Die kommenden Kriege

von Andreas Zumach

Ohne eine baldige umfassende Energiewende hin zu erneuerbaren-ökologischen Ressourcen (Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme, Biomasse) werden die verschärften Auseinandersetzungen um die immer knapper werdenden fossilen Rohstoffe Öl, Gas und Kohle in den kommenden Jahrzehnten unweigerlich zu weltweiten kriegerischen Auseinandersetzungen führen. Diese Energiewende ist keine Frage der technologischen Machbarkeit, sondern ausschließlich des politischen Willens. Das ist die zentrale These des neuen Buches von Andreas Zumach, UNO-Korrespondent der taz, das Anfang Oktober bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist unter dem Titel „Die kommenden Kriege - Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn - Präventivkrieg als Dauerzustand?"

Die kommenden Kriege
Ende Juni 2005, als die letzten Zeilen des Buches geschrieben wurden, jährte sich der 60. Gründungstag der UNO. Doch dieses Jubiläum blieb fast völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit. Weit mehr Aufmerksamkeit als die gemischte Bilanz und die unsichere Zukunft der reformbedürftigen Weltorganisation fanden in jenen Tagen zwei Nachrichten, ,,bei denen es direkt oder indirekt um Öl ging: der Weltmarktpreis für ein Fass (159 Liter) des wichtigsten fossilen Energierohstoffs überschritt erstmals seit Beginn seiner kommerziellen Nutzung vor knapp 150 Jahren die Marke von 60 US-Dollar (Inzwischen ist er zeitweise sogar auf über 70 Dollar angestiegen). Zugleich erreichte der Preis für den Liter Benzin an deutschen Tankstellen die Rekordhöhe von 1,25 Euro - und damit bereits die Hälfte des Betrages, den die bundesdeutschen Grünen in ihrem „5-Mark"-Beschluss vom Magdeburger Parteitag im März 1998. zur notwendigen Voraussetzung für eine ökologische Energiewende erklärt hatten.
Ein hellsichtiger, richtungsweisender Beschluss, den die Grünen angesichts des empörten Geschreis aller anderen Parteien und fast sämtlicher Medien in der deutschen Autofahrerrepublik damals allerdings leider sofort wieder versenkten.
Seitdem haben sich die Verteilungskämpfe um die immer knapper werdenden Ressourcen Öl und Gas erheblich zugespitzt. Sie bestimmen zunehmend die internationale Politik; Hinter dem völkerrechtswidrigen Irakkrieg vom Frühjahr 2003 steckte in erster Linie das Interesse der USA (in absoluten Zahlen wie pro Kopf ihrer Bevölkerung mit weitem Ab¬stand der größte Konsument fossiler Energien unter den 191 Staaten dieser Erde) an den Ölreserven Iraks und seiner Nachbarländer.
China mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern und einer seit Jahren um zweistellige Prozentzahlen wachsenden Volkswirtschaft hat seinen Ölbedarf allein zwischen 2000 und 2003 verdoppelt . und ist seitdem beim Ölkonsum die Nr. 2 hinter den USA. Weil China und Russland ihre führende Rolle bei der Ausbeutung der sudanesischen Ölfelder nicht gefährden wollten, blockierten beide Länder im UNO-Sicherheitsrat alle Maßnahmen zugunsten der Flüchtlinge und Vertriebenen in der westsudanesischen Region Oafour, die tatsächlich Druck auf die Regierung in Khartoum ausgeübt hätten.
Nicht nur in Washington, auch in der EU-Hauptstadt Brüssel, in Peking, New Dehli oder Moskau wird die Sicherung der eigenen Energieversorgung immer deutlicher angeführt als Begründung für künftige militärische Interventionen im Ausland und für die Schaffung der dazu notwendigen militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten. Europäische Außen- und Sicherheitspolitiker sprechen immer häufiger von der künftigen „weltpolitischen Rolle" der EU und betonen die Notwendigkeit eigenständiger militärischer Kapazitäten und Fähigkeiten der EU unabhängig von oder gar in Konkurrenz zu jenen der USA. Auch in Peking und Moskau stoßen Vorstellungen einer nicht nur politischen und wirtschaftlichen, sondern auch militärischen Gegenmachtbildung zu den USA zunehmend auf Unterstützung.
Eine derartige Politik der Machtkonkurrenz wird aber die Verteilkämpfe um die immer knapperen fossilen Energieressourcen zusätzlich verschärfen und damit die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen noch erhöhen.
Eine Eskalation der verschärften Verteilungskämpfe uni Öl und andere' Ressourcen zu militärischen Auseinandersetzungen - durchaus denkbar in einigen Jahrzehnten sogar zwischen Europa und den USA - ist zwar möglich, aber keineswegs ein unabwendbares Schicksal. Ob .
die ökologische Wende hin zu erneuerbaren Energien rechtzeitig, auf internationaler Ebene und in ausreichendem Umfang stattfindet, um die Verteilungskämpfe um die immer knapperen fossilen Energien zu entschärfen und die ökologischen Folgeschäden ihrer Verbrennung (wie die Erwärmung des globalen Klimas) zumindest zu begrenzen - das alles ist keine Frage der technologischen Machbarkeit, sondern ausschließlich des politischen Willens. Ob die wichtigen Weichenstellungen in diese Richtung, die die wirtschaftsstarke Mittelmacht Deutschland seit 1993 unter der rot-grünen Koalition vorgenommen hat (u.a. mit dem Energieeinspeisungsgesetz, der Ökosteuer, ,,dem Solardächer-Programm und dem Ausstieg aus der Atomenergie) unter der neuen Bundesregierung fortgesetzt werden oder nicht, ist dabei durchaus von großer internationaler Relevanz.
Noch mehr als die Aufwärtsentwicklung der Öl- und Benzinpreise sorgten Ende Juni 2005 die Nachrichten aus Teheran für Aufregung - insbesondere im Westen:
Die Einwohner Irans, des Landes mit den drittgrößten Ölreserven der Welt (nach Saudiarabien und Irak) und den zweit größten Gasvorräten (nach Russland), wählten den konservativen islamischen Hardliner Mahmoud Ahmadinejad mit großer Mehrheit zu ihrem neuen Präsidenten.
Diese Wahl hat zu einer weiteren Verschlechterung des seit Jahrzehnten schwer belasteten Verhältnisses zwischen Iran und den USA geführt. Bereits im Januar 2002 hatte US-Präsident George Bush Iran gemeinsam mit Irak und Nordkorea zur „Achse des Bösen" in der Welt erklärt. In der Folge drohte Washington mehrfach unverhüllt mit militärischen Maßnahmen gegen Teheran. All dies hat die konservativen Hardliner in Teheran gestärkt und die Chancen auf eine politische Lösung des Konflikts um das iranische Atomprogramm erheblich verschlechtert. Inzwischen ist die EU mit ihrem von vornherein falsch angelegten Verhandlungsansatz gescheitert und auf die konfrontative Strategie Washingtons eingeschwenkt. Und die völlig unakzeptablen Drohungen des iranischen Präsidenten gegen Israel haben im Westen wiederum diejenigen Kräfte gestärkt, die eine Verständigung mit Teheran nicht wollen oder nicht für möglich halten. Doch die Deeskalation und eine politische Lösung des Konflikts um das iranische Atomprogramm wären weiterhin möglich. Dazu müsste der Westen jedoch die Sicherheitsbedürfnisse Teherans - auch mit Blick auf das bereits atomar bewaffnete Israel - tatsächlich ernst nehmen.

 

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Krisen und Kriege