Kommentar

Die Legitimation des Militärs wird brüchig

von Andreas Buro

Nach dem Ende des West-Ost-Konflikts hatte Bundeskanzler Kohl ein schlimmes Wort ausgesprochen: „Die Bundesrepublik Deutschland ist umgeben von Freunden.“ Im Grundgesetz der Republik stand, die Bundeswehr solle nur der Verteidigung dienen. In der Zeit, in der West und Ost sich hochgerüstet gegenüberstanden und einander abzuschrecken versuchten, war die Daseinsberechtigung für das deutsche Militär eindeutig. Die Generäle brauchten sich keine Sorgen zu machen. Doch was nun?

Die Friedensbewegung in Deutschland startete die BoA-Kampagne (Bundesrepublik ohne Armee) als Antwort auf die neue Situation. Ihre strategische Bedeutung wurde auch dem Militär sehr schnell klar. Würde Deutschland aus der Militärallianz NATO ausscheiden, müsste alle Hoffnung auf eine EU-Armee oder doch auf eine starke EU-Komponente in der NATO aufgegeben werden. Das bedeutete schlechte Aussichten für den industriell-militärischen Komplex und schlechte Berufsausichten für die Soldaten.

Wir wissen, wie diese Bedrohung des Militärischen überwunden wurde. Die Umfunktionierung des militärischen Auftrages zur weltweiten Intervention war der passe-par-tout. Dazu kamen weitere Legitimationsideologien wie die sogenannte ‚Humanitäre Intervention“ und die „Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch“. Diese war so unglaubwürdig, dass wohl selbst die dort kämpfenden SoldatInnen sie nicht für bare Münze nehmen wollten. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien wurden deshalb nach einigen Dementis handfeste Interessen der Sicherheit genannt, die weit in den ökonomischen Bereich hineinragen. Der weltweite Krieg gegen den Terrorismus der anderen, nämlich der Islamisten, war dafür die richtige Vorlage. Er wurde flankiert durch die von der Vollversammlung der Vereinten Nationen 2005 angenommenen und in der Resolution des Sicherheitsrates 1674 zu einem völkerrechtlichen Dokument erhobenen ‚Responsibility to Protect’ (R2P). Dem Wortlaut nach sollen durch R2P die Menschenrechte auch innerhalb von Staaten durch mögliche internationale Interventionen geschützt werden. KritikerInnen fürchten allerdings, hier würde die Legitimation geschaffen für Interventionen in Staaten aus ganz anderen, also nicht-menschenrechtlichen Gründen. Sie fügen die drastische Frage an: Kann denn Dänemark in China oder den USA intervenieren, wenn dort Menschenrechte mit Füßen getreten werden? Nur die militärisch starken Staaten können dies, und diese haben bisher wenig Neigung zur Rücksicht auf die Durchsetzung der Menschenrechte gezeigt, sondern haben sie oft selbst schwerwiegend verletzt.

Trotz dieser Legitimationen – vom angeblich „Gerechten Krieg“, der noch immer Grundlage aller Beschönigungen von Kriegshandlungen ist, wurde hier noch nicht einmal gesprochen – haben die Militärs zwei deftige Probleme. Sie müssen erstens für sich und den militärisch-industriellen Komplex so viele finanzielle Mittel zugewiesen bekommen, dass sie bei Interventionen militärisch überlegen agieren können. In Zeiten knapper EU-NATO-Staaten-Kassen ist das schwierig zu erreichen, auch wenn der NATO-Generalsekretär immer wieder die EU-Staaten zur Erhöhung ihrer Militärbudgets aufruft. Einige werden erfinderisch. Jetzt sollen sogar die historischen Erzfeinde Frankreich und England einen gemeinsamen Flugzeugträger benutzen. Ob es das bringt?

Das zweite Problem ist bedeutender. Das Militär und das Instrument der militärischen Intervention verlieren verständlicherweise an Glaubwürdigkeit, wenn die SoldatInnen als Verlierer die scheinbar besiegten Länder verlassen müssen. Das hat von Vietnam bis Afghanistan nun oft genug stattgefunden. Viele fragen sich, ist militärische Intervention eigentlich noch – auch im Sinne herrschender Großmachtpolitik – ein geeignetes Mittel? Diese Frage stellen sich nicht nur FriedensforscherInnen und Friedensbewegte, sondern auch Firmen im globalisierten Geschäft und natürlich auch viele humanitäre und international agierende Institutionen. Das häufig vorgetragene Argument von der Bedeutung der Rüstungsproduktion für die Volkswirtschaft zieht nicht mehr. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt betragen Rüstungsaufwendungen für die Bundeswehr und Rüstungsexport weniger als 1% des deutschen Bruttoinlandsprodukts.

Die Frage, ob Militär noch das geeignete Mittel sei, stellen sich natürlich auch die Generäle. Sie haben dafür eine materielle und eine ideologische Antwort parat. Materiell greifen sie nach Möglichkeit nicht mehr mit eigenen Bodentruppen ein. Sie formieren sich vielmehr als Interventionisten aus der Luft und lassen andere, denen sie aus der Luft beistehen und denen sie Waffen liefern, stellvertretend für sie am Boden kämpfen. Libyen und Syrien waren und sind dafür bereits Experimentierfelder. Wie dann der jeweilige Krieg verläuft, erscheint dann nicht als Sieg oder Niederlage des intervenierenden Militärs. Es waren ja die anderen, die sich gegenseitig umbrachten.

Doch diese materielle Neuausrichtung, zu der die Drohnenmilitärpolitik bestens passt, hat den Haken, dass das interventionistische Militär den Konfliktaustrag nicht bestimmen kann. Darauf geben die Generäle, auch die deutschen in Afghanistan, eine interessante Antwort. Sie und ihre SoldatInnen hätten nur die Aufgabe, Zeit zu schaffen für die Politik, die sich um eine politische Lösung zu kümmern habe. Wenn diese das aber nicht tut, wie in Afghanistan, dann sei das Militär daran nicht schuld, sondern die Politik. Das erinnert etwas an Ludendorffs Dolchstoßlegende, mit der die Verantwortung für das militärische Desaster des Ersten Weltkrieges den Politikern aufgebürdet werden sollte und dann auch tatsächlich aufgebürdet wurde. Doch diese Argumentation, so unglaubwürdig sie auch im konkreten Fall ist, verweist auf die Notwendigkeit von politischen Lösungen statt des militärischen Konfliktaustrages. Liegt hier vielleicht ein Ansatzpunkt für die Strategiebildung in der Friedensbewegung?

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