN-Blauhelm verwalteten Gebieten rigoros unterbun­den und diejenigen, die sie betreiben, gerichtlich verfolgt werden. Die UN muß bereits in diesem konkreten Zu­sammenhang erklären, daß sogenannte freiwillige Verzichtserklärungen von Personen, ihre Heimat zu verlassen und ihr Eigentum "freiwillig" aufzugeben, nicht als rechtmäßig anerkannt, sondern als Erpressung verfolgt werden. Ge­richtszuständigkeiten und -verfahren sind anzugeben.

Der UN-Sicherheitsrat muß den Gene­ralsekretär der UNO beauftragen, die Verwaltungs- und Polizeihoheit in den von Blauhelmen kontrollierten Zonen zu übernehmen, um so Versuche der ethni­schen Säuberungen in diesen Gebieten zu unterbinden.

2.6. Bei der Inspektion von Lagern, sowie der Untersuchung von Men­schenrechtsverletzungen und Vertrei­bungen sind alle Seiten zu beteiligen

Für die Ermittlung von Internierungs- und Gefangenenlagern sind der UN die technischen Möglichkeiten wie Satelli­tenaufklärung und AWACS-Beobach­tungen von den Mitgliedsstaaten zur Verfügung zu stellen. Internierungslager sind schnellstens unter Kontrolle auf­zulösen

Eine Dauerpräsenz von UN-Beobach­tern in den Gefangenenlagern aller Sei­ten und eine Übernahme der medizini­schen und Lebensmittel-Versorgung z.B. durch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes würde Folter, Mord und Hungertod dort beenden. Gegen eine vollständige Auflösung von Gefan­genenlagern - nicht aber gegen Entlas­sung und Austausch von Gefangenen - während der Kriegshandlungen könnte sprechen, daß es für die Kämpfer aller Seiten Gelegenheit geben muß, sich u.a. durch Ergeben der weiteren Teilnahme am Morden zu entziehen.

Zur Inspektion von Lagern und der Un­tersuchung von Menschenrechtsverlet­zungen und Vertreibungen sind jeweils auch Repräsentanten der anderen Seite hinzuzuziehen.

3. Dem Krieg systematisch den Boden entziehen: Druck ausüben, deeskalieren, vorbeugen

Offensichtlich gibt es nicht den Gene­ralschlüssel zum Frieden in ehemals ju­goslawischen Ländern. Viele Schritte und Herangehensweisen sind erforder­lich, um nationalistische Verblendung, Haß und Rachegefühle, Banditentum und partikularistische Interessen, die auf Kosten anderer verfolgt werden, zu überwinden. Vorbeugung gegen eine Konfliktausweitung ist nach wie vor groß zu schreiben. Die folgende Auf­zählung von Schritten kann sicher noch ergänzt werden.

3.1. Das Embargo durchsetzen

Eines der wichtigsten Instrumente nicht-militärischer Konfliktbearbeitung ist die Verweigerung von Kooperation und Sanktionen bis hin zur gezielten Be­schränkung von Im- und Exporten. Das von der UN verhängte Embargo gegen­über Serbien-Montenegro ist ein solches Instrument, bleibt jedoch unwirksam, wenn es unterlaufen wird. Sanktionen dienen zielgerichtet der Erzwingung ei­nes Verhaltens gemäß der UN-Charta. Abgestufte Sanktionen müßten z.B. auch gegen Kroatien erwogen, ange­droht und verhängt werden, wenn dort Minderheitenrechte systematisch ver­weigert werden.

Das Embargo hat sich gegen die Kriegs­führung zu richten, nicht gegen die Ver­sorgung der Bevölkerung mit Lebens­mitteln und Medikamenten. Es kann sich auch gegen Exporte richten, um Deviseneinnahmen der Regierung zu beschränken. Ein Embargo kann erheb­liche Auswirkungen auf andere Länder haben. Die wirksame Durchsetzung des Embargos erfordert deshalb, daß von der Weltgesellschaft ein Lastenaus­gleich für die Verluste übernommen wird. Traditionellen Lieferländern von Jugoslawien, die gegenwärtig das Em­bargo ignorieren, ist bei strikter und kontrollierter Einhaltung des Embargos eine angemessene Entschädigung anzu­bieten. Sind sie unter diesen Bedingun­gen nicht bereit, sofort das Embargo einzuhalten, muß gegen sie selbst zu Einschränkungen gegriffen werden.

