Die deutsche "out of area"- Debatte aus der Sicht einer Niederländerin.

von Margriet Drent
Hintergrund
Hintergrund

Wie in einer Untersuchung, veröffentlicht in der TAZ vom 14. April, illu­striert wurde, existiert eine ziemliche Abneigung der Niederländer ge­gen die Deutschen im Allgemeinen. Daß die Niederländer etwas gegen Deutsche haben, geht zu einem großen Teil auf eine Art Angst zurück, die vor 50 Jahren entstanden ist. Dazu kommt das in den internationa­len Beziehungen häufig empfindliche Verhältnis zwischen dem kleinen zu dem großen Land. Im Fall der Beziehung zur Bundesrepublik spielt auch eine Rolle, daß die Niederlande wirtschaftlich eng verknüpft mit dem Nachbarn sind und daher in einer Abhängigkeitsbeziehung zum "Traditionsfeind" stehen, was die Vorurteile nur noch verstärkt. "Kann meine Großmutter ihr Fahrrad bitte zurückhaben" ist in diesem Zusam­menhang noch eine der harmlosesten Anspielungen.*

Diese Leidenschaft, die die Niederlän­der in Bezug auf Deutschland zeigen, ist ein interessantes Phänomen, weil Lei­denschaft gerade nicht sehr "typisch" niederländisch ist. Man muß dabei im Auge behalten, daß nach der erwähnten Befragung die Niederländer anschei­nend Deutsche nicht mögen, mit der Ausnahme der Deutschen, die sie per­sönlich kennen. Aber Tatsache ist, daß es eine negative Faszination der Nie­derländer für Deutschland gibt, die in meinem Fall dazu geführt hat, daß eine Neugierde entstanden ist für die Frage, was Deutschland nun wirklich ist, und vor allem, wie ihre Außenpolitik, die die Niederlande betreffen könnte, in der Zukunft aussehen wird. Man hat in der Regel mehr Angst vor dem Unbekann­ten, und daher muß man herausfinden, ob es auch von dem Bekannten etwas zu befürchten gibt.

Eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Deutschen und ihr Land zu studieren, ergab sich gleich nach meiner Ankunft, da ich mitten in der sogenannten "out of area"-Diskussion landete. Eine Diskus­sion, die sich nicht nur mit einem deut­schen Truppeneinsatz außerhalb des NATO-Bündnisgebietes befaßt, sondern eine grundsätzliche Diskussion darüber ist, welche Rolle das wiedervereinigte Deutschland in der Weltpolitik spielen will. Jetzt, da nun wieder der "Normalzustand" eingetreten ist, ist die Frage, ob Deutschland seinen Platz als großes mitteleuropäisches Land und als wirtschaftliche Großmacht in der Hier­archie der Völker einnehmen soll.

Obwohl diese Diskussion der Deutschen von den Bündnispartnern mit einiger Befremdung verfolgt wird und es für Außenseiter, und, wie manchmal der Eindruck entsteht, auch für die Exper­ten, sehr schwer ist, einen Durchblick zu bekommen, weil so viele innenpoliti­sche Faktoren mitspielen und sich nicht mal die renommiertesten Völkerrechtler und Verfassungsrechtler über die Rechtsfragen einig sind, glaube ich, daß das Bild, das manchmal geschaffen wird - das Ausland lache die Deutschen in diesen Fragen einfach aus - falsch ist. Die Tatsache, daß es die Bundesrepu­blik jetzt nicht als selbstverständlich betrachtet, machtpolitisch voll mitzumi­schen, kann auch als ein Zeichen eines anderen Deutschland verstanden wer­den. Ein Deutschland, das sich schwer tut, seine Belastung aus dem Zweiten Weltkrieg einfach abzuwerfen, und ein Deutschland, das seine Verantwortung für die Greueltaten des Naziregimes nicht zu leichtfertig nimmt.

Ich möchte mich hier nicht in ausge­weiteten Analysen der Diskussion ver­lieren, weil davon schon mengenhaft produziert worden sind. Außerdem ist es eine Diskussion, in die sich Ausländer nur schwer einmischen können; es ist eine Debatte über eine Situation, die ohne Vergleich in der Welt ist und bei der die Deutschen sich auch nicht durch die Sicherheitspolitik anderer Länder beeinflussen lassen sollten, obwohl diese Länder dazu auffordern. Bei der Wiedervereinigung hat Deutschland sich auf sein Selbstbestimmungsrecht beru­fen, und jetzt muß es auch in außenpoli­tischen Fragen selbständig entscheiden, was die deutsche Rolle in der Weltpoli­tik sein wird. Die Deutschen haben eine einmalige Chance, ihre Außenpolitik zu bestimmen und völlig neu anzufangen, ohne die Hemmungen zu empfinden wie die Bündnispartner sie im Kalten Krieg hatten, als sie den langfristigen Kurs für ihre jeweilige Sicherheits- und Außen­politik festlegten.

