Die Chance nach dem Scheitern. Atomwaffensperrvertrag vor dem Aus?

von Jörg Welke

Die Diplomaten der Mitgliedsländer des Atomwaffensperrvertrages haben es nicht geschafft: Die Überprüfungskonferenz ist ergebnislos beendet worden. Wie kann es nun weiter gehen?

Leise, ganz leise und doch eindringlich spricht der Generalsekretär der Vereinten Nationen zu den Diplomaten. Sein Anliegen ist ihm so wichtig wie scheinbar aussichtslos. Zum Beginn der Verhandlungen über den Atomwaffensperrvertrag ermahnt er die beteiligten Staaten, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die Menschheit von der atomaren Bedrohung zu befreien: "Solange nicht alle Staaten erkennen, dass Entwaffnung wie auch Nichtweiterverbreitung das Handeln aller erfordert, wird das Ziel einer umfassenden und vollständigen Abrüstung ein ferner Traum bleiben." Vier Wochen später sind Kofi Annans Worte ungehört verhallt. Die Konferenz ist gescheitert, kein Kompromiss wurde ausgehandelt, kein Abschlussdokument formuliert. Dem Präsidenten der Konferenz, Sergio Duarte, bleibt lediglich, die Konferenz für beendet zu erklären. Auf ein Abschlussstatement verzichtet er.

Dass es sehr schwierig werden würde für den Vertrag, war allen Beteiligten lange vorher klar. Die USA hatten bereits Ende letzten Jahres angekündigt, sich nicht länger an frühere Abmachungen zu konkreten Abrüstungsschritten halten zu wollen. Die "veränderte Sicherheitslage nach dem 11. September" ist die Standardbegründung für jegliches Ablehnen friedlicher Konfliktvermeidungsbemühungen.

Andererseits gibt sich der Iran bei den Verhandlungen um sein vermutetes geheimes Atomprogramm nach wie vor unkooperativ. Die "EU-Drei" (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) sind in ihrem Bemühen um eine Kompromisslösung für die friedliche Nutzung der Atomkraft für den Iran bei dessen Führung, die sich durch ein enormes Beharrungsvermögen hervortut, mehr oder weniger abgeblitzt: Öl im Feuer US-amerikanischer Bedrohungsanalytiker.

40.000 Menschen brachte die seit langem totgesagte Friedensbewegung am Tag vor dem Beginn der Konferenz auf die New Yorker Straßen und in den Central Park. "No nukes - no war" hieß das zentrale Anliegen. Demonstriert wurde nicht nur für die weltweite atomare Abrüstung, sondern vor allem für einen Abzug US-amerikanischer Soldaten aus dem Irak und gegen die aggressive Militär- und Außenpolitik der Bush-Administration. Unter den Demonstranten befanden sich die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki, in deren Städten die USA in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges mit Atombombenabwürfen über 200.000 Menschen getötet hatten. Hiroshimas Bürgermeister Tadatoshi Akiba appellierte an alle Staaten der Welt, sich für die Ächtung von Atomwaffen und die Einstellung aller Bestrebungen zur Modernisierung atomarer Waffensysteme einzusetzen.

Damit dieser Appell nicht ignoriert werde, hatte Akiba bereits im vergangenen Jahr eine Dringlichkeitskampagne für die Abschaffung von Atomwaffen gestartet. Die internationalen "Mayors for Peace", deren Präsident Akiba ist, trafen sich zu einer Konferenz parallel zur offiziellen, um ihrer Kampagne das nötige Gewicht zu verleihen. Ihr Ziel ist ehrgeizig: bis zum Jahr 2020 sollen demnach weltweit sämtliche Atomwaffenarsenale geräumt sein. Die Skepsis der Bürgermeister, ob multilaterale Verhandlungen zu diesem Ziel führen werden, ist angesichts des Scheiterns der Überprüfungskonferenz groß. Der Weg, den sie wählen, um internationalen Druck auf Atomwaffenstaaten und die, die es werden wollen, auszuüben, ist vielversprechend: Die Mayors for Peace verstehen sich als Brückenbauer zwischen Regierungen und der Bevölkerung der Städte. Während der Konferenz der Bürgermeister wurden die jeweiligen nationalen Kampagnen für die Friedensbürgermeister vorgestellt. Die deutsche Plakataktion der Mayors for Peace die im wesentlichen aus der IPPNW-Geschäftsstelle initiiert und umgesetzt wurde, wurde von den über 100 anwesenden internationalen Bürgermeistern begeistert aufgenommen.

