Bosnien-Herzegowina:

Die demokratische Alternative koordi­niert sich

von Zoran Arbutina-Risch
Hintergrund
Hintergrund

Am 25.Mai dieses Jahres trafen sich in Perugia zum ersten Male in der Öffentlichkeit Sejfudin Tokic und Milorad Dodik, die Vertreter einer de­mokratischen Alternative aus beiden Teilen Bosnien-Herzegowinas, dem von der Regierung und dem serbisch kontrollierten. Sejfudin Tokic ist der Vizevorsitzende der Sozialdemokratischen Union Bosnien-Her­zegowinas (BiH) und Fraktionsvorsitzender im bosnischen Parlament. Dodik ist der Präsident des Klubs der unabhängigen Abgeordneten im serbischen Parlament in Pale. Dies war die erste öffentliche Begegnung - geheime Kontakte gab es schon Monate davor.

Vier Monate später trafen sie sich schon wieder, und wieder in Perugia. Diesmal handelte es sich aber nicht um ein Tref­fen zweier oppositioneller Politiker aus zwei Teilen BiH, sondern eine erste Konferenz der Demokratischen Alter­native aus dem gesamten Gebiet BiHs.

Dabei waren auch die Vertreter anderer Parteien - wie etwa der sozialdemokrati­schen Partei BiH, der Liberalen Partei wie auch Vertreter von Bürgerinitiativen (Bürgerforum Tuzla), unabhängigen Medien und Einzelpersonen. Das Ziel war, ein Grundsatzdokument der demo­kratischen Alternative zu verabschieden und dadurch der nichtnationalistischen Alternative in BiH eine gemeinsame Handlungsgrundlage und eine auch nach außen sichtbare Form zu geben.

Wir sind die Zeugen der Entstehung ei­ner gesamtbosnischen nichtnationalisti­schen Allianz. Sie ist eine gesellschaft­liche Kraft, die das Potential hat, sich der unheimlichen Allianz der Nationali­sten auf allen drei Seiten in BiH zu wi­dersetzen.

Der eigentliche Konflikt in BiH wird zwischen Nationalisten und Nichtnatio­nalisten entschieden - nicht zwischen drei ethnischen Gruppen. Zurzeit kämpfen die Nationalisten um die Auf­teilung des Territoriums - mit sich tra­gen sie aber keine Zukunftsperspekti­ven.

Die demokratische Alternative in BiH wird sich weter organisieren. Dem­nächst sollen vier Kontakt-und Koordi­nationsbüros eröffnet werden (in Sara­jevo, Tuzla, Banja Luka und Zagreb). Weitere Gruppen und Parteien sollen sich anschließen, weitere Treffen statt­finden. (Das nächste Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres voraussichtlich in Makedonien).

Es handelt sich um die Entstehung des größten Projektes in BiH, das über die ethnischen Grenzen hinweg sich orien­tiert und handelt. Jetzt ist die entschei­dende Zeit: Was jetzt versäumt wird, wird später kaum mehr einzuholen sein.

Wir bringen hier die Erklärung aus Pe­rugia vom 26.9.95 in Übersetzung:

Die Erklärung des Forums

In der Überzeugung,

daß die Freiheit eines jeden Menschen das höchste moralische und politische Prinzip ist,

daß die Vielfalt der Nationen, Religio­nen und Kulturen ein Reichtum Bos­nien-Herzegowinas (BiH) darstellt,

und daß die Ausschließlichkeit diesbe­züglich eine Ursache für die Kriegskata­strophen ist, die die Menschen und Völ­ker betrafen,

heben die Vertreter der demokratischen Alternative (sowohl die aus dem Terri­torium, das unter Kontrolle der Regie­rung BiHs steht, als auch aus dem Ter­ritorium unter der Kontrolle der bosni­schen Serben), die sich erneut in Perugia am 25.9.95 getroffen haben, folgendes hervor:

1. Wir fordern einen sofortigen Waffen­stillstand und die Suche nach einer Lösung des kriegerischen Konfliktes vor allem mit politischen Mitteln. Eine wesentliche Vorbedingung für die Normalisierung des Lebens und die Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den Völkern, sowie für die Stärkung der Integrationsprosse in BiH ist das Abtreten der Politiker aus dem politischen Leben, die in der Zeit von 1990 bis 1992 eine Koali­tion der nationalen Parteien gebildet haben wie der führenden Politiker der nationalistischen Parteien, die jetzt an der Macht sind.

2. Alle diejenigen, die für die Kriegs­verbrechen und für die Vertreibungen verantwortlich sind, müssen bestraft werden. Wir bestehen darauf, daß die Verantwortung individualisiert sein muß, und wir widersetzen uns den Versuchen, ganze Völker als Verbre­cher zu bezeichnen.

3. Bosnien-Herzegowina soll als ein de­zentralisierter Staat mit mehreren konstitutiven Teilen organisiert sein (so wie das in der Genfer Initiative vorgeschlagen wurde). In der Verfas­sung sollen die Gleichberechtigung der konstitutiven Völker in BiH und die Achtung der Menschenrechte gemäß der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte garantiert wer­den.

4. Wir unterstützen die Anstrengungen und das Engagement der internatio­nalen Gemeinschaft, die zum Waf­fenstillstand führen und den Friedensprozess stärken sollen. In diesem Zu­sammenhang bewerten wir die Gen­fer Initiative vom 8.9.1995 als einen möglichen wesentlichen Schritt in dem Prozess der Normalisierung des Lebens in BiH.

5. Es müssen die Bedingungen geschaf­fen werden, die - mit internationalen Garantien - allen Vertriebenen und Flüchtlingen es ermöglichen, sicher und in Würde in ihre Heime zurück­zukehren. Ihr Privateigentum muß geschützt werden.

6. Wir fordern die demokratischen Strukturen im Ausland auf, politisch und auf andere Weise alle politischen Parteien, Bürgerinitiativen, unabhän­gige Medien und gesellschaftlich en­gagierte Persönlichkeiten auf dem ganzen Territorium BiH, die sich für die Herstellung des Friedens und für Toleranz zwischen den Völkern ein­setzen, zu unterstützen.

7. ... Gleichzeitig wollen wir hervorheben, daß wir uns einig sind, daß die Zusam­menarbeit intensiviert werden muß und daß die verschiedenen Aktivitä­ten der demokrati­schen Alternative... koordiniert wer­den sollen.

 

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