Israel-Palästina

Die Kennzeichnung von Siedlungsprodukten und die Aufgaben der EU im Nahost-Friedensprozess

von Manfred Budzinski

Israels systematische Siedlungs-, Abriegelungs- und Separationspolitik im Westjordanland nimmt der palästinensischen Bevölkerung wertvolle Ressourcen inkl. Wasser. Die täglich stattfindende Verdrängung von PalästinenserInnen aus Ostjerusalem, die Hauszerstörungen in Ostjerusalem und im Westjordanland und die Blockade des Gazastreifens entziehen einem möglichen palästinensischen Staat die Lebensgrundlagen und lähmen viele Aspekte des Alltags- und Wirtschaftslebens. Israelische Firmen, die in den völkerrechtswidrigen Siedlungen auf besetztem palästinensischem Gebiet investieren und produzieren, aber auch internationale und deutsche Firmen sind Nutznießer dieser Besatzungspolitik. 

In der Westbank und in Ostjerusalem wohnen bereits über eine halbe Million jüdische Israelis in „Siedlungen“, die zum Teil große Städte mit einigen Zehntausend EinwohnerInnen sind, obwohl das Völkerrecht klar untersagt, die eigene Bevölkerung in besetztem Land anzusiedeln. Hinzu kommt, dass PalästinenserInnen in der Zone C (61% des besetzten Westjordanlandes) seit Jahren fast keine Baugenehmigung erhalten. Für die palästinensische Bevölkerung stellte die internationale Gemeinschaft zuletzt jährlich etwa eine Milliarde Dollar an Unterstützung bereit. Ohne die israelische  Besatzung und die damit verbundenen Behinderung ihrer Aktivitäten würde die palästinensische Wirtschaft laut Schätzung der Weltbank ca. 3,4 Milliarden Dollar im Jahr verdienen.

Bereits im Jahr 2004 bekräftigte das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zum Mauerbau die Rechtswidrigkeit bestimmter israelischer Besatzungsmaßnahmen, darunter den Bau von Siedlungen, und bestätigte die Rechtspflicht aller Staaten, diesen Maßnahmen „keine Beihilfe oder Unterstützung“ zu gewähren. Der Europäische Gerichtshof hat 2010 geurteilt, dass Siedlungen nicht zum Staatsgebiet Israels zählen. Die israelischen Siedlungen in der Westbank und in Ostjerusalem sind ein Haupthindernis auf dem Weg zu einem gerechten Frieden in Nahost. Übrigens sprach sich die israelische Justizministerin Livni laut dem christlich-evangelikalen Nachrichtenportal Israelnetz vom 27.1.2014 in einer Kabinettssitzung dagegen aus, „Kritik an der israelischen Siedlungspolitik … mit Antisemitismus gleichzusetzen… Wer dies tue, „schadet dem Kampf gegen Antisemitismus und distanziert uns von wichtigen Verbündeten, denen Antisemitismus vorgehalten wird, weil sie die Siedlungen kritisch sehen“.

Für die Kennzeichnung von Siedlungsprodukten
Für VerbraucherInnen sind Produkte aus israelischen Siedlungen bislang nicht erkennbar, weil sie genau wie Waren aus dem Staatsgebiet Israels bisher mit der Ursprungsangabe „Israel“ vermarktet werden – eine klare Irreführung. Deshalb begann im Mai 2012 die Nahost-Kommission von pax christi Deutsche Sektion mit der Obsttüten-Aktion „Besatzung schmeckt bitter. Kaufverzicht für einen gerechten Frieden in Israel und Palästina“, in der die eindeutige Kennzeichnung von aus israelischen Siedlungen stammenden Waren gefordert wird. Bis zur Erfüllung der Kennzeichnungspflicht wird zu einem Kaufverzicht aufgerufen, wenn es sich bei Waren mit der unklaren Herkunftsangabe „Israel“ um Siedlungsprodukte handeln könnte. Die Entscheidung für den Verzicht auf Waren aus völkerrechtswidrigen Siedlungen bedeutet, dem Gutachten des IGH auf der Ebene der individuellen Konsumentscheidung Nachdruck zu verleihen. In Großbritannien werden Waren aus den Siedlungen seit 2009 eindeutig deklariert, in Dänemark und Südafrika seit 2012. Die größte Schweizer Supermarktkette Migros praktiziert dies seit 2013.

