Kirchliche Schützenhilfe für das Militär

Die EKD-Orientierungspunkte für Friedensethik und Friedenspolitik

von Konrad Lübbert
Hintergrund
Hintergrund

Seit geraumer Zeit wurden die ausbleibenden Stellungnahmen der evangelischen Kirche zu Krieg und Frieden damit entschuldigt, daß eine grundsätzliche Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Arbeit sei. Nun sind die angekündigten "Orientierungspunkte für Friedensethik und Friedenspolitik" veröffentlicht worden. In der Öf­fentlichkeit aber haben sie kaum Echo gefunden. Was als Schritt nach vorne gedacht war, ist denn auch eher ein Schritt nach hinten. Die Lek­türe der Schrift hinterlässt den Eindruck, daß weniger der Hinweis auf neue, sondern eher die Bestätigung althergebrachter Gleise im Mittel­punkt des Interesses gestanden hat.

So - wird in der Schrift mit aller Deut­lichkeit erklärt - "sehen wir es nicht als einen grundsätzlichen Widerspruch zu einer christlichen Friedensethik, viel­mehr als eine notwendige (sic!), wenn auch nicht vorrangige Konkretion an, militärische Mittel zur Wahrung des Friedens und zur Durchsetzung des Rechts bereitzuhalten und notfalls an­zuwenden." Einige Sätze weiter heißt es zur "Benutzung militärischer Macht", daß ihre "Rechtfertigung mit ansteigen­der Eskalation immer weniger möglich ist" ist. "Umgekehrt ist die Benutzung militärischer Macht umso eher zu ver­treten, je enger sie im Sinne der Not­wehr oder Nothilfe auf den Schutz be­drohter Menschen, ihres Lebens, ihrer Freiheit und der demokratisch-rechts­staatlichen Strukturen ihres Gemeinwe­sens bezogen bleibt und je gezielter und begrenzter sie nur die militärischen An­griffsmittel zerstört." Da hört man direkt die VertreterInnen der Bundestagspar­teien mit ihren Äußerungen zum out-of-area-Einsatz der Bundeswehr. Die "Kirche" geht jedoch noch einen Schritt weiter als die meisten von ihnen. Sie vertritt den Militäreinsatz nicht nur zum Schutz bedrohter Menschen, sondern auch der "demokratisch-rechtsstaatli­chen Strukturen" eines Gemeinwesens. Zweifellos, da bietet sich global ein weites Spektrum an.

Die EKD-Orientierungshilfe gliedert sich in vier Abschnitte. Der erste steht unter der Überschrift "Woher kommen wir?" und bringt einige - nicht neue -Gedanken zum Ende des Ost-West-Kon­fliktes.

Der zweite Abschnitt "Wo stehen wir?" enthält einige Sätze über "das befreite Aufatmen" am Ende des Ost-West-Kon­fliktes und die gehegte "Erwartung friedlicherer Zeiten und über die Er­nüchterung durch Vorgänge, "die auf die Wende von 1989/90 gefolgt sind". Es wird festgestellt, daß "die Vereinten Nationen für die Bewahrung des Frie­dens und der Durchsetzung des Rechts zunehmend an Bedeutung gewinnen". Ob die UNO denn dies auch tut, oder ob da vielleicht auch Änderungen im ge­genwärtigen Gefüge der Vereinten Na­tionen angebracht sind, wird nicht wei­ter reflektiert. Zum Thema Ernüchte­rung konstatiert die Schrift, daß der zwi­schenstaatliche Gewaltverzicht in Eu­ropa bisher durch das System nuklearer Abschreckung erzwungen war, daß nun aber der "Rahmen eines politischen Re­gimes der Weltmächte" zur "Domesti­zierung der Anwendung mili­tärischer Gewalt" nicht mehr existiert und daß außerdem die Angelegenheit mit der "Friedensdividende" nicht recht funktio­niert hat. Die Rolle des Militärs und des militärischen Denkens wird in diesem Zusammenhang nicht hinter­fragt, die Rolle von Rüstungsproduktion und Waffenhandel nur in einem klagen­den Nebensatz erwähnt.

