Die Geschichte der internationalen Menschenrechte

von Curtis F.Doebbler
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Heute sind Menschenrechte eines der Haupt-Diskussionsthemen in den Vereinten Nationen und allgemein in internationalen Foren. Selbst Staa­ten, die sie ständig verletzen, haben gelernt, die Rhetorik der Men­schenrechte anzuwenden. Während die Proliferation des Sich- Bezie­hens auf Menschenrechte neu ist, ist es ihr Grundgedanke nicht. Ob­wohl ich niemand kenne, der den exakten Entstehungspunkt von Men­schenrechten glaubwürdig angeben könnte, kann es logisch angenom­men werden, daß sie zu dem Zeitpunkt begannen, als Menschen anfin­gen, ihre individuelle Identität zu erkennen. Einige erste Hinweise einer solchen Anerkennung wurde von den alten Griechen hinterlassen. Die Athener anerkannten, daß Individuen Rechte hatten und suchten sogar, durch das Konzept von "proxenoi", das Recht von Fremden zu schüt­zen. Sie taten dies gegen einen Hintergrund von Sklaverei und in dem Zusammenhang von Philosophen wie Aristoteles, die argumentierten, daß manche Rechte so grundlegend waren, daß sie zur Natur aller men­schlichen Wesen gehörten.

Ähnliche Ideen können im antiken China und Indien und gewiss vielen an­deren Orten gefunden werden, wo Men­schen die Notwendigkeit einer Identität bewusst wurde, die getrennt aber parallel zu ihren kollektiven Identitäten bestand. Der gemeinsame Nenner dieser Ent­wicklungen war ihre Anerkennung des Individuums. In vielen frühen Gesell­schaften scheint diese Anerkennung mit der Idee gekoppelt gewesen zu sein, daß es im besten Interesse des/der Herr­schenden war, die Rechte seiner/ihrer Untergebenen zu schützen. Diese Ent­wicklung des Konzepts der Menschen­würde ist die Basis unserer modernen Vorstellung von Menschenrechten.

Im Mittelalter begannen die kollektiven Gesellschaften die Legitimität ihrer Herrscher in Frage zu stellen. Gleich­zeitig suchten die Regierenden nach Mitteln, ihre Autorität zu konsolidieren. Es gab Einwände gegen die Konzentrie­rung von Macht in den Händen einer kleinen Elite. In Reaktion auf diese Un­zufriedenheit unter seinem Volk erließ König Andreas von Ungarn die Goldene Bulle von 1222, in der erklärt wurde, daß Individuen natürliche Rechte und Freiheiten hatten. Ähnliche Bekanntma­chungen gab es durch spanische und englische Könige (z.B.Magna Charta). Doch beurteilt man die Rhetorik jener Zeit mit unseren Standards, so liegt ihr wesentlicher Mangel darin, daß sie Menschenrechte nur einigen Menschen zugestanden. Die Unterscheidungen be­ruhten oft auf Charakteristiken wie Reichtum oder soziale Stellung.

Die Vorstellung, daß alle Menschen gewisse Grundrechte allein deshalb ha­ben, weil sie Menschen sind, was die Basis der modernen Menschenrechts-Gesetzgebung ist, begann sich erst lang­sam zu entwickeln. Zwei wichtige Na­men - neben anderen wie Vittoria - in diesem Zusammenhang sind Aquinas und Grotius. Sie steuerten die Anerken­nung eines Rechtskonzepts bei, das über das von Menschen gemachte Recht stehe. Für Aquinas basierte dieses Recht auf Religion und menschlicher Ver­nunft; für Grotius beruhte es im Wesentlichen auf Vernunft. In beiden Fällen wurde das Recht der Natur oder Natur­recht auf Individuen in ihrer Beziehung zum Staat angewendet. Viele Gedanken im heutigen Völkerrecht beruhen in den klassischen Schriften über das Natur­recht. Sowohl Aquinas und Grotius - wie die Stoiker des alten Griechenlands und die Römer - sahen Naturrecht als ein praktisches Recht, nicht als reine Theorie. Zwei Jahrhunderte lang ent­wickelte sich das internationale Recht auf der Basis von Grotius Theorie eines Rechts, das gleichermaßen auf Staaten wie Individuen angewendet werden konnte. Doch der Westfälische Frie­densvertrag von 1648 beendete den Dreißigjährigen Krieg, indem er Staaten die Anerkennung als internationale Hauptfaktoren zusicherte. Er verwies das Individuum auf eine Position, in der sein Schutz von seinem Staat abhing. Bis zum 20.