Die jeweiligen Heimatstaaten sind ver­antwortlich für die Verfolgung von Ver­stößen gegen das Embargo durch Fir­men oder einzelne Täter. So müssen z.B. das Embargo brechende Schiffe im Heimathafen festgesetzt bzw. von ihrer Regierung zur Fahndung ausgeschrieben werden. Die Ahndung erfolgt auf diese Weise auf polizeilicher und strafrechtli­cher Ebene unterhalb der Schwelle mi­litärischen Eingreifens und - bei Staaten - durch Sanktionen. Eine unabhängige Schiedskomission der UNO sollte - von allen durch Meldungen unterstützt - Embargoverstöße feststellen und je nach Gewicht der Verstöße abgestufte Sank­tionen festlegen.

3.2. Die wichtige Aufgabe der UN-Blauhelme heißt Deeskalation, Be­treuung humanitärer Aufgaben, Be­obachtung und Information

Deeskalation von Konflikten, das ist die zentrale Richtlinie für die Arbeit der Blauhelme. Deshalb wenden wir uns auch gegen eine Beteiligung der großen Mächte an Blauhelmaktionen, da diese sehr viel leichter in Eskalationssituatio­nen, also Situationen der Ausweitung militärischer Konflikte, geraten können. Dies ist einer unserer Vorbehalte auch gegen deutsche Blauhelm-Kontingente.

Trotz aller Rückschläge sind die Be­mühungen um Waffenstillstandsverein­barungen, um freiwillige Entwaffnun­gen und die Überstellungen schwerer Waffen und um die Überwachung ver­einbarter Korridore für humanitäre Lie­ferungen fortzusetzen. Wo sinnvoll, ist das Blauhelm-Kontingent für diese Aufgaben aufzustocken. Alle diese kon­struktiven Aufgaben wären gefährdet, wenn über die persönliche Selbstvertei­digung hinaus, das Mandat der Blau­helme oder anderer ausländischer Inter­ventionstruppen zu Kampfmaßnahmen ausgeweitet würde.

3.3. Die Flughäfen in Ser­bien/Montenegro kontrollieren

Belgrad beteuert immer wieder, sich nicht am Krieg in Bosnien zu beteiligen. Diese Beteuerung muß positiv aufge­griffen und mit der Forderung verbun­den werden, diese Haltung durch Kon­trollen der Flughäfen und Grenzen zu verifizieren. Würde diesem Verlangen nicht entsprochen müßte Ser­bien/Montenegro voll für die Kriegs­handlungen in Bosnien-Herzegowina mit verantwortlich gemacht werden.

3.4. Teilbereiche in Bosnien-Herze­gowina zu befriedeten Gebieten ma­chen und durch Blauhelme kontrol­lieren

Angesichts der Verfeindung durch den vorgängigen Terror und bei der höchst gemischten Besiedlung in vielen Teilen des Landes ist vorbeugende Entspan­nung der Situation angezeigt. Durch Verhandlungen der UN könnten regio­nale befriedete Gebiete ausgewiesen werden, in denen beobachtend und kon­trollierend Blauhelm-Kontingente, möglicherweise auch andere UN-Kon­tingente mit speziellen Ausbildungen und Fähigkeiten, stationiert werden. Re­gionen könnten auch den Antrag stellen, einen solchen Status zu erhalten, wenn interne Einigungsprozesse die Voraus­setzungen dafür bieten. Die UN-Auto­ritäten sollten in solchen Gebieten auch Ombuds- und Vermittlungsfunktionen übernehmen.

3.5. Aufruf, sich dem Krieg zu entzie­hen

Unter Hinweis auf die Charta der Ver­einten Nationen ist von den UN aufzu­rufen, sich nicht an dem Krieg zu betei­ligen und sich dem Krieg zu entziehen, wo dieser auf Eroberung und Vertrei­bung von Menschen abzielt. Solchen Verweigerern des Kriegsdienstes ist Hilfe und Asyl außerhalb ihrer Heimat­länder anzubieten.

