Die Bundeswehr am rechten Rand

von Ulrich Sander

Elf Jahre ist es her, seit der Verteidigungsausschuss des Bundestages rechtsextremistische Umtriebe in der Bundeswehr untersuchte. Ein Jahr später, 1999, warfen deutsche Soldaten Bomben auf Serbien und halfen so, tausende Zivilisten zu töten. Kollateralschäden nannten Militärs und Politiker beschönigend die dabei in Kauf genommenen Toten. Vergessen waren – und sind – die 1945 gefassten Vorsätze „Nie wieder Krieg!” und „Nie wieder Faschismus!”

Nur die Spitze eines Eisbergs
BILD und der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Christian Schmidt (*1957, CSU), der in der Antifa-Bewegung bekannt war, haben jetzt geholfen, einen 25 Jahre alten Skandal aufzudecken. Schmidt, seit 1990 MdB und seit 1977 Reservist der Bundeswehr, kam 1984 zu einem neuen Kameraden: Den Hauptmann a.D. und Vorsitzenden der NPD, Udo Voigt. Der brüstet sich seit Jahren damit, Reservist der Bundeswehr zu sein. Noch im November verlautete die NPD auf ihrer Homepage, Voigt dürfe im Bundeswehrverband bleiben. Das rief Schmidt – selber Mitglied des Kameradenkreises der Gebirgstruppe und Kämpfer für die Rehabilitierung von Werner Mölders, der als Jagdflieger in der Legion Condor für die spanischen Faschisten flog und den Nazis nahe stand – und BILD auf den Plan. Sie forderten, Voigt müsse aus dem Verband entfernt werden. Vergeblich. Anfang März 2009 berichtete die „Westfälische Rundschau“ unter Berufung auf Sprecher des Verteidigungsministeriums und des Bundeswehrverbandes, Voigt sei nach wie vor als Reserveoffizier und Mitglied des Bundeswehrverbandes, also Teil der Truppe.

Der „Marsch durch die Institutionen“ von Rechts
Der Neonazi Voigt tat bereits in früher Jugend das, wozu die Braunen im Jahr 1995 aufriefen: „Junge Kameraden und Kameradinnen, die vor der Berufswahl stehen, unbelastet, intelligent und sportlich sind,“ sollten sich unauffällig zu „einer Ausbildung bei Bundeswehr und Polizei“ melden, „mit dem Ziel, sich in besonders qualifizierten Spezialeinheiten das nötige Wissen und Können anzueignen“ (aus: „Umbruch“ von S. Hupka, 1995). Der Aufruf schließt mit den Worten: „Widerstand, der auf die Beseitigung eines volksfeindlichen Systems zielt, muss professionell geplant sein."

Im Untersuchungsbericht zum Bundeswehrskandal um „rechtsextreme Vorkommnisse“ ist 1998 ausgeführt worden, im Jahr 1995 sei bei den Fallschirmjägern eine erhöhte Zahl von entsprechenden „Verdachtspersonen“ festgestellt worden. In mehreren Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags wurde von der großen Anziehungskraft der Fallschirmtruppe für Rechtsextremisten gesprochen. Dazu erklärte Oberstleutnant Jochen Krauss, der Dienststellenleiter der Stelle 22 des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) in Wilhelmshaven: „Problematisch ist die Erkennung von Soldaten mit rechtsextremistischem Gedankengut, die nicht durch ihr äußeres Erscheinungsbild auffallen. Sie gehören im Dienst häufig zum ersten Leistungsdrittel ihrer Einheit und wollen möglichst lange in der Bundeswehr bleiben, um dort führen zu lernen und um später möglicherweise in einer Wehrsportgruppe eine Führungsrolle übernehmen zu können“ (Seite 228/229 des Bundestagsberichts).

Oder in der NPD. Und so ist Voigt gleich vielen anderen Neonazis ein Reservist – nicht nur gut ausgebildet, sondern auch einsatzbereit. Denn während Reservisten bis 2005 allenfalls zu Übungen geholt werden konnten, werden sie seit Inkrafttreten des neuen Reservistengesetzes vom Februar 2005 sogar eingesetzt – am Hindukusch wie in Hindelang, in aller Welt wie daheim in Heiligendamm.

