Die Atomstreitkräfte der USA

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"Unser Ziel ist nicht nur die ehemalige Sowjetunion, sondern jedes po­tentiell feindliche Land, das Massenvernichtungswaffen besitzt oder sich verschaffen will."

(General Lee Butler, Kommandeur des U.S. Strategic Command (STRATCOM), im April 1993 )

Das Grundsatzpapier der Clinton Admi­nistration zur -Nationalen Sicherheits­strategie- vom Juli 1994 illustriert deut­lich die Widersprüche in der amerikani­schen Non-Proliferations- und Abrü­stungspolitik. Es kündigt eine "umfassende Strategie im Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernich­tungswaffen und deren Trägersysteme" an, gleichzeitig jedoch wird das Ziel der atomaren Abrüstung mit keinem Wort erwähnt.

An die Stelle der Abschaffung aller Atomwaffen sind in der amerikanischen Rhetorik Waffenreduzierungen und die vermeintliche Notwendigkeit getreten, sich Atomwaffen als -anti-proliferatives Druckmittel- zu erhalten.

"Wir können die Erfindung der Atom­waffen nicht rückgängig machen; doch wir können sie kontrollieren. Wir kön­nen ihre Bedeutung und ihren Einfluss begrenzen [und] ... ihre Rolle in der Welt des 21. Jahrhunderts grundlegend verändern."

(John D. Holum, Direktor der U.S. Arms Control and Disarmament Agency)

Präsident Clintons Erklärung zur Si­cherheitspolitik versprach, auf dem Weg von Rüstungskontrollvereinbarungen weiterzugehen, sie stellte aber auch fest, die USA sollten Atomwaffen für den Fall behalten, daß die Bemühungen scheitern sollten, die Verbreitung von nuklearen, biologischen und chemischen Waffen zu verhindern: "Die US-Streit­kräfte müssen in der Lage sein, als Ab­schreckung gegen den Einsatz von Atomwaffen zu dienen, diesen zu ver­hindern und sich gegen ihn zu verteidi­gen... Auch brauchen wir starke strate­gische Atomstreitkräfte, wenn wir ver­suchen, die bestehenden Vereinbarun­gen über strategische Waffen umzuset­zen."

In der Praxis heißt das: Während die Herstellung von neuen Atomsprengköp­fen bereits im vierten Jahr in Folge ruht (ohne irgendein Versprechen zur Entnu­klearisierung), geht gleichzeitig die Entwicklung von neuen Nukleardoktri­nen, -strategien und -waffen weiter, die es mit der Welt nach dem Kalten Krieg aufnehmen sollen. Das untergräbt die Ziele der Non-Proliferation und wider­spricht der amerikanischen Verpflich­tung, atomare Abrüstung anzustreben.

Rüstungskontroll- und Abrüstungs­politik

Die Clinton-Administration will über 1995 hinaus die "unbefristete" Verlän­gerung des Atomwaffensperrvertrags (NPT) und seine "universelle" Anwen­dung. Indes ist die amerikanische Non-Proliferationsstrategie von Region zu Region unterschiedlich. Im Fall der ko­reanischen Halbinsel strebt sie die voll­ständige "Denuklearisierung" an. In In­dien und Pakistan will sie "atomare und Trägersystemkapazitäten eingefroren, reduziert und schließlich beseitigt" se­hen. Im Mittleren Osten "und anderswo" möchte sie "zu regionalen Rüstungs­kontrollvereinbarungen ermutigen, die auf die legitimen Sicherheitsinteressen aller Parteien eingehen." (ebd.)

Ob man Atomwaffen mit "Massenvernichtungswaffen" (WMD - weapons of mass destruction), d.h. che­mischen und biologischen Waffen oder auch konventionell bestückten Raketen, begegnen soll, hat eine interne Kontro­verse in der Clinton-Administration ausgelöst. Der Kommandeur des U.S. Strategic Command (STRATCOM) Ge­neral Lee Butler sagte im April 1993 vor dem amerikanischen Kongress, daß ein neues global ausgerichtetes Aufklä­rungszentrum eingerichtet worden sei, das "Streitkräfte beobachten und Ziele analysieren soll ..., um aus dem operati­ven Blickwinkel des STRATCOM die wachsende Bedrohung zu analysieren, die von der weltweiten Proliferation von Massenvernichtungswaffen ausgeht."

