Im Blickpunkt

Die Entscheidung zum Irak-Krieg ist (noch) offen

von Redaktion FriedensForumClemens Ronnefeldt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

In den letzten Wochen ist in den USA ein heftiger Streit zwischen Kriegsbefürwortern und Kriegsgegnern entbrannt, der längst nicht entschieden ist. Mit seiner Rede vor Kriegsveteranen in Nashville hat Dick Cheney noch einmal vehement dafür plädiert, die Schlacht zum Feind zu tragen. Dennoch haben er, Verteidigungsminister Rumsfeld, dessen Stellvertreter Paul Wolfowitz, Condoleezza Rice, Richard Perle und Tom Delay als Gruppe der entschiedenen Irak-Kriegsbefürworter erheblichen Gegenwind bekommen.

Weil ein Irak-Krieg teuer und mit größeren Verlusten der eigenen Seite verbunden wäre, stellen sich die Vereinigten US-Stabschefs gegen die zivilen Falken in der Regierung und befürworten, wenn überhaupt, einen Krieg höchstens im nächsten Jahr. Brent Scowcroft, Sicherheitsberater von Präsident Bush senior im Golfkrieg 1991, sieht die Gefahr eines apokalyptischen Endkampfes. Zbigniew Brzezinski, unter Präsident Carter Sicherheitsberater und Vertreter einer einflussreichen Denkschule, sieht das internationale System und die Rolle der USA darin auf dem Spiel stehend. Henry Kissinger schrieb, dass die Ablösung einer fremden Regierung das gesamte System des Westfälischen Friedens von 1648 in Frage stelle. Richard Armey, Mehrheitsführer von Bush`s eigener Partei im Repräsentantenhaus, kann keinen überzeugenden Grund für einen Angriff auf den Irak erkennen. Schließlich ist auch Außenminister Powell wieder aufgetaucht und unterstützt die neu gefundene gemeinsame Haltung der Europäer (von Tony Blair abgesehen), eine diplomatische Lösung der Irak-Frage über die Wiederzulassung von UN-Inspektoren zu suchen. Damit fiel er seinem Kollegen Cheney direkt in den Rücken. Schließlich ist die Zustimmung der Bevölkerung zu einem Krieg seit Dezember 2001 nach einer CNN-Umfrage von 70 Prozent auf 51 Prozent im September 2002 gesunken. Den Militäreinsatz von Bodentruppen und dabei zu riskierende nennenswerte Verluste unterstützen nur noch 40 Prozent der Befragten in den USA.

Dennoch gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Weslay Clark, Ex-Oberbefehlshaber der Nato in Europa, schätzt die Wahrscheinlichkeit eines US-Irak-Feldzuges im nächsten Jahr auf 70 Prozent.

Nach den Enron- und Worldcom-Konkursen stehen Vizepräsident Cheney als ehemaliger Chef des weltweit größten Ölindustriezulieferers Halliburton wie auch Georg W. Bush als ehemaliger Top-Manager des Öldienstleistungsunternehmens Harken Öl wegen Bilanzfälschungen und ihrer Verwicklung in Insidergeschäfte in der öffentlichen Kritik - und vor den Kongress-Zwischenwahlen im November 2002 unter enormen Druck. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein US-Präsident in Bedrängnis durch eine Militäraktion innenpolitisch Luft verschaffen würde.

Deswegen halte ich es für enorm wichtig, gerade in den nächsten Wochen den öffentlichen Protest anwachsen zu lassen und die kriegskritischen Kräfte in den USA wie auch in Europa zu stärken.

Selbstverpflichtungserklärung zu Protest, Demonstrationen und/oder Aktionen zivilen Ungehorsams.
Die Selbstverpflichtung haben inzwischen mehr als 1000 Personen unterschrieben.

Als in den 80er Jahren eine direkte Militärintervention der US-Regierung in Nicaragua drohte, unterzeichneten mehrere zehntausend US-BürgerInnen eine ähnliche Selbstverpflichtung, in vielen Städten der USA zivilen Ungehorsam durch Sitzdemonstrationen in großen amerikanischen Städten zu begehen. Damit trieben sie den innenpolitischen Preis enorm in die Höhe und wirkten prophylaktisch einem direkten US-Einmarsch entgegen - wenn auch die Folgen der seinerzeitigen indirekten Intervention kaum weniger zerstörerisch waren als ein direkter Krieg.

Wir haben die aktuelle Selbstverpflichtung zum drohenden Irak-Krieg bewusst so formuliert, dass sich alle UnterzeichnerInnen nicht automatisch damit auch für Aktionen zivilen Ungerhorsams festlegen, sondern jeweils ihre Form des ihnen möglichen Widerstandes wählen können.

Neben dem Irak-Krieg vorbeugenden Element durch Veröffentlichung der Selbstverpflichtung in großen Tageszeitungen hat diese Aktionsform auch zum Ziel, dass sich couragierte Menschen bereits im Vorfeld des Krieges informieren, organisieren, engagieren und sich gedanklich mit den Möglichkeiten ihrer Verantwortung zur Verhinderung des Krieges auseinandersetzen. Über eine Mailingliste werden wir den UnterzeichnerInnen entsprechende Informationen zukommen lassen.

Sollte es tatsächlich zum Irak-Krieg kommen, stehen in zeitlich sehr kurzem Abstand zu den ersten Bombardierungen bereits jetzt viele Menschen bereit, ihren Protest und Widerstand noch verstärkt in die Öffentlichkeit zu tragen. Der Vietnamkrieg wurde bekanntlich nicht in Vietnam, sondern in den Straßen Washingtons oder anderer US-Städte beendet - dank vieler Friedensdemonstrationen.

Durch eine taz-Beilage und eine halbseitige Anzeige in der Frankfurter Rundschau am 9.9.02 hat diese Selbstverpflichtung bereits öffentliche Wahrnehmung gefunden. Wir hoffen, dass aus dem jetzigen "Schneeball" noch eine "Lawine" wird, damit eine alte wie neue Bundesregierung nicht hinter dem "Nein" zum Krieg zurückfallen kann und gleichzeitig die Friedenskräfte in den USA durch ein deutliches Zeichen aus Europa gestärkt werden.

Wir rufen deshalb dazu auf, die Selbstverpflichtung weiterhin breit zu verteilen, abzudrucken, zu unterzeichnen sowie finanzielle Beiträge zu spenden - was auch unabhängig von der Unterzeichnung möglich ist - damit noch weitere Anzeigen in großen Tageszeitungen bezahlt werden können.

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Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.