Dementsprechendend ist jegliche frie­densvertragliche Regelung mit der For­derung zu verbinden, diese Verweigerer nicht zu verfolgen und nicht zu bestra­fen, sowie ihnen die unbeschränkte Rückkehr in ihre Heimat zu gewähren. Über eine Registrierung solcher Ver­weigerer durch die UN ist die Einhal­tung dieser Forderung sicherzustellen.

3.6. Dem Übergreifen des Krieges auf weitere Bereiche vorbeugen

Vorbeugende Konfliktbearbeitung ist das wichtigste Element, um eine nicht-militärische Bewältigung von Konflik­ten zu organisieren. Diese Erkenntnis ist in Jugoslawien sträflich vernachlässigt worden. Die Folgen müssen gegenwär­tig die Menschen in Form der militä­risch-terroristischen Auseinanderset­zung erleiden. Auch die Warnungen vor dem bevorstehenden Konflikt in Bos­nien-Herzegowina bewirkten nicht eine rechtzeitige, vorbeugende Zuwendung der internationalen Gemeinschaft. Ge­genwärtig sind drei wichtige kon­fliktträchtige Bereiche auszumachen: der Kosovo, Mazedonien und der Sand­jak. Allerdings wird auch in der Vojvo­dina eine Politik der Verdrängung der vielfachen Minderheiten betrieben. Für alle genannten Bereiche ist eine diffe­renzierte und jeweils angemessene vor­beugende, nicht-militärische Konflikt­verhütungspolitik zu entwickeln. Hier sind nur wenige Bemerkungen zur Kennzeichnung der Problematik mög­lich.

3.6.1. Kosovo

Der Kosovo hatte einen Autonomie-Status im Rahmen des serbisch-jugo­slawischen Teilstaates. Er ist auf Betrei­ben der jetztigen serbischen Führungse­liten aufgehoben worden. Der Kosovo ist zu mehr als 90% von Albanern be­wohnt. Nach schweren Konflikten, die von der Bevölkerung meist gewaltfrei geführt wurden, hat diese eine au­tochthone Regierung gebildet, die von Belgrad nicht anerkannt wird. Das be­nachbarte Albanien ist nicht gleichgültig gegenüber der Unterdrückung seiner Landsleute in Serbien. Jederzeit kann, besonders wenn der Bosnien-Krieg beendet ist, dort ein neuer Konfliktherd entstehen.

Für den Kosovo muß eine Lösung ange­strebt werden, die einerseits die berech­tigten Selbstbestimmungsansprüche der Albaner und andererseits die enge histo­rische Bindung Serbiens an dieses Ge­biet berücksichtigt. Dabei interpretieren wir den Begriff Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht als einen selbstver­ständlichen Anspruch auf Eigenstaat­lichkeit, falls innerstaatlich ausrei­chende Autonomie- und Mitbestim­mungsrechte gewährt werden

3.6.2. Mazedonien

Eine Konsolidierung dieser Republik, die aufgrund griechischen Einspruches bisher nicht anerkannt wurde, ist drin­gend geboten. Separatistische Tenden­zen und Forderungen nach Revision der Grenzen können sonst virulent werden. Autonomie und Minderheitenrechte sind einzuräumen. In diesem Sinne ist auf die Regierung einzuwirken. Gespräche zwi­schen den Volksgruppen (Mazedonier etwa 70, Albaner etwa 20 Prozent) sind verbunden mit dem Angebot für wirk­same Wirtschaftshilfe zu vermitteln und zu begleiten. Im Rahmen der EG ist auf eine schnelle Lösung des Anerken­nungsproblems zu drängen. Eine baldige Mazedonien-Konferenz zusammen mit den Anrainerstaaten ist vorzubereiten

