Die Friedensbewegungen - Tendenzen, Projekte, Organisationen

von Werner Wintersteiner
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Viele meinen, eine Friedensbewegung könne nur in Vorkriegszeiten eine Rolle spielen, vor oder nach Ende der Kampfhandlungen. Doch sie hat auch während eines Krieges eine wichtige Aufgabe. Die Friedensbewe­gung kann, vielleicht unauffällig, aber deswegen nicht weniger ent­scheidend, zur Beendigung des Krieges beitragen:

Wichtig ist "das, was ich die Auf­rechterhaltung eines zivilen Bereichs in Kriegszeiten nennen möchte... Versöh­nung, Auftreten und Handeln gegen den Hass, Propaganda mit Information und Wahrheit zu kon­frontieren, Gewalt durch gewaltfreies Eingreifen zu stop­pen, wo immer es möglich ist, und fe­sten Willen zum Frieden zu demonstrie­ren  - das können Ziele der Friedensbe­wegung wie jedes einzelnen Individu­ums in Kriegszeiten sein. Das allein wird wahrscheinlich den Krieg nicht stoppen, aber es trägt si­cherlich dazu bei, ihn zu beenden, und es ist entschei­dend, um einen wirklichen Frieden zu erlangen." (Christine Schweitzer)

Dadurch, daß die Friedensbewegung die nationale Verblendung und die Kriegs­propaganda bekämpft, schwächt sie den sogenannten Wehrwillen und stärkt die Vernunft. Sie ermutigt die Soldaten zu desertieren und hilft somit sehr wesent­lich, den Krieg zu behindern. So meint die Belgrader HCA-Aktivistin Sonja Licht zurecht: "Der Hauptgrund, daß der Januar-Waffenstillstand (in Kroatien 1992) länger als irgendeiner vorher ge­halten hat, ist, daß die jungen Männer ihre Einberufung verweigert haben. Neunzig Prozent der Rekruten in Bel­grad und vierzig Prozent auf dem Land verweigerten die Einberufung."

Wenn der "Krieg" in seiner jetzigen Form vielleicht in absehbarer Zeit been­det sein wird - vieles spricht ja leider für eine Libanonisierung, für eine Perma­nenz des Krieges auf kleiner Flamme - und von den Termin-Kalendern der ho­hen Politiker ebenso verschwunden sein wird wie von den Titelseiten der Tages­zeitungen, so heißt das noch lange nicht, daß in den "befriedeten" Gebieten das eingezogen sein wird, was wir "Frieden" nennen. Wirkliche Versöhnung, ein wirklich friedliches "normales" Zusam­menleben kann nicht durch Interventio­nen von außen oder durch einen for­mellen (und endlich auch eingehaltenen) Waffenstillstand erreicht werden. Ent­scheidend wird die jahrzehntelange Ar­beit am Abbau der Ressentiments, des Hasses, an Wegen einer friedlichen Ko­operation und an der Entwicklung de­mokratischer Umgangsformen sein. Wer sollte diese Arbeit leisten, wenn nicht die Friedensbewegung und alle, die auf eine Zivilisierung der Gesellschaften hinarbeiten?

Wer ist die Friedensbewegung in Ex-Jugoslawien?

Friedensbewegungen gibt es heute in allen Teilen Jugoslawiens - doch das gemeinsame Wort verdeckt die Unter­schiede in der Entstehung, in den Posi­tionen, im Organisationsgrad dieser Gruppierungen. Ziemlich einheitlich wird die Friedensbewegung in jeder Re­publik als "Verräter an der nationalen Sache" angegriffen. Das berichten über­einstimmend Friedensgruppen aus Bel­grad und aus Zagreb, auch im "liberalen" Ljubljana wurden Pazifi­stien, die im Juni/Juli 1991 Kritik an der eigenen Regierung äußerten, be­schimpft. Den TeilnehmerInnen am Medientreffen in Rijeka tönte es entge­gen: "Fünfte Kolonne raus aus Kroa­tien!", die internationale Friedenskonfe­renz in Vis wurde verboten, da man "für die Sicherheit der Teilnehmer nicht ga­rantieren könne", usw.

Das gleiche Schicksal und der oftmals bewiesene Wille zur Zusammenarbeit dürfen jedoch den Blick nicht dafür ver­stellen, daß es unter den Friedensbewe­gungen eine Reihe von Differenzen gibt. Zunächst ist die "politische Kultur" in den einzelnen Republiken divers. Die nationalen Spannungslinien, die heute die Republiken trennen, machen sich auch in der Friedensbewegung bemerk­bar und die Auffassungen über die Zu­kunft von Ex-Jugoslawien sind be­trächtlich. Vesna Jankovic von der kroatischen Anti-Kriegs-Kampagne aus Zagreb meint (Anfang 92) zu den Diffe­renzen zwischen der kroatischen und der serbischen Friedensbewegung: "Wir ha­ben gemeinsame Grundlagen durch die Charta und die Prinzipien der Gewaltlo­sigkeit. Doch im konkreten haben wir unterschiedliche Ansichten. Die Anti­kriegsaktion in Belgrad ist stärker der Idee eines gemeinsamen Jugoslawiens verbunden. Gemeinsam ist aber unser Standpunkt, daß die Bundesarmee ent­waffnet werden muß, daß die UNO-Truppen stationiert werden sollen, und daß jede offene Frage im Dialog, nicht mit Schüssen gelöst werden muß." Doch trotz gewisser Auffassungsunterschiede sind Bemühungen um gemeinsame Ak­tionen im Vordergrund.

Gemeinsame Projekte der Friedens­bewegungen

Ich möchte nur einige signifikante Bei­spiele herausgreifen:

*     Gemeinsame öffentliche Ak­tionen: Die Friedenskarawane im Herbst 1991

Ende September 1991 organisierte die "Helsinki Citizens Assembly" (HCA) eine "Friedenskarawane" mit rund 400 TeilnehmerInnen aus ganz Europa durch Jugoslawien. Sie verfolgte dabei ein mehrfaches Ziel: Die internationale Öf­fentlichkeit auf die sich zuspitzende Krise und den Krieg hinzuweisen, die europäischen AktivstInnen besser mit der konkreten Situation vertraut zu ma­chen und die doch recht schwache Frie­densbewegung in Jugoslawien zu ermu­tigen. Die Friedenskarawane war der er­ste breite internationale Protest gegen den Krieg. die Route führte von Trieste nach Rijeka, Ljubljana, Zagreb, Subo­tica, Novi Sad und Belgrad. Den Ab­schluß bildete eine große Friedensde­monstration in Sarajevo, wo Tausende mit einer Menschenkette eine Moschee, eine Synagoge, eine katholische und eine orthodoxe Kirche verbanden. Ge­spräche mit Friedensaktivisten, Ge­meindevertretern und Politikern (darunter die Präsidenten von Bosnien-Herzegowina und Makedonien) bildeten eine weitere wichtige Aktivität der Ka­rawane. Niemand glaubte, mit dieser Aktion den Krieg verhindern zu können, aber eine Reihe von Friedensinitiativen, wie etwa das serbische Antikriegsrefe­rendum, kamen durch die Friedenska­rawane erst wirklich in Schwung.

*     Gemeinsame Friedenskonfe­renzen: Konferenz der Friedensfor­schungs­institute in Schlaining

Im November 1991 organisierte das "Consortium for the Study of European Transition"(CSET) in Schlaining (Bur­genland) eine Konferenz zur Krise in Jugoslawien. TeilnehmrInnen waren WissenschaftlerInnen aus den verschie­denen Republiken Jugoslawiens sowie westeuropäische und amerikanische FriedensforscherInnen. Die Konferenz ermöglichte einen Dialog mit KollegIn­nen aus sehr unterschiedlichen - und oft auch sehr gegensätzlichen - Bereichen. Bei der abschließenden öffentlichen Diskussion war auch der letzte jugosla­wische Präsident, Stipe Mesic, anwe­send. Während die Konferenz intensive Diskussionen brachte, aber kollegial ge­führt wurde, gab es heftige Kontrover­sen und ein gemeinsames zusammenfas­sendes Papier, welches nicht verab­schiedet werden konnte. Die wichtigsten Referate und Diskussionsbeiträge sind in dem Buch "Yugoslavia War" (1992) zusammengefasst.

*     Gemeinsamer Widerstand gegen die Kriegspropaganda: For­schungsprojekt Medienkrieg

Dieses Projekt, das im Frühjahr 1992 geplant wurde, will untersuchen, wel­ches "Kriegsbild" die Zeitungen in ver­schiedenen "Umgebungen" produzieren, welche Elemente die Rede vom Krieg beinhaltet, wie diese "Rede" die öf­fentliche Meinung beeinflusst. Man will in fünf Schritten vorgehen: Der erste Abschnitt ist die Inhaltsanalyse, die durch eine Diskursanalyse ergänzt wer­den soll. Im zweiten Abschnitt soll die Berichterstattung über die Berichte von Helsinki Watch und Amnesty Interna­tional über Menschenrechtsverletzungen im Krieg analysiert werden. Der dritte Abschnitt wäre eine Fallstudie der Be­richte über den Krieg in Slowenien so­wie über die Kämpfe um Vukovar oder den Angriff auf Dubrovnik. Der vierte Abschnitt soll die individuellen Inter­pretationen der Resultate aus den voran­gegangenen drei Etappen durch Philo­sophen, Soziologen, Journalisten, Poli­tologen, Linguisten, Kommunikations­wissenschaftler, Historiker usw. umfas­sen. Die fünfte Etappe müsste durch In­stitute außerhalb des (ehemaligen) Jugo­slawien durchgeführt werden und sich auf die Behandlung des Kriegs in Slo­wenien und Kroatien durch die Medien der Welt beziehen. Kordinator ist das Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung, beteiligt sind das Friedensinstitut Ljubljana, das Center for Transition (Zagreb) sowie die Meinungsforschungsagentur Argument aus Belgrad.

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Werner Wintersteiner, Universität Klagenfurt, ist Herausgeber der friedens-politischen Zeitung alpe adria.