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Die unendliche Geschichte einer Diskriminierung:
Die ausgebliebene Anerkennung und Entschädigung für die Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und "Wehrkraftzersetzer" unter dem NS-Regime
vonTaten, Täter und Opfer
In den letzten Jahren ist die Rolle der Wehrstrafjustiz unter dem NS-Regime und die hohe Zahl ihrer Opfer verstärkt in das Bewußtsein der Öffentlichkeit getragen worden: Mehr als 20.000 Todesurteile gibt es durch diese Blutjustiz zu beklagen, weit mehr, als selbst der Volksgerichtshof fällte.
Hinzu kamen Zehntausende von Haftstrafen. Eine grausame Behandlung (u.a. Elektrofolter) erfuhren ferner die Menschen, die über einen "Ausweg der Seele" (Kriegsneurosen, Selbstverstümmelungen etc.) dem Wehrmachtsdienst zu entkommen suchten. Für sie war die Wehrpsychiatrie zuständig.
Bis heute warten die Leidtragenden dieser Maßnahmen darauf, als NS-Opfer anerkannt und würdig entschädigt zu werden. Zur Aufarbeitung der Geschichte der Desertion, aber auch aus Solidarität mit diesen jahrzehntelang von der Bundesrepublik verfemten Opfern haben sich "Deserteursinitiativen gegründet, die seit kurzem auch bundesweit koordiniert werden. Schließlich beginnen auch die überlebenden Opfer aus ihrem historischen Schattendasein hinauszutreten: Für den Oktober planen ehemalige Verfolgte der NS-Militärjustiz aus der BRD und der DDR die Gründung eines gemeinsamen Verfolgtenverbandes.
Das Thema ist also nicht nur von historischem Interesse: Es geht um das Lebensschicksal derer, die aufgrund ihrer Entscheidung, der Mordmaschinerie nicht mehr dienen zu wollen, heute ohne Altersversorgung leben müssen und dabei wahrnehmen, daß es ihren ehemaligen Peinigern - etwas den umstandslos von der BRD-Justiz übernommenen Wehrstrafrichtern - in dieser Hinsicht besser erging. "Mitgemacht" zu haben, zahlte sich bislang immer noch aus.
Die Opfer aus der Sicht des "Bundesentschädigungsgesetzes"
In der ôffentlichkeit herrscht oft der Eindruck, diejenigen, denen unter dem NS-Regime Unrecht widerfahren ist, erst recht, wenn sie KZ-Haft oder gar den Tod zu erleiden hatten, seien (Bzw. deren Hinterbliebene) in jedem Fall entschädigungsberechtigt. Dieser Eindruck trügt. Für diese Berechtigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG), die Anerkennung als Verfolgter, ist die Tatsache des erlittenen Unrechts allein nicht hinreichend. Entscheidend ist vielmehr, aus welchen Gründen man verfolgt worden ist. Die Absicht der Mörder und Verfolger ist also ausschlaggebend für die Entschädigungberechtigung der Opfer. Der 1 des BEG legt fest, wer offiziell Verfolgter ist: Es ist nur, wer "aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist ..."
Die Präambel des Gesetzes nennt ferner die "Widerstandskämpfer" aus politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus als Gruppe der Anspruchsberechtigten. Relevant für Deserteure ist deshalb die Frage, ob sie die genannten Bedingungen erfüllen. Stellt z.B. eine Weigerung zur Einberufung durch die Wehrmacht oder die Weigerung zur Tötung den von der Präambel geforderten "Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft" dar? Gegenteiliger Auffassung war die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH).
Streng von der Kategorie der "Widerstandskämpfer" zu unterscheiden sind laut BEG eigentlich die Person, die aus politischen Gründen verfolgt wurden. Denn für diese wäre eine aktive Widerstandshandlung gar nicht nötig, um als Opfer anerkannt zu werden. Auch hier hat man sich von der deutschen Richterschaft Interessantes einfallen lassen.
über diese grundsätzlich Fragen hinaus sind weitere - einschränkende - Kriterien zu beachten, etwa die engen Antragsfristen. Was es für Kriegsopfer und selbst ehemalige SS-Offiziere nicht gibt, für NS-Opfer wurde es eigens eingeführt: Enge Antragsfristen, nach deren Ablauf Anträge grundsätzlich nicht mehr gestellt werden konnten.
Waren Deserteure und Kriegsdienstverweigerer politisch Verfolgte?
Die Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen hätte prinzipiell zum Beispiel auf bestimmte Religionsgemeinschaften (etwa Zeugen Jehovas) zutreffen können, die ihren Mitgliedern Militärdienst untersagten. Allerdings zeigt die Rechtspraxis, daß hier ein sinnige Unterscheidung eingeführt wurde: Zeugen Jehovas seien zwar als Kriegsdienstverweigerer, nicht jedoch aus den vom BEG geforderten Gründen inhaftiert (oder getötet) worden, was den Tatbestand des 1 BEG allein nicht erfülle, Verfolgter gewesen zu sein! Man muß sich hierbei vergegenwärtigen, daß z.B. für die Tatsache, aus rassischen Gründen verfolgt worden zu sein, besondere Handlungen der Verfolgten, also zum Beispiel Widerstandshandlungen, nicht vom BEG gefordert werden. Andernfalls wäre wohl nicht mehr als 1.000 Juden als NS-Verfolgte anerkannt worden. éhnlich hätte man auch mit den Deserteuren, Kriegsdienstverweigerern etc. verfahren können, die ja aus politischen Gründen dafür bestraft und umgebracht worden sind, daß sie nicht für den Faschismus in den Krieg ziehen wollten. Gleichgültig also, wie deren Motivation zur Desertion war, ist rein objektiv der Tatbestand erfüllt worden, daß sie sich dem Nationalsozialismus und seiner Wehrmacht entzogen und dafür politisch verfolgt worden waren. Diese Realität wurde allerdings rechtlich und politisch nie anerkannt.
Von großer Relevanz ist ein weitere Umstand: Soldaten, die desertiert waren, gaben im Strafgerichtsverfahren häufig nicht an, sie hätten dies aus politischer Gegnerschaft zum NS-Regime getan. Dies hätte das sichere Todesurteil bedeutet. Letztlich ist schwer rekonstruierbar, welches ihre tatsächlichen Gründe waren. Aber in den Akten der Verurteilten, die später eine Entschädigung begehrten, ging natürlich das situativ im damaligen Strafgerichtsverfahren bezeugte Motiv zur Desertion ein - nicht selten ein Grund, deswegen später die Entschädigung zu versagen.
Der Abwehrtrick mit den Widerstandskämpfern
Über die - häufig nicht nachweisbaren oder anerkannten - Verfolgungsgründen des 1 BEG hinaus konnten Betroffene Leistungen nur dann erhalten, wenn sie die Bedingung eines "Widerstandskämpfers" erfüllen.
Widerstandskämpfer war man laut BGH-Rechtsprechung bis 1966 aber nur, wenn die Handlung, für die man verfolgt worden war, "Teil eines Gesamtverhaltens war, das eine gewisse Dauer und Nachdrücklichkeit erkennen ließ und gewisse Erfolgsaussichten hatte".