Keine EU-Zuschüsse mehr für Siedlungen
Die EU-Kommission erhielt vom Ministerrat den Auftrag, neue Leit- oder Richtlinien für eine genaue Kennzeichnung von israelischen sowie von Siedlungsprodukten zu erarbeiten. Auf unsere Nachfrage bei der EU-Außenbeauftragten Lady Ashton erhielten wir aus ihrem Büro im September 2013 die Antwort, dass dies noch mehr Zeit in Anspruch nehme. Wir hoffen, dass dies nicht auch noch über die Wahl zum Europäischen Parlament hinausgeschoben wird. Was die EU jedoch beschlossen hat, ist, dass keine EU-Fördergelder mehr in Siedlungen fließen sollen (1). Die Vereinbarung über wissenschaftliche Kooperation „Horizon 2020“ zwischen der EU und Israel von Ende 2013 verbietet, dass EU-Fördermittel für akademische Forschung  zur Verfügung gestellt werden, die in den Siedlungen durchgeführt wird.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung verhandelt zurzeit mit Israel über zwei bilaterale Abkommen (Zusammenarbeit von WissenschaftlerInnen sowie die Förderung von z.B. privaten israelischen High-Tech-Unternehmen und Existenzgründungen), die ebenfalls die Siedlungen ausschließen sollen. Anscheinend gab es vor einigen Monaten Druck von deutschen Universitäten auf das Ministerium, nicht mit israelischen Forschungseinrichtungen in der Westbank zu kooperieren. Das würde auch das kürzlich zur Universität hochgestufte College von Ariel in den besetzten Gebieten betreffen. Offensichtlich gibt es laut der israelischen Zeitung Ha´aretz auch einen bilateralen Vertrag von 1986, in dem eine Projektförderung nur im Israel der Grenzen von vor Juni 1967 festgehalten ist.

Entwicklungen in anderen EU-Ländern
Im vergangenen Jahr kam es zu zahlreichen Entscheidungen bezogen auf die Nichteinbeziehung der israelischen Siedlungen. Einige Beispiele:

Die britische Regierungsbehörde Trade & Investment warnt vor Risiken bei wirtschaftlichen und finanziellen Aktivitäten in den Siedlungen und weist auf mögliche Auswirkungen auf den guten Ruf eines Unternehmens hin. In Norwegen gibt es ähnliche Überlegungen. In den Niederlanden entmutigt die Regierung Unternehmen vor Wirtschaftsbeziehungen mit Firmen in den Siedlungen seit Jahren, was z.B. zum Rückzug des Wasserkonzerns Vitens und des Technikkonzerns Royal Haskoning DHV führte. Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes heißt es im Vergleich dazu ziemlich „soft“: „In Bezug auf Eigentumserwerb oder Investitionen in den Siedlungen wird darauf hingewiesen, dass die Siedlungen nach Auffassung der Bundesregierung gegen das Völkerrecht verstoßen.“  Die rumänische Regierung besteht darauf, dass ihre Bauarbeiter nicht in den illegalen Siedlungen bauen. In einzelnen EU-Staaten wird über ein komplettes Importverbot von Siedlungsprodukten nachgedacht.