Rechte in der Bundeswehr
Auch der Deutsche Bundeswehrverband sieht sich außerstande, sich von dem Hauptmann der Reserve und NPD-Chef Udo Voigt zu trennen. Hinter dieser Haltung vermuten Beobachter Methode: Rechte Verbandsmitglieder sollen nicht verschreckt werden. Sogar die Bildungsvereinigung des Bundeswehrverbandes, die Karl Theodor Molinari Stiftung, ist nach einem hohen Nazi benannt. Dem in Frankreich wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilten Generalmajor a.D. Karl Theodor Molinari (1915-1993). Der tat sowohl in der Wehrmacht wie auch in der Bundeswehr Dienst.

Die Traditionsverbände der NS-Wehrmacht gehen in der Bundeswehr ein und aus. Sie dürfen dort ihre Mitglieder  rekrutieren. Der CSU-Politiker und Reservist Christian Schmidt hält seine schützende Hand beispielsweise über den Kameradenkreis der Gebirgstruppe. Die habe keine „verbrecherische Vergangenheit“. Das ist gelogen, wie dem Buch „Blutiges Edelweiß“ (Ch.Links-Verlag, Berlin, 2008) von Hermann Frank Meyer über die 1. Gebirgs-Division der Wehrmacht zu entnehmen ist. Der Wehrmachtstruppe folgte die Bundeswehrdivision nach. Sie ist die einzige Division, die unter der Bezeichnung 1. Gebirgs-Division bei der Bundeswehr weitermachen durfte. Sie bekennt sich zu den Traditionen „derer unterm Edelweiß“. Dieses Emblem an einer Mütze löste soviel Entsetzen aus wie die SS-Runen an einer Uniform.

 Die der Bundeswehr seit 1982 per Traditionserlass verordnete Distanz zur Wehrmacht ist seit 1999 geschwunden. Ein Indiz dafür sind Attacken von Bundeswehr-Offizieren gegen die „Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht im Vernichtungskrieg 1941 – 1944”. In Zeiten der Rechtfertigung des neuen Krieges gegen Serbien 1999 war eine Dokumentation des militärischen Massenmords an den Serben 1941 bis 1944 denkbar ungeeignet für die heutige Truppe. Da störte eine Ausstellung, die eben auch dieses Kapitel des Zweiten Weltkrieges aufblätterte. In der Zeitschrift  „Der Deutsche Fallschirmjäger” (Nr.4/99) stellte Brigadegeneral a.D. Dr. Günter Roth (bis 1995 Leiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes) die bezeichnende Frage, „ob eine Einsatzarmee – ohne auf die zeitgemäße Umsetzung der militärischen Erfahrungen der Wehrmacht im Sinne kritisch auswählenden Traditionsverständnisses zurückzugreifen – ihre Kampfaufträge erfüllen kann.” Zu einem „ganzheitlichen Bild von der Wehrmacht” zu kommen, forderte dann auch   Oberst Friedhelm Klein, neuer Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. Es gelte, die „herrschenden Denkmuster” zu verlassen (Information für die Truppe, 10/11-99).Die heutige Bundeswehr ist mehr Quelle als Ergebnis der Rechtsentwicklung in der Gesellschaft, wie die ZEIT 2003 in einer Studie veröffentlichte: „Neue, noch nicht veröffentlichte Daten bestätigen einen zwar nicht überraschenden, aber dennoch ernsten Verdacht: Dass Offiziersstudenten – die künftige Führungselite der Bundeswehr – deutlich weiter rechts stehen als ihre zivilen Kommilitonen.” Auf die Bitte, sich im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung auf dem politischen Links-Rechts-Spektrum einzuordnen, „wählten die meisten Offiziersstudenten einen Standort rechts von der Mitte; 15 Prozent sogar orteten sich zwischen der Beschreibung ‚etwas rechts’ und der Wand. Aufgefordert, sich selbst unter sechs politischen Grundkategorien zu platzieren, stimmten ein Fünftel der Studenten einer Typisierung als ‚national-konservativ’ zu, rechts von ‚christlich-konservativ’; 11,5 Prozent beschrieben sich als besonders überzeugte National-Konservative“. „Abwehr von Fremden“, „Abwehr von kultureller Überfremdung“, sind die am häufigsten genannten Aufgaben, die diese Offiziere von morgen vor sich sehen. Zusammenfassend heißt es in der Untersuchung: „Die Einstellungen dieser künftigen Truppenführer tendieren zum rechten Rand” (aus: Die Zeit Nr.48 vom 20.11.2003). Fünf Jahre nach dieser Untersuchung dürften die damals befragten Studenten nun Kommandeure im weltweiten Einsatz sein und die Erziehung neuer Bundeswehrgenerationen prägen.

Wie die Wehrmachtsausstellung, so stören auch die überraschend doch noch zustande kommenden Ermittlungen und Prozesse in Italien und Deutschland gegen ehemalige deutsche Wehrmachtsoffiziere, die in den Jahren 1943 und 1944 Massaker in Südeuropa begangen haben. Bundeswehrgeneralmajor a.D. Jürgen Reichardt vom Bayerischen Soldatenbund spricht diese Kriegsverbrecher frei („Gebirgstruppe“, Dez. 08). Er meint offenbar, die von den Massakern der Wehrmachts-Gebirgstruppe betroffenen Zivilpersonen seien selbst schuld an ihrem Leid. Und stellt die Frage, ob nicht die heutigen Bundeswehrsoldaten „in Situationen“ geraten könnten, in denen sie wie einst die Gebirgstruppler „überreagieren“. Sie müssten dann befürchten, noch nach Jahrzehnten vor Gericht gestellt zu werden. Heute haben demnach US-Truppen laut „Gebirgstruppen“-Autor Reichardt ihre Schlüsse aus dem Verhalten der Wehrmacht gezogen: „In der öffentlichen Meinung gilt heute bei uns jeder bereits als schuldig, dem eine Beteiligung an der Partisanenbekämpfung im letzten Weltkrieg vorgeworfen wird, während unsere Alliierten längst die Vorschriften und Erfahrungen der Deutschen auswerten und zu Rate ziehen für ihren aktuellen ‚Kampf gegen den Terror’.“ Es soll wohl endlich ein Schlussstrich gezogen werden, damit deutsche Truppen und ihre Alliierten unbefangen im weltweiten Einsatz agieren können.

Beste Wirkungsmöglichkeiten
Doch nicht nur Traditionsverbände und Elite-Einheiten wie Fallschirmjäger und Gebirgsjäger sowie das Kommando Spezialkräfte, auch die Zivilmilitärische Zusammenarbeit (ZMZ), die Reservistenverbände und der Bundeswehrverband bieten den Rechtsaußen beste Wirkungsmöglichkeiten. Bis zu eine Million Soldaten stehen als Reservisten ständig zum Militäreinsatz im Innern der Republik bereit – gegen das bestehende Demonstrationsrecht, gegen Streiks und freie Meinungsäußerung. In Bund und Land, in Stadt und Landkreis werden Polizei und Bundeswehr, zum Teil auch Geheimdienste in der ZMZ zusammengefasst, um als schwerbewaffneter Heimatschutz zu agieren. Der verfassungswidrige Bundeswehreinsatz in Heiligendamm 2007 stellte einen weiteren Schritt zur inneren Militarisierung dar. Dabei stets vorne weg: Die äußerst rechten Kader – unter ihnen als ZMZ-Kommandeur z.B. der Rassist Wolfgang Lütkemeyer vom thüringischen Reservistenverband und den Nazi-Organisationen „Artgemeinschaft“ und „Familienwerk“ (lt. Blog Braunzone und taz). Weitere ähnliche Kader warten auf ihr Outing.

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Ulrich Sander ist Bundessprecher der VVN-BdA.