Eine schlagende Begründung
Herausragend für die damalige Rechtsprechung des BGH war der Fall Georg Bock, der, wie der Kritiker Heinz Düx später das Urteil zusammenfaßt,
"... Entschädigung wegen Freiheitsentzug von monatlich 150.- DM verlangte, weil er im Herbst 1939 von einem Kriegsgericht zu 3 1/2 Jahren Festungshaft verurteilt worden war und später von einem Feldgericht zu 1 1/2 Jahren Freiheitsstrafe. Die erste Strafe erfolgte, weil er einem Einberufungsbefehl nicht gefolgt war, die zweite, weil er sich später in der UdSSR geweigert hatte, Minen zu legen. Der Bundesgerichtshof befand, daß das Verhalten Bocks keine relevante Widerstandshandlung gewesen sei, denn Bocks Weigerung habe für die deutsche Wehrmacht nur einen verschwindend geringen Kräfteausfall bedeutet, insbesondere wenn man berücksichtige, daß er wegen eines Magenleidens ohnedies nur beschränkt einsatzfähig gewesen sei. Er habe sich durch sein Verhalten nur der Gefahr ausgesetzt, zum Tode verurteilt zu werden. Diese Erwägungen hätten auch für seine Weigerung zu gelten, während der Kampfhandlung im Osten dem Befehl, Minen zu legen, Folge zu leisten. Es lasse sich nicht feststellen, daß seine Weigerung einen militärischen Nutzen gehabt habe, ganz abgesehen davon, daß Bock möglicherweise dadurch Wehrmachtsangehörige in Gefahr brachte bzw. bewirkte, daß eine mögliche Abwendung von Gefahren für sie unterblieb. In jedem Fall habe er durch sein Verhalten auch seine Familie schweres Leid gebracht." - eine Begründung, deren Zynismus nicht mehr zu überbieten ist.
1966 änderte der BGH seine Rechtsprechung geringfügig. Zwar seien alle sonstigen Entscheidungsgründe ("Gesamtverhalten" ...) aufrechtzuerhalten. Fortan aber solle auf das Kriterium der notwendigen "Erfolgsaussichten" der Widerstandshandlung verzichtet werden. Damit blieben aber weiterhin die allermeisten Deserteure und Kriegsdienstverweigerer (KDV) von Leistungen ausgeschlossen. Denn deren Verurteilungen waren nach Auffassungen des BGH rechtens. So konnte noch 20 Jahre nach Verkündung dieser Urteile die Bundesregierung in einer Unterrichtung feststellen:
"Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht oder Zersetzung der Wehrmacht haben im allgemeinen nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen, da solche Handlungen auch in Ländern mit rechtsstaatlicher Verfassung, zum z.B. in den westeuropäischen Staaten, während des Krieges mit Strafe bedroht waren. Gleichwohl können im Einzelfall Verurteilungen solcher Art auf in 1 BEG genannten Gründen oder auf einer sonstigen Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze beruht haben. Für rechtsstaatswidrige Schädigungen, die nicht auf den im 1 BEG genannten Gründen beruhen, gilt das Allgemeine Kriegsfolgengesetz."
Unterschlagen wurde damit, daß Exzesse wie die der Wehrstrafjustiz in "anderen westeuropäischen Staaten" völlig unbekannt waren. Hier gab es allenfalls wenige Dutzend Todesurteile, die meisten davon nicht einmal vollstreckt.
Die "Kriegssonderstrafrechtsverordnung": Kein NS-Unrecht?
Der BGH nahm 1964 grundsätzlich zu der Frage Stellung, ob eine kriegsgerichtliche Bestrafung nach der "Kriegssonderstrafrechtsverordnung" (KSStVO), der relevantesten Rechtsgrundlage für die Aburteilung von Deserteuren, "Wehrkraftzersetzern" etc. als nationalsozialistisch Gewaltmaßnahme anzusehen sei. Ihm lag der Fall eines Vertreters der Religionsgemeinschaft der "Zeugen Jehovas" zur Entscheidung vor, der aus Glaubensgründen der Einberufung zum Wehrdienst nicht nachgekommen und als "Wehrkraftzersetzer" kriegsgerichtlich zum Tode verurteilt worden war. Der BGH stellte fest, daß die einfache Verurteilung nach KSStVO, selbst wenn sie mit einem Todesurteil endete, für sich noch keine nationalsozialistische Gewaltmaßnahme sei. Grundsätzlich hätte diese Verurteilung die rechtsstaatlichen Normen nicht verlassen.
Andernfalls, so der Senat, würde es bedeuten,
"... daß die Richter, die seinerzeit aufgrund dieser Norm (der KSStVO) Strafen verhängt haben, damit in jedem Falle nicht Recht, sondern schlechthin Unrecht verübt hätte." -Schlichtweg eine denkwürdige Einsicht!
Die Fristenhürde und das "Allgemeine Kriegsfolgengesetz"
Auch die wenigen, die durch den kleinen "Sinneswandel" des BGH von 1966 potentiell für eine Leistung in Frage gekommen wären, erhielten diese nicht automatisch. Sie mußten nun erneut den Antrags - oder Klageweg bestreiten und grundsätzlich die Antragsfrist bis zum 30.6.1966 einhalten. Nur in Ausnahmefällen wurde die Frist bis 1969 verlängert.
Schlimmer war es noch um die (angebliche) Möglichkeit bestellt, nach dem "Allgemeinen Kriegsfolgengesetz" Leistungen zu erhalten. Hier bestand nur eine Antragsfrist von 1957-58! Auch diese wird kaum jemand genutzt haben: die Verfolgten nahmen ja an, unter das BEG zu fallen.
Eine neue "Härteregelung"
In den letzten Jahren haben viele Opfer, die von den Gesetzen nicht als Verfolgte anerkannt worden waren, versuchten, die ôffentlichkeit auf ihrer Misere aufmerksam zu machen. Herzu zählen Zwangssterilisierte, "Euthanasie"-Geschädigte, Homosexuelle, sog. "Asoziale", aber auch die Deserteure und Kriegsdienstverweigerer. Durch den Beschluß des Bundestages vom 3.12.1987 wurde trotz jahrelangen Bemühungen der GRöNEN und der SPD die für die bislang aufgeschlossenen NS-Opfer geforderte Rentenregelung bzw. eine Bundesstiftung auf rechtlicher Basis verhindert. Die Bundesregierung und die Fraktion der CDU/CSU und FDP waren nur zu einer sogenannten "abschließenden Härteregelung" bereit. Als Verfolgte im Sinne des BEG wurden die genannten Opfergruppen wiederum nicht anerkannt. Die Formel für NS-Unrecht, die auf Deserteure und KDV angewendet wird, hat dabei einen bemerkenswerten Wortlaut:
"Als Unrecht gelten auch gesetzmäßig verhängte Strafen, wenn sie, auch unter Berücksichtigung der Zeit -, insbesondere der Kriegsumstände, als übermäßig bewertet werden müssen."
Nur gesetzmäßig verhängte Strafen (die vielen tausend Todesurteile der Standgerichte also nicht?!) sollen also darunter fallen. Und was heißt "unter Berücksichtigung der Zeitumstände" und mehr noch "der Kriegsumstände"? Was heißt unter den damals vorhabden Bedingungen der Normalität massenhafter Todesstrafen (immerhin mehr 20.000 Todeurteile), nicht gerechnet die Haftstrafen usw., eigentlich "übermäßig"?
Damit allerdings nicht genug: Die Härteleistungen sind außergesetzliche Leistungen, auf sie besteht kein Rechtsanspruch. Betroffene können gegen Entscheidungen der Bundesregierung nicht vor ordentlichen Entschädigungsgericht klagen.
Eine Fülle unglaublicher Ausschlußklauseln wurde geschaffen: Leistung bekommt nur, wer zum Zeitpunkt der Verfolgung (!) Deutscher war und zur Zeit der offiziellen Antragsfristen zwingend "gehindert war", die Antragsfrist des AKG einzuhalten. Voraussetzung für Leistung ist ferner, daß die Opfer erhebliche Gesundheitsschäden erlitten haben und sich gegenwärtig in einer Notlage befinden.
Man darf auch nach 1945 weder aktives Mitglied der KPD oder einer anderen Organisation, die gegen die FDGO verstoßen hat, gewesen sein noch nach BRD-Recht zu hoher Haftstrafe verurteilt worden sein. Hat man dies alles erfüllt, erhält man laut 6 dieser Härteregelung eine einmalige Beihilfe "bis zu (!) 5.000.- DM". Weitaus strengere Bedingungen sind zu erfüllen, um eine laufende Beihilfe (Rente) zu erhalten.
Wer wundert sich da, daß es im Jahre 1988 im gesamten Bundesgebiet keinen einzigen Fall bei Deserteuren, KDV, "Wehrkraftzersetzern" gelungen war, eine laufende Leistung zu erhalten und ebenso (immerhin?) 6 "Wehrkraftzersetzern und Kriegsdienstverweigerern, eine einmalige Beihilfe "bis zu 5.000.- DM"?
Liegt ein "normales" Urteil nach der KSStVO vor, ist eine Entschädigungsberechtigung ja noch nicht gegeben. Während also, um dies als Kontrast hinzuzufügen, ein SS-Offizier, dem "in Ausübung seines Dienstes" ein Gesundheitsschaden entstanden ist, Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz erhalten kann - das nicht einmal Antragsfristen wie das BEG kennt -, ist den Opfern dieser "Dienstleistung" weitgehend eine solche Altersversorgung versagt geblieben.
Ausschluß aus der Rentenversicherung und Lage der Hinterbliebenen
Entscheidende Bedeutung für die Betroffenen hat die Frage, inwieweit ihre Verfolgungszeit in der Rentenversicherung gewertet werden. Das einschlägige Gesetz hierzu, das "WGSVG", sieht eine solche Möglichkeit vor. Der Haken: es wird nur auf diejenigen angewandt, die offiziell als Verfolgte i.S. des 1 BEG anerkannt worden sind. Abermals fallen hier Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus genannten Gründen heraus - ebenso wie z.B. Zwangssterilisierte.
Besonders ist auch auf die Lage der Hinterbliebenen der Opfer, die von der NS-Justiz ermordet wurden oder schon verstorben sind, hinzuweisen. Sie hatte "selbstverständlich" auch Fristen und spezifische Bedingungen einzuhalten. Der BGH urteilte z.B. 1975:
"Wer als Verlobter eines Verfolgten von NS-Gewaltmaßnahmen mitbetroffen worden ist und den Verfolgten erst später geheiratet hat, gilt nicht als naher Angehöriger" - und erhält damit keine Leistungen.
Innerhalb der "Härteregelung" wird diese Formel analog angewandt. Die Hinterbliebenen müssen sich gar, um "mitbetroffen" zu sein, einen dauernden Gesundheitsschäden geholt haben! Selbst dann werden ihnen aber laufende Leistungen, also z.B. eine Altersversorgung verwehrt. Auch für sie heißt die Antwort: Einmalige Leistung "bis zu 5.000.- DM".
Rückblickend und für die Zukunft bemerkt
Wer die Anwendung der Entschädigungsgesetze studiert, kommt schnell zu der Erkenntnis, daß es sich einfach um "vergessene Opfer" handelt. Diese Opfer sind systematisch von allen Entschädigungsansprüchen ausgeschlossen worden - sowohl bereits durch die speziellen Anforderungen des BEG, insbesondere aber durch die Rechtsprechung der höchsten bundesdeutschen Gerichte. Der Gesetzgeber, die Bundesregierung und vor allem der Bundesgerichtshof arbeiteten Hand in Hand, den Deserteuren streitig zu machen, daß sie aus politischen Gründen verfolgt worden sind. Der zentrale Widerspruch, daß nämlich allgemein anerkannt wird, Hitlers Kriege seien verbrecherisch gewesen, diejenigen, die sich ihm entzogen hatten und dafür bestraft wurden, seien zu diesem Entzug aber nicht legitimiert gewesen, ist über Jahrzehnte vertuscht und geleugnet worden.
Man hat diesen Verfolgten - selbst unter den vielen Opfern ein einmaliger Fall - eine zusätzliche Beweislast aufgebürdet, die ihnen selbst nach den Grundlagen des BEG nicht hätte zugemutet werden dürfen. Es reichte nicht, daß sie sich den Verbrechen des NS-Regime entzogen haben und dafür bestraft oder ermordet worden sind. Sie mußten zugleich "Widerstandskämpfer" gewesen oder ein bestimmtes "Gesamtverhalten" gezeigt haben. Das Opfer mußte also makellos gewesen sein, um zur Entschädigung berechtigt zu werden.
Ein besonderes Problem besteht darum in der vielfach vertretenen Auffassung, die Deserteure seien dann als NS-Opfer anzuerkennen und eines Denkmales wert, wenn sie die Bedingungen als Widerstandskämpfer erfüllen. Abgesehen davon, daß man dazu genötigt wäre, achselzuckend wahrscheinlich der Mehrheit der 20.000 zum Tode verurteilten Deserteursfälle gegenüberzustehen, fügt das Attribut "Kriegsdienstverweigerer" oder "Deserteur" dem Sachverhalt "Widerstandskämpfer" sachlich, rechtlich, logisch und praktisch nichts hinzu. Man könnte ebenso formulieren: Auch Radfahrer können als NS-Verfolgte anerkannt werden, wenn sie nur die Bedingungen als Widerstandskämpfer oder die sonstigen "mitursächlichen Kriterien" laut BEG erfüllen. Kein Deserteur oder KDV ist ja allein wegen der Aburteilung für seine Verweigerung anerkannt und entschädigt worden. Eine öberwindung dieser skandalösen Situation erfordert zumindest drei Elemente auf politischer und rechtlicher Ebene:
- Die bisher nicht zu rechtfertigende Trennung von "verbrecherischen Organisationen" wie SS, NSDAP und "unschuldiger, neutraler Wehrmacht" muß überwunden werden. Ohne die Zusammenarbeit von NS-Organisationen und Wehrmacht wären z.B. die Vernichtungsaktionen in den überfallenen Staaten nicht durchführbar gewesen. Auch die Rechtsmaschinerie der Militärjustiz hatte eine explizit dem NS-Staat und seinen Vernichtungszielen dienende Funktion. Gleiches gilt, soweit bekannt, auch für die Sondermaßnahmen der Militärpsychiatrie. Mit der öberwindung der herrschenden Ideologie bekämen die Verurteilungen der Militärjustiz den ihnen gebührenden Stellenwert: Dann wären die Verturteilung nach der KSStVO mehrheitlich NS-Unrecht - eine Beurteilung, die auch der bekannte Militärhistoriker Prof. Messerschmidt vertritt.
- Damit wären auch bestimmte Straflager/Strafbataillone als zur Entschädigung berechtigende Inhaftierung oder KZ-Haft einzustufen. Anerkannt werden müssen auch die Sondermaßnahmen durch die Militätpsychiatrie, einschließlich der Vernichtung der "nicht mehr Therapierbaren" in Anstalten wie Hadamar
- Der bislang verwendete Verfolgungsbegriff ist grundsätzlich zu überdenken: Es ist inakzeptabel, die Motivation der Verfolger zum ausschlaggebenden Kriterium zu erheben, hinter dem das Schicksal des Verfolgten, Opfer gewesen zu sein, letztlich verschwindet. Entschädigungsberechtigt müßte derjenige sein, der Opfer des NS-Staates geworden ist. Es wäre deshalb auch keine ausreichende Forderung, die genannten Personen nachträglich in das BEG aufnehmen zu wollen. Besser wäre sicherlich eine gesetzlich Neuregelung, etwa in Gestalt einer von vielen Verfolgten-Verbänden favorisierten Bundesstiftung. In den Wortlaut einer solchen gesetzlichen Neuregelung könnte leicht eine Formel aufgenommen werden, die eine Verurteilung allein wegen der Tatbestände Desertion oder Kriegsdienstverweigerung als hinreichenden Entschädigungsgrund qualifiziert. Diese Verurteilung wurde von einem verbrecherischen Regime in Zusammenhang mit einer verbrecherischen Kriegsführung realisiert.
Es ist allerdings zweifelhaft, ob die Betroffenen noch zu Lebzeiten in den Genuß einer solchen "ideologischen Revolution" kommen werden. Zumindest ein kleiner historischer Fortschritt ist, daß - wie in Hamburg - auf Länderebene in einer Stiftung versucht wird, die bisherigen gesetzlich fixierten Ausschlußtatbestände "aufzuweichen".