Atomwaffen verbieten: jetzt oder nie

Die junge Generation ist pragmatisch – und ungeduldig

von Leo Hoffmann-Axthelm

Siebzig Jahre sind eine lange Zeit. Wie in Deutschland die Zeitzeugen, machen sich in Japan auch die Hibakusha rar. Auch viele AktivistInnen für eine atomwaffenfreie Welt sind schon seit Jahrzehnten dabei, und der Nichtverbreitungsvertrag – der vielbeschworene Eckpfeiler der Nukleardiplomatie – ist mit 45 Jahren in die Jahre gekommen, ohne das Ziel einer atomwaffenfreien Welt erreicht zu haben.

Die generationelle Zusammensetzung der Abrüstungsbewegung hat strukturelle Gründe. Nach 1989 ging man davon aus, die Gefahr des Atomkrieges sei gebannt. Dabei hatte sich der Kalte Krieg tief in nationale und internationale, politische und militärische Institutionen eingebrannt. Ohne externen Druck ändert sich gemäß des Gesetzes der Trägheit der Materie wenig. Insbesondere politische Akteure und größere Bürokratien gehen stets den Weg des geringsten Widerstandes – der Erhaltung des Status quo.

Für viele ist der Kalte Krieg nun zurück. Für uns bedeutet das: Atomwaffen sollten noch dringender abgezogen und abgerüstet werden, ich schlage sogar einen Hashtag vor: #killresponsibly. Auch die neue Generation verzichtet gerne auf die zusätzliche Gefahr der nuklearen Eskalation, insbesondere, da die Flugzeuge, die die rostigen Atomwaffen aus Büchel überbringen, das EU-Territorium kaum verlassen können: Nach zu vielen Unfällen dürfen nuklear bewaffnete NATO-Jets nicht mehr luftbetankt werden.

In Lobbygesprächen sagt man mir, wir sollten unseren Enthusiasmus zügeln, wir seien ja erst seit Kurzem dabei und wüssten noch nicht, wie die Realität mit unseren Träumen umspringt. Atomwaffen „mir nichts dir nichts“ zu verbieten – in ein paar Jahrzehnten würden wir schon verstehen, wie unrealistisch das ist.

Die Möglichkeit des Wandels bemisst sich aber nicht in individueller Abgedroschenheit. Als vorherige Generationen anfingen, war der NPT neu bzw. frisch verlängert. Heute hingegen ist er ein Anachronismus: einige wenige Supermächte ruhen sich auf seiner Nichtverbreitungsfunktion aus und ignorieren die Forderung der demokratischen Mehrheit nach Abrüstung.

Das Gleiche gilt aber für jeden Ansatz, der Konsens voraussetzt, inklusive einer Atomwaffenkonvention. Sie ist mithin nicht realistisch; und die neue Generation lässt sich für derart abstrakte Ziele nicht begeistern. Es wurde bereits ausführlich herausgearbeitet, dass die neue Generation nicht mehr für große Utopien zu haben ist. Dennoch ist sie politisch, und sucht nach einem erfüllten Leben. Aber die Welt bietet genug andere Missstände, die sich konkreter bekämpfen lassen, von Klimawandel über fair trade bis hin zur Steuervermeidung.

Verbotsvertrag fordern
Was also tun, wenn Atomwaffenstaaten die Abrüstung verweigern? Wir müssen diesen Zielkonflikt offen ansprechen. Der Verbotsvertrag wird einer post-modernen, demokratischen Konzeption des Völkerrechts gerecht. Er transzendiert klassische Souveränität, gibt niemandem ein Veto und verändert graduell den Diskurs in den Atomwaffenstaaten.

Dies baut auf einer breiteren Revolution in den internationalen Beziehungen auf. Konstruktivistische und liberale Theorien akzeptieren komplexe Gesellschaften mit divergierenden Tendenzen und kommen der Realität weit näher als „neo-realistische“ Theorien, welche das Staatshandeln simpel auf Machtblöcke reduzieren.

So trat menschliche Sicherheit (human security) an die Stelle „strategischer Stabilität“, und mit ihr eine globale Verantwortung für nukleare Abrüstung auch seitens der Nichtbesitzerstaaten, wie schon bei Streumunition und Landminen. Die Kalten Krieger hingegen verstehen immer noch nicht, wie Mittel der soft power – nichtverbindliche Vertragswerke, mittelbarer Druck durch die Veränderung von Allianzdoktrinen und Verbote der Finanzierung – auch ohne die Beteiligung der Supermächte den politischen Kontext für Atomwaffen effektiv verändern können.

Ein großer Grund für mangelndes Interesse seitens der Medien und Jugend an nuklearer Abrüstung ist schließlich die tief eingebrannte Überzeugung, nukleare Abrüstung sei unmöglich. Schon der kurzfristige Erfolg eines Verbotsvertrages würde diesen Defätismus beseitigen und eine neue Welle an potenziellen Aktivisten mobilisieren.

Wie der Verbotsvertrag im Detail aussieht, ist uns egal. Denn auch dies ist eine Lehre aus früheren Versuchen: sich nicht festzulegen. Es ist viel zu leicht für unsere Gegner, Modellverträge zu kritisieren. Es geht aber nicht darum, Recht zu behalten. Wie die Verträge ausgestaltet werden, werden die Staaten entscheiden. So lange die Zivilgesellschaft Zugang zu den Verhandlungen hat und das Ziel einer umfassenden Ächtung nicht aus dem Blick gerät, sind wir auf dem richtigen Weg.

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