Akteur werden in Afrika

Die EU-Einsätze in Mali und der Zentralafrikanischen Republik

von Christoph Marischka

Kaum ist der teilweise Rückzug der Bundeswehr aus einem verheerenden und sinnlosen, zwölfjährigen Krieg in Afghanistan eingeleitet, werden neue Einsatzgebiete erschlossen. Auch in Mali und der Zentralafrikanischen Republik soll es sich – wie damals in Afghanistan – nicht um Kampfeinsätze handeln. Das Mandat für die Bundeswehr soll sich – wie anfangs in Afghanistan, wo das Mandat ursprünglich nur Kabul umfasste – auf vermeintlich relativ sichere Gebiete in den Hauptstädten und ihrer Umgebung beschränken, während andere in der Provinz kämpfen und Terroristen jagen. Diesmal folgt man nicht dem NATO-Verbündeten USA in den Krieg, sondern vor allem Frankreich – im Rahmen der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU.

Groß war die Begeisterung der strategischen Community über den neuen Schulterschluss, der (wieder einmal) Modellcharakter hat. Afrika soll der EU helfen, ein militärpolitischer Akteur zu werden – das ist das eigentliche Signal, das die neue Bundesregierung auf dem EU-Gipfel mit ihren Zusagen zur Beteiligung am Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik und zur Ausweitung ihres Mali-Einsatzes gesetzt hat. Durch die Große Koalition ist eine breite Mehrheit für zusätzliche Auslandseinsätze der Bundeswehr gesichert. Der Bundestag jedenfalls hatte die Ausweitung des Engagements in Afrika noch nicht einmal diskutiert, bevor sie von Frank-Walter Steinmeier in Brüssel verkündet wurde.

Kein Kampfeinsatz?
Nun werden Räume definiert, die mehr oder weniger zum militärischen Hinterhof der EU erklärt werden, oder, um es in den Worten des stellvertretenden Unionsfraktionschefs Schockenhoff zu sagen: „Wir müssen in Afrika im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union Schwerpunkte setzen. Wir müssen nicht nur überlegen, wie wir enger zusammenarbeiten können, sondern wir müssen uns auch fragen, in welchen geografischen Regionen denn die Sicherheit Europas gefährdet ist.“

Eine solche Region sei laut Schockenhoff der „Sahara-Gürtel“. Hier gebe es „eine ganze Reihe von scheiternden und gescheiterten Staaten …, in denen es praktisch keinerlei staatliche Souveränität, kein Gewaltmonopol mehr gibt, und die Mischung von fundamentalistischem Terror, von Drogen- und Menschenhandel, von organisierter Kriminalität, ist eben eine unmittelbare Bedrohung für die Europäische Union, die sich auf Flucht, Vertreibung auswirkt, die aber vor allem auch einen Rückzug bietet für Phänomene wie Internet-Kriminalität, wie Terror-Vorbereitung“. Man könne es nicht Frankreich alleine überlassen, „Feuerwehr“ zu spielen und in Afrika „Europas Sicherheit“ zu „verteidigen“; stattdessen müsse man auf der Grundlage definierter Interessen und Regionen „arbeitsteilig“ vorgehen, um dann, „wenn die konkrete Entscheidung ansteht, auch ein Szenario (zu) haben, auf das wir vorher uns vorbereitet haben“. (1)

In dasselbe Horn stieß Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: Man müsse „darüber reden, dass wir in Afrika Schwerpunkte bilden“ und dürfe dabei „die militärischen Fähigkeiten in Europa nicht jeder für sich betrachten“, sondern darauf hinarbeiten, dass „die Länder sich auf bestimmte Aufgaben spezialisieren“. (2) Das ermöglicht es dann auch, die deutsche Beteiligung an internationalen Einsätzen als harmlos darzustellen, weil es vermeintlich nur um logistische Unterstützung ginge: „Wenn wir mit Transport, mit medizinischer Evakuierung, mit Luftbetankung helfen können, ist das der richtige Weg. Es geht nicht um direkte Kampfeinsätze“, so Schockenhoff. Arnold nennt ebenfalls den Lufttransport, die Luftbetankung und die Ausbildungsmission in Mali. Die Verstärkung der Bundeswehr in Mali soll nach Arnold „die Franzosen für Zentralafrika entlasten“.

Bereits jetzt geht es aber in Mali nicht nur um die Ausbildung der kämpfenden Truppen, sondern auch um die medizinische Versorgung aller europäischen Soldaten. Nun sollen dort „Sicherungsaufträge … in Landesteilen, die nicht so sehr gefährdet sind“, hinzukommen, während „im Norden des Landes … weiterhin von französischer Seite beispielsweise Jagd gemacht wird auf Terroristen”. (3) „Das ist natürlich immer noch kein Kampfeinsatz“, so Andreas Mehler, Direktor des GIGA Instituts für Afrika-Studien in Hamburg. Auch der Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik sei „zwar auch nicht ungefährlich … aber ganz bestimmt nicht gefährlicher als der in Afghanistan“. Kämpfen sollen also – wie damals in Afghanistan – die anderen, vor allem die Afrikaner selbst, die es hierzu auszubilden und auszurüsten gelte.

„Nach Afrika, für Europa“
In der Zentralafrikanischen Republik gelte es, „einen Völkermord aufzuhalten“, in Mali hätte die „französische Armee eine Übernahme des Staates durch Islamisten verhindert“, so Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung (20.1.2014) unter dem ehrlichen Titel „Nach Afrika, für Europa“. Wie gut, dass immer genau das, was die EU – bzw. deren Militarisierung – voranbringt, auch gut für die Welt ist. Es gehe ja „nicht nur um Interessen“, so Andreas Mehler vom GIGA-Institut, man habe „ja eine wertegeleitete Außenpolitik“, bei der es auch um „normative“ und „humanitäre Fragen“ gehe.