3.6.3. Sandjak

Sandjak ist die Bezeichnung für eine Region die etwa zu 2/3 in Serbien und zu 1/3 Drittel in Montenegro nördlich von Kosovo liegt. Von den etwa 350000 Bewohnern sind mehr als die Hälfte Moslems. Angesichts des Krieges von Serben gegen Moslems in Bosnien-Her­zegowina ist die Situation angsterfüllt, der Krieg könne auch in den Sandjak übergreifen. Die serbische Regierung ist aufzufordern, ihre Bereitschaft zur För­derung gutnachbarlichen Beziehungen der Menschen unterschiedlicher religiö­ser und weltanschaulicher Bekenntnisse und Kulturen zu versichern und daß sie jedem Versuch zur Störung des Zusam­menlebens mit rechtsstaatlichen Mitteln unter Achtung der Menschenrechte und Minderheitenrechte entgegentreten wird. Die Entsendung von Beobachtern in das Gebiet ist zu vereinbaren, die Einrich­tung einer Schlichtungsstelle vorzu­schlagen.

3.6.4. Vojvodina

In der Vojvodina leben Serben ( ca. 54% ), Ungarn ( ca.20% ), Kroaten und viele andere Volksgruppen. Auch hier besteht die Gefahr ethnischer Konflikte. Die Vertreibung von Kroaten hat schon begonnen. Die Wiederherstellung der Autonomie, die der Vojvodina genauso wie dem Kosovo vor wenigen Jahren genommen wurde, könnte die Spannun­gen reduzieren. Auch hier müßte inter­nationale Beobachtung und Vermittlung organisiert werden.

4. Ansatzpunkte auf der politisch-diplomatischen Ebene

Das Verhalten der UN, aller vermitteln­der Institutionen und der Mitgliedsstaa­ten muß sich konsequent an der UN-Charta und den Menschenrechten orien­tieren und in diesem Sinne auch bere­chenbar sein. Eine nur selektive Geltung solcher Werte würde die Glaubwürdig­keit von Vermittlungsversuchen unter­graben.

4.1. Stimmrecht entziehen, aber im Dialog bleiben

Der Abbruch von Beziehungen zu Staaten, welche die Menschenrechte schwer ver-letzen, treibt diese in Inso­lierung und oftmals in gesellschaftliche "Trotzreaktionen". Das Ziel internatio­naler Politik im Sinne von Weltinnen­politik muß jedoch sein, auch bei politi­scher Entgleisung eine "Resozia­lisierung" zu erreichen, so daß Staaten sich (wieder) den Prinzipien und der Charta der Vereinten Nationen ent­sprechend verhalten. Dementsprechend ist der volle Abbruch der Beziehungen disfunktional. Vielmehr müssen solchen Staaten die Vorrechte aus einer Mit­gliedschaft in internationalen Organisa­tionen und vor allem ihr Stimmrecht entzogen werden, ohne daß sie die Möglichkeit verlieren, an dem Dialog der jeweiligen Mitglieder teilzuhaben.

4.2. Dem Volk der Serben die Tür nach Europa und in die internationale Gemeinschaft offen halten

Nach der Beendigung des Ost-West-Konfliktes entstehen rasant neue Feind­bilder wie "Die Serben". Feindbilder sind falsche Bilder. Sie erfassen nicht die ganze Realität, sie fördern Vorur­teile und verhindern Einsichten in Ver­änderungen. Sie pauschalisieren, und setzten ein ganzes Volk mit Terroristen gleich. Sie verdekken, wie sehr ein großer Teil der Serben den Krieg ab­lehnt, sich dem Militär verweigert und selbst zum Opfer ethnisch-nationalisti­scher Demagogie im Rahmen der Auf­lösung der bisherigen Gesellschaftsord­nung geworden ist. Deshalb ist es für die Staatengemeinschaft dringend zu er­klären: Das serbische Volk ist in Europa willkommen. Alle Schritte richten sich gegen diejenigen Kräfte, die Terror, Vertreibung und Menschenrechtsverlet­zung organisieren und praktizieren. Das serbische Volk ist aufzurufen, sich hier­gegen zur Wehr zu setzen.

