Eine Woche vor Ostern rufen wir mit unserem Aufruf "Kriege stoppen - Frieden und Abrüstung jetzt! " in mehreren Zeitungen zur Teilnahme an den Ostermärschen 2025 auf. Hilf auch du mit bei der Mobiliserung!
Die globalen Möglichkeiten des Fernsehens- eine Graswurzelaufgabe
von
Die Erfindung des Buchdrucks in der Mitte des 15. Jahrhunderts schuf die Grundlage für eine geistige Entwicklung, die heute noch nicht abgeschlossen ist. Die Menschen, vorher im Bann der Kirche, wurden unabhängig von den Vermittlern dessen, was als Heil, als Gotteswort galt. Eigenes Urteilen konnte sich auf Geschriebenes stützen. Die Veränderung des Denkens nahm Jahrhunderte in Anspruch. Es dauerte noch 150 Jahre bis zum Beginn der Aufklärung und nocheinmal 100 Jahre bis zur Erklärung der Menschenrechte in der französischen Revolution. Die Entwicklung der Naturwissenschaften wurde möglich.
Heute sind wir an einem Punkt angelangt, der uns die Schattenseiten dieser Entwicklung zum Bewußtsein bringt. Wir glauben nicht mehr, daß menschlicher Vernunft allein das letzte Urteil zusteht. Wir wissen auch, daß die von den Bannerträgern der Französischen Revolution geforderte Gleichheit nur Gleichheit vor dem Recht und Chancengleichheit meinen kann. Weiter müssen wir einschränken, daß die bedeutsame Errungenschaft der Meinungsfreiheit allzuleicht mißbraucht werden kann.
Das Fernsehen ermöglicht ähnlich wie einstmals die Entwicklung der Buchdruckerkunst einen gewaltigen Zuwachs an Information. Wird es eine ähnliche geistige Revolution einleiten wie der Buchdruck? Um sich einer Beurteilung anzunähern, muß man sich die Unterschiede zwischen den Printmedien und den audiovisuellen Medien vergegenwärtigen.
Das geschriebene oder gedruckte Wort wirkt völlig anders als der Film. Gedrucktes bedarf der Erlernung und Anstrengung des Lesens, der Verarbeitung durch Vorstellungsgabe und Nachdenken. Die audiovisuellen Medien verlangen viel weniger subjektive Bemühung um ein Urteil. Sie gehen dem Konsumenten unter die Haut, direkt ins Unbewußte. Der suggestive Einfluß vertieft sich durch die Begleitmusik. Die qualitative Wirkung wird quantitativ verstärkt, weil sie eine viel größere Anzahl von Menschen erreicht. Das Fernsehen kann auch für Analphabeten, theoretisch für die gesamte Menschheit, verständlich gemacht werden. Die Bilder werden übermächtig. Aber sie können nicht alles zeigen und das wenige nur in der Auswahl der Medienzaren. Jede Art von Täuschung ist möglich. Die Klagen der Berichterstatter nach dem Golfkrieg zeigten überdeutlich die breiten Möglichkeiten der Irreführung. Man glaubte mitten im Kriegsgeschehen zu sein und mußte sich später als Opfer geschickter Irreführung sehen.
Das Fernsehen wird zu einer geheimen Waffe, die mit ihrer Wirkung auf die unbewußten Seelenschichten blind und unberechenbar ist wie Naturgewalten. Wenn das richtige Quantum an gefährlicher Lockspeise: Gewalt, Sex und Crime beigemixt sind, kann es auf lange Sicht die Mentalitätsentwicklung stärker beeinflussen als jede auf die Einsicht zielende Aufklärung. Im allgemeinen Denken gibt es bis heute wenig Verständnis dafür, daß diese sanfte Gewalt auf die Dauer wirkungsvoller sein kann als Waffen. Sie wird, wie alles nichtphysische, unterschätzt. Es ist die Macht über die Seelen, wie sie schon die mittelalterliche Kirche mit ihrer Gnadengewalt ausübte. Auch heute wird unter Macht wie in der Steinzeit vor allem physiche Macht verstanden.
Welche psychische Gegenmacht gibt es gegen die audiovisuellen Medien? Wie bewußt sind die Medienmächtigen bereit, dafür Verantwortung zu übernehmen? In der Öffentlichkeit wird "Verantwortung übernehmen" gleichgesetzt mit militärischem Eingreifen, während politische gewaltfreie Lösungsversuche als verantwortungslose Passivität oder als Ohnmacht gegeißelt werden.
