Ein Beispiel für interkulturelle Friedenserziehung

Die Gandhi-Brücke der Verständigung

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Indien und der Krieg am Persischen Golf
Wir befinden uns im Februar diesen Jahres in Rajkot, der Hauptstadt des gleichnamigen Distriktes im Nordwestindischen Bundessaat Gujarat. In den Fernsehnachrichten und in den lokalen Zeitungen wird, wie überall auf der Welt zu dieser Zeit, ausführlich über den Krieg am Persischen Golf berichtet. Er hat als Gesprächsthema auf dem Markt oder am Teestand die nationalen Themen abgelöst, die sonst die Titelseiten der Zeitungen und Magazine füllen. Nicht vom Religionskrieg in Ayodhya, den Forderungen der Sikhs oder der Regierungskrise Chandra Shekars. Wer Indien kennt, weiß, daß nur selten nichtindische Themen die Diskussionskreise der Bevölkerung erreichen. Daß der Golf-Krieg aber durchaus auch Indien betrifft, wird den diskutierenden Männern schon bald von ihren Frauen klargemacht, die mehr Haushaltsgeld verlangen, denn alles, was mit einem kraftstoffbetriebenen Fahrzeug transportiert wird, ist in den letzten Wochen erheblich teurer geworden. Der Benzinpreis ist um etwa das Doppelte gestiegen. Hingegen werden amerikanische Kriegsflugzeuge in Bombay aufgetankt; auch das ist ein Gesprächsthema, über das kontrovers diskutiert wird. Ebenso wie die Furcht vor dem nächsten Monsun, der eventuell mit dem Ruß der brennenden Ölfelder durchsetzt sein könnte.

Als jedoch die Nachricht vom Waffenstillstand bekannt wird, gilt das Hauptaugenmerk umgehend wieder „Näherliegendem“, z.B. dem Bau des eigenen Hauses, die Verheiratung der Tochter oder den bevorstehenden Schulprüfungen des Sohnes.

Gandhi im heutigen Indien
Es gibt noch einige Hinweise darauf, daß Mahatma Gandhi 11 Jahre in Rajkot lebte und hier zur Schule ging, diese finden jedoch von den Einheimischen kaum Beachtung. Wie (fast) überall in Indien wird er zwar wie ein Heiliger verehrt, Zitate von ihm tragen viele auf den Lippen, aber die Herzen erreichen seine Lehren von Wahrheit und Gewaltfreiheit schon lange nicht mehr. Im ganzen Land kann man Gandhi-Statuen finden und Straßen, die nach ihm benannt sind. Eine Statue von ihm auf einen Sockel zu stellen, wie u.a. auch hier in Rajkot, ist aber die beste Möglichkeit, seine von ihm vorgelebten Ideale als „übernatürliche Kräfte des Heiligen“ abzutun und für das eigene Leben zu ignorieren. Institutionen, die sich der Sozialarbeit im Sinne Gandhis widmen (''Wohlergehen für alle") gibt es nur noch wenige. Im Schulunterricht wird die Beschäftigung mit Gandhi, dem „Vater der Nation“, von den Schülern häufig als Pflichtübung . angesehen, lehrt sie doch das Verhalten der Eltern, das Gandhis Lehren „unpraktikabel“ und „utopisch“ sind. Daß es besonders in den westlichen Länder dieser Welt ein anwachsendes Interesse am Leben und Wirken Gandhis gibt, ist ihnen nicht bekannt. Und auch nicht, daß sich Bürgerrechtsbewegungen und gewaltfreie Aktionsgruppen in den USA, Frankreich und Deutschland auf Gandhi berufen. Die Kinder verstehen jedoch, daß durch den Krieg am Persischen Golf·auch das Leben in Indien betroffen ist·und daß. der „Apostel der Gewaltfreiheit“ ihn nicht nur abgelehnt, sondern ihm aktiv entgegengewirkt hatte. Aber wie? Und welche Bedeutung haben Gandhis Lehren für uns heute überhaupt? Diesen Fragen ist eine Grupp von engagierten Lehrerlnnen nachgegangen: Sie gaben diese Frage außerhalb. des Unterrichts an ihre Schülerlnnen weiter.

Wie indische Kinder Gandhi sehen -Ein Malwettbewerb
Es wurden alle Schülerlnnen der 5.-11 Klassen in Rajkot dazu eingeladen, sondern zu malen von Gandhi und über die Anwendung seiner Ideale auf die Probleme der heutigen Zeit. Über 500 Kinder, vorwiegend Mädchen folgten der Einladung und präsentierten beachtliche Ergebnisse: Gandhi, ein krankes Kind pflegend, Gandhi als Straßenkehrer, Gandhi als Vermittler zwischen Saddam und Bush, aber auch Gandhi in einer Diskothek einen traditionellen Gujarat- Tanz tanzend und Gandhi als Fallschirmspringer auf dem Weg zum Start des Salzmarsches fliegend. Die Kreativität und Phantasie der Kinder bat die Erwachsenen wieder einmal verblüfft. Die Resonanz des Malwettbewerbs „Gandhi as I see him“ (Gandhi wie ich ihn sehe) war so beachtlich bei jung und alt, daß beschlossen wurde, ihn nun alljährlich durchzuführen. Von den zehn besten Bildern würde ein Postkartenset hergestellt, dessen Verkaufserlös der Vorbereitung des kommenden Maiwettbewerbs zugute kommt. Außerdem soll eine Ausstellung von ausgewählten Bildern helfen, „hier bei uns, Sympathie und Unterstützung für das Projekt zu entwickeln, an dem sich auch westliche Kinder beteiligen können:

Die Gandhi-Brücke der Verständigung
Gegen eine Spende werden die Bilder des Malwettbewerbs- bevorzugt an Kinder - abgegeben, die den „jungen indischen Malern“ schreiben und sich über das Bild sowie über Gandhis Ideen und Taten auseinandersetzen können. Es wird somit eine kontinentüberwindende Diskussion der Thematik von Kindern angestrebt. Neben dem Kennenlernen einer anderen Kultur wird unseren Kindern die Gelegenheit, mehr über Gandhi zu erfahren: von Gleichaltrigen, die aus Gandhis Kulturkreis stammen. Und den indischen Kindern wird damit gezeigt, daß der Mahatma hier kein Unbekannter ist, sondern sein Ideal eines gewaltfreien Lebens auch bei uns Beachtung findet. Außerhalb Indiens wird das Projekt koordiniert vom Gandhi-Informations-Zentrum, das sich bemüht, auf diese Weise den interkulturellen Dialog zwischen Kindern und Jugendlieben zu diesem aktuellen Thema zu fördern.

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