4.3. Die Bedingungen für die bereits vollzogene Anerkennung der jugosla­wischen Republiken Kroatien und Slowenien ernsthaft einfordern

Die EG-Staaten haben bei ihrer, insbe­sondere von Deutschland vorangetrie­benen Anerkennungspolitik Bedingun­gen, die zu erfüllen seien, um anerkannt zu werden, vorgelegt. Diese bezogen sich auf die Charta der Vereinten Natio­nen und insbesondere auf die Einhaltung der Menschenrechte und die Sicherung der Rechte von Nationalitäten und Min­derheiten. Diese Anforderungen bilden auch Maßstäbe für die Beurteilung der serbischen und der montenegrinischen Politik. Sie müssen jedoch lediglich als Propagandawaffe erscheinen, wenn die EG-Staaten nicht die Einhaltung der Bedingungen durch Kroatien und Slo­wenien kritisch überwacht, oder offen­sichtliche Verletzungen lässig beiseite schauend hinnimmt. Deshalb ist bei der EG, oder wenn dies nicht schnell mög­lich ist, bei den EG-Mitgliedsstaaten jeweils eine Institution zu schaffen, die erstens über die Einhaltung wacht, zweitens darüber öffentlich berichtet und drittens die Funktion eines Om­budsmannes übernimmt, so daß bei ihr Beschwerden zur Untersuchung von Verletzungen vorgebracht werden kön­nen.

4.4. Planungsstäbe und Institutionen für nichtmilitärisches Krisenmana­gement als dauerhafte Institutionen aufbauen

Obwohl es immer eindeutiger erkennbar wird, daß militärische Mittel ungeeignet sind, die heutigen Konflikte problemlö­send zu bearbeiten, gibt es doch riesige militärische Planungsbürokratien in den europäischen Ländern. Vergleichbare Planungsstäbe für nicht-militärische Konfliktbearbeitung gibt es dagegen nur unzureichend. Das hat ganz wesentlich zu der mangelhaften ausländischen Vermittlungsarbeit im Fall Jugoslawien beigetragen, der fast alle Elemente nicht-militärischer, friedensfördernder Intervention fehlten. Diesem Mangel ist abzuhelfen. Entsprechende Institutionen mit den erforderlichen Kompetenzen sind einzurichten, und zwar in einer Weise, die es erlaubt die vielfältigen Ebenen einer solchen problemlösenden Friedensförderung angemessen zu bear­beiten und miteinander in Verbindung zu bringen.

Darüberhinaus - dies kann hier nur an­gedeutet werden - ist es dringend erfor­derlich, kompetente Institutionen, Ver­fahren und Entscheidungsstrukturen zu schaffen, die sich vorbeugend und aktu­ell der nicht-militärischen Krisenbear­beitung in Europa widmen können. Die bisherigen Einrichtungen und Regelun­gen bei der KSZE entsprechen nicht den Erfordernissen.

4.5. Das Instrument positiver Sank­tionen (Anreize für Frieden und Ko­operation) entwickeln und einsetzen

Obwohl unser Denken traditionell mehr auf bestrafen "Schuldiger" ausgerichtet ist, erfordert nicht-militärische Kon­fliktbearbeitung gerade auch positive Sanktionen, die gute Entwicklungswege eröffnen sollen. Sie dürfen allerdings nicht bedingungslos eingeräumt werden, sondern sind stets an Verhaltensaufla­gen gebunden: Einhaltung der Men­schen- und Bürgerrechte, Gewährung von Minderheiten- und Autonomie­rechten, Beendigung von Vertreibung und Wiedergutmachung usw. Positive Sanktionen müssen so konzipiert sein, daß sie von den Republiken, die sich auf die Bedingungen einlassen, wahrge­nommen werden können, selbst wenn andere Republiken noch nicht dazu be­reit sind. So entstünde eine erhebliche Sogwirkung, insbesondere wenn die Angebote sich rasch auf die Lebensbe­dingungen der Menschen auswirkten. Um diese Wirkung zu unterstreichen, ist auch eine zeitliche Begrenzung oder zeitlich-stufenweise Angebotsminde­rung einzubauen. Zum Gebiet positive Sanktionen gehört auch die Prüfung ei­ner Anerkennung Serbien-Montenegros unter Bedingungen (Ende des Krieges, Autonomie in Kosovo, Minderheiten­rechte, Amnestie für Kriegsdienstver­weigerer und Deserteure, Zulassung in­ternationaler Beobachter) und die För­derung von wirtschaftlichen und politi­schen Integrationsmöglichkeiten des Balkanraumes.