Jahrhundert blieb diese Denkweise un­angegriffen. Die Rechtsbullen der ame­rikanischen und französischen Revolu­tion änderten dies nichts. Sie enthielten Erklärungen von Menschenrechten, aber in einem einheimischen Kontext. Ein wertvoller Beitrag, den diese Instru­mente zu der Entwicklung der interna­tionalen Menschenrechtsgesetze gelei­stet haben, ist, daß sie Grundrechte zu einer Bedingung für das Bestehen ihrer jeweiligen Staaten erklärten. Sie taten dies in Reaktion auf Souveräne, die die Grundrechte des/der Einzelnen nicht re­spektierten. Damit wiederholten sie das Argument der Naturrechtsphilosophen, daß grundlegende Menschenrechte durch ein Gesetz gegeben waren, das über dem Gesetz des Souveräns stand. Dadurch, daß sie gleichzeitig entschie­den, daß es das Volk war, das dieses Recht definierte, beschränkten sie die Universalität ihrer Prinzipien auf den Einzelstaat. Dies steht im Unterschied zu dem modernen Menschenrecht, das auf dem eingeborenen Wert des men­schlichen Wesens beruht.

Die moderne Menschenrechts-Gesetz­gebung wird gewöhnlich auf die Allge­meine Erklärung der Menschenrechte zurückgeführt. Dieses Instrument wurde vom Panamesischen Delegierten auf der Konferenz in San Franzisco vorgeschla­gen, auf der die Vereinten Nationen ge­gründet wurde. In der UN-Charta sind nur wenige Hinweise auf Menschen­rechte zu finden. Es ist wahr, daß sich auf sie ihn der Präambel und in fünf weiteren Artikeln bezogen wird, aber nur, um vage Hinweise auf die Achtung von Menschenrechten und fundamenta­len Freiheiten zu geben. Doch nach der Gründung der UNO wurde von einem von ECOSOC (Economic and Social Council) ins Leben gerufenem Komitee die Erklärung der Menschenrechte ent­worfen und 1948 fertiggestellt. Die All­gemeine Erklärung der Menschenrechte ist einer von drei grundlegenden Texten. Während sie nicht als legal bindendes Instrument intendiert war, stellen die anderen beiden legal bindende Verträge dar. Es handelt sich bei ihnen um den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Interna­tionalen Pakt über wirtschaftliche, so­ziale und kulturelle Rechte. Beide Pakte liegen seit 1966 zur Unterschrift aus und wurden bislang von beinahe 120 Staaten ratifiziert. Durch die Ratifizierung ver­pflichten sich die Staaten dazu, die Vor­schriften dieser legalen Instrumente zu achten. Die beiden Pakten stellen die Basis unserer modernen internationalen Menschenrechts-Gesetzgebung dar. Ihr zentraler Wert ist vielleicht darin zu se­hen, daß alle Menschen - ohne Aus­nahme - das Recht haben, daß ihre Grundrechte respektiert werden. Dies ist ein Wert, der unzählige Male erneut ge­nannt worden ist, auch auf der Welt-Menschenrechtskonferenz 1993 und dem Weltgipfel für Soziale Entwicklung 1995. Dieser Wert stellt auch weiterhin die Entwicklung des modernen Men­schenrechtsgesetzes dar, indem er sei­nen spezifischen Schutz auf neue Ge­biete individueller Rechte und Freihei­ten ausdehnt. Es ist das Konzept einer eingeborenen menschlichen Würde, das Menschen vor Tausenden von Jahren entwickelten, und das auch die Zukunft des internationalen Rechts bestimmen wird.

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Curtis F.Doebbler promoviert an der London School of Economics and Poli¬tical Science.