Militärische Macht ist immer in Gefahr, die Schranken, die die Verfassungen der Demokratien ihr setzen, zu durchbrechen, so wie heute in Jugoslawien. Die Wirkung militärischer Macht ist allen sofort erkennbar. Die Spätfolgen ungebändigter Medien in den Seelen bleiben unterschätzt. In den Demokratien wurde mit wechselndem Erfolg versucht, unabhängiges Agieren militärischer Macht zu unterbinden. Dagegen verbirgt sich das unabhängige Wüten der Medienmacht hinter einer Wolke der Ahnungslosigkeit. Zudem tabuisiert die zweifellos wertvolle Errungenschaft der Presse- und Meinungsfreiheit jede Einschränkung. Dahinter steht ein bisher unlösbarer Konflikt. Gesetze, die die Gesellschaft vor Missbrauch schützen könnten, ohne daß die Pressefreiheit gefährdet wäre, sind schwer begrifflich einzugrenzen. Ursache für die Unklarheit ist u.a. das geringe Wissen über die Natur des Unbewußten, das Addressat von Suggestionen ist. Mit anderen Worten: die Suggestivkraft der audiovisuellen Medien wird unterschätzt, weil es keine deutlichen Vorstellungen über suggestiven Einfluß gibt.
Das Wissen um die Kräfte des Unbewußten schließt die ungeliebte Erkenntnis ein, daß die Bereitschaft zu unkritischem Glauben die Menschen heute nicht weniger beherrscht als im finsteren Mittelalter und daß die menschliche Vernunft weit überschätzt wird. Dem Seelenarzt drängt sich dieser Eindruck auf. Das live gesendete Bild, das den Anspruch erhebt, weitaus realistischer zu sein als das gedruckte Wort, erweist sich als Vermittler von Desinformation und schönem Schein, von Suggestion. Wer hat schon die Zeit, sich gegen die Vielzahl von Bildern zu wehren, indem er/sie breit gefächerte gedruckte Information zur Grundlage kühlen Urteils macht? So wird Television der heimliche Verführer par excellence, mit der Qualität einer Droge, die den Erfahrungshunger befriedigt, ohne Persönlichkeitswerte zu fördern. Die Informationszufuhr sollte begleitet sein von kritischem Nachdenken, das schließlich Anpassung und Kreativitität herausfordert.
Schon die praktische Situation behindert den bloßen Wissenserwerb durch schnelleren Informationsfluß. Die schiere Masse der Nachrichten erzwingt Auswahl aus der Bilderflut. Diejenigen, die zu entscheiden haben, beeinflussen gewollt oder ungewollt die Konsumenten. Alles was sensationell, katastrophal, destruktiv ist, hat Vorrang, weil es den Bedürfnissen des Publikums entgegenkommt und wegen der höheren Einschaltquoten den Gewinninteressen dient. Es werden vorzugsweise Inhalte übermittelt, die schnelle brutale Problemlösungen darstellen. Will man Entwicklungen, wie etwa die genannte wegbereitende Wirkung des Buchdrucks für Aufklärung und exakte Wissenschaften oder die Langzeitwirkung gewaltfreier Konfliktlösungen in einem fesselnden Film darstellen, ist eine selten zu findende Kombination von Fachwissen, didaktischen und künstlerischen Fähigkeiten nötig.
Mehr Macht sollte stets von einem entsprechend erhöhten Maß an Verantwortung begleitet sein. Die Verantwortlichen sehen nur die unmittelbare Wirkung ihres Tuns in den Kassen. Sie scheinen sich nicht im Klaren zu sein, mit welch gefährlichem Sprengstoff sie angesichts der großen Verbreitungsmöglichkeit, der Einbeziehung der Analphabeten und der Suggestivwirkung umgehen. Da diese Erfahrungen der Tiefenpsychologie heute noch im Allgemeindenken wenig begründet sind, ist es schwer, die Notwendigkeit des Handelns verständlich zu machen. Die umfassende Wirkung wird nicht gesehen. Kein zureichendes Gesetz verhindert verantwortungslose Programmentscheidung. Es wird eine Machtausübung möglich, die durch keinerlei Verantwortung balanciert ist. Angesichts der weltweiten Macht des Fernsehens sollte genau so wie für Gen-manipulation und Atom-spaltung vermehrte Kontrolle eingefordert werden. Solange nicht gesteigerte Sensibilität für die Verantwortung durch Politik von unten angemahnt wird, werden die mächtigen Geschäftemacher keinen Grund zu verantwortungs-bestimmten Änderungen sehen.