Positive Sanktionen sind grundsätzlich mit der Bereitschaft zu kooperativen Verhalten und der Annahme einer inter­nationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu verbinden. Sie sind ferner an bedeu­tende Abrüstungsschritte zu knüpfen. Eine Zone der Abrüstung, die mögli­cherweise über ehemals jugoslawische Lande hinausgeht, ist zu prüfen. Dage­gen muß ein militärisch gestütztes Sy­stem kollektiver Sicherheit mit einge­bauter Aufrüstungsdynamik grundsätz­lich abgelehnt werden.

4.6. Das Gespräch über die Neuord­nung der ehemals jugoslawischen Ge­sellschaften und ihrer staatlichen Be­ziehungen beharrlich führen

Das Gespräch über die Neuordnung kann eine wesentlich, friedensstiftende Funktion haben, wenn dadurch ange­messene Lebens- und Entwicklungsper­spektiven für alle Länder und Gesell­schaften erkennbar werden. Aus Tradi­tionen abgeleitete Ansprüche können nicht der wichtigste Maßstab sein. Aus­gehandelte Veränderungen müssen möglich sein. Das Beharren auf gewalt­samen Grenzverschiebungen und Er­gebnissen einer ethnisch-rassistischen Vertreibungspolitik läßt jedoch keine Aufhebung negativer Sanktionen zu. Auch eine rassistische Apartheidspolitik kann nicht toleriert werden. Immer ist gegenüber jeder politischen Pragmatik daran zu erinnern, daß der Versuch, die Beziehungen zwischen Gesellschaften, Ethnien und Staaten im zerfallenden Ju­goslawien neu zu gestalten, exemplari­schen Charakter haben und exemplari­sche Fragen aufwerfen wird. Wer z.B. ethnische Kantons-lösungen, wie die EG für Bosnien, vorschlägt, wird sich nicht wundern dürfen, wenn sich nationalisti­sche Kräfte finden, die ethnische Mehr­heitsverhältnisse mit Gewalt durch­zusetzen trachten.

An den Gesprächen sind neben den Re­gierungen auch die Vertreter der `Zivilen Gesellschaften`, der Nationali­täten und Minderheiten zu beteiligen.

5. Humanitäre Hilfe

Den Flüchtlingen, Internierten und den von Hunger und Krankheit durch die kriegerischen Ereignisse Bedrohten muß geholfen werden. Das Argument, solche Hilfe nütze nur denjenigen, welche die "ethnische Säuberung" durch Vertrei­bung organisieren, ist falsch. Die ge­genwärtigen terroristischen Praktiken der Vertreibung zeigen, daß diese ohne Rücksicht auf das spätere Schicksal der Menschen erfolgt - so oder so! Die not­wendige Hilfe hat verschiedene Dimen­sionen.

5.1. Humanitäre Soforthilfe vor Ort

Städte sind eingezingelt, Gebiete von Zufuhr abgeschnitten, es besteht Seu­chen-gefahr, für medizinische Erste Hilfe fehlen alle Mittel usw. Hier ist humanitäre Soforthilfe zu organisieren, auch in bislang unüblichen Formen: z.B. durch Abwerfen von Hilfsgütern, aber selbstverständlich auch in der bisher schon praktizierten Form der Erschlie­ßung von Zugangskorridoren in gedul­digen Verhandlungen. Gerade diese Form ist nach wie vor von Bedeutung, um Elemente von Verhandlungen und Vetraglichkeit, die auf menschenrechtli­che Prinzipien beruhen, in die kriegeri­sche Auseinandersetzung einzuführen und um damit den Charakter des Krieges Stück für Stück zu verändern.

Eine Bewaffnung der Hilfsgütertrans­porte wäre falsch und wird abgelehnt, da erstens stets die Gefahr der militärischen Eskalation gegeben ist und zweitens die Versuche vertraglicher Vereinbarungen damit unterlaufen würden. Etwas an­deres wäre es, wenn die Transporte zum Schutz gegen Räuber von der jeweiligen herrschenden Partei geschützt werden würde.

