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Kirchliche Schützenhilfe für das Militär
Die EKD-Orientierungspunkte für Friedensethik und Friedenspolitik
von
Seit geraumer Zeit wurden die ausbleibenden Stellungnahmen der evangelischen Kirche zu Krieg und Frieden damit entschuldigt, daß eine grundsätzliche Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Arbeit sei. Nun sind die angekündigten "Orientierungspunkte für Friedensethik und Friedenspolitik" veröffentlicht worden. In der Öffentlichkeit aber haben sie kaum Echo gefunden. Was als Schritt nach vorne gedacht war, ist denn auch eher ein Schritt nach hinten. Die Lektüre der Schrift hinterlässt den Eindruck, daß weniger der Hinweis auf neue, sondern eher die Bestätigung althergebrachter Gleise im Mittelpunkt des Interesses gestanden hat.
So - wird in der Schrift mit aller Deutlichkeit erklärt - "sehen wir es nicht als einen grundsätzlichen Widerspruch zu einer christlichen Friedensethik, vielmehr als eine notwendige (sic!), wenn auch nicht vorrangige Konkretion an, militärische Mittel zur Wahrung des Friedens und zur Durchsetzung des Rechts bereitzuhalten und notfalls anzuwenden." Einige Sätze weiter heißt es zur "Benutzung militärischer Macht", daß ihre "Rechtfertigung mit ansteigender Eskalation immer weniger möglich ist" ist. "Umgekehrt ist die Benutzung militärischer Macht umso eher zu vertreten, je enger sie im Sinne der Notwehr oder Nothilfe auf den Schutz bedrohter Menschen, ihres Lebens, ihrer Freiheit und der demokratisch-rechtsstaatlichen Strukturen ihres Gemeinwesens bezogen bleibt und je gezielter und begrenzter sie nur die militärischen Angriffsmittel zerstört." Da hört man direkt die VertreterInnen der Bundestagsparteien mit ihren Äußerungen zum out-of-area-Einsatz der Bundeswehr. Die "Kirche" geht jedoch noch einen Schritt weiter als die meisten von ihnen. Sie vertritt den Militäreinsatz nicht nur zum Schutz bedrohter Menschen, sondern auch der "demokratisch-rechtsstaatlichen Strukturen" eines Gemeinwesens. Zweifellos, da bietet sich global ein weites Spektrum an.
Die EKD-Orientierungshilfe gliedert sich in vier Abschnitte. Der erste steht unter der Überschrift "Woher kommen wir?" und bringt einige - nicht neue -Gedanken zum Ende des Ost-West-Konfliktes.
Der zweite Abschnitt "Wo stehen wir?" enthält einige Sätze über "das befreite Aufatmen" am Ende des Ost-West-Konfliktes und die gehegte "Erwartung friedlicherer Zeiten und über die Ernüchterung durch Vorgänge, "die auf die Wende von 1989/90 gefolgt sind". Es wird festgestellt, daß "die Vereinten Nationen für die Bewahrung des Friedens und der Durchsetzung des Rechts zunehmend an Bedeutung gewinnen". Ob die UNO denn dies auch tut, oder ob da vielleicht auch Änderungen im gegenwärtigen Gefüge der Vereinten Nationen angebracht sind, wird nicht weiter reflektiert. Zum Thema Ernüchterung konstatiert die Schrift, daß der zwischenstaatliche Gewaltverzicht in Europa bisher durch das System nuklearer Abschreckung erzwungen war, daß nun aber der "Rahmen eines politischen Regimes der Weltmächte" zur "Domestizierung der Anwendung militärischer Gewalt" nicht mehr existiert und daß außerdem die Angelegenheit mit der "Friedensdividende" nicht recht funktioniert hat. Die Rolle des Militärs und des militärischen Denkens wird in diesem Zusammenhang nicht hinterfragt, die Rolle von Rüstungsproduktion und Waffenhandel nur in einem klagenden Nebensatz erwähnt.