Es ist denkbar, daß der Wildwuchs der rein merkantil orientierten Fernsehproduktion die Armutswanderung aus dem Süden mit beeinflußt. Der Alltag des Fernsehsüchtigen ist von einer verhängnisvollen Irreführung geprägt: verlogene Hollywoodmärchen, fabulöse Geschichten von unerhörter Geldmacht oder pubertäre Träume von Superwaffen gelangen in die verlassensten Eingeborenendörfer, in die ärmsten Favelas, und werden nicht nur geglaubt, sondern bestimmen Willensbildung und Entscheidungsfindung. Wird darüber nachgedacht, ob an Stelle von Seifenopern nicht Erwachsenenbildung gesendet werden sollte, die den Zuschauern langweilige Inhalte wie Verbesserungs-möglichkeiten der Lebensqualität, der Nahrungsgrundlagen, des sozialen Zusammenlebens, der Hygiene und Gesundheit didaktisch geschickt und interessant nahebringt?
Den Skeptikern möchte ich zwei zufällige Funde in einer einzigen Zeitungsnummer (SZ vom 17.2.93) entgegenhalten. Ganz nebenbei wird die Globalwirkung des Fernsehens dargestellt: Dem brasilianischen Television wird das Hauptverdient am erstmaligen Rückgang der Geburtenrate zugemessen, obwohl die katholische Kirche energisch gegen Verhütungsmittel und Abtreibung agitiert. In China ermutigte die Präsenz der Fernsehteams bei dem Massaker auf Pekings Tianamenplatz l989 nicht nur die Demonstranten, sondern hatte auch die Langzeitwirkung, daß sich heute viele Chinesen entgegen dem Verbot Satelittenschüsseln (weiße Ohren) anschaffen. Es könnte also bei geschickter, ja künstlerischer Handhabung aufklärender Sendungen, verbunden mit Weltverantwortung eine noch nicht erkannte breite Wirkung zur Bewältigung der drohenden Probleme erzielt werden.
Was in den Medien dargestellt wird, findet viel schneller Verbreitung und Nachahmung als es früher bestimmte Geistesrichtungen waren. Neue Ideen, getragen von gewaltfreien Aktionen, Menschenketten, Lichterdemonstrationen breiten sich ebenso schnell aus, wie die dumpfe Gewaltstimmung gegen Ausländer.
Die Errungenschaft der Aufklärung, eine Pressefreiheit, die theoretisch möglichst alle Seiten zu Wort kommen lassen will, scheitert insbesondere bei den audiovisuellen Medien am Zwang zur Auswahl und zur vereinfachten, raffenden Darstellung. Durch die Macht, nach Gutdünken das eine zu sagen und das andere zu unterschlagen kann sich der Sinn der freien Meinungsäusserung ohne direkt faßbare Lügen ins Gegenteil verkehren. Wer nicht Zugang hat zu dem mächtigen Meinungsmacher, muß stumm bleiben. Was nicht im Fernsehen ist, ist nicht. Meinungsterror der feinen Art wird möglich mittels Selektion der Nachrichten. Will man den Mißbrauch des geheiligten Wertes der freien Meinungsäusserung verhindern, dürfen die Produzenten nicht eine Personalunion mit den Kontrollierenden eingehen. Das entspricht der Idee der Gewaltenteilung. Medienmacht muß von möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen gebändigt werden, nicht aber von denen, die daran verdienen. Die Kontrolle muß vor allem auch von unten angemahnt werden. Seit dem Protest gegen die Wiederaufrüstung hat Graswurzelpolitik immer wieder stille, von der Öffentlichkeit, ja selbst von den Teilnehmern unterschätzte Triumphe gefeiert. Sie sollte sich heute noch mehr als früher an globalen Aufgaben orientieren. Die Zukunftsaufgabe der Medienkontrolle scheitert vorläufig am Fehlen grenzüberschreitender Organisationen. Agitation kann ein Mittel sein, das wenig erkannte Problem aus der theoretischen Diskussion heraus und dem Bewußtsein der Öffentlichkeit nahezubringen.
Bei dem Versuch, einer Lösung des Problems Einchränkung der Fernsehmacht versus Meinungsfreiheit näherzukommen, ist es zweckmäßig, sich an geschichtliche Versuche der Beschränkung von Gewalt zu erinnern. Die beiden Denkmodelle sind erstens das demokratische Grundprinzip der Gewaltenteilung und zweitens die Unterstellung des Heeres unter die Regierungsgewalt. Medienmacht wurde neuerdings als 4. Gewalt bezeichnet, die sich den drei geteilten Gewalten, der Legislative (Parlament), der Exekutive (Regierung und Verwaltung) und der Juridikative (Gerichte) beigesellt. Die Bezeichnung 4. Gewalt für die Medien ist deshalb unrichtig, weil sie - Gott sei Dank! - nicht völlig staatsabhängig ist. Heutzutage folgt sie, nur teilweise durchschaut, den brutalen Bedingungen eines Manchester-Kapitalismus. Ihre Abhängigkeit vom blanken Gewinnstreben verlangt eine Kontrolle durch andere Gewalten und eine Beschränkung zum Schutze des Bürgers.
Medienmacht ähnelt derjenigen militärischen Gewalt, die sich nicht dem Staat unterordnet und dadurch Waffengewalt der gefährlichsten Art ist. Das ungezügelte Vorgehen militärischer Einheiten ohne Kontrolle kann als Modell für die Vorstellung der Ausbreitung von Medienmacht dienen: die wuchernden Kämpfe um das zerfallene Jugoslawien drohen in ihrer Blindheit für das Ganze in allgemeiner gegenseitiger Zerstörung zu enden.
Wir wollen eine freie Presse, freie Medien. Aber wir wollen nicht Medien, die alles anrichten, was jedem, der genug Geld und Rücksichtslosigkeit besitzt, möglich ist. Die Einschränkung muss vom Volk ausgehen, was nicht heißt, vom bequemen Geschmack. Es gibt Vergleichsmöglichkeiten in der Macht der Boulevardblätter im deutschen und englischen Sprachraum. Der Kampf der 68-er-Rebellen gegen die Springer-Presse entsprang der Erkenntis der suggestiven Medienmacht, die den Leser mit dem fütterte, was er so gerne schluckt: Sensationen, Gewalt, Sex, Verbrechen, und, als harmlosestes, Sport. Wie Eltern, die die Zähne ihrer Kinder zerstören, indem sie gedankenlos-liebevoll-bequem Lutscher kaufen, werden die Konsumenten verdorben mit dem, was sie gierig und halbbewußt absorbieren. Da die nachteilige Wirkung erst verzögert sichtbar wird, scheint kein Grund zu bestehen, sie tragisch zu nehmen. Wissen wir, zu welchen Konsequenzen die ständige Darstellung von Gewalt einst führen wird? Die großen Presseimperien streben jetzt allesamt auf den Fernsehmarkt. Sie übertragen ihre wirtschaftlichen Erfahrungen, ihren rüden Stil und ihre verantwortungslosen Praktiken auf das viel größere Verbreitungsfeld der Television. Vermutlich entspricht die Rücksichtslosigkeit, die die Mächtigen mächtig gemacht hat, genau dem üblen Inhalt des Dargebotenen. Deshalb kann man von den Produzenten auch kein Gespür für die Abwegigkeit erwarten. Sie sind halt so. Wenn es zu spät ist, die Wirkungen destruktiver Medienmacht zu neutralisieren, scheint es nur den Ausweg militärischer Lösungen zu geben.
Der demokratische Lernprozeß, der in allen, auch den sogenannten entwickelten Ländern, nötig ist, um Gewaltlösungen überflüssig zu machen, beansprucht sehr viel Zeit. Das Fähnlein der Aufrechten, die sich um die Einübung aktiver gewaltfreier Lösungen, von Mediation, von Streitkultur bemühen, ist unter dem Shirokko des törichten Triumphgeschreies über den Zusammenbruch des Sowjetimperiums zusammengeschmolzen. Das Bewußtsein der Menschenrechte, der demokratischen Grundprinzipien sollte weltweit mit Hilfe verantwortungsvoll eingesetzter audiovisueller Medien vertieft werden. Dabei ist der törichte Glaube zu vermeiden, daß unsere Welt die beste aller möglichen Welten ist und daß Formen demokratischer Mitbestimmung nur im Westen entwickelt wurden. Der ständige Dialog mit anderen Kulturen verhindert die Überschätzung des westlichen Weges. Auch dazu dient die multikulturelle Gesellschaft. Es sieht leider nicht so aus, als ob die Politiker sich mit Fragen beschäftigen wollten, die zu ihren Lebzeiten nicht mehr in ihre Verantwortung fallen, geschweige denn ihrer Karriere dienen. Es wäre eine friedensstiftende Zukunftsaufgabe, durch Agitation diesen Prozess anzustoßen.