Plakativ sein zu dürfen ist offensichtlich mehr den NGOs vorbehalten. In der Welt der Diplomaten gilt die versteckte Botschaft. Bei einem Treffen von Vertretern der deutschen NGOs in der deutschen Mission bei den UN erläuterten die Botschafter Gröning und Heinsberg die deutsche Verhandlungsposition in der Konferenz: Konsens finden, zwischen polarisierten Positionen vermitteln, grundsätzlich alle Vereinbarungen in Verträgen zementieren - äußerst diplomatisch eben.

Außer Spesen also nichts gewesen?

Die Konferenz ist gescheitert, der Vertrag in der tiefsten Krise seines Bestehens. Was nun? Das globale Netzwerk der Friedensorganisationen Abolition 2000 ist vor allem sauer auf die USA. "Es ist wie im Wilden Westen", sagt Alice Slater, Mitbegründerin des Netzwerkes. "Es herrscht eine totale Missachtung aller Rechtsgrundsätze. Die USA verleugnen einen Deal, den sie vor zehn Jahren gemacht haben. Sie hatten im Tausch gegen eine unbefristete Verlängerung des Vertrages u.a. versprochen, den Atomteststoppvertrag zu unterstützen. Dennoch will diese Administration nicht mal den Vertrag vor den Senat bringen, um über die Ratifizierung abzustimmen. In der Zwischenzeit praktiziert sie durch ihr massives Atomwaffenarsenal in Höchstalarmbereitschaft und die Entwicklung neuer, kleiner und einsetzbarerer Atomwaffen zudem Proliferation." Dass nun Iran oder Ägypten allein für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich gemacht werden sollen, will Abolition 2000 nicht hinnehmen. "Ägypten beispielsweise hat sehr nachdrücklich die wichtige Rolle der Anerkennung vergangener Übereinkünfte und der Einbeziehung Israels in den Vertrag unterstrichen. Iran fordert immer wieder eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten. Beide Maßnahmen würden das Nichtverbreitungssystem stärken. Wenn die USA nicht mal bereit sind, diese Fragen zu diskutieren, dann sind sie es, die den Vertrag sabotieren", so Susi Snyder, Generalsekretärin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF).

Der frühere US-Verteidigungsminister McNamara kritisiert die Atomwaffenpolitik der USA und der NATO als "unmoralisch, illegal, militärisch unsinnig, sehr gefährlich und zerstörerisch für den Atomwaffensperrvertrag". Er befürchtet, dass als Folge der gescheiterten Überprüfungskonferenz Nordkorea, das bereits erklärt hat, Atomwaffen zu besitzen, diesen Weg weiter fortsetzen wird. Eine ähnliche Entwicklung befürchtet er im Iran. Diesen beiden Ländern könnten weitere Länder folgen. In Asien Japan, Südkorea und Taiwan, im Nahen Osten Ägypten, Saudi Arabien und Syrien.

Trotz dieser frustrierenden Ergebnisse der diesjährigen Verhandlungen bedeutet das Scheitern nicht, dass der Atomwaffensperrvertrag insgesamt ungültig wird. Die Abrüstungsexpertin Rebecca Johnson von Aboliton 2000, die die Abrüstungsverhandlungen in New York und auch in Genf seit mehr als 10 Jahren beobachtet, bemerkt dazu: "Angesichts des Scheiterns der 2005er Überprüfungskonferenz bleiben die Übereinkommen aus den Jahren 1995 und 2000 bestehen. Sie sind die rechtlichen und politischen Maßstäbe für den Fortschritt und die Förderung der Erfüllung des Vertrages, bis der Atomwaffensperrvertrag vollständig und in allen Aspekten umgesetzt werden kann."

Ein Plan B muss also her. Wie der aussehen soll, darüber teilen sich die Meinungen.

UN-Generalsekretär Kofi Annan möchte die Staaten des Atomwaffensperrvertrages im September beim Gipfel zur Überprüfung der UN-Milleniums-Erklärung erneut an einen Tisch bringen, um über die strittigen Fragen zu diskutieren.

Bürgermeister Akiba hat in einem offenen Brief Sergio Duarte vorgeschlagen, "ein alternatives Treffen vorzubereiten, das nicht von Verfahrensfragen gelähmt wird".

Noch offener dagegen wirkt der Plan der Abrüstungsexpertin der deutschen IPPNW. Xanthe Hall schlägt eine "Open Space"-Veranstaltung vor, bei der Diplomaten, Regierungsvertreter und NGO-Experten hinter verschlossenen Türen Vorstellungen und Visionen entwickeln können, ohne unter Ergebniszwang zu stehen. "Eine Tagungsordnung gibt es bei einer solchen Veranstaltung nicht. Alles - wirklich alles - zum Thema Abrüstung und nuklearer Weiterverbreitung wird diskutiert, Denkverbote und nationale Egoismen bleiben vor der Tür", erklärt Hall.
 

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Jörg Welke arbeitet für die IPPNW in Berlin.