Geschrieben von Bill Sulzmann für die Kundgebung zum Anti-Kriegstag in Darmstadt am 1.9.2002

Die Friedensbewegung in den USA nach dem 11. September

von Bill Sulzmann
Schwerpunkt
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Die Ereignisse vom 11. September 2001 hatten für die Friedensbewegung der USA schlimme Auswirkungen. Teilweise liegt das natürlich am Schock über die Ereignisse selbst, vor allem daran, dass der rechte Flügel in der Regierung und den US-Medien die Ereignisse sofort politisch ausgenutzt hat. Die politische Debatte wurde so verengt, dass moderate Stimmen gar nicht wahrgenommen wurden. Diejenigen, die für radikale [politische] Änderungen plädierten, wurden wie Verräter behandelt.

Es gelang, die Gefühle von Angst und Rache so auszunutzen, dass das Land sich mit der Vorstellung abfand, in Übersee einen Krieg mit offenem Ende zu führen und zu Hause beträchtliche Einschränkungen der Bürgerrechte hinzunehmen. Und sowohl die Regierung als auch die rechten Kräfte treiben beides weiter voran.

Das Anti-Terrorgesetz der USA, der Patriot Act, (1) wurde vom Kongress verabschiedet, aber jetzt gibt es endlich einzelne Stimmen aus der Rechten wie der Linken, die einige der extremsten Maßnahmen aus dem Gesetzespaket hinterfragen. Und die Friedensbewegung schafft es wenigstens ansatzweise, eine Diskussion in Gang zu bringen über solche Dinge wie die Rede zur "Achse des Bösen" von Präsident Bush. In dieser Rede, die er im Juni an der US-Militärakademie hielt, umriss er das Prinzip eines Erstschlag-Krieges zur "Abschreckung" und wiederholte seine Drohungen, die Regierung des Irak zu stürzen. Je mehr Zeit vergeht, desto stärker wird die Opposition gegen die geplante Invasion des Irak. Das ist vor allem das Verdienst der Opposition der europäischen Verbündeten der USA, besonders in Deutschland und Großbritannien.

Zwei weitere Themenbereiche, die der US-Friedensbewegung große Sorgen machen, nämlich die Atomwaffenfrage und die Nahostpolitik, stießen in letzter Zeit ebenfalls verstärkt auf Interesse und führten zur [politischen] Einmischung. Je näher der erste Jahrestag des 11. September rückt, desto mehr Menschen beginnen, den unilateralen Anspruch der globalen US-Politik zu kritisieren. Die Liste der Verträge und internationalen Abkommen, die die USA aufkündigten oder denen sie gar nicht erst beitrat, wächst weiter. Es widerspricht Logik und Verstand, dass ein Land mit weniger als 5% der Weltbevölkerung in so vielen Bereichen die Zusammenarbeit verweigert. Wenn die Menschen Zeit finden, darüber nachzudenken, dann wird ihnen manches klar. Die Finanzskandale, in die zahlreiche Großunternehmen verwickelt sind, haben der Popularität von Präsident Bush und Vizepräsident Cheney einen Dämpfer versetzt, und die Wirtschaft ist in den USA immer noch im Abwärtstrend. Die größte und aktivste Friedensgruppe bei uns in Colorado ist die Colorado Campaign for Middle East Peace (Colorado-Kampagne für Frieden im Nahen Osten). Mehr als zwei Dutzend Aktivisten aus unserem Bundesstaat haben die Internationale Solidaritätsbewegung in Israel und Palästina besucht. Und in den letzten Monaten stieg die Anzahl von Festnahmen wegen zivilen Ungehorsams.

Ich will kein zu optimistisches Bild zeichnen. Unsere Friedensbewegung hat bei weitem noch nicht genug Einfluss. Beide großen politischen Parteien sind nach wie vor durch extremes "Falken"-Denken geprägt. Die gigantische Erhöhung des Militärhaushalts wurde mit überwältigender Mehrheit verabschiedet. Viele [Abgeordnete] haben noch Angst, sich gegen die Regierungspolitik zu stellen. In einzelnen Fällen konnten erfolgreich Sanktionen gegen Abweichler der Parteilinie verhindert werden, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns. Mindestens zwei Drittel der US-Bürger unterstützen im Nahostkonflikt immer noch die Israelis. Und wir in der Friedensbewegung konnten im wesentlichen nur die Verluste wettmachen, die wir nach dem 11. September erlitten hatten.

Amerika bleibt in der Weltpolitik eine gefährliche Kraft. Die USA sind fest entschlossen, die Dominanz im Weltraum zu erlangen. Sie sind fest entschlossen, ihre Nuklearstreitkräfte aufrecht zu erhalten und auszubauen. Sie weigern sich, die Umwelt- und Wirtschaftsprobleme der Welt ernst zu nehmen. Und die Aufzählung ist natürlich unvollstädig.

Die Friedensgruppen [in den USA] werden alles daran setzen, dass die Gedenkveranstaltungen zum 11.9. nicht zur Demonstration von Patriotismus, Nationalismus und Militarismus werden. Eine landesweite Kampagne ruft beispielsweise dazu auf, dass alle diejenigen, die für Gewaltfreiheit stehen, an diesem Tag weiße Kleidung tragen und sich so sichtbar von dem vorherrschenden Klima aus Furcht und Rache absetzen. In vielen Städten werden wir eigene Veranstaltungen durchführen und dem 11. September auf unsere Art gedenken. Wir müssen aus den Ereignissen vor einem Jahr Lehren ziehen. Die Herausforderung dabei ist, solche Lehren zu ziehen, die allen Menschen auf der Erde eine Zukunft in Freiheit und Gerechtigkeit bieten.

P.S. Bitte sagt den deutschen Friedensfreundinnen und -freunden, dass wir uns als Teil der internationalen Friedensbewegung fühlen und diese Kontakte für uns wichtig sind. Die Zusammenarbeit mit Friedensgruppen in aller Welt ist im vergangenen Jahr deutlich enger geworden.
 

Übersetzt von Regina Hagen

(1) Anmerkung der Übersetzerin:

Patriot ist in diesem Gesetzesnahmen das Akronym für "Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism". Das Gesetz trat am 26. Oktober 2001 nach Unterzeichnung durch Präsident Bush in Kraft. Eine Analyse des Gesetzes findet sich in: Jacqueline Blokzyl, "Der USA,Patriot Act` 2001. Das Anti-Terror-Gesetz Amerikas nach den Anschlägen des 11. September 2001", Heinrich-Böll-Stiftung, Washington Office, Policy Paper 17 vom 3. Dezember 2001; http://www.boell.de/downloads/aussen/patriot_act.pdf.
 

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Bill Sulzman von den Citizens for Peace in Space in Colorado Springs, ein ehemaliger katholischer Priester, ist seit mehreren Jahrzehnten in der US-amerikanischen Friedensbewegung aktiv. U.a. beteiligt er sich immer wieder an Aktionen zivilen Ungehorsams gegen Atomwaffendepots.