Die Deutsche Anti-Apartheidbewegung

von Gottfried Wellmer

In der westdeutschen Solidaritätsbewegung mit dem südafrikanischen Befreiungskampf ging es um die Anerkennung der Menschenrechte und um die daraus abgeleitete Forderung nach Freiheiten und Bürgerrechte für alle rassisch Diskriminierten in Südafrika. Apartheid war ein Verbrechen gegen die Menschheit, so wie zuvor nur der deutsche Faschismus ein Verbrechen gegen die Menschheit gewesen war. Umso wichtiger war uns mit unserer spezifisch deutschen Vergangenheit die Teilnahme an der weltweiten Anti-Apartheid Bewegung.

Das Solidaritätsprinzip beinhaltet: wenn die Menschenrechte eines Einzelnen verletzt werden, müssen alle diese Rechte verteidigen, weil grundsätzlich die Rechte und Freiheiten aller bedroht sind. In den Worten der südafrikanischen Gewerkschaftsbewegung: ,,An injury to one is an injury to all." Das Problem für den ANC und für die Anti-Apartheid Bewegung lag im Kalten Krieg: Kaum war die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet, kaum hatte man versucht, diese Rechte in den Nürnberger Prozessen in internationale Rechtsprechung umzusetzen, legte der Kalte Krieg die Menschenrechte auf Eis. Südafrika befand sich nicht nur während des zweiten Weltkrieges, sondern auch während des Korea krieges auf der Seite der Alliierten. Apartheid-Südafrika nutzte den Kalten Krieg als Deckmantel zur Unterdrückung der politischen Opposition, zur millionenfachen Zwangsumsiedlung der schwarzen Bevölkerung in Reservate billiger Arbeitskraft und zur Kontrolle völlig rechtloser schwarzer Arbeitskräfte. Der „freie Westen" hielt das an Mineralien (Uran!) reiche Südafrika, das die Seeroute um das Kap kontrollierte, für strategisch wichtig. Lange Zeit gab es lediglich rhetorische Distanzierungen vom Apartheids-System, nur ein freiwilliges, sehr lückenhaftes Waffenembargo, nur einen lockeren EG-Verhaltenskodex für europäische Tochterfirmen in Südafrika; während faktisch die direkten und indirekten Investitionen . und der Handel mit Südafrika phänomenale Wachstumsraten aufwiesen.
Die deutsche Anti-Apartheidbewegung (AAB) wurde relativ spät, erst 1974, gegründet. Sie hatte in ihrer besten Zeit 65 aktive Lokalgruppen in Städten der „alten' Bundesrepublik. In den siebziger Jahren gewann sie zunächst die Unterstützung von studentischen und kirchlichen Gruppen, aber auch einer Handvoll von mutigen Bundestagsabgeordneten. Erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre kam auch die Unterstützung von Gewerkschaften, politischer Gruppen und Parteien hinzu. Je nach Thematik ihrer Kampagnen wechselten auch ihre Koalitionen. Diese Kampagnen wollten vor allem Bundesbürger über die Situation in Südafrika und die starken wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland mit dem Apartheidstaat aufklären.
In den siebziger Jahren bearbeitete die AAB das steinige Feld der militärischen und nuklearen Zusammenarbeit mit dem Apartheidstaat. Sie wurde in dieser Thematik stark unterstützt durch Recherchen des ANC selbst, der zwei Dokumentationen veröffentlichte mit dem Briefwechsel zwischen der südafrikanischen Botschaft in Köln bzw. Bonn, Beamten verschiedener Ministerien der Bundesrepublik und Firmen, die an dem Export von Investitions- bzw Rüstungsgütern an strategisch wichtige Staatskonzerne Südafrikas interessiert waren. Diese Arbeit gipfelt ein einem internationalen Kongress 1978 zur militärischen und nuklearen Zusammenarbeit BRD-Südafrika. Der Kongress zeigte insofern diplomatische Wirkung, als der UN Sicherheitsrat am 4. November 197 7 in seiner Resolution 418 ein verbindliches Embargo für den Export von Kriegsmaterial verhängt hatte. ·
Um dieses Waffenembargo tatsächlich lückenlos durchsetzen zu können, hätte man gleichzeitig auch Wirtschaftssanktionen verabschieden müssen. Das entsprach aber nicht den Interessen der USA oder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Diese entwickelten 1977 freiwillige Verhaltenskodices für die in Südafrika tätigen transnationalen Konzerne. Ende der 70er Jahre führten wir daher in der Bundesrepublik heftige Kontroversen mit. den Regierungsparteien, den Gewerkschaften und Kirchen über das strategische Ziel der paternalistischen und ineffizienten Kodices (Vermeidung von Wirtschaftssanktionen,) und die miserablen Arbeitsbedingungen und Lohne schwarzer Arbeitskräfte in Südafrika. Die AAB und ihr nahe stehende Journalistlnnen wurden in ihren Recherchen nachhaltig informiert und unterstützt von. der seit 1973 entstandenen unabhängigen Gewerkschaftsbewegung Südafrikas.
In dieser Situation erhielt die Solidaritätsarbeit einen neuen und sehr starken Verbündeten in der evangelischen Frauenarbeit Deutschlands, die aus Protest gegen das Verbot der schwarzen Hausangestellten-Gewerkschaft in Südafrika im Oktober 1976 zu einer Kampagne „Kauft keine Früchte der Apartheid" aufrief. Ihre ersten Broschüren und Informationsblätter wa¬ren in wenigen Wochen schon vergriffen und mussten neu aufgelegt werden: 5000 Exemplare in der zweiten, 10 000 Exemplare in der dritten Auflage. Die Leiter der EKD verweigerten der Ev. Frauenarbeit Zuschüsse für den Druck ihrer Broschüren und Plakate, weil sie grundsätzlich das Mandat der Kirche durch den politischen Boykott eines verbrecherischen Regimes überschritten sahen. Auch sahen einige der leitenden Männer der EKD im ANC nicht eine nationale Befreiungsbewegung, sondern lediglich ein Instrument des Moskauer Geheimdienstes. (Der für den kalten Krieg typische Tunnelblick). Aber es gab innerhalb der EKD keine einheitliche Ablehnungsfront. Die evangelische Kommission für das südliche Afrika empfahl dem Rat der EKD nachdrücklich die Unterstützung der Aktion der Ev. Frauenarbeit Deutschlands (EFD). Der Frauenarbeit gelang es, in wenigen Tagen das benötigte Geld für ihre Kampagne in eigener Regie zu sammeln. Die Früchte-Kampagne gewann nicht nur die Unterstützung vieler evangelischer Frauen, sondern auch die Sympathien einer breiteren Öffentlichkeit und des liberal denkenden Bürgertums. Das gab auch der AAB mit ihrer gezielten Unterstützung des ANC neue Kräfte.
Nach dem Aufruf des Ökumenischen Rats der Kirchen 1981zurKündigung privater Konten bei Banken, die den südafrikanischen Staat direkt oder strategische Konzerne in südafrikanischen Staatsbesitz (wie z.B. Eskom, Iscor) mit Bankanleihen unterstützten, gingen die EFD und die AAB gemeinsam zur Bankenkampagne über und zum Boykott der südafrikanischen Gold-münze.Kruqerrand" Der Höhepunkt dieser Kampagne wurde erreicht, als das Präsidium des Evangelischen Kirchentags 1987 dem Druck der kirchlichen Basisgruppen nachgeben mußte und seine Konten bei der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und der Commerzbank auflöste. Keine andere Aktion in der ev. Kirche hat in der Bundesrepublik zu mehr öffentlicher Aufmerksamkeit für die Not von Menschen in Südafrika beigetragen als der Früchte- und Bankenboykott.  
Neben den oben genannten Schwerpunkten der westdeutschen Solidaritätsarbeit gab es auch gewerkschaftliche Gruppen, die sich darauf spezialisierten, die Freiheit der Meinungsäußerung und zur Bildung von Interessensverbänden, besonders die Rechte schwarzer, unabhängiger Gewerkschaften in Südafrika zu fordern. Andere verlangten über Amnesty International die Freilassung aller politischen Gefangenen, ein Ende der Todesstrafe und ein Ende der Folter; und wieder andere forderten die freie Wahl der Ausbildung, die Freiheit, eine angemessene Arbeit ausüben zu können, die Freizügigkeit von Arbeitskräften und allgemein die Freiheit von Diskriminierung, von Not und von Ungerechtigkeit. Auch im kulturellen Bereich gab es neue Kontakte, gefördert durch ein starkes und anhaltendes Engagement deutscher Schriftsteller, Künstler, Graphiker und Schauspieler. Die Werke südafrikanischer Dichter und Schriftsteller, Dramaturgen, Sänger und Musiker fanden endlich auch in der Bundesrepublik eine zunehmende Würdigung.