Viel deutlicher als damals in Afghanistan werden bei den neuen Einsätzen jedoch nahezu einhellig auch machtpolitische und wirtschaftliche Interessen eingeräumt – und für gut befunden. Da ist zunächst einmal das ganz grundsätzliche Argument, dass eine Wirtschaftsmacht auch eine Militärmacht sein müsse. Insgesamt sei es falsch, so Schockenhoff, zwischen Sicherheit und wirtschaftlichen Interessen zu unterscheiden: „Natürlich gehört zur Stabilität eben auch Welthandel, Freihandel. Unser ganzes Lebensmodell, die soziale Marktwirtschaft, eine exportgetriebene Wirtschaft, leben von sicheren Zugängen zu Rohstoffen, von sicheren Handelswegen und davon, dass nicht aus instabilen Ländern, gescheiterten Staaten die Unsicherheit zu uns nach Europa überschwappt.“

Die Lage im Einsatzgebiet
Bei der Diskussion über die Einsätze in Mali und der Zentralafrikanischen Republik spielt die tatsächliche Situation vor Ort eine marginale Rolle. Da ist vom Löschen religiöser Brände die Rede und von drohendem Völkermord, die Formulierung Steinmeiers, Frankreich habe Mali davor gerettet, „von islamistischen Fundamentalisten überrannt“ zu werden, machen sich JournalistInnen wie PolitikerInnen nahezu unisono zu eigen. Es werden mehr oder weniger wahllos Rechtfertigungen für militärische Interventionen hervorgebracht – vom Terrorismus über Drogenhandel bis hin zur Internet-Kriminalität und Kindesmisshandlung  – über die tatsächlichen Konflikte, ihre Ursachen und mögliche Lösungen scheinen die PolitikerInnen und ihre Souffleure so gut wie nichts zu wissen oder sagen zu wollen.

Spätestens seit Ende 2011 arbeiten US-Soldaten in den südöstlichen Grenzprovinzen der Zentralafrikanischen Republik weitgehend an der Regierung in Bangui vorbei auf Kommandeursebene beim vermeintlichen Kampf gegen die Lords Resistance Army mit versprengten Teilen der Zentralafrikanischen Armee und den ugandischen Streitkräften zusammen und unterhalten gemeinsame Basen. Seit 2002 hat die US-Army zunächst in Mali, Mauretanien, Niger und dem Tschad, später noch in weiteren Regionen Spezialeinheiten der jeweiligen Armee in der Terrorismusbekämpfung ausgebildet. In den drei erstgenannten Staaten kam es seitdem zu mindestens einem mehr oder weniger erfolgreichen Putsch, im Tschad zu mehreren Angriffen von Rebellengruppen mit Teilen der Armee auf die Hauptstadt.

Deutschland war an dieser Politik als Juniorpartner beteiligt. Nicht nur mit der offiziellen Ausbildungs- und Ausstattungshilfe, in deren Rahmen seit 2004 eine Beratergruppen der Bundeswehr Pioniereinheiten (u.a. zur Überquerung des Niger) ausbildete und „Ausstattungshilfe im Wert von insgesamt 37,12 Millionen Euro“ (4) geleistet wurde, sondern auch mit Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK), die gemeinsam mit US-Soldaten in Mali „Ausbildungsunterstützung für einzelne militärische Gruppen aus westafrikanischen Staaten geleistet“ hätten. Das wurde erst bekannt, nachdem einer der beteiligten KSK-Soldaten verurteilt worden war, weil er von den 100.000 Euro Handgeld, die er aus dem Haushaltstitel für „sonstige Übungskosten“ für den Aufbau eines Trainingslagers erhalten hatte, knapp 40.000 veruntreut hatte.

Scheiternde Staaten
Der Analyse der Lage im „Sahara-Gürtel“, wonach es dort „praktisch keinerlei staatliche Souveränität, kein Gewaltmonopol“ (Schockenhoff) mehr gibt, ist in ihrer Pauschalität zwar zuzustimmen. Sie lässt aber die Ursachen und eigene Verantwortung für die Militarisierung und Destabilisierung der Region außer Acht und fordert in der Konsequenz die Vertiefung exakt jener Politik, die den Verlust von Souveränität und Gewaltmonopol in der Region zumindest beschleunigt hat. Allein im Jahr 2011 wurden im Nachbarstaat der Zentralafrikanischen Republik die Sezession des Südsudan vom Westen unterstützt und in Nachbarschaft zu Mali, in Libyen und der Côte d’ Ivoire Rebellengruppen beim Sturz der amtierenden Regierungen unterstützt.

Zuvor hatten Frankreich und die EU nach Putschsituationen in Mauretanien, Guinea und Niger wesentlich darauf hingewirkt, dass ihre Favoriten sich bei der Regierungsbildung durchsetzen konnten. Sich vor diesem Hintergrund über einen Verlust von Souveränität und Gewaltmonopol zu wundern, neue Militärmissionen in den Hauptstädten und Truppenverlegungen aus anderen afrikanischen Staaten zu fordern, wird der Region weder Frieden noch Demokratie bringen – vor allem, wenn dabei innereuropäische Auseinandersetzungen und Integrationsagenden die eigentlichen Triebfedern sind und zwischen wirtschaftlichen und „wertbasierten“ Zielen gar nicht mehr unterschieden werden soll.

 

Anmerkungen
1 Deutschlandfunk Interview vom 20.1.2014.

2 Deutschlandfunk Interview vom18.1.2014

3 Deutschlandfunk Interview vom 23.1.2014.

4 Bundestags-Plenarprotokoll 17/203.

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Krisen und Kriege

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Christoph Marischka ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen.