Die Katholische Kirche und der Golfkrieg

von Martin Singe
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Ein erster Eindruck:
Bei ausführlicher Sichtung von Dokumenten und Pressemitteilungen aus dem Raum der katholischen Kirche zum Golfkrieg fällt doch auf, dass die Kirche wesentlich distanzierter als etwa politische Großparteien zum Golfkrieg Stellung genommen haben.

Aus der Sicht friedensbewegter Katholiken ist natürlich viel zu wenig Eindeutiges gesagt worden, leider nicht mit einer Stimme gesprochen, nicht eindeutig zu Verweigerung und Widerstand aufgerufen worden.

Aber es war für die deutschen Katholiken seit dem 2. Weltkrieg praktisch das erste Mal, dass die Bundesrepublik einen Krieg mitgeführt hat (wenn auch nicht personell, dann doch durch die 18.000.000.000 DM und massive logistische Unterstützung bis hin zu jetziger Polizeihilfe bei der Verfolgung. kriegsdienstverweigernder Gl's auf deutschem Boden). Für die Katholiken in den USA war es der erste. Krieg einer solch bedeutenden Größenordnung seit Vietman. Wenn man Großinstitutionen wie Kirche in ihrer Trägheit kennt, wird man angesichts dieser Rückvergleiche doch von·Fortschritten sprechen können. Bis auf wenige Ausnahmen stand der Katholizismus im 2. Weltkrieg hinter "Volle, Führer und Vaterland", die US-Öffentlichkeit konnte sich im Vietnamkrieg der Unterstützung der katholischen Kirche sicher sein.

Dass·sich dies zumindest anfanghaft geändert hat, führe ich auf die großen Diskussionen zurück, die gerade von den engagierten Friedensgruppen auch im Katholizismus überall auf der Welt begonnen würden: man denke an die Diskussionen für Rahmen der Stationierungsdebatte; als etwa im Jahre 1983 in den USA, in der BRD, in der DDR und in vielen weiteren Staaten von den nationalen. Bischofskonferenzen Hirtenbriefe zur Friedensfrage erschienen.

Diese Diskussionen hatten langfristige Wirkungen, wie sich jetzt·im Golfkrieg zeigt, auch wenn noch lange nicht das an Eindeutigkeit erreicht ist, was für christliche Kirchen von ihrem. Anspruch und ihren ethischen Normvorstellungen her m.E. möglich wäre.

Papst eindeutig gegen den Krieg
Wesentlich eindeutiger als viele nationale Bischofskonferenzen oder Laiengremien hatte im Falle des Golfkrieges der Vatikan bzw. Johannes Paul II. Stellung genommen. Das mag überraschen, aber die vatikanische Diplomatie ist offensichtlich fest davon ausgegangen, daß eine Verhandlungslosung Mitte Januar noch möglich gewesen ist. Am 15.1. telegrafierte der Papst an Saddam Hussein und Bush, forderte auf·zum Dialog, zur Verhandlungslösung und zur unbedingten Kriegsvermeidung. Im Brief an Bush hieß es u.a.:

„In·den vergangenen Tagen habe ich den Gedanken und Befürchtungen von Millionen von Menschen Ausdruck gegeben und auf die tragischen Konsequenzen hingewiesen, die ein Krieg in dieser Region haben könnte. Ich möchte jetzt meine feste Überzeugung unterstreichen, daß ein Krieg kaum eine angemessene Lösung für internationale Probleme bringen kann, und daß, auch wenn eine ungerechte Situation für den Moment beantwortet wird, die Konsequenzen, die möglicherweise aus einem Krieg entstehen würden, verheerend und tragisch sein würden. Wir können nicht daran vorbeigehen, daß der Gebrauch von Waffen, insbesondere der heutigen hochqualifizierten Waffensysteme, neben Leiden und Zerstörung noch schlimmere und neue Ungerechtigkeiten hervorbringen könnte. (…) In diesen letzten Stunden vor Ablauf des vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen festgelegten Ultimatums hoffe ich aufrichtig und bitte mit lebendigem Glauben den Herrn, ·daß der Friede noch gerettet werden kann. Ich hoffe, daß durch den Versuch eines Dialogs in letzter Minute die Souveränität dem Volk von Kuwait zurückgegeben werden kann und daß die internationale Ordnung, die die Basis für das menschenwürdige Zusammenleben von Nationen. ist, in der Golfregion und im gesamten Nahen Osten wiederhergestellt wird. …" (KNA 17.1.91)

Nach Ablauf des Ultimatums appellierte der Papst im Rahmen einer Genenralaudienz am 16.1.91 noch einmal ganz eindringlich in der Sprache eines Gebetes vor Tausenden von Gläubigen in Rom:

"Höre den einstimmigen Ruf deiner Kinder, das inständige Flehen der ganzen Menschheit: Niemals wieder Krieg, Abenteuer ohne Rückkehr. Nie wieder Krieg; Spirale von Trauer und Gewalt. Auf keinen Fall diesen Krieg am Persischen Golf, Bedrohung·für deine Geschöpfe im Himmel, auf der Erde und im Meer. Vereinigt mit Maria, der Mutter Jesu, flehen wir dich anspricht zum Herzen der für das Geschick der Völker Verantwortlichen, stoppe die Logik der Vergeltung und der Rache mit deinem Geist neue Lösungen, großzügige und ehrenvolle Gesten, Raum für den Dialog und geduldiges Abwarten an dies alles fruchtbarer als übereilte Ablauftermine· für den Krieg; Gewähre unserer Zeit · Tage des Friedens. Niemals wieder Krieg!" (KNAl 7.1.91)

Rom hatte auch im Vorhinein des Krieges immer auf Verhandlungslösungen gedrängt, die Überwiesung des Problems an den Internationalen Gerichtshof vorgeschlagen und auch ständig darauf verweisen, daß es sich nicht um einen. Religionskonflikt handle, sondern um politisch- wirtschaftliche Streitigkeiten, in denen die Religionen missbraucht werden. Nach· Kriegsbeginn hat der Papst immer auf eine sofortige Beendigung der Kriegshandlungen gedrängt.

Die katholische Kirche in den USA
Die katholischen Bischöfe in den USA haben mehrfach vor Auslösung des Krieges. auf Verhandlungslösungen gedrängt. Es gab einzelne Stimmen, die mit dem Verweis auf Kriterien des gerechten Krieges eine Rechtfertigung des Krieges versuchten, andererseits gab es auch radikalere Stimmen unter den Bischöfen; die zu Verweigerung und zivilem Ungehorsam aufriefen und z.B. das Gulf Peace Team durch zeitweilige Präsenz unterstützten.

Pax Christi USA, die dortige nationale Sektion der internationalen katholischen Friedensbewegung, hatte bereits seit der Besetzung Kuwaits auf mögliche tragische·Folgen einer kriegerischen Lösung aufmerksam gemacht und Vorschläge für Verhandlungen eingebracht. Die UN-Ultimatums-Resolution verurteilte PC-USA als "verfehlt, tragisch und unmoralisch", die UNO werde damit zu einem "Instrument des Krieges" und sie mißachte ·damit ihre eigene· Charta (KNA 30:11.90). An alle Katholiken wurde appelliert, die jenigen . zu unterstützen, die die Kriegsteilnahme verweigern.
Am Tag vor Kriegsausbruch appellierte der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz an Bush: "meiner. Meinung nach sollte der Vorzug noch Blockaden gegeben werden und nicht Bomben; Diplomatie und nicht Zerstörung, Gesprächen und nicht Krieg". Ein öffentlicher in Zeitungsanzeigen verbreiteter Appell gegen den Krieg war von über 1. 700 Einzelpersonen; 250 Gruppen und Orden sowie 10 Bischöfen unterzeichnet, die sich zugleich für den Fan des Kriegsbeginns zu gewaltfreien Protesten und der Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern verpflichteten.

Europa und Deutschland
Die europäischen Stimmen aus der offiziellen Kirche waren lange nicht so weitgehend wie in den USA. Es gab hier überall ein breites Spektrum in den nationalen Bischofskonferenzen von Rechtfertigung als gerechter Krieg" bis zur klaren Ablehnung, jedoch dies eher selten. Die meisten Stimmen waten leider nichtssagend appellativ (so etwa: alle sollen doch den Krieg. wieder beenden, Krieg ist schrecklich, schafft nie wahren Frieden, ist Zeichen des Scheiterns - aber keine klare politische Option; ob die USA bzw. die Alliierten das Recht hatten, diesen Krieg zu beginnen.). Ein typisches Beispiel für solche Erklärungen ist vom 17.1. der Bischofskonferenzvorsitzenden aus Frankreich, der Schweiz und Deutschland. Auf derselben. Ebene bewegt sich die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum Golfkrieg, die darin auch wegen der Uneindeutigkeit heftige Kritik erfahren hat Die spielte real das politische Spektrum im deutschen Episkopat wieder: hier reichten die Stimmen von der ganz klaren. Kriegsverurteilung (Kamphaus, Limburg, vgl. Kasten) bis zur eindeutigen Rechtfertigung (Dyba, Fulda; Militärbischofsamt; Stimpfle, Augsburg). Bitter ist dann auch eine Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, bzw. der Vorsitzenden. Rita Waschbüsch, die den Krieg klar rechtfertigte: Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Lehmann hatte kurz nach Kriegsbeginn nichts, wichtigeres mehr zu sagen, als daß sich die Desertionsaufrufe christlicher Gruppen außerhalb der Rechtsordnung bewegen. Es geht dann schon klar in Kriegsrechtfertigung über, wenn er. meint: "In·einer schwierigen Zeit können wir nicht sagen ohne mich und in einer illusionären Weise aus dieser Welt fliehen.“

Die deutsche Sektion von Pax Christi hatte in vielen Stellungnahmen und Memoranden sowie durch Unterstützung der Gulf-Peace-Team-Mission, Unterstützung der Demonstrationen und Verweigerungsaktionen sowie durch eigene Aufrufe zur Befehlsverweigerung eine eindeutige Stellung in diesem Krieg bezogen, ebenso andere katholische Verbände und Friedensgruppen. Die langjährige Arbeit der katholischen Friedensgruppen hat sicher schon einiges bewirkt im deutschen Katholizismus, auch wenn Bischofskonferenzen und Zentralkomitee noch lange nicht in die Richtung gehen, die sich friedensbewegte Katholiken wünschen.

Dies konnten nun leider nur Schlaglichter auf die Auseinandersetzung in der katholischen Kirche mit dem Golfkrieg sein. Vieles ist bruchstückenhaft, verkürzt, zu undifferenziert, jedoch in der Kürze dieses Artikels nicht anders möglich. Pax Christi Deutschland hofft, in absehbarer Zeit eine ausführliche Ausarbeitung dieser Frage durchzuführen und das Ergebnis zu veröffentlichen.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".