"Was leitet unsere Schritte?" Unter die­ser Überschrift wird noch einmal das Dilemma der nuklearen Abschreckung angesprochen und behauptet, daß die bis­her eingenommen Standpunkte, die Ak­zeptanz oder die Ablehnung dieser Art von Abschreckung durch VertreterInnen der Kirche in West und Ost, "sich nicht überhaupt als unversöhnliche Gegen­sätze ausschließen, sondern - durchaus situationsbedingt - Ausdruck des Di­lemmas waren" - was immer dies heißen mag.

Im Folgenden will die Schrift die "Grundlinien einer evangelischen Frie­densordnung" zu Papier bringen, und da heißt es: "Sicherheit kann nicht allein militärisch definiert werden." Der Ak­zent in diesem Satz liegt gewiss auf den Worten "nicht allein". Kurz darauf folgt die Mahnung: "Um den Frieden zu er­halten oder wiederherzustellen...darf nicht zuerst oder vorrangig an militäri­sche Kampfeinsätze gedacht werden". Wer tut dies denn in unserem Land? Wer sind bei solchen Aussagen die Ge­sprächspartnerInnen der EKD? Unter den Abgeordneten des Bundestages ist mir niemand bekannt, der zuerst oder vorrangig so handeln möchte - aber an irgendjemand muß, wenn damit wirklich etwas gemeint ist, doch solche Mahnung gerichtet sein.

Formulierungen, die vom Militär als der "ultima ratio" sprechen, rufen natürlich die Vermutung hervor, die Lehre vom gerechten Krieg solle wiederbelebt wer­den. Aber auch daran hat die Schrift der EKD gedacht und versucht, solchen Verdacht abzuwehren, indem sie auf die in der Neuzeit vollzogene Entwicklung des Völkerrechts hinweist - dadurch vermeidet sie eine Auseinandersetzung im Inhalt und Intention dieser Lehre. Vielmehr erinnert sie an die Flucht in das Begriffs-Labyrinth, in dem zu Zei­ten des Golfkrieges eine der EKD-Füh­rungskräfte den "gerechten Krieg" zwar ablehnte, aber für den "gerechtfertigten" Krieg plädierte.

Eine Schrift aus der Feder der EKD darf selbstredend den Hinweis nicht unter­lassen, daß die unterschiedlichen Stand­punkte innerhalb der Kirche letztlich zu­sammengehören. Denn Kirche tritt "dafür ein, Waffenanwendung und Waf­fenverzicht von Christen aufeinander zu beziehen" - und das heißt für die EKD: "Die Soldaten sind auf die Kriegs­dienstverweigerer und die Friedens­dienste angewiesen, damit ihr Handeln als Ausdruck der politischen Verant­wortung von Christen und nicht als ein Sich-Abfinden mit dieser Welt fehlinter­pretiert wird; die Kriegsdienstverweige­rer und die Friedensdienste sind aber auch auf die Soldaten angewiesen, da­mit ihr Handeln als Zeugnis christlicher Hoffnung verstanden und nicht als Aus­druck der fehlenden Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Friedensbruch missdeutet wird." Daß in dieser Formu­lierung Militär und Friedensdienst als Alternativen gegeneinander gestellt werden, ist wohl angesichts des sonsti­gen Inhaltes der Schrift eher zufällig, aber akzeptabel; daß Friedensdienst un­ter dem Verdacht fehlender Solidarität gesehen wird, ist etwas Neues, aber cha­rakterisiert weniger die Friedensdienste als das Wahrnehmungsvermögen der EKD-Autoren.

Der letzte Abschnitt hat den Titel "In welche Richtung müssen wir gehen?" In diesem Abschnitt wird über die Stär­kung der "internationalen Friedensdord­nung" geschrieben und das Neue dieser Ordnung darin gesehen, "daß sie als ul­tima ratio auch den physischen Zwang als Mittel der Rechtsdurchsetzung kennt". Bei der Beschreibung dessen, was die internationale Friedensordnung ausmacht, werden die ökonomischen Machtverhältnisse, Abhängigkeitsver­hältnisse und die Verelendung der sog. Dritte--Welt-Länder fast überhaupt nicht erwähnt, geschweige denn näher reflek­tiert.

Zur deutschen Beteiligung an Mili­täreinsätzen im Rahmen eines Auftrages der Vereinten Nationen hält die EKD fest, daß "die belastete Vergangenheit keine grundsätzliche Sonderrolle Deutschlands" rechtfertigt und sie sieht "eine der wichtigsten Lehren der deut­schen Geschichte" darin, "daß Allein­gänge vermieden werden müssen". Si­cherlich ist damit nicht gemeint, daß sich Deutschland wie die zahlenmäßige Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten nicht den entsprechenden UN-Einsät­zen beteiligen, sondern daß es sich wie die Minderheit daran beteiligen soll, und "dafür ist eine Klärung der Verfas­sungslage erforderlich".

Die anschließenden Bemerkungen über den "Ausbau von Wegen der zivilen Konfliktbearbeitung" brauchen, da sie sehr gedämpft vorgetragen sind, nicht weiter kommentiert zu werden. Über sie wurde unter dem Vorsitz von Konrad Raiser vor 25 Jahren Fundierteres von der Kammer für Öffentliche Verant­wortung geschrieben als die hier be­sprochene Erklärung unter dem Vorsitz von Trutz Rendtorff. Den Friedens­diensten wird aber dennoch eine vage Hoffnung durch den Satz vermittelt: "Ein entschlossener Ausbau der vorhan­denen Ansätze ist nötig und möglich". Aber selbst dieser Satz läßt eine dop­pelte Deutung zu: 'ein Ausbau ist even­tuell und vielleicht möglich' oder im Sinne des eigenen Engagements: 'der Ausbau wird von uns ermöglicht wer­den'.

Im Schlussabsatz steht die richtige Aus­sage "Mehr Frieden zu schaffen fordert erhebliche Anstrengungen". Daß die EKD-AutorInnen sich solcher An­strengungen unterzogen hätten, kann ihre Schrift aber nicht überzeugend vermitteln.

1.    Sie haben zudem für ihre Argumen­tation statt in Bibel und Theologie die Ausgangsbasis in der gegenwärtig geführten politischen Diskussion ge­nommen und es auch nicht verstan­den, wenigsten die Rückkoppelung zu ersteren herzustellen. Damit rei­chen sie sich als eine der verschiedenen Stimmen in den Chor der politi­schen Meinungen ein. Wodurch sich bei diesem Mangel an Eigenständig­keit diese Schrift als Erklärung der Evangelischen Kirche qualifiziert, bleibt unerfindlich.

2.    Die VerfasserInnen der Schrift haben es nicht fertigbekommen, in der ge­genwärtigen Situation die Rolle von Militär, Rüstungsproduktion und Waffenhandel zu hinterfragen. Es fehlt die kritische Untersuchung sowohl über den Beitrag, den das Militär selbst an den gewaltträchtigen Konfliktherden spielt, als auch über die Erschwernis einer Konfliktbe­wältigung, wenn weiterhin so kräftig Invention für den Militärapparat auf­gebracht und dies für den "Grenzfall" als nötig erachtet wird.

3.    Es bleibt unklar, wer sich an den Ori­entierungspunkten orientieren soll: die PolitikerInnen - aber sie erfahren kaum etwas, was nicht auch bei ihnen diskutiert würde -; die Kirchenmit­glieder unterschiedlicher Meinung oder die EKD selbst und ihre Glied­kirchen? Doch für letzteres fehlen die Auseinandersetzungen über die bishe­rige Rolle der Kirchen und die Aus­sagen, mit denen man sich für die Zukunft selbst verpflichtet.

Man könnte die Orientierungspunkte beiseitelegen, da sie keine neuen Initia­tiven anzeigen und nicht von großem Belang sind. Man könnte - wären da nicht das allzu deutliche Angebot, der Bundeswehr bei der Suche nach einer neuen Legitimation Beistand zu geben, und wäre da nicht der Anspruch, im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland zu sprechen.

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Konrad Lübbert ist Pfarrer und Vorsitzender des Versöhnungsbundes.