Die Europäisierung der Rüstungsindu¬strie und deren Folgen für die Rü-stungsexportpolitik

von Sibylle Bauer
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Die Struktur der europäischen Rüstungsindustrie hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Es fand eine deutliche Entwicklung in Richtung einer Europäisierung (und in weit geringerem Maße auch In­ternationalisierung) statt, in Form von Übernahmen, Zusammenschlüs­sen, Koproduktionen, Joint Ventures, Zulieferungen etc. Öffentliche Aufmerksamkeit finden vor allem konkrete Rüstungsprojekte und große Zusammenschlüsse (z.B. EADS), nicht die Ebene der Zulieferung von Komponenten. Das genaue Volumen solcher Transfers ist schwer zu bestimmen, da hier wenig öffentliche Daten zur Verfügung stehen: sie sind statistisch kaum erfasst und erscheinen i.a. nicht in nationalen Rü­stungsexportberichten.

Der Prozess der zunehmenden Integra­tion auf der Industrieebene ging bisher nicht mit einer parallelen Europäisie­rung des politischen Rahmens einher, z.B. durch eine einheitliche Beschaf­fungspolitik oder einen gemeinsamen Rüstungsmarkt. Entscheidungsprozesse über Entwicklung, Produktion und den Handel von Waffen sind traditionelle Kernbereiche nationalstaatlicher Kom­petenz. Die Mitgliedstaaten der EU wa­ren nicht bereit, einen Sektor zu verge­meinschaften, der von auswärtigem Wettbewerb geschützt wird und für den ein hoher Grad an staatlicher Kontrolle und Subventionierung charakteristisch ist. Aufgrund von Art. 223 können EU-Staaten den Rüstungssektor von der Harmonisierung der Exportpolitik und protektionistischer Maßnahmen in der EU (Art. 113) ausnehmen, wenn sie na­tionale Sicherheitsinteressen geltend machen. Bisher wurde diese Vorschrift weitgehend so interpretiert, dass Waf­fenproduktion und -handel als Bereiche nationaler Zuständigkeit betrachtet wur­den.

Die begrenzte rüstungspolitische Zu­sammenarbeit der EU Mitgliedstaaten findet weitgehend im zwischenstaatli­chen Bereich statt. 1995 wurde eine Ar­beitsgruppe des EU-Ministerrats zur Rüstungspolitik (POLARM) eingerich­tet, in der aber kaum konkrete politische Initiativen erarbeitet wurden. In Hel­sinki wurde dieses Thema nach einigen ergebnislosen Vorbereitungssitzungen nicht in die Tagesordnung aufgenom­men. Dies ist u.a. auf das weite Spek­trum rüstungs(export)politischen Inter­essen in der EU zurückzuführen: neben weltweit führenden Rüstungsproduzen­ten und -exporteuren gibt es Staaten mit einer kleinen oder ohne Rüstungsindu­strie.

Auch unterscheiden sich die EU Länder durch ihre Mitgliedschaft in NATO und/oder WEU oder Neutralität und die damit verbundenen verteidigungs- und bündnispolitischen Positionen und damit auch divergierenden Standardisierungs­anforderungen für die Armeen. Die zu­küftige europäische Verteidigungspoli­tik und militärische Einsätze der EU verändern jedoch die Parameter und machen eine gemeinsame Beschaf­fungspolitik zumindest in einigen Teil­bereichen wahrscheinlicher. Funda­mentale Entscheidungen zur Operatio­nalisierung der Entscheidungen von Helsinki stehen aber bisher noch aus.

Die rüstungspolitische Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten fand bisher - u.a. aufgrund der erwähnten Interessen­divergenzen - weniger im institutionel­len Rahmen der EU als innerhalb der NATO und der WEU statt: in der "Independent European Programme Group" (IEPG), die später zur "Western European Armaments Group" (WEAG) wurde und der "Joint Armaments Co-operation Organisation" (OCCAR). Auch dort wurden jedoch wenig kon­krete Ergebnisse erzielt. Seit 1997 fin­den zentrale Verhandlungen außerhalb jedes institutionalisierten Rahmens statt, und zwar zwischen den sechs größten Rüstungsexporteuren der EU (Frankreich, Großbritannien, Deutsch­land, Schweden, Spanien und Italien). Ziel des sogenannten Letter-of-Intent-Prozesses ist die Schaffung eines recht­lichen Rahmens für die Umstrukturie­rung der europäischen Rüstungsindu­strie in folgenden Bereichen: Versor­gungssicherheit; Exportregelungen; In­formationssicherheit; Forschung und Technologie; Behandlung von techni­schen Informationen und Harmonisie­rung militärischer Anforderungen. Diese Entscheidungen werden weitreichende Implikationen u.a. für die Rüstungsex­portpolitik haben. Es besteht die Gefahr, dass restriktivere nationale Richtlinien untergraben werden, z.B. durch eine Vereinfachung von Transfers zwischen den beteiligten Staaten oder den Ver­zicht auf Anwendung strengerer natio­naler Regelungen.

Nationale Regulationsmechanismen können eine zunehmend transnationale Industrie nicht mehr wirksam kontrollie­ren. Nationale Exportkontrollen werden zudem durch grundsätzliche Verände­rungen im Waffenhandel unterlaufen: dem zunehmenden Handel mit dual-use Gütern, Komponenten, Ersatzteilen, Technologien und Subsystemen. Da­durch stellt sich auch die Frage der Zu­ständigkeit für den Export des Endpro­dukts, die je nach Land und Zeitpunkt unterschiedlich geregelt ist. Auf eine Vetorecht wurde u.a. von deutscher Seite in der Vergangenheit oft verzich­tet, die neuen Exportrichtlinien beugen dem jedoch vor.

Während der Export von Rüstungsgü­tern nach wie vor in den Bereich natio­naler Kompetenz fällt, gibt es eine zu­nehmende Zusammenarbeit in der EU. Diese Kooperation beschränkt sich je­doch weitgehend auf die zwischenstaat­liche Ebene der Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und ist somit von Mehrheitsentscheidungen ausgenom­men. So wurde 1998 ein politisch (nicht rechtlich) verbindlicher EU-Verhal­tenskodex für Rüstungsexporte be­schlossen. Die darin beinhalteten acht Kriterien lassen einen breiten Interpre­tationsspielraum. Gerade deshalb wären Mechanismen zur öffentlichen und par­lamentarischen Kontrolle der Umset­zung von zentraler Bedeutung, die je­doch im Kodex nicht vorgesehen sind. Auch fehlen grundsätzliche Elemente einer effektiven Rüstungsexportpolitik, wie Kontrollen der Vermittlung von Waffengeschäften und des Endver­bleibs.

Schrumpfende Märkte, verringerte Aus­gaben für Forschung und Entwicklung und Kürzungen der Rüstungsbudgets, erhöhte Konkurrenz durch andere An­bieter, und der zunehmende Handel mit gebrauchten Rüstungsgütern haben zu erhöhtem Wettbewerb und Überkapazi­täten geführt und damit zur Notwendig­keit einer Umstrukturierung der euro­päischen Rüstungsindustrie. Dies erfor­dert ein Ablassen von nationalen Struk­turen und eine Ausrichtung an Gesichts­punkten der Effizienz. Die Rüstungsin­dustrie setzt sich für eine Standardisie­rung des politischen und rechtlichen Rahmens für Rüstungsproduktion und -exporte innerhalb der EU ein, die der Realität einer zunehmend transnationa­len Industrie entspricht. Zu den konkre­ten Forderungen gehören die Vereinfa­chung des Genehmigungsverfahrens für Transfers innerhalb der EU sowie die Vereinheitlichung der Exportkontrollen. Dabei wird der Begriff der Harmonisie­rung häufig als Euphemismus für die Aufweichung strengerer nationaler Re­gelungen verwendet.

Die gegenwärtige Situation der Rü­stungsindustrie, insbesondere angesichts der immer schnelleren technologischen Entwicklung und die damit einherge­hende Versuchung, Stückkosten durch Exporte zu reduzieren, bedeutet auch einen starken Druck auf die Gestaltung der Exportregelungen. Wirtschaftliche Interessen können außenpolitische Ziel­setzungen wie z.B. Konfliktprävention und menschenrechtliche Erwägungen überwiegen. Gerade im europäischen Rahmen besteht die Gefahr einer Eini­gung auf der Basis des kleinsten ge­meinsamen Nenners, u.a. weil hier an­dere Regierungen als Sündenböcke für die Blockierung strengerer Regelungen vorgeschoben werden können, wie dies beim EU-Kodex der Fall war. Schon bisher wurde die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Umgehung stren­gerer nationaler Exportkriterien benutzt. Es besteht die Gefahr, dass diese durch den Europäisierungsprozess zunehmend untergraben werden. Wichtig ist des­halb, dass nationale Regelungen nicht durch eine EU-Rüstungsexportpolitik ersetzt werden, sondern dass EU-weite Regelungen einen Mindeststandard dar­stellen.

Von zentraler Bedeutung ist eine er­höhte Transparenz und parlamentarische Einflussmöglichkeiten auf nationaler und EU-Ebene, sodass von der Öffent­lichkeit (v.a. durch NGOs) und den Parlamenten eine bessere Kontrollfunk­tion der undurchsichtigen Produktions- und Exportstrukturen wahrgenommen werden kann.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Sibylle Bauer, Institut d'Etudes Euro¬péennes, Université Libre de Bruxelles