Die Rolle Deutschlands muß eine posi­tive sein. Die Bundesrepublik muß sich überlegen, daß sie in sehr vielen Län­dern Europas wieder von der Geschichte eingeholt wird und dort deutsche Sol­daten im Kampfeinsatz die Lage nur verschlechtern können. Ein Einsatz im ehemaligen Jugoslawien kann nur kon­traproduktiv wirken, und daher eignet sich die Lage auf dem Balkan nicht als Katalysator der "out of area"-Debatte. Die von Emotionen geprägte Diskussion über eine deutsche Beteiligung bei ei­nem Eingreifen im Jugoslawien-Kon­flikt kann nicht als Grundlage dienen für die Bestimmung der langfristigen Au­ßenpolitik Deutschlands, was aber im Moment passiert. Die Situation im ehe­maligen Jugoslawien ist zu ernst, um durch die Bundesregierung zur Errei­chung ihrer Ziele instrumentalisiert zu werden. Verantwortung übernehmen heißt in diesem Fall: wissen, daß man durch seine Anwesenheit die Wieder­herstellung des Friedens in Bosnien-Herzegowina gefährdet.

Die innenpolitische Diskussion, wie die SPD sie führt, ist für das Ausland unin­teressant. Ob Deutschland nun eine "out of area"-Präsenz ohne oder mit Grund­gesetzänderung hat, ist nur eine Form­sache, die nichts an den Tatsachen än­dert. Daß die SPD sich politisch von der Koalition unterscheiden will, indem sie auf Grundgesetzänderungen besteht, ist klar, nur trägt die SPD hiermit kaum in­haltlich zu den Zukunftsperspektiven der deutschen Außenpolitik bei.

Ich glaube, daß die Bundesrepublik ein stabiles, demokratisches Land ist, das allerdings nicht als ein "normales" Land bezeichnet werden kann. Die Bundesre­publik befindet sich in einer schwierigen Lage: auf der einen Seite will sie nicht in Isolation geraten, was auch für ihre Nachbarn ein gefährliches machtpoliti­sches Vakuum im Herzen Europas be­deutete. Und auf der anderen Seite ver­pflichtet sie ihr geschichtliches Erbe dazu, die Empfindlichkeiten ihrer Nach­barn gegenüber einem Anspruch auf weltpolitische Macht Deutschlands zu berücksichtigen. Es ist also an den Deutschen, hier eine Art Gleichgewicht zu finden. Dieses Gleichgewicht könnte Zurückhaltung bedeuten, wenn es sich um einen Einsatz von deutschen Solda­ten, wo auch immer in der Welt, han­delt, und eine aktivere Rolle Deutsch­lands bei Konfliktverhütung durch Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und vorbeugende Diplomatie.

Und ich, als eine der vielen Nachbarn der Deutschen, muß leider sagen, daß ich nicht beruhigt bin, bei dem, was ich über die deutsche Außenpolitik lerne. Die erstaunliche Schnelligkeit, mit der sich auf einmal die Debatte entwickelt hat: von Zweifel über deutsche Blau­helme bis zu Überlegungen zu weltwei­ten Kampfeinsätzen deutscher Soldaten, besorgt mich, und sicherlich noch viele andere Niederländer. Der deutsche Platz in der Staatengesellschaft sollte ein be­scheidener sein. Vierzig Jahre lang konnte die Bundesrepublik zwar kaum an der Macht schnuppern, hat aber müh­sam die Länder, die unter deutscher Be­satzung gelitten haben, von ihrer Fried­lichkeit und der Kraft ihrer Demokratie überzeugen können. Meiner Ansicht nach wäre Macht, statt Vertrauen, kein guter Tausch. 

*     Die deutsche Besatzungsmacht kon­fiszierte viele niederländische Fahr­räder für die Waffenproduktion da­heim.

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Margriet Drent ist Studentin "internationale Beziehungen" an der Universität Groningen und zurzeit Praktikantin bei der "Initative für Frieden, internationalen Ausgleich und Sicherheit."