Nach der Deutschen Bahn, die sich aus dem Bau einer auch durch die Westbank führenden Eisenbahnlinie zurückzog, verkaufte der französische Konzern Veolia seine Buslinien zu den Siedlungen. McDonald´s verzichtete auf eine Filiale in der Siedlung Ariel. Große Pensionsfonds in verschiedenen Ländern verkauften ihre Anteile an israelischen Firmen, die mit den besetzten Gebieten zu tun haben,  so z.B. der größte niederländische Pensionsfonds PGGM  die Anteile an fünf israelischen Banken, die Zweigstellen in Siedlungen haben und Kredite für den Siedlungsbau anbieten. Kirchen ziehen ihre Anteile von in den Siedlungen involvierten großen Konzernen wie Hewlett Packard , Caterpillar, Motorola und General Electric ab. 15 Kirchenführer in den USA baten den US-Kongress, Militärhilfe für Israel von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig zu machen. Diverse Verbände von AkademikerInnen  in den USA haben einen Boykott Israels beschlossen, ebenso zahlreiche Gewerkschaftsbünde  u.a. in Belgien, Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Indien, Irland, Kanada, Norwegen, Südafrika und der Türkei.

Aufgaben für die EU
Die EU, EU-Kommission, Europaparlament und auch die Bundesregierung müssen nun eine weitaus aktivere Rolle als bisher ausüben. Unsere israelischen Partnerorganisationen weisen uns seit Jahren eindringlich darauf hin, dass ohne starken Druck der internationalen Gemeinschaft, insbesondere von Deutschland und der EU, die Region keinen Frieden finden wird. Nötig wäre eine konsequente Umsetzung der Leitlinien vom Juli 2013, der Klausel bezogen auf die Siedlungen im Programm Horizon 2020 und der Durchsetzung dieser Klausel in allen anderen Verträgen mit Israel. Ganz schnell sollten nun klare Leitlinien für eine Kennzeichnung der Siedlungsprodukte auf den Tisch, deren Einhaltung regelmäßig und selbstverständlich kontrolliert werden müssten. Für die Einbeziehung Gazas und einen ungehinderten Zugang zu Gaza zu sorgen, wäre eine weitere wichtige Aufgabe für die EU.

Da der Handel mit den Siedlungen diese weitaus mehr stärkt als die öffentlichen Mittel der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, sollte sich die EU – der Logik ihrer Leitlinien folgend – überlegen, den Handel mit den Siedlungen zu unterbinden. Die EU sollte sich dafür einsetzen, dass rechtswidrige Besatzungsmaßnahmen – wie durch das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs 2004 festgestellt – gestoppt und rückgängig gemacht werden, und dort, wo der ursprüngliche Zustand nicht wieder herstellbar ist, ein Anspruch auf Kompensation unterstützt wird; als erste - vertrauensbildende - Maßnahmen sollten kein Siedlungsbau und keine Erweiterung irgendwelcher Art in den Siedlungen stattfinden sowie der Bau der Mauer/Sperranlage sofort gestoppt werden.

Ein weiterer wichtiger Schritt wäre es, sich dafür einzusetzen, dass die Besatzung, solange sie noch durch den Staat Israel besteht, an klare Rechtspflichten gekoppelt ist und die legitimen Sicherheitsanliegen des israelischen Staates ausschließlich im Rahmen von Menschenrechten und Völkerrecht verfolgt werden. Eine weitere Missachtung dieser allgemein anerkannten Grundsätze durch die israelische Regierung darf in Zukunft nicht mehr ohne Folge bleiben. Die EU ist am Zug.

 

Anmerkung
1 EU-Leitlinien vom 19. Juli 2013 über die Förderfähigkeit israelischer Einrichtungen und ihrer Tätigkeiten in den von Israel seit Juni 1967 besetzten Gebieten im Hinblick auf von der EU finanzierte Zuschüsse, Preisgelder und Finanzinstrumente ab 2014, die am 1. Januar 2014 in Kraft traten.

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Friedensbewegung international
Dr. Manfred Budzinski ist Sprecher der Nahost-Kommission von pax christi Deutsche Sektion.