Die Bombardierung des Irak - Teil einer Langzeitstrategie

von Clemens Ronnefeldt
Hintergrund
Hintergrund

Schon im Februar `98 war ein Team von Friedensforschern der Uni Hamburg (D. S. Lutz, R. Mutz, u.a.) zu dem Ergebnis gekommen, dass der Irak derzeit seine Nachbarn nicht mehr mit Massenvernichtungswaffen bedrohen kann - wegen fehlender Trägersysteme (FR, 25.2.98). Dass das irakische Potential an Massenvernichtungswaffen zerstört und die Möglichkeit der Verschleierung nur noch gering sei, stand in einem offiziellen Unscom-Bericht - der dann allerdings später vom US-Außenministerium - weil diesem zu weitgehend - "umgeschrieben" wurde (Le Monde Diplomatique, Dez. 97).

Im Viertage-Bombardement vom 16.-19.12.98 wurden 650 Luftangriffe geflogen, rund 415 Marschflugkörper (für ca. 500 Millionen US-Dollar) sowie 600 weitere Bomben eingesetzt. Die US-Rüstungsindustrie nutzte den Krieg für ausgiebige Tests. "Ein Großteil der anvisierten Objekte hatte eher symbolischen Wert ... Dazu gehörten die Zerstörung von Getreidesilos, etwa in Saddams Heimatstadt Tikrit, und die Bombardierung der Raffinerie von Basra, die nach US-Ansicht Öl für den illegalen Export herstellte" (Spiegel, 28.12.98). Laut US-General Shelton seien bis zu 1600 Menschen getötet worden, darunter hohe Regierungsbeamte.

Henry Kissinger, Ex-US-Außenminister, traf wie so oft den Nagel auf den Kopf: Mit der "Bombardierung dieses inzwischen wehrlosen Irak" sei die Clinton-Regierung bis Ende der Woche "in einer Sackgasse angekommen, wenn sie das eigentliche Ziel, den Sturz Saddams, nicht schnell vorantreibt" (jW, 19./20.12.98).
 

1953 wurde mit US-Hilfe die demokratisch gewählte Regierung Mossadegh in Iran gestürzt, welche die Vorläuferfirma von BP verstaatlicht hatte. USA und Großbritannien strangulierten das Land zunächst mittels eines Embargos; die sozialen Unruhen nutzte dann die CIA, um den Schah an die Macht zu bringen. Selbst nach acht Jahren Embargo und hunderttausenden Toten will Ähnliches in Irak einfach nicht gelingen.

Nach derzeitiger Lage muss daher solange mit "Wüstenfuchs 2" gerechnet werden, wie Saddam Hussein noch Präsident ist.

1972 wurden in Irak die amerikanischen und britischen Ölgesellschaften verstaatlicht. Aus dem iranisch-irakischen Krieg ging Saddam Hussein 1988 mit erheblichen Schulden hervor. Mit dem Überfall auf Kuweit wurde Irak kurzzeitig seine milliardenschweren Schulden (Kriegskredite zur Eindämmung Irans) los, hatte zu den eigenen ca.10% Öl-Weltmarktanteilen noch ca.10% "hinzugewonnen" - und hätte erheblichen Einfluss auf den im Keller befindlichen Erdöl-Preis nehmen können. Die Elite Kuweits erzielte bereits vor 1990 höhere Profite durch westliche Aktien u.a. bei Daimler Benz als durch den Ölverkauf- weshalb ein hoher Ölpreis für sie kontraproduktiv gewesen wäre - und immer noch ist.

Irak war 1990 auch ohne den Kuweit-Überfall den USA zu stark geworden. Bereits im Juni (!) 1990 präsentierte General Schwarzkopf, Oberkommandierender im 2. Golfkrieg den CENTCOM-Plan 1002-90 eines Krieges gegen Irak mit einer sechsstelligen Truppenzahl - 2 Monate vor dem Überfall auf Kuweit.