"Was leitet unsere Schritte?" Unter dieser Überschrift wird noch einmal das Dilemma der nuklearen Abschreckung angesprochen und behauptet, daß die bisher eingenommen Standpunkte, die Akzeptanz oder die Ablehnung dieser Art von Abschreckung durch VertreterInnen der Kirche in West und Ost, "sich nicht überhaupt als unversöhnliche Gegensätze ausschließen, sondern - durchaus situationsbedingt - Ausdruck des Dilemmas waren" - was immer dies heißen mag.
Im Folgenden will die Schrift die "Grundlinien einer evangelischen Friedensordnung" zu Papier bringen, und da heißt es: "Sicherheit kann nicht allein militärisch definiert werden." Der Akzent in diesem Satz liegt gewiss auf den Worten "nicht allein". Kurz darauf folgt die Mahnung: "Um den Frieden zu erhalten oder wiederherzustellen...darf nicht zuerst oder vorrangig an militärische Kampfeinsätze gedacht werden". Wer tut dies denn in unserem Land? Wer sind bei solchen Aussagen die GesprächspartnerInnen der EKD? Unter den Abgeordneten des Bundestages ist mir niemand bekannt, der zuerst oder vorrangig so handeln möchte - aber an irgendjemand muß, wenn damit wirklich etwas gemeint ist, doch solche Mahnung gerichtet sein.
Formulierungen, die vom Militär als der "ultima ratio" sprechen, rufen natürlich die Vermutung hervor, die Lehre vom gerechten Krieg solle wiederbelebt werden. Aber auch daran hat die Schrift der EKD gedacht und versucht, solchen Verdacht abzuwehren, indem sie auf die in der Neuzeit vollzogene Entwicklung des Völkerrechts hinweist - dadurch vermeidet sie eine Auseinandersetzung im Inhalt und Intention dieser Lehre. Vielmehr erinnert sie an die Flucht in das Begriffs-Labyrinth, in dem zu Zeiten des Golfkrieges eine der EKD-Führungskräfte den "gerechten Krieg" zwar ablehnte, aber für den "gerechtfertigten" Krieg plädierte.
Eine Schrift aus der Feder der EKD darf selbstredend den Hinweis nicht unterlassen, daß die unterschiedlichen Standpunkte innerhalb der Kirche letztlich zusammengehören. Denn Kirche tritt "dafür ein, Waffenanwendung und Waffenverzicht von Christen aufeinander zu beziehen" - und das heißt für die EKD: "Die Soldaten sind auf die Kriegsdienstverweigerer und die Friedensdienste angewiesen, damit ihr Handeln als Ausdruck der politischen Verantwortung von Christen und nicht als ein Sich-Abfinden mit dieser Welt fehlinterpretiert wird; die Kriegsdienstverweigerer und die Friedensdienste sind aber auch auf die Soldaten angewiesen, damit ihr Handeln als Zeugnis christlicher Hoffnung verstanden und nicht als Ausdruck der fehlenden Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Friedensbruch missdeutet wird." Daß in dieser Formulierung Militär und Friedensdienst als Alternativen gegeneinander gestellt werden, ist wohl angesichts des sonstigen Inhaltes der Schrift eher zufällig, aber akzeptabel; daß Friedensdienst unter dem Verdacht fehlender Solidarität gesehen wird, ist etwas Neues, aber charakterisiert weniger die Friedensdienste als das Wahrnehmungsvermögen der EKD-Autoren.
Der letzte Abschnitt hat den Titel "In welche Richtung müssen wir gehen?" In diesem Abschnitt wird über die Stärkung der "internationalen Friedensdordnung" geschrieben und das Neue dieser Ordnung darin gesehen, "daß sie als ultima ratio auch den physischen Zwang als Mittel der Rechtsdurchsetzung kennt". Bei der Beschreibung dessen, was die internationale Friedensordnung ausmacht, werden die ökonomischen Machtverhältnisse, Abhängigkeitsverhältnisse und die Verelendung der sog. Dritte--Welt-Länder fast überhaupt nicht erwähnt, geschweige denn näher reflektiert.