Ein Freikaufen von Durchgangsrechten für humanitäre Hilfe ist aus grundsätzli­chen Erwägungen abzulehnen. Möglich ist es jedoch, humanitäre Hilfe auch den jeweils anderen anzubieten und in die­sem Zusammenhang einen beschützten Zugang zu den ursprünglichen Hilfs­zielen auszuhandeln. Der Grundsatz müßte lauten: Humanitäre Hilfe erhält jeder, der diese nicht behindert.

5.2. Hilfe für Flüchtlinge im eigenen kulturellen Raum

Das Prinzip, Flüchtlinge im eigenen kulturellen Lebensraum zu belassen, unter der Voraussetzung, daß sie dort nicht bedroht sind und ausreichende Le­bensbedingungen gesichert werden kön­nen, ist zu unterstützen. Bleibt den Flüchtlingen, nachdem sie ihre lokale Heimat aufgeben mußten, so doch eine zusätzliche Infragestellung ihrer kul­turellen Identität erspart. Eine Auf­nahme der Flüchtlinge in den benach­barten Ländern im ehemaligen Jugosla­wien stellt jedoch eine große Belastung für diese relativ armen Gesellschaften dar, während die anderen europäischen Länder in der Aufnahme von Flüchtlin­gen entlastet werden. Eine solche im Prinzip, wie gesagt, sinnvolle Politik er­fordert deshalb eine tatsächlich weitrei­chende finanzielle und materielle Hilfe für die Sicherung der Lebenssituation der Flüchtlinge aus den wohlhabenden europäischen Staaten. Staatliche und private Hilfen, die Übernahme von indi­viduellen und Lagerpatenschaften wie auch die Organisierung von Freiwilli­gendiensten sind unabdingbar.

Da stets die Gefahr besteht, daß Flücht­lingslager zu dauerhaften Flüchtlings­ghettos werden, ist nach der ersten Ab­sicherung zu prüfen, in welcher Weise sozial- integrative, "entwicklungs­politische" Elemente der Flücht­lingshilfe hinzuzufügen sind. Damit ist auch gemeint, daß die zur Verfügung gestellten Mittel zur Ankur­belung und zur Beschaffung von Ar­beitsplätzen im Aufnahmeland selbst verwendet und nicht einfach Güter im­portiert werden. Eine solch Politik könnte die Aufnah­mebereitschaft er­heblich stärken.

5.3. Aufnahme von Flüchtlingen im Ausland

Gerade in der aktuellen Situation des Krieges im ehemaligen Jugoslawien mit den enormen Flüchtlingszahlen und an­gesichts von medizinischer Versor­gungsengpässe und des bevorstehenden Winters kann auf die vorübergehende Aufnahme von Flüchtlingen nicht ver­zichtet werden. Es wäre nicht nur ein Zeichen der Solidarität der reichen eu­ropäischen Länder, wenn sie nach an­gemessenen Quoten aufnehmen würden. Es würde auch die Bindung an humani­täre Werte dokumentieren. Sollte keine Einigung über Aufnahmequoten erreicht werden, schlagen wir die Festsetzung solcher Quoten, gewichtet nach Brutto­sozialprodukt und Bevölkerungszahl der Länder vor. Die einzelnen europäischen Länder können dann einseitig ihre Quoten erfüllen, während die Nichter­füllung durch andere Länder öffentlich gemacht werden kann.

5.4. Flüchtlingsaufnahme in Deutschland

Unabhängig von allen Quoten hat Deutschland aufgrund seiner schweren histo-rischen Schuld gegenüber Jugo­slawien im Weltkrieg II eine besondere Verpflichtung, den Menschen und Völ­kern dort beizustehen. Bürokratische Beschränkungen, wie sie die Bundesre­gierung gegenüber den bosnischen Flüchtlingen verhängt hat, zeugen von einer unfassbaren historischen Verant­wortungslosigkeit. Dagegen gibt es eine Welle der Hilfsbereitschaft in der Be­völkerung. Aufnahme von Flüchtlingen hier und Freiwilligenarbeit vor Ort be­dürfen allerdings staatlicher Rahmenbe­dingungen und finanzieller Stützung, um sie tragfähig und wirksam zu ge­stalten. Die Glaubwürdigkeit deutscher Politik ist an der Hilfe Deutschlands für die Menschen und Gesellschaften in den jugoslawischen Landen zu messen.

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