Saudi-Arabien

Die Außenpolitik Saudi-Arabiens: Alte Ziele, neue Strategien

von Sebastian Sons
Schwerpunkt
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Saudi-Arabiens Außenpolitik durchläuft derzeit einen fundamentalen Wandel. Während das Königreich historisch eine zurückhaltende Außen- und Regionalpolitik betrieb, sich als Vermittler in Krisen engagierte oder in Form von Finanzhilfen und Entwicklungszusammenarbeit regionale Partner unterstützte, um seinen Einfluss zu sichern, lässt sich seit 2015 ein strategischer Paradigmenwechsel beobachten.

Dieser Wandel lässt sich auf den jungen Kronprinzen und Sohn des Königs, Muhammad bin Salman, der zumeist MbS genannt wird, zurückführen und zeigt sich insbesondere beim konfrontativen Vorgehen gegen den „Erzfeind“ Iran. Dabei ist MbS daran gelegen, traditionelle Interessen weiter zu verfolgen, diese allerdings mit neuen strategischen Instrumenten zu erreichen. So wird die saudische Außenpolitik von folgenden Zielen dominiert:

  1. Bewahrung der eigenen Macht: Jegliche außenpolitische Entscheidung des Königshauses zielte in der Vergangenheit darauf ab, den Machtanspruch der Königsfamilie abzusichern oder auszubauen. Die Al Sa’ud betrachtet sich als unumstrittenes Machtzentrum. Dieser Machtanspruch erwächst aus der Verfügungskontrolle über die Einnahmen aus der Ölproduktion, die das Königshaus an Günstlinge im In- und Ausland in Form von politischen Posten oder wirtschaftlichen und sozialen Annehmlichkeiten verteilte. Somit entstand ein komplexes und intransparentes Patronagenetzwerk, von dem vor allem die Religionsgelehrten und die traditionellen Händlerfamilien profitierten. Es wurden Abhängigkeitsverhältnisse aufgebaut, die die Legitimität der Königsfamilie konsolidierten. Außenpolitisch wurden in Form von umfassender Entwicklungshilfe an Partnerländer wie Ägypten oder Pakistan Bündnisse aufgebaut, die als militärische Sicherheitsgarantien für die Königsfamilie dienten.
  2. Bewahrung der religiösen Vormachtstellung: Das saudische Königshaus betrachtet sich als religiöse Führungskraft innerhalb der arabisch-islamischen Welt. Als „Hüter der beiden Heiligen Stätten“ Mekka und Medina ist es verantwortlich für die muslimischen Pilger, die jedes Jahr ins Königreich strömen. Darüber hinaus wurde insbesondere seit den 1980er Jahren eine Missionierungspolitik betrieben, die die sunnitische Lesart des Wahhabismus in aller Welt verbreitete. Dafür wurden pan-islamische Organisationen gegründet und unterstützt, die wahhabitische Kleriker ausbildeten und in die arabische Welt, nach Afrika, Asien und Europa entsandten. Koranschulen wurden ebenso finanziert wie die Verteilung von kostenlosen Koranexemplaren. Damit sollte Saudi-Arabien als religiöses Zentrum der islamischen Welt an Bedeutung gewinnen.
  3. Bewahrung der wirtschaftlichen Vormachtstellung: Aufgrund der global zweitgrößten Ölressourcen etablierte sich Saudi-Arabien seit den 1970er Jahren als einflussreiche Wirtschaftsmacht. Saudische Unternehmen investierten mit Unterstützung des Staates in ausländischen Märkten. Die Öleinnahmen betragen fast 80% des Gesamtexports und 58% des Staatshaushalts. Dementsprechend ist das Königshaus daran interessiert, globale Handelswege frei zugänglich zu halten sowie den internationalen Ölpreis strategisch zu steuern, um den eigenen wirtschaftlichen Einfluss zu bewahren.