Zur deutschen Beteiligung an Militäreinsätzen im Rahmen eines Auftrages der Vereinten Nationen hält die EKD fest, daß "die belastete Vergangenheit keine grundsätzliche Sonderrolle Deutschlands" rechtfertigt und sie sieht "eine der wichtigsten Lehren der deutschen Geschichte" darin, "daß Alleingänge vermieden werden müssen". Sicherlich ist damit nicht gemeint, daß sich Deutschland wie die zahlenmäßige Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten nicht den entsprechenden UN-Einsätzen beteiligen, sondern daß es sich wie die Minderheit daran beteiligen soll, und "dafür ist eine Klärung der Verfassungslage erforderlich".
Die anschließenden Bemerkungen über den "Ausbau von Wegen der zivilen Konfliktbearbeitung" brauchen, da sie sehr gedämpft vorgetragen sind, nicht weiter kommentiert zu werden. Über sie wurde unter dem Vorsitz von Konrad Raiser vor 25 Jahren Fundierteres von der Kammer für Öffentliche Verantwortung geschrieben als die hier besprochene Erklärung unter dem Vorsitz von Trutz Rendtorff. Den Friedensdiensten wird aber dennoch eine vage Hoffnung durch den Satz vermittelt: "Ein entschlossener Ausbau der vorhandenen Ansätze ist nötig und möglich". Aber selbst dieser Satz läßt eine doppelte Deutung zu: 'ein Ausbau ist eventuell und vielleicht möglich' oder im Sinne des eigenen Engagements: 'der Ausbau wird von uns ermöglicht werden'.
Im Schlussabsatz steht die richtige Aussage "Mehr Frieden zu schaffen fordert erhebliche Anstrengungen". Daß die EKD-AutorInnen sich solcher Anstrengungen unterzogen hätten, kann ihre Schrift aber nicht überzeugend vermitteln.
1. Sie haben zudem für ihre Argumentation statt in Bibel und Theologie die Ausgangsbasis in der gegenwärtig geführten politischen Diskussion genommen und es auch nicht verstanden, wenigsten die Rückkoppelung zu ersteren herzustellen. Damit reichen sie sich als eine der verschiedenen Stimmen in den Chor der politischen Meinungen ein. Wodurch sich bei diesem Mangel an Eigenständigkeit diese Schrift als Erklärung der Evangelischen Kirche qualifiziert, bleibt unerfindlich.
2. Die VerfasserInnen der Schrift haben es nicht fertigbekommen, in der gegenwärtigen Situation die Rolle von Militär, Rüstungsproduktion und Waffenhandel zu hinterfragen. Es fehlt die kritische Untersuchung sowohl über den Beitrag, den das Militär selbst an den gewaltträchtigen Konfliktherden spielt, als auch über die Erschwernis einer Konfliktbewältigung, wenn weiterhin so kräftig Invention für den Militärapparat aufgebracht und dies für den "Grenzfall" als nötig erachtet wird.
3. Es bleibt unklar, wer sich an den Orientierungspunkten orientieren soll: die PolitikerInnen - aber sie erfahren kaum etwas, was nicht auch bei ihnen diskutiert würde -; die Kirchenmitglieder unterschiedlicher Meinung oder die EKD selbst und ihre Gliedkirchen? Doch für letzteres fehlen die Auseinandersetzungen über die bisherige Rolle der Kirchen und die Aussagen, mit denen man sich für die Zukunft selbst verpflichtet.
Man könnte die Orientierungspunkte beiseitelegen, da sie keine neuen Initiativen anzeigen und nicht von großem Belang sind. Man könnte - wären da nicht das allzu deutliche Angebot, der Bundeswehr bei der Suche nach einer neuen Legitimation Beistand zu geben, und wäre da nicht der Anspruch, im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland zu sprechen.