Seit langem ist es Grundsatz der USA, kein Land mit Atomwaffen zu bedro­hen, es sei denn dieses ist eine Atom­macht oder mit einer Atommacht "verbündet". Gleichwohl suchen Ver­treter einer atomaren Verteidigungspo­litik, diesen Grundsatz zu revidieren und die Entwicklung neuer Strategien und neuer Waffen voranzutreiben, die für den Einsatz in "substrategischen" Kon­flikten bestimmt sind. Der dem Kon­gress vorgelegte Jahresrechenschaftsbe­richt des kurz zuvor zurückgetretenen Verteidigungsministers Les Aspin er­klärte Anfang 1994, daß "die Rolle der amerikanischen Atomstreitkräfte in der Abschreckung oder bei der Antwort auf solche nicht-nuklearen Bedrohungen überdacht werden muß". Allerdings ha­ben Verantwortliche aus dem State De­partment und der Arms Control and Disarmament Agency gegen diesen po­litischen Schwenk protestiert, und er ist - zumindest bis jetzt - ausgeblieben.

Start II

Am 3.1.1993 wurde in Moskau von Bush und Jelzin der START-II-Ver­trag über die Reduzierung und Be­grenzung Strategischer Offensivwaf­fen unterschrieben. Er baut auf dem im Juli 1991 unterzeichneten START-Vertrag. In dem START II-Vertrag wurde festgelegt, daß die schweren ballistischen Interkonti­nentalraketen (ICBMs) und die ICBMs mit Mehrfachsprengköpfen beseitigt werden und die in beiden Ländern stationierten Bestände an strategischen Nuklearwaffen um zwei Drittel der gegenwärtigen Ni­veaus drastisch reduziert werden. Die Abrüstungsmaßnahmen sollen bis zum Jahre 2003 durchgeführt worden sein.

Die USA haben sich dem russischen Moratorium für Kernwaffenversuche angeschlossen und multilaterale Ver­handlungen mit dem Ziel, einen Vertrag über ein umfassendes Verbot von Kernwaffenversuchen (CTBT - Com­prehensive Test Ban Treaty) abzu­schließen, geführt. Sie betreiben die Ra­tifizierung und das Inkrafttreten von START I und II und die Reduzierung ihrer eigenen Atomstreitkräfte auf die von START II festgelegten Obergren­zen. Ein weiterer Abbau der strategi­schen Atomstreitkräfte, der über START II hinausginge, wird nicht ver­folgt. Tatsächlich hat die Administration erklärt, sie untersuche, ob solche Redu­zierungen überhaupt "ratsam" seien.

Atomdoktrin

Am 1. Oktober 1993 übernahm Präsi­dent Clinton die wichtigsten Atomdok­trinen der Reagan-Administration. Um Atomstreitkräfte und -doktrinen mit den Gegebenheiten nach dem Kalten Krieg in Einklang zu bringen, wurde 1993 eine "Untersuchung zur atomaren Lage" (Nuclear Posture Review) begonnen.

Heute sind innerhalb der amerikani­schen strategischen Atomstreitkräfte 3.400 Gefechtsköpfe auf MX- und Mi­nuteman III-Raketen und in U-Booten mit ballistischen Raketen (SSBN) in permanenter Gefechtsbereitschaft. Dem stehen schätzungsweise 5.000 Gefechts­köpfe gegenüber, die sich 1985 bis 1991 in der gleichen Alarmstufe befanden. Doch insgesamt haben die strategischen U-Boot-Verbände 1989 begonnen, ihre Alarmbereitschaft zu erhöhen, und ha­ben seither eine Gefechtsbereitschaft beibehalten, die manchmal die in den Reagan-Jahren übertraf. Das ist der höchste Grad an Kriegsbereitschaft der strategischen Atomstreitkräfte seit 1969. Während die Größe der strategischen Atomstreitkräfte sich um ein Drittel ver­ringert hat, ist der Anteil der gefechtsbe­reiten Sprengköpfe an der Gesamtzahl der gleiche (d.h. bei 41-43% der Ge­samtstreitmacht) geblieben.