Der größten "Zwangsabrüstungsaktion" der Geschichte, dem 6-Wochenkrieg von 1991, folgte das Embargo mit gleichem Ziel: " ...den Irak auf Dauer faktisch und politisch auf dem tiefstmöglichen Niveau zu halten" (Le Monde Diplomatique, Dez. 97).

Die von den UN nach Kapitel VII nie verabschiedete Einrichtung der Flugzonen dient nicht dem Schutz der kurdischen und schiitischen Bevölkerung - sonst müsste die nördliche Zone über der Türkei ausgedehnt werden und Saddam Hussein hätte einen Teil der kurdischen Führung 1996 nicht ungehindert umbringen lassen können -, sondern der Kontrolle der Erdölfelder.

Irak hat in den letzten Jahren Milliarden US-Dollar schwere Verträge über Öllieferungen mit China, Frankreich, Russland und 27 anderen Staaten für die Zeit nach dem Embargo ausgehandelt - ohne US- und britische Firmen zu berücksichtigen. Den weltpolitisch großen Gegenspielern wurde mit der Bombardierung ein Mehrfachschlag versetzt: Vor allem Frankreich und Russland werden von der Rückzahlung ihrer Milliarden-Kredite an Irak nach der neuerlichen Zerstörung auf unabsehbare Zeit nichts sehen - und vermutlich in naher Zukunft auch keine großen Geschäfte machen.

Die beschlossene Erhöhung des US-Militärbudgets über 100 Milliarden US-Dollar für die nächsten sechs Jahre zeigt, dass sich Amerika - gegen Freunde wie Feinde gleichermaßen - für neue Aufgaben rüstet. Dazu zählt u.a. die Ausbeutung der öl- und gasreichen Region um das Kaspische Meer, den "eurasischen Balkan", so Z. Brzezinski, früher US-Präsidentenberater unter J. Carter, heute Berater des Ölkonzern Amoco.
 

Die Viertage-Bombardierung nimmt die neue Nato-Doktrin vorweg, die ohne UN-Mandat weltweit westliche Interessen "schützen" soll. In Kürze könnte sich Ähnliches wie in Irak am Kaspischen Meer abspielen, wo heftige Konkurrenzkämpfe zwischen amerikanischen, russischen und chinesischen Ölfirmen entbrannt sind.

Joschka Fischer kündigte eine neue europäische Initiative bezüglich Irak an. Als Anregung könnte der grüne Minister den FAZ-Kommentar vom 22.12.98 nehmen:

"Über das Thema `Aufhebung der Sanktionen` sollte man versuchen, mit dem Irak wieder ins Gespräch zu kommen, auf dem Hintergrund einer Nahost-Politik, die nicht nur von zwei Parametern beherrscht wird: dem freien Ölfluss und der Sicherheit Israels. Die arabischen Völker wollen endlich einmal fair, das heißt gleichberechtigt, behandelt werden".

Die derzeitige Politik nicht nur im nahen und mittleren Osten ist hochgefährlich.

Nicht einmal in der Cubakrise zog Moskau seinen Botschafter aus Washington ab.

Die Weltgemeinschaft steht vor dem Trümmerhaufen eines noch vor wenigen Monaten für einigermaßen stabil gehaltenen internationalen Rechtssystems.

Wenn eine Supermacht wirtschaftlich Einfluss verliert - wie derzeit u.a. durch die Einführung des Euro und das Emporkommen Chinas - und versucht, dies durch militärische Stärke zu kompensieren, sind weltpolitische Krisen ungeahnter Größe vorhersehbar. Clinton und sein "Knappe" Blair spielen mit dem Feuer.

Deutschland hat am 1.1.1999 mehrere "Vorsitze" auf internationaler Ebene übernommen - mit den entsprechenden Gestaltungsspielräumen - und eine enorme Verantwortung.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.