Am 26.Juli 1985 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 569, wel¬che erstmals allgemeine Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika empfahl. Dies beinhaltete unter anderem den Stopp von Neuinvestitionen, das Verkaufsverbot für Krugerrands, die Abschaffung der Export-Risiko-Garantien, das Verbot neuer Atomverträge und den Verkauf von Informatikgütern, die von der Polizei und Armee Südafrikas zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung und zum Krieg gegen die Nachbarvölker benützt werden konnten. Das Veto der USA und Großbritanniens verhinderte, dass diese Sanktionen als weltweit verbindlich erklärt wurden. Auch die Regierung und Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland waren prinzipiell gegen Sanktionen. Im Unterschied zu den anderen westlichen Alliierten spielte die Bundesrepublik im Falle Südafrikas eine Sonderrolle. Das betrifft die Banken, die Exportfirmen und einen Teil der Gewerkschaften. 1985, als US Banken die kurzfristigen Schulden nicht umschulden wollten, Südafrika ein einseitiges Schuldenmoratorium erklärte und zeitweilig zahlungsunfähig war, legten die deutschen Banken netto DM 888.Millionen in Südafrika an. Während der Rest der Welt Gelder und Anlagen massiv aus Südafrika abzog und die südafrikanische Wirtschaft negative Wachstumsraten aufwies, investierten die Deutschen 1989- 1992 eifrig im Staat der Apartheid. Zwi¬sehen 1985 und 1991 war die BRD das Land, in dem Südafrika noch Kredit hatte und aus der Südafrika die meisten seiner Importe bezog. Und die IG Metall wollte gerade zu einer Zeit, als alle von Sanktionen sprachen, gegensteuern und noch einen Verhaltenskodex für deutsche Metall verarbeitende Firmen am Kap durchsetzen, als Alternative zu Sanktionen.
Blickt man auf dieses letzte und gewaltsamste Jahrzehnt (1984-1994) des Apartheidstaates, wo in den Nachbarländern Hundertausende starben und Millionen vertrieben wurden und in Südafrika Zehntausende im Krieg starben, und blickt dann auf die deutsche Außenwirtschafts- und Außenpolitik, kommt man ins Grübeln, ob denn die Arbeit der deutschen Solidaritätsbewegung erfolgreich war oder nicht letztlich doch an den Sonderinteressen der deutschen Wirtschaft scheiterte. Aber der welthistorische Trend lief anders als die deutsche Wirtschaft es wollte. Gegen das Veto Präsident Reagans ergriffen die amerikanischen Kongress-Abgeordneten im Oktober 1986 weiter gehende Wirtschaftssanktionen im Comprehensive Anti-Apartheid Act. Später mußte auch die EWG mit sanften Sanktionen nachziehen.
Mit den Gipfeltreffen der Supermächte in Reykjavik 1986 und Washington 1987 war der Kalte Krieg beendet. Der nachfolgende Kollaps der Sowjetunion und des Ostblocks (1989-1991) bestätigte dies. Gleichzeitig war in Südafrika und in den Nachbarländern der Widerstand gegen das aggressive Apartheidregime stark angewachsen. Das Ende des Kalten Krieges gab der breiten südafrikanischen Befreiungsbewegung die einzigartige Gelegenheit, sich endgültig von der Apartheid, dieser Verbrechen an der Menschheit, zu befreien.
In neuer Gestalt arbeitet die ehemalige AAB als Teil der Koordination Südliche:
Afrika über die entwicklungs- und handelspolitischen Beziehungen der Europäischer Union zur Region des Südlichen Afrika. Dazu kann unsere website (www.kosa.org) weitere Auskunft geben.

 

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