Stand der amerikanischen Atom­streitkräfte und Atomrüstung

Die USA geben auch weiterhin pro Jahr mehr als 20 Milliarden Dollar für Atomwaffenprogramme aus. Davon ent­fallen mehr als 90% auf Forschung, An­schaffung und die Wartung des laufen­den Atomarsenals und seiner Infra­struktur. Dem stehen gerade 1 Milliarde Dollar für den Abbau und die Ver­schrottung von Waffen gegenüber.

In der gegenwärtigen Planung wird da­von ausgegangen, daß das aktive Ato­marsenal der USA im Jahr 2003 4.450 Gefechtsköpfe umfassen wird, davon entfallen 3.500 auf strategische und 950 auf nicht-strategische Waffen.

Die strategischen Atomstreitkräfte der USA zählen heute etwa 7.900 Spreng­köpfe. Das ist eine gewaltige Zahl, aber bedeutend weniger als das Maximum, das 1987 mit etwa 13.000 erreicht war. Von diesen 7.900 sind 3.000 bis 4.000 zur Demontage vorgesehen, wenn START II ratifiziert und umgesetzt wird. Ungeachtet der Ratifizierungs­frage haben die USA erklärt, sie würden mit der Waffenreduzierung beginnen, falls Russland es auch tun werde.

Manche Entscheidungsträger in den USA stellen die Ratifizierung von START II in Frage. So hat das Pentagon erklärt, daß ein größeres Arsenal grö­ßere Mittelzuweisungen und größere Aktivitäten für den Waffenkomplex zur Folge hätte, also einen größeren Bedarf an Tritium und einen umfangreicheren Bedarf an kostspieligen Modernisierun­gen und Erneuerungen bedeuten würde.

Ungefähr ein Drittel der verbliebenen taktischen Atomsprengköpfe der USA ist in Europa stationiert (in Belgien, Deutschland, Griechenland, Holland, Italien, in der Türkei und in Großbritan­nien). Die "Solidarität" innerhalb der NATO verlangt auch weiterhin, daß alle sieben sich an der Stationierung "beteiligen". Allerdings wird angenom­men, daß die Zahl von Waffen auf grie­chischem, belgischem und holländi­schem Boden gegenwärtig unter 10 liegt (und es ist gut möglich, daß die Atom­sprengköpfe aus Griechenland insge­heim völlig abgezogen worden sind).

Darüber hinaus findet eine Verlagerung von Atomwaffen von der ehemaligen an der Sowjetunion und Osteuropa orien­tierten "Zentralfront" nach Südeuropa statt. Die nukleare Planung stellt sich zusehends auf Szenarios ein, die im Mittleren Osten und in der Dritten Welt angesiedelt sind. In Großbritannien bleibt nur eine einzige US-Air Base mit Atomwaffen (RAF Lakenheath mit F-15E Strike Eagles) und ebenfalls nur eine in Deutschland (Spangdahlem mit atomwaffenfähigen F-16-Flugzeugen). Die amerikanische Basis mit F-16 in Torrejon in Spanien ist geschlossen worden, dafür sind aber zwei F-16C-Staffeln von Ramstein zur Verstärkung der Südflanke nach Aviano in Nordita­lien verlegt worden. Obwohl Aviano die wichtigste Basis für Operationen in Bosnien gewesen ist, dient der Stütz­punkt hauptsächlich als Hilfseinrichtung für den neuen Südschwerpunkt; genauso wie der US-Stützpunkt in Incirlik im Südosten der Türkei ist auch Aviano eine Atombasis auf der Suche nach Feinden.

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