Diese traditionellen Ziele behalten auch unter der neuen politischen Führung ihre Gültigkeit, sind jedoch massiv unter Druck geraten. Darauf reagiert MbS mit einer Abkehr von der traditionellen Scheckbuchdiplomatie hin zu einer aktiven und in besonderem Maße konfrontativen und interventionistischen Außenpolitik.

Dämonisierung Irans
Diese „neue“ saudische Außenpolitik basiert auf einer kompromisslosen Haltung gegenüber der Islamischen Republik Iran, die unter MbS als ernsthafte Bedrohung der oben beschriebenen Interessen wahrgenommen wird. Dabei spielt der immer wieder betonte konfessionelle Konflikt zwischen dem wahhabitisch-sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran nur eine untergeordnete Rolle. In erster Linie verfolgen beide Akteure hegemoniale Absichten, während der schiitisch-sunnitische Gegensatz von beiden Seiten instrumentalisiert wird, um politische, wirtschaftliche und geostrategische Ziele zu erreichen. Zwar gilt Iran schon seit der Revolution 1979 aus saudischer Perspektive als ärgster Rivale um die regionale Vorherrschaft und als Risiko für die Legitimität der Königsfamilie, aber diese Bedrohungsperzeption hat sich in den letzten Jahren gravierend verschärft.
Aus saudischer Perspektive hat Iran seinen Einfluss in der direkten Nachbarschaft des Königreichs in den letzten 15 Jahren dramatisch ausgeweitet: Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 wurde Iran zur einflussreichsten Kraft im Irak und nutzte das Machtvakuum, welches sich durch den Abzug der USA ergab. Weiterhin betrachtet man die enge Partnerschaft zwischen der libanesischen Hisbollah und Syriens Präsidenten Bashar al-Assad mit Teheran als Sicherheitsrisiko. Auch Katar wird vorgeworfen, zu eng mit Iran zu kooperieren.

Seit 2015 hat sich diese Haltung weiter verstärkt, da das Abkommen über das iranische Atomprogramm (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPoA) von der neuen Führung in Riad als Freifahrtschein für Iran betrachtet wird, seine regionale Einflussnahme weiter auszubauen. So fühlt sich Saudi-Arabien zunehmend von iranisch dominierten Feinden umzingelt. Die Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump im Mai 2018 wurde dementsprechend von der saudischen Führung begrüßt und durch intensive Lobbyarbeit in Washington in den letzten Monaten forciert. Diese Bedrohungsperzeption wird noch intensiviert durch eine asymmetrische Entwicklung der Machtverhältnisse in der arabischen Welt nach Ausbruch der „Arabischen Aufstände“ 2011: Während auf der einen Seite traditionelle Regionalkräfte und Verbündete Saudi-Arabiens wie Ägypten destabilisiert wurden, erstarkte gleichzeitig Iran und ist aus Sicht Saudi-Arabiens zum größten Profiteur des regionalen Chaos aufgestiegen. MbS bezeichnet den iranischen Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei bereits als „neuen Hitler“: „Ich glaube, der iranische Revolutionsführer lässt Hitler gut aussehen. Hitler tat nicht, was der Revolutionsführer beabsichtigt. Hitler wollte Europa erobern, der Revolutionsführer will die ganze Welt erobern.“ (1) Im Februar 2017 beschuldigte der saudische Außenminister Adel al-Jubair Iran indirekt, für die Entstehung von jihadistischen Gruppierungen wie dem Islamischen Staat oder al-Qaida verantwortlich zu sein. (2) In Riad ist man demnach mittlerweile der Meinung, dass die Politik der langjährigen Zurückhaltung einer Strategie der Eindämmung weichen müsse, um Iran in die Schranken zu weisen.

Jemen, Katar und Libanon
Dies zeigt sich vor allem im Jemen. Dort initiierte Saudi-Arabien im März 2015 unter MbS, der auch als Verteidigungsminister fungiert, eine militärische Intervention, um den Vormarsch der Huthi-Rebellen zu stoppen und die aus saudischer Sicht legitime Regierung um Abd Rabbuh Mansur Hadi wiedereinzusetzen. Die Huthis gelten aus saudischer Perspektive als „jemenitische Hisbollah“ (3) und enge Verbündete Irans, die u.a. von den iranischen Revolutionsgarden logistische und finanzielle Unterstützung erhalten. So wird der Mehrfrontenkrieg im Jemen, an dem unterschiedliche Akteure beteiligt sind, zunehmend zu einem Stellvertreterkrieg stilisiert, obwohl die enge Allianz zwischen Iran und den Huthis umstritten ist. Allerdings hat das militärische Engagement Saudi-Arabiens bisher weder zu einem militärischen Sieg, noch zu einer politischen Entspannung geführt. Ganz im Gegenteil: Die humanitäre Situation hat sich für die jemenitische Zivilbevölkerung auch aufgrund der saudischen Luftangriffe dramatisiert, was die internationale Reputation des Königreichs beschädigt. Hinzu kamen vermehrte Raketenangriffe von Huthi-Stellungen auf saudisches Territorium, wofür Iran verantwortlich gemacht wird. Eine diplomatische Lösung ist bislang nicht in Sicht, sodass in saudischen Expertenkreisen bereits vom „saudischen Vietnam“ gesprochen wird.

Ebenso hat Saudi-Arabien gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Ägypten im Juni 2017 eine Handelsblockade gegen Katar eingerichtet. Dem Emirat wird u.a. vorgeworfen, zu eng mit Iran zu paktieren.

Auch der zeitweilige Rücktritt des libanesischen Premierministers Saad Hariri im November 2017, den er in Riad verkündete, soll auf saudischen Druck hin erfolgt sein, um die von Iran unterstützte Hisbollah zu diskreditieren. Doch auch diese Maßnahmen blieben bislang erfolglos: Katar ist nicht auf die Forderungen der Blockadestaaten eingegangen und auch Hariri nahm seinen Rücktritt zurück.  

Gemeinsames Feindbild zur Schaffung einer Wagenburgmentalität
Innenpolitisch wird das bekannte Feindbild Iran von MbS instrumentalisiert, um einen saudischen Patriotismus und eine Wagenburgmentalität zu schaffen. Saudi-Arabien befindet sich in einem tiefgreifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozess. Aufgrund der gefallenen Ölpreise steckt die saudische Wirtschaft in einer Krise, die MbS mit einem ambitionierten Reformprogramm („Vision 2030“) lösen will. Hierfür muss er die Abhängigkeit vom Erdöl reduzieren, die Wirtschaft diversifizieren und die Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von etwa 30% senken. Dafür wird am traditionellen Sozialvertrag gerüttelt, der in der Vergangenheit der Bevölkerung als Gegenleistung für politische Loyalität umfassende Wohlfahrtsleistungen wie Steuerfreiheit oder kostenlose Bildung zukommen ließ. Doch dieses System kann nicht länger aufrechterhalten werden. Dementsprechend dient das Feindbild Iran auch dazu, von inneren Problemen abzulenken und den erst 32-jährigen MbS als entschlussfreudigen und kompromisslosen „Beschützer der Nation“ und Vertreter einer neuen Generation zu stilisieren.

Die neue Führung hat begriffen, dass sich die Region in einem historischen Umbruch befindet und sich traditionelle Allianzen verändern. Dies hat dazu geführt, das unter Barack Obama zerrüttete Verhältnis zum traditionellen Partner USA wieder zu intensivieren. Obama galt in Saudi-Arabien als Freund Irans, der aufgrund des Nuklearabkommens mit dazu beigetragen hatte, Irans regionale Stellung aufzuwerten. In dessen Nachfolger Donald Trump sieht MbS nun einen Partner, der sich ebenso anti-iranisch zeigt. Trumps erster Auslandsbesuch führte ihn nach Riad, was in Saudi-Arabien als Vertrauensbeweis gewertet wurde und die anti-iranische Haltung noch verstärkte. Die Aufkündigung des Nuklearabkommens durch Trump wird daher in Riad als weiterer Vertrauensbeweis gewertet.

Neben den USA gewinnt auch der einstige Erzfeind Israel an strategischer Bedeutung. Aufgrund des ungelösten israelisch-palästinensischen Konflikts unterhalten Saudi-Arabien und Israel keine diplomatischen Beziehungen, doch beide eint der gemeinsame Feind Iran und eine enge Partnerschaft mit den USA. So sprach MbS Israel ebenso wie Palästina das Recht auf eigenes Land aus: „Jedes Volk – egal wo – hat das Recht, friedlich als Nation zu leben. Ich glaube, dass die Palästinenser und die Israelis das Recht auf ihr eigenes Land haben.“ (4) Zwar verfolgte Saudi-Arabien auch unter dem verstorbenen König Abdullah eine eher pragmatische Israel-Politik, doch können die Äußerungen des Kronprinzen durchaus als neue Form der Annäherung verstanden werden. In den letzten Monaten gab es immer wieder Meldungen über gemeinsame Treffen von Sicherheitsberatern. Hinzu kommt, dass die Diversifizierung der saudischen Wirtschaft dringend ausländische Investoren benötigt, sodass Israel auch als Wirtschaftspartner interessant ist.

Ausblick
Saudi-Arabiens Außenpolitik wird derzeit dominiert von einem anti-iranischen Kurs, der von der neuen Führung als einziger Weg gesehen wird, die eigenen Interessen zu schützen. Dabei scheut man sich nicht davor, konfrontativ und interventionistisch vorzugehen, um Irans Einfluss einzudämmen. Bisher war diese Strategie allerdings noch nicht erfolgreich. Stattdessen scheint es, als treibe die anti-iranische Rhetorik Akteure wie die Huthis in die Arme des Erzfeindes, was die regionale Stellung des Königreichs schwächt und den Nahen und Mittleren Osten weiter destabilisiert. Bestärkt durch die einseitige Parteinahme durch Donald Trump zeichnet sich somit keine Rückkehr der saudischen Außenpolitik zur mäßigenden Diplomatie ab. Da auch Iran kein Interesse an einer Annäherung zeigt, droht die Lage weiter zu eskalieren. So betont MbS: „Sollte Iran eine nukleare Bombe entwickeln, werden wir es ihm zweifellos so rasch wie möglich gleichtun.“ (5)

Anmerkungen
1 Goldberg, Jeffrey: Saudi Crown Prince: Iran’s Supreme Leader ‘Makes Hitler Look Good’, The Atlantic, 2. April 2018, https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/04/mohammed-bin-s....
2 Ministry of Foreign Affairs: Remarks Foreign Minister Adel Al-Jubeir Munich Security Conference Munich, Germany, 19. Februar 2017, http://www.mofa.gov.sa/sites/mofaen/Minister/MinisterMedia/PressConferen....
3 Reuters: Crown Prince announces Saudi mega-city listing, discusses Qatar rift, Yemen war, 26. Oktober 2017, https://www.reuters.com/article/us-saudi-economy-crownprince/crown-princ....
4 Goldberg, Jeffrey: Saudi Crown Prince: Iran’s Supreme Leader ‘Makes Hitler Look Good’, The Atlantic, 2. April 2018, https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/04/mohammed-bin-s....
5 O’Donnell, Norah: Saudi Arabia’s Heir to the Throne Talks to 60minutes, CBS News, 19. März 2018, https://www.cbsnews.com/news/saudi-crown-prince-talks-to-60-minutes/.

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Sebastian Sons ist Assciate Fellow des Programms Naher Osten und Nordafrika der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Als studierter Islamwissenschaftler arbeitet er zu gesellschaftlichen und außenpolitischen Entwicklungen Saudi-Arabiens. Er promoviert derzeit zur pakistanischer Arbeitsmigration nach Saudi-Arabien an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Autor des politischen Sachbuchs „Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien – Ein